INTERCULTURAL PHILOSOPHY AND ART
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KUNST UND PHILOSOPHIE

Graphiken von Klaus Bönnighausen
zum Werk von Ernst Bloch 'Das Prinzip Hoffnung'

Gruppe1: Dunkler Grund - offene Adaequatheit
Gruppe2: Wünsche und Ängste im Tagtraum
Gruppe3: Das Noch-Nicht-Bewusste
Gruppe4: Soziale Utopien
Gruppe5: Technische und landschaftliche Utopien

Entstehungsgeschichte und Deutung des Graphiken-Zyklus.
Auf der Suche nach neuen künstlerischen Kriterien habe ich mich mit philosophischem Gedankengut befasst, und ich musste feststellen, dass eine starke inspirative Wirkung auf mein künstlerisches Gestalten durch philosophische Inhalte ausgeht. Durch Diskussionen und Gespräche mit Heinz Kimmerle über Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" wurde ich zu diesen Handzeichnungen angeregt. Es sind die poetische Sprache und der philosophische Inhalt dieses Werkes, die mir gestalterische Freiräume einräumten, wobei meine Auslegung nicht im beengten illustrativen Sinne gesehen werden darf. Durch meine Existenz als Künstler habe ich in Blochs Werk viele Parallelen entdeckt, Vorgänge im schöpferischen Prozess, die philo-sophische Gedanken und Ideen beinhalten, so dass viele Fragen eine Antwort finden auf der Suche nach Identität und gestalterischer Selbstverwirklichung. Die Handzeichnung gibt mir technisch die Möglichkeit des elementaren Gestaltens. Um etwas Orientierung und didaktische Führung zu geben, sind die Zeichnungen in 5 Gruppen gegliedert, zu denen ich meine künstlerische Interpretation gebe. Gruppe I: Dunkler Grund - offene Adäguatheit Das kosmische Raum- und Zeiterlebnis ist eine thematisch gravierende Grundlage dieser Gruppe. Der zentrale punktuelle Raum als Kern des gelebten Augen-blicks steht im Mittelpunkt des Seins. Grafisch stelle ich den Menschen im Augenblick seiner Existenz als dunkle Woge, als Fiktion fallend und steigend im kosmischen Raum dar, das Dunkel des gelebten Augenblicks umfassend in seiner menschlichen Daseinsproblematik. Gruppe I I: Wünsche und Ängste im Tagtraum Diese Gruppe bietet die Möglichkeit, die Zeichnung als Psychogramm zu erleben. Im Tagtraum sehe ich eine Voraussetzung für jedes kreative Gestalten, in Verschmelzung von Tagesträumen und schöpferischen Visionen. Der existenzielle Angsttraum schlägt eine Brücke zum Hoffnungstraum, zum Traum der Liebe, zur Identitätsfindung. Auch in dieser Gruppe steht der Mensch im Mittelpunkt der Gestaltung. Gruppe I I I: Das Noch-Nicht-Bewusste Immer wieder erlebe ich die gestalterische Problematik, wie sich das Noch-Nicht-Bewusste zum Bewussten formt. Bei aufmerksamer Selbstanalyse und Sensibilisierung des Stofflichen formt sich langsam aus noch nicht bewussten Werten das Bildhafte, Bildidee und bildnerisches Denken. Sie finden ihre Wertung in der Vollendung des künstlerischen Ausdrucks. Gruppe IV: Soziale Utopien Die sozialen Utopien beinhalten die Freiheit und die ordnenden Prinzipien. Besonders bin ich auf die aus archaischem Ursprung sich entwickelnden Gesellschaftsformen eingegangen, die Sonne z.B. als ursprüngliches archaisches Symbol, der utopische Sonnenstaat von Campanella. Der Mensch im chaotischen Raum auf der Suche nach Ordnung - Die Freiheit endet in der Ordnung, im umbauten Raum. Das verflochtene Ritual von utopischen Gedankengängen und sozialen Handlungsweisen ergibt vielleicht einen Durchbruch zur Ver-änderung und gesellschaftlichen Neuformierung. Gruppe V: Technische und landschaftliche Utopien Den utopischen architektonischen Raum sehe ich als gläsernen Raum, aufleuchtend aus dem Dunkel der utopischen Stadt. Was ist eigentlich utopischer? Die technische Landschaft, die doch noch aus dem Keil des Lichts die Hoffnung schöpft, oder Städte mit menschlicher Umwelt?
Klaus Boennighausen

Das Werk von Ernst Bloch als Anregung für den Künstler. Es ist ein Novum in der Geschichte der Kunst, dass das Werk eines Philosophen direkte Anregung für das Schaffen eines Künstlers bietet. Wohl gibt es, vor allem in der mittelalterlichen Kunst, zahlreiche Gestaltungen, die religiöse Motive, zum Gegenstand haben, die durch biblische Erzählungen und Berichte angeregt worden sind. Und man findet zu allen Zeiten eine tiefgehende geistige Nachbarschaft zwischen Denken und Dichten. Aus neuerer Zeit möchte ich hierfür J.P. Sartre und A. Camus nennen, die ein beachtliches philosophisches Werk neben ihren literarisch-künstlerischen Texten vorgelegt haben, oder die enge interpretatorische Beziehung, die M. Heidegger zur Lyrik F. Hölderlins und R.M. Rilkes entwickelt. Im niederländischen Sprachbereich kann man auf H. Gorter verweisen, der seine Arbeiten zur marxistischen Philosophie eng mit seinem dichterischen Schaffen verbindet. Zwischen Philosophie und bildender Kunst ist indessen bislang keine engere Beziehung entstanden. Die Abstraktheit des philosophischen Denkens scheint sich der Übertragung ihrer Probleme ins Medium der Anschauung, des äusserlich Sichtbaren zu widersetzen. Es gibt freilich in allen bedeutenden Philopsophien eine bestimmte abstrakte Anschaulichkeit, eine nicht reduzierbare metaphorische Sprachebene, in der wesentliche Gehalte dieser Philosophien ausgedrückt sind. So kann man beispielsweise den Gegenstand als etwas denken, das dem Bewusstsein "ent-gegen-", das ihm "gegen-über-steht". Die Diskontinuität der geschichtlichen Zeit, die auch in der eigenen Lebenszeit erfahren werden kann, wird immer wieder durch das Bild des "Bruches" ausgedrückt. Hegel beschreibt sein System der Philosophie, in dem er das Ganze der Wirklichkeit zu erfassen sucht, als einem "Kreis von Kreisen". Und Bloch prägt für den Sachverhalt, dass die Ausrichtung des eigenen Lebens, die dem Handeln in jedem Augenblick zugrundeliegt, niemals direkt, sondern immer nur in ihren Auswirkungen erfassbar ist, die bildliche Formulierung vom "Dunkel des gelebten Augenblicks". Warum sollten derartige bildliche Ausdrücke, die eine abstrakte Problematik enthalten, nicht ins Medium der bildenden Kunst übertragbar sein? Warum sollte ein Künstler nicht auf seine Weise an den Problemen weiterarbeiten, die in der metaphorischen Sprachebene der Philosophie vorformuliert sind? Seitdem die Kunst ihr eigenes Medium als abstrakte Anschauung definiert hat, steht der geistigen Nachbarschaft, der Zusammenarbeit von Philosophie und Kunst eigentlich nichts mehr im Wege. Ein interessantes Beispiel für die Verbindung hochabstrakter Gedanken und künstlerischer Gestaltung ist das Buch von H. van Kruiningen: "Tweeentwintig etsen bij uit-spraken van een brilleslijper Spinoza (Nieuwkoop 1975)". Gewiss, nicht jede Philosophie ist in gleichem Masse geeignet, für die künstlerische Arbeit Anregung zu bieten. Das Werk von Ernst Bloch "Das Prinzip Hoffnung" (1954-1959) nimmt in dieser Hinsicht nicht nur eine Sonderstellung ein, es ist vielmehr in einzigartiger Weise dafür prädestiniert, durch seine gedrungene Bildersprache und durch seine ganze Thematik anregend auf einen bildenden Künstler zu wirken. Eine Philosophie, die sich die "objektive Phantasie" als zentrales Thema stellt, die ausführlich auf das Phänomen des Tagtraums und umfassend auf seine möglichen Inhalte eingeht, spricht gewissermassen das Organ des bildenden Künstlers unmittelbar an, das in grösserem und geringerem Mass in jedem Menschen vorzufinden ist. Die Ausstellung "Kunst und Philosophie" dokumentiert auf eine geradezu spannende Weise, wie Klaus Bönnighausen durch das Blochsche Werk angeregt worden ist, wie er auf eigenen Wegen an den Problemen weiterarbeitet, die durch Bloch gestellt werden, und wie er dabei häufig in die gleiche oder auch in eine ähnliche Richtung geht, wie sie bei Bloch vorgezeichnet ist. Selbstverständlich kann nicht der gesamte Inhalt des "Prinzips Hoffnung" zum Thema künstlerischer Gestaltung werden. Es sind einige Hauptlinien in diesem Buch, die in den fünf Gruppen der Ausstellung aufgenommen und weiter ausgezogen werden. Zu jeder Gruppe gehören zehn kleinere und zwei grössere Zeichnungen. In diesen Katalog sind drei Zeichnungen aus jeder Gruppe aufgenommen. Es beginnt mit dem "Dunkel des gelebten Augenblicks", von dem schon die Rede war, und das der Systematik des Blochschen Denkens seit seinem ersten grossen Buch über den "Geist der Utopie" (1918) zugrundeliegt. Die innere Ausrichtung des eigenen Lebens, die dem bewusstseinsmässigen Zugriff entzogen bleibt, kommt nicht nur in allen seinen Handlungen zur Wirkung. Sie ist zugleich das innere Korrelat für die unendliche Weite des Kosmos. Sie konstituiert im Menschen seine Sicht des Weltalls, die ebenso wesensmässig offen bleiben muss wie die sie konstituierende Sichtweise im Menschen ver-borgen, unbewusst und darum unverfügbar bleibt. Bloch nennt diese innere Ausrichtung des individuellen Lebens, der die "offene Adäquatheit" der Welt entspricht, deshalb auch die "absolute Frage". Dieser Gedankenzusammenhang trifft bei Bönnighausen auf sein oft behandeltes Thema: Mensch und Weltall, Menschen im unendlichen Raum, das sich nun zur in sich konzentrierten und in sich gespiegelten Kreisform zusammenfasst. Die Tagträume, die in Gruppe 2 behandelt werden, geben der künstlerischen Phantasie reichlich Stoff und Spielraum. Sie sind bei Bönnighausen schärfer gegensätzlich pointiert als bei Bloch: Wünsche und Ängste im Tagtraum. Bei beiden steht zentral der "Gesichtertausch" von Angst- und Hoffnungstraum. Unverzichtbar für den Künstler ist der "Tagtraum in entzückender Gestalt", das "Bild als erotisches Versprechen". Die dritte Gruppe gibt erneut schwierige Probleme auf. Dem Noch-Nicht-Bewussten begegnen wir in der Produktivität und in der Jugend, in der die "Dämmerung nach vorwärts" für jedermann erfahrbar ist. Aber was meint Bloch mit der "Maske" des Noch-Nicht-Bewussten? Was bedeutet das Bild von der Begegnung der Masken? Die Ahnungen, die im Menschen aufsteigen, sind undeutlich und insofern noch nicht individuell belebt. Aber sie sind nicht starr und ausdrucklos; sonst wäre eine Begegnung zwischen ihnen nicht möglich. Zweifellos liegt in der ersten Begegnung von Menschen, die Freunde werden oder Liebende bei aller Undeutlichkeit ein ungeheures, in seiner ahnungsvollen Srcherheit noch ungeklärtes utopischen Potential. Die sozialen Utopien (Gruppe 4) bilden bei Bloch die konkretesten Wunschbilder; bei Bönnighausen sind sie auf zentrale aber allgemein bleibende Strukturen konzentriert. Campanellas "Sonnenstaat", die Utopie der Ordnung strahlt deutlicher hindurch als die Utopie der sozialen Freiheit, wie sie etwa in Morus' "Utopia" formuliert ist. Schliesslich kommt der Künstler bei den Utopien der Technik und der Landschaft in Gruppe 5 erneut auf ein Gebiet, das seine Gestaltungskraft und seine Phantasie unmittelbar herausfordert. Wird die Technik die Landschaft zerstören? Lässt sie Raum für utopische Vorstellungen? Kann sie zu einer harmonischen Einheit mit der Landschaft zurückfinden? Die Umweltproblematik hat sich für Bloch noch nicht mit derselben Dringlichkeit gestellt, wie wir sie heute erfahren. Aus der Zusammenschau von technischen und landschaftlichen Utopien sind die Gefährdung und die Mobilisierung der Gegenkräfte für den Interpreten ableitbar.
Heinz Kimmerle