Im Folgenden wird die Internet-Fassung eines Textes geboten, der in redigierter Form im Laufe des Jahres 2002 im Junius-Verlag in Hamburg als Buch erscheint. Darin soll eine knappe, aber umfassende Einführung in die interkulturelle Philosophie gegeben werden.

 

Dem Text wird als Motto eine kurze Passage aus dem Vorwort von Chris Dercon, Mira Kho und Bert van Meggelen zu dem Buch Unpacking Europe. Towards a Critical Reading (hg. von S. Hassan und I. Dadi, Rotterdam 2001) vorangestellt:

 

In den »neuerlichen Angriffen auf die Vereinigten Staaten [vom 11. September 2001] und der im Gang befindlichen Antwort darauf, die von Europa unterstützt wird …  kehrt Huntingtons Kampf der Kulturen zurück. Der Diskurs und die Rhetorik des Zusammenstoßes (clash) zivilisierter, demokratischer Nationen mit ‘anderen’, der so alt ist wie unser Zeitalter, hat wieder seinen hässlichen Kopf erhoben.« (A.a.O., S. 7, Hervorhebung von mir, HK.)

 

Stattdessen wären Dialoge zwischen den Kulturen anzustreben, welche die nicht nur hässliche, sondern auch unangemessene polarisierende Zweiteilung in die eigene und die anderen Kulturen hinter sich lässt. Dazu sucht der hier folgende Text beizutragen.

 

 

Heinz Kimmerle

 

 

Interkulturelle Philosophie zur Einführung

 

 

Inhalt

 

Einleitung

            1. Warum interkulturelle Philosophie?

            2. Die Dimension des Interkulturellen  (Mit Hinweisen zum Stand der Forschung)   

            3. Die Nachbarschaft zur interkulturellen Kunst 

I.Globalisierung und Regionalisierung in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Technologie, Religion, Kunst und Philosophie

            1. Wirtschaft und Politik

            2. Wissenschaft und Technologie 

            3. Religion

            4. Kunst und Philosophie

II.Der Durchbruch zur interkulturellen Philosophie und die Kritik des Eurozentrismus der europäisch-westlichen Philosophie seit der Aufklärung

           1. Ein neuer Kulturbegriff 

           2. Philosophie ist keine spezifisch oder gar ausschließlich europäisch-westliche Angelegenheit

           3. Wo, wann und wie entstand Philosophie in den verschiedenen Regionen der Erde?

           4. Der Durchbruch zur interkulturellen Philosophie und die Kritik des Eurozentrismus der europäisch-
               westlichen Philosophie seit der Aufklärung

           5. Die doppelte Bewegung des Sich-öffnens und zugleich auch wieder -verschließens gegenüber anderen

               Kulturen in der europäisch-westlichen Philosophie nach Hegel

III.Thematisierung des Denkens in anderen Kulturen in der Ethnologie und Vergleichenden Philosophie

            1. Das Denken in anderen Kulturen im kulturanthropologisch/ethnologischen Diskurs

            2. Vergleichende Philosophie mit ihren regionalen und methodischen Grenzen

IV.Ansätze zur Interkulturalität in Dialogen westlicher Philosophie mit Philosophien anderer Kulturen

           1. Die Methode oder der Weg interkulturell philosophischer Dialoge

           2. Dialoge mit östlichen Philosophien (Indien, China,Japan)

           3. Dialoge mit islamischer Philosophie

           4. Dialoge mit lateinamerikanischer Philosophie

           5. Dialoge mit afrikanischen und anderen primär mündlich überlieferten Philosophien

Abschließende Überlegungen

            Erweiterung und neue Präzisierung des Philosophiebegriffs und der Philosophiegeschichte

Nachtrag

Literaturhinweis

Über den Autor

             

Einleitung

 

1.Warum interkulturelle Philosophie?

»Interkulturelle Philosophie – sie ist heute nötiger denn je.«

Gernot Böhme (Darmstadt, Oktober 2001)

 

Wir leben in einer Welt, in der auf vielen Gebieten, vor allem auf denen der Wirtschaft, Politik, Kunst und Religion eine doppelte gegenläufige Bewegung von Globalisierung und Regionalisierung vor sich geht. Die damit zusammenhängenden Prozesse vollziehen sich nicht ohne schwerwiegende Probleme und müssen auf jedem der genannten Gebiete gesondert betrachtet werden. Die Ausbreitung der Wissenschaft und Technologie, wie sie in der westlichen Welt entwickelt worden sind, auf die anderen Weltteile scheint am wenigsten von Gegenbewegungen begleitet zu sein. Aber auch auf diesem Gebiet werden endogene Wissensformen und Techniken anderer Kontinente gegen eine einseitige Technisierung im westlichen Sinn ins Feld geführt.

Die verschiedenen Kulturen sind auf diese Weise weniger denn je hermetisch von einander abgegrenzt. Zwischen ihnen findet vielfacher Austausch statt, und sie vermischen sich in vielfältiger Hinsicht. Man kann das als einen Verlust an spezifischen Eigentümlichkeiten der je eigenen Kultur betrachten. Andererseits wird durch die Vereinheitlichung und ihre Gegenkräfte eine Dynamik freigesetzt, die neue Lebensweisen ermöglicht. Eine kulturelle Uniformität, die sich in mancher Hinsicht andeutet, gerade auch bei der jüngeren Generation, etwa in den Vorlieben für »Fast food« oder Computerspiele, wird nicht erwünscht sein. In ihr würden innere Vielfalt und die damit gegebenen Spannungsverhältnisse zu sehr fehlen.

Die Entwicklungen der Globalisierung und Regionalisierung sowie des weltweiten Kulturaustauschs und der Vermischung der Kulturen wird man nicht einfach sich selbst überlassen können. Die politischen Steuerungsversuche, so weit es sie gibt, sind in erschreckendem Maß hilflos und orientierungslos. Man denke nur an den Umgang mit den Problemen der Zuwanderung in den westlichen Industrieländern oder die Schutzlosigkeit gegen Terroranschläge, sogar in den Zentren der Macht.. Es scheint unabweislich notwendig zu sein, dass auch von philosophischer Seite aus auf diese Entwicklungen reflektiert wird, dass sie in adäquater Weise beschrieben und theoretisch geklärt werden. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass auf dem Gebiet der Philosophie selbst entsprechende Entwicklungen stattfinden, die dann freilich bewusst und kritisch vollzogen werden sollten.

Erstaunlicherweise verhält sich die Philosophie der westlichen Welt im Blick auf diese Aufgaben in ihrer Mehrheit äußerst spröde bis abweisend. Die herkömmlichen Themen der eigenen Philosophiegeschichte und der logisch-analytischen Klärung von Problemen, die im Vollzug der Wissenschaften und im alltäglichen Sprachgebrauch auftreten, stehen so sehr im Vordergrund, dass für Fragestellungen, die mit der aktuellen Weltsituation gegeben sind, nur wenig Mittel und denkerische Energie zur Verfügung stehen. Insbesondere scheinen die offiziellen Vertreter der westlichen Philosophie nur selten bereit zu sein, sich für die Denkweisen in anderen Kulturen zu öffnen und mit ihnen in Austausch zu treten.

In Wahrheit ist es ein Erbe kolonialen Denkens, dass Philosophie für die westliche Geistesgeschichte reklamiert wird. Andere Kulturen werden als unfähig erachtet, die besondere geistige Anstrengung der Philosophie zu vollbringen. Sofern etwa in der chinesischen oder indischen Geistesgeschichte Texte von großer denkerischer Intensität und Tiefe angetroffen werden, werden diese als »Weisheit« qualifiziert, um sie von der besonderen intellektuellen Leistung der Philosophie abzugrenzen. Martin Heidegger bezeichnet japanische und koreanische Philosophen, die ihn besuchen, nicht als solche, sondern als »Denker«; es zeugt von Verlegenheit, wenn er von dem Gedankenaustausch mit einem japanischen Kollegen als einem Gespräch »zwischen einem [nicht namentlich genannten] Japaner und [sich selbst als]  einem Fragenden« berichtet.[1]     

            Nun gibt es zwar seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts an den europäischen Universitäten das Fach »Vergleichende« oder »Komparative Philosophie«, in dem westliche und (fern)östliche Philosophien neben einander gestellt werden. Das bleibt indessen ein äußerliches Verfahren, bei dem die philosophischen Gehalte nicht wirklich auf einander bezogen werden. Und es geschieht charakteristischerweise nicht in den Abteilungen für Philosophie, sondern in denen für Sinologie, Indologie, Japanologie usw., in denen neben den Sprachen, Literaturen, Religionen, der Kunst sowie den politischen und gesellschaftlichen Systemen auch die Philosophien im Verhältnis zur Situation in Europa und im Westen vergleichend betrachtet werden. Ferner konstatieren und registrieren die Vertreter des Faches Kulturanthropologie bzw. Ethnologie bei den Völkern, die sie besuchen und untersuchen, gelegentlich auch deren Denksysteme (»systems of thought«), aber sie sprechen nicht von deren Philosophien.

            Einige wenige Philosophen im Westen und auch in anderen Teilen der Welt, die sich – unter dem Namen der »interkulturellen Philosophie« – der  Aufgabe stellen, die mit den Problemen der Vereinheitlichung und Vermischung der Kulturen gegeben sind, und die den Austausch mit den Philosophien anderer Kulturen suchen und praktizieren, geraten so in die Rolle von Pionieren, die sich in einsamer oder doch vereinzelter Position um etwas Neues bemühen, das von offizieller Seite und in der Breite der philosophischen Arbeit (noch) nicht anerkannt wird. Die Fakultät für Philosophie an der Erasmus Universität Rotterdam hat zwar für mich einen (den ersten) Lehrstuhl für »Grundlagen der interkulturellen Philosophie« eingerichtet, die Arbeit dieses »besonderen«, das heißt von einer Stiftung finanzierten, Lehrstuhls aber dann in Forschung und Lehre bewusst und mit Nachdruck  marginalisiert. Diese Randposition hat mich nicht gestört. Wie anders soll etwas Neues in bestehende Institutionen eindringen, in denen jeder seine eigene Domäne verteidigt und ausdehnen will?

            An den deutschen Gymnasien, sofern dort Philosophie-Unterricht erteilt wird, ist die Aufgeschlossenheit für die interkulturelle Philosophie wesentlich größer. In der von ihm herausgegebenen Reihe »Philosophie. Beiträge zur Unterrichtspraxis« hat Jürgen Hengelbrock Unterrichtsmaterial zur interkulturellen und speziell zur afrikanischen Philosophie veröffentlicht, von dem auch regelmäßig Gebrauch gemacht wird. [2] Diese größere Aufgeschlossenheit beruht wohl darauf, dass die Lehrer an den Gymnasien sehr viel direkter und massiver mit Schülern konfrontiert sind, die selbst oder deren Eltern aus anderen Kulturen kommen. So entsteht das Bedürfnis, diese Situation auch philosophisch zu durchdenken und zu klären.

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2.  Die Dimension des Interkulturellen (Mit Hinweisen zum Stand der Forschung)

 

Die interkulturelle Philosophie will nicht eine neue philosophische Disziplin sein – neben Geschichte der Philosophie, Logik, Erkenntnistheorie, Ethik, philosophischer Anthropologie, Wissenschaftstheorie, Rechtsphilosophie, Politischer und Sozialphilosophie oder auch Kulturphilosophie, wobei die letztere ebenfalls bereits eine Art Randposition einnimmt. Sie sollte alle philosophischen Disziplinen und Beschäftigungen durchdringen; diese sollten jeweils die Dimension des Interkulturellen in sich aufnehmen. Das Verhältnis der Kulturen zu einander, das seit der Aufklärung eurozentrisch gedacht worden ist, gilt es philosophisch neu zu bestimmen. Dies »betrifft eines der Kernprobleme unserer Zeit, von dessen Lösung die Ermöglichung menschlichen und menschenwürdigen Lebens wesentlich mit abhängt. Deshalb wird die Philosophie heute interkulturell sein, oder sie wird nichts anderes sein als eine akademische Beschäftigung ohne gesellschaftliche Relevanz«. [3]  

            Ram Adhar Mall, der aus Indien stammt, aber schon seit vielen Jahren in Deutschland lehrt, hat es so formuliert: »Interkulturalität … ist der Name einer philosophischen und kulturellen Haltung, Einstellung und Einsicht. Diese Einsicht begleitet alle Kulturen und Philosophien wie ein Schatten und verhindert, dass diese sich in den absoluten Stand setzen. Weder ist die philosophia perennis jemandes Besitz alleine, noch ist einer bestimmten Kultur ‘eine Entelechie eingeboren’ (Husserl)«;[4] das letztere meint eine innere Ausrichtung, die bewirkt, dass alle anderen sich auf sie zu beziehen und an ihr zu messen hätten. Mit diesem Aufruf zur Selbstbescheidung wird freilich gegenüber der Hauptströmung der gesamten Geschichte der westlichen Philosophie etwas grundsätzliche Neues eingefordert.

            Die Grundorientierung der interkulturellen Philosophie liegt damit auf derselben Linie wie Heideggers Kritik an der Metaphysik, die alles Seiende an einem höchsten Seienden (Gott, transzendentales Subjekt oder absoluter Geist) misst, Adornos Ablehnung des Identitätsdenkens, das keinen Raum für das Besondere, Andere lässt, oder auch Wittgensteins Beschränkung auf die Analyse von Sprachspielen, das heißt von Sprachfragmenten, die jeweils von einem bestimmten Handlungszusammenhang aus einzugrenzen sind. Diese Linie lässt sich durchziehen bis zu den Philosophen der Differenz (neben Levinas nenne ich Foucault, Deleuze, Lyotard, Derrida, Kristeva, Irigaray), die sich vor aller das Ganze umfassenden philosophischen Systematik dem Anderen zuwenden, dessen Andersartigkeit nicht nur als das Andere (die spiegelbildliche Gegenseite) des Eigenen verstanden wird. In diesem Sinn habe ich die Philosophien der Differenz und ihre »Vorläufer« als (m)einen Weg zur interkulturellen Philosophie dargestellt.[5]

            Bei Mall vermisse ich eine klare Abgrenzung der interkulturellen von der vergleichenden Philosophie. Dabei hat er freilich die indische und die westliche Philosophie mit großer Kennerschaft auf einander bezogen und viele verkürzte und einseitige Beurteilungen der ersteren von der letzteren aus korrigiert. Und er hat – ähnlich wie der Wiener Philosoph Franz M. Wimmer – darauf hingewiesen, dass vom Ansatz der interkulturellen Philosophie aus die geschichtlichen Darstellungen der westlichen und nicht-westlichen Philosophien von allen Absolutheitsansprüchen kritisch gereinigt werden müssen.[6] Da sich diese Philosophie als eine Vielzahl von Dialogen zwischen den Philosophien der verschiedenen Kulturen vollzieht, spricht Wimmer mit Recht von einem »Polylog«. Wichtig ist, dass in Bezug auf Einzelfragen die historischen Potentiale der Philosophien verschiedener Kulturen ins Spiel gebracht werden und zusammenwirken. Dabei ist mir klar, dass der Dialogbegriff der westlichen philosophischen Tradition entstammt und im Blick auf andere philosophische Traditionen nur als ein Angebot verstanden werden kann, das sich seiner Begrenztheit und Überholbarkeit bewusst ist. Wimmers Ansatz setzt hingegen einen, wenn auch selbstkritisch in Frage gestellten, inhaltlich und formal vorgegebenen Philosophiebegriff voraus, der sich paradoxerweise von den einzelnen philosophischen Disziplinen aus definiert, wie sie sich in der westlichen Tradition herauskristallisieret haben.[7]

            Dass sich interkulturelle Philosophie methodisch als Dialog vollzieht, hat eine Reihe wichtiger Implikationen. Entscheidend ist der gleiche Rang der Dialogpartner, die Offenheit des Ergebnisses und die nicht nur diskursiv-sprachlichen Mittel und Wege der Verständigung. Im Unterschied zum Diskursbegriff wie ihn die an der Universität Frankfurt/M. wirkenden Philosophen Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas verwenden, der die Methode des vernünftigen Argumentierens zur letztlich entscheidenden Grundlage macht, kann vom Dialogpartner erwartet werden, dass er mir etwas zu sagen hat, das ich mir (auf Grund meiner Teilhabe an einer allgemein menschlichen Vernunft) nicht auch selbst hätte sagen können.

            Auch Raúl Fornet-Betancourt, in Lateinamerika beheimatet und in Deutschland an der Technischen Hochschule Aachen lehrend, verwendet für seinen Ansatz der interkulturellen Philosophie den Dialogbegriff an zentraler Stelle. Er organisiert Seminare eines »philosophischen  Dialogprogramms« und sucht deren Arbeit theoretisch zu begründen. Er richtet sich besonders auf die mittel- und südamerikanischen Kulturen und stellt der »Theologie der Befreiung«, die in diesem Gebiet entwickelt worden ist,  philosophische und interdisziplinäre »Studien zur Befreiung und Interkulturalität« zur Seite. Im Kontext der westlichen Philosophie hat er in den Vertretern der »Diskursethik«, also vor allem Apel und Habermas, Gesprächspartner gefunden, möchte sich aber auf die Dauer nicht auf eine »Auseinandersetzung zwischen Diskursethik und Befreiungsethik« beschränken, sondern sich auch den konkreten Problemen der interkulturellen Kommunikation stellen.[8]  In einer programmatisch konzipierten Schrift zu seinem Ansatz der interkulturellen Philosophie, den er selbst als eine »Wende« von »Wegen in die Inkulturation« zur »Interkulturalität« beschreibt, stellt er deutlich und im Einzelnen heraus, dass es ihm um eine »neue Gestalt der Philosophie« geht, um eine »Transformation« dessen, was Philosophie ist, die diese von ihren jeweiligen »monokulturellen« Gestalten zu der des »interkulturellen Dialogs« führt. Auf diese Weise überwindet die interkulturelle Philosophie das »System der komparativen Philosophie« und öffnet sich für »die Idee der Universalität im Sinne eines regulativen Programms«, die nicht vorgegeben ist, sondern sich konkret herstellt.[9]  

            Bei der Dimension des Interkulturellen geht es um regelmäßige und andauernde Kontakte und Austausch zwischen Vertretern verschiedener Kulturen, die aber im übrigen in ihrem jeweiligen kulturellen Kontext verbleiben. Dies ist zur Abgrenzung der Interkulturalität von der Multikulturalität gesagt. Bei der letzteren handelt es sich um das Zusammenleben von Menschen, die aus verschiedenen Kulturen kommen, auf dem Gebiet eines bestimmten Staates und im Lebenszusammenhang einer bestimmten Gesellschaft. Die Probleme der Interkulturalität und der Multikulturalität sind in vielen Hinsichten dieselben oder doch ähnlich, und beide Problembereiche können fruchtbar auf einander bezogen werden. Dennoch wird es gut sein, sie von einander zu unterscheiden. Zudem beschränken wir uns in dieser Einführung auf die interkulturelle Kommunikation auf dem Gebiet der Philosophie.

            In einer Studie des niederländischen Autors J. van Brakel findet sich ebenfalls eine Betonung der Nähe multikultureller und interkultureller Fragestellungen und eine bewusste Beschränkung auf die philosophischen Voraussetzungen der interkulturellen Kommunikation. Die nicht-sprachlichen Aspekte dieser Kommunikation werden herausgestellt, die gerade auch dann eine wichtige Rolle spielen, wenn der »unverbrüchliche Zusammenhang von Sprache und Welt« aufgezeigt wird und die interkulturelle Kommunikation sich in Dialogen vollzieht.[10] Demgegenüber vertritt Jens Loenhoff in seiner Arbeit über »Interkulturelle Verständigung« primär einen soziologischen und sprachwissenschaftlichen Ansatz im Rahmen einer allgemeinen Kommunikationstheorie, freilich ohne deren philosophische Implikationen zu vernachlässigen.[11]

            Dass es bei der interkulturellen Philosophie um Verstehen und deren Resultat, also Verständigung, geht, liegt auf der Hand. Es ist deshalb naheliegend, dass Mall seinen Ansatz der interkulturellen Philosophie als »Hermeneutik« präsentiert, und zwar als eine »Hermeneutik im weltphilosophisch interkulturellen Kontext«. Dabei erweist es sich als notwendig, das interkulturelle Verstehen von der Hermeneutik im Sinne Hans-Georg Gadamers abzugrenzen. Die »Spannung zwischen Fremdheit und Vertrautheit«  nimmt beim interkulturellen Verstehen noch andere Formen an, als es bei Verstehensprozessen innerhalb der eigenen Kultur der Fall ist.[12] In diesem Punkt würde ich die gesteigerte Fremdheit beim interkulturellen Verstehen radikaler sehen und die Grenzen des Verstehens enger ziehen, so dass auch zeitweise oder auf Dauer Unverstandenes übrig bleibt. Deshalb scheint es mir fraglich, ob das gesamte Unternehmen der interkulturellen Philosophie »Hermeneutik« heißen kann. Die interkulturellen Dialoge führen dazu, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu konstatieren und Nicht-Verstehbares im Kontext einer fremden Kultur gegebenenfalls stehen zu lassen und zu respektieren.

            Die Frage der gesteigerten Fremdheit in der interkulturellen Kommunikation und ihrer Folgen für das Verstehen oder Nicht-Verstehen des Anderen ist mit bemerkenswerter phänomenologischer Klarheit und Schärfe von dem Bochumer Philosophen Bernhard Waldenfels untersucht worden.[13] Seine »Topographie des Fremden« ist für die interkulturelle Philosophie von großer Bedeutung. Sie führt gewissermaßen von selbst zu »interkulturellen Diskursen«, wobei der Diskursbegriff freilich nicht im Sinn der Habermas-Apelschen Diskursphilosophie aufzufassen ist, sondern einfach im Sinn wissenschaftlich-philosophisch begründeten Sprechens.

            Die besondere Stellung des Fremden, seine Eigenart und der Appell, der von seinem reinen Vorhandensein ausgeht, sind zuerst von dem französischen Philosophen jüdischen Glaubens Emmanuel Levinas thematisiert worden. Er sieht im Fremdsein eine elementare Gegebenheit, die jeder aus der Distanz der philosophischen Reflexion heraus entworfenen Ontologie vorhergeht. Vom Antlitz des Fremden geht ein ethischer Anspruch aus, den das Ich nicht abweisen kann. »Der Eintritt des Antlitzes in unsere Welt«, der in ihr eine unauslöschliche »Spur« hinterlässt,        »geschieht im Ausgang von einer absolut fremden Sphäre – d.h. aber gerade im Ausgang von einem Absoluten, was übrigens der eigentliche Name der tiefen Fremdheit ist.«[14]

            In Levinas’ Akzentuierung des Fremden liegt eine wichtige Voraussetzung für die Untersuchungen der in Paris lebenden Philosophin Julia Kristeva, die aus Bulgarien stammt, zur Frage des Fremdseins, die von der Differenzphilosophie in ihren verschiedenen Formen sowie von der Theorie und Praxis der Psychoanalyse ausgehen. Wenn indessen das Fremdsein, auch das gesteigerte Fremdsein des Anderen aus einer anderen Kultur oder die »tiefe Fremdheit« im Sinn von Levinas, jeder auch in sich selbst, in den unbewussten Tiefen seiner Psyche, antreffen kann, gerät es doch wieder zu einer universalen Struktur, die dann nicht mehr auf die konkrete Erfahrung der Begegnung mit diesen Anderen angewiesen ist.[15]

            Auch Herfried Münkler und Bernd Ladewig kommen in ihrer »Einleitung« zu dem von ihnen und Karin Meßlinger herausgegebenen Band einer Forschungsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: Die Herausforderung durch das Fremde zu dem Ergebnis, dass »Fremdheit gradualisierbar« ist und dass es eine »definitive Fremdheit in der kognitiv-kulturellen Bedeutungsdimension« gibt, die nicht auf relatives, immer irgendwie überwindbares Fremdsein reduzierbar ist.[16] Sie argumentieren jedoch nicht nur philosophisch, sondern vertreten einen interdisziplinären Ansatz, der seine eigene Relevanz hat, aber außerhalb des Horizonts dieser Einführung bleibt.

Ähnliches gilt für die Münchener Dissertation  von Munasu Duala-M’bedy, der aus Kamerun stammt. In kritischer Wendung gegen die Kulturanthropologie und ihre Verflechtung mit der kolonialen Theorie und Praxis der westlichen Länder will er eine »Wissenschaft vom Fremden« begründen, bei der »die Verdrängung der Humanität« vermieden wird, die bedingt, dass der Andere nicht als Partner gleichen Rangs akzeptiert wird. Duala-M’bedy hat dafür den Begriff Xenologie geprägt, der »als Bezeichnung für den allgemeinen Symbolisierungsprozess der Fremdheitsstrukturen und deren erkenntnistheoretische Fragen« dienen soll. Dabei wendet er sich gegen eine »Symbolsprache«, die »Epitheta« wie »Wilde« oder »primitive«, »schriftlose Naturvölker« verwendet.[17] Auf der Grundlage dieses Forschungsansatzes ist der Sammelband angesiedelt: Das Begehren des Fremden, der zugleich Levinas’ Gedanken des Anspruchs, der vom Antlitz des Fremden ausgeht, ernst zu nehmen sucht.[18] Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Philosoph an der Universität-Gesamthochschule Kassel, sucht diesen und andere Ansätze des Verstehens fremder Kulturen mit einander ins Gespräch zu bringen, wie es in dem von ihm herausgegebenen Band: Verstehen und Verständigung. Ethnologie – Xenologie – Interkulturelle Philosophie (München 2002) dokumentiert ist.

            Die Betonung der gesteigerten Fremdheit des Fremden aus anderen Kulturen soll indessen nicht darüber hinweg täuschen, dass inter- und intrakulturelle Probleme mit einander verflochten sind. Elmar Holenstein, Philosoph an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, ist dieser Frage nachgegangen, indem er die Reichweite des »Schulbeispiels Schweiz« untersucht, die ja wie kaum ein anderer Staat in ihrer Binnenstruktur auf engstem Raum »plurikulturell« ist. Er kommt zu dem Ergebnis, dass »interkulturelle Verständigung« möglich ist »dank der intrakulturell ebenso notwendigen spezifisch-menschlichen Fähigkeit zum Perspektivenwechsel«. Intra- und interkulturelles Verstehen beruhen demnach auf der Fähigkeit des Menschen, »sich auf den Standpunkt anderer zu versetzen«. Dies zeigt sich paradigmatisch in der Möglichkeit, fremde Sprachen zu lernen, in denen man prinzipiell alles ausdrücken kann, was auch in der eigenen Sprache artikulierbar ist, und mehr als das.[19] Wenn gesteigerte Fremdheit des interkulturellen Verstehens für diese Konzeption bedeutet, dass sie nichts anderes bedingt als ein einfaches Weitergehen auf demselben Weg, auf dem intrakulturelles Verstehen möglich wird, geraten die spezifischen Probleme der Interkulturalität freilich wieder aus dem Blickfeld.

            Auch für Dieter Senghaas, Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsforscher an der Universität Bremen, ist unter den heutigen kontingenten Bedingungen die europäische Problemlage mit derjenigen in der gesamten Welt eng verknüpft. Der Zivilisierungsprozess der europäischen Geschichte, der nicht in den Anfängen schon angelegt war und sich durch viele Konflikte hindurch verwirklicht hat, führt schließlich zu der »Leitperspektive« friedlicher Koexistenz. Dieser Prozess, der in der Terminologie Max Webers als Übergang »traditionaler in moderne Gesellschaften« beschrieben wird, vollzieht sich in nicht-europäischen Kulturen in vergleichbarer Weise, sofern er auch in ihnen einen »Konflikt der Kulturen mit sich selbst« hervorruft. Dabei handelt es sich um ein äußerst komplexes Geschehen, das unter jeweils verschiedenen geschichtlichen Voraussetzungen »Modernisierungsschübe« und daraus »resultierende kulturelle Umbruchsituationen« heraufführt.[20]

Der »herkömmlichen Philosophie« bescheinigt Senghaas, dass sie auf Grund ihrer Begrenzung auf den eigenen Kulturraum »angesichts moderner Wirklichkeiten notwendigerweise unterkomplex« ist. Vor allem eine Zweiteilung der Welt in die feindlichen Lager: westlich und nicht-westlich, wie sie von Samuel P. Huntington konzipiert wird,[21] wird dieser Wirklichkeit nicht gerecht. Senghaas’ These, dass die Entwicklungen außerhalb Europas »ohne europäisch-westlichen Bezug nicht zu denken sind«, ist kontingent und nicht »kulturessentialistisch« gemeint. Sie entspricht der Auffassung, dass der Universalismus der westlichen Kultur kontingent entstanden und deshalb nur a posteriori erkennbar ist.[22]

            Aus der Situation der Bezogenheit der europäisch-westlichen Kultur auf alle anderen in der Welt vertretenen ergibt sich für »einen fruchtbaren interkulturellen Dialog und damit auch für interkulturelle Philosophie« eine ganz besondere Chance, weil im Kontext dieser Situation »alle Kulturen mehr als je in der Vergangenheit … mit sich selbst in Konflikt geraten und darüber selbstreflexiv werden«. Dabei stehen sich die verschiedenen Kulturen nicht als in sich abgeschlossene Entitäten gegenüber, und das »interkulturelle Gespräch« ist »zwischen kulturellen Segmenten quer durch die Welt« zu führen. Die besonderen Bedingungen, unter denen Modernisierung und Verwestlichung in der ganzen Welt vor sich gehen, verlangen indessen, dass die Eigenarten der jeweiligen Kultur mit Sorgfalt und Respekt zu erfassen und zu berücksichtigen sind.     

 

3.  Die Nachbarschaft zur interkulturellen Kunst

 

Es gehört zu den Voraussetzungen von Dialogen, dass sie zwischen Partnern geführt werden, deren Auffassungen dem Rang nach gleich und dem Inhalt nach verschieden sind. Die Praxis interkulturell philosophischer Dialoge zeigt, dass sie auf dem Gebiet der Philosophie möglich sind. In Wirtschaft und Politik, auch in Wissenschaft und Technologie (im westlichen Sinn) besteht ein deutliches Gefälle an Macht, Einfluss und Kompetenz zwischen den hochindustrialisierten und -technisierten Ländern des Nordens und den häufig als Entwicklungsländer bezeichneten Gebieten des Südens. Das findet seinen Ausdruck in der Theorie und Praxis der Entwicklungspolitik. Von gleichen Positionen kann dabei (vorerst) nicht die Rede sein. Und die Kommunikationsform der Dialoge ist allenfalls partiell oder in Ansätzen zu verwirklichen. Diese herrschende Perspektive mag eine Rolle spielen, wenn in der Philosophie die Voraussetzung der Gleichheit dem Rang nach nur schwer allgemeine Anerkennung findet.

            Auf dem Gebiet der Kunst ist die Anerkennung der Gleichheit der Kulturen und die Praxis gegenseitiger Kenntnisnahme und gegenseitigen Austauschs bereits weiter gediehen als in der Philosophie. Der  »Japonismus« van Goghs und einiger Zeitgenossen, der Einfluss afrikanischer Masken auf Picasso, Braque und De Vlaminck, bis hin zu den gegenseitigen Besuchen von Dogon-Künstlern aus dem heutigen Mali und Malern der niederländischen Cobra-Gruppe oder der »afrikanisch-europäischen Inspiration«, die vier togolesische und fünf deutsche Künstler bei einer Zusammenarbeit in Pedakondji in Togo erfahren und die in mehreren deutschen Museen dokumentiert wird, sind Meilensteine auf diesem Weg.[23]

Eine repräsentative Ausstellung von Werken zeitgenössischer westlicher Künstler, die 1984 in New York stattfindet und die wesentliche Anregungen durch nicht-westliche Kunstäußerungen aufzuzeigen sucht, hat als Titel »Primitivism« in 20th century art, wobei »Primitivism« in Anführungsstrichen steht. Eine umfangreiche und differenzierte Präsentation nicht-westlicher Kunst durch westliche Kuratoren in der Ausstellung Magiciens de la Terre 1989 in Paris vermeidet diesen Begriff. Und als wiederum fünf Jahre später im Institut du Monde Arabe in Paris Rencontres africaines auf dem Gebiet der bildenden Kunst gezeigt werden, sind es arabische Organisatoren, die subsaharische Kunst und subsaharische Ausstellungsmacher, die nordafrikanisch-arabische Kunst auswählen und darbieten.[24]

            Man wird also sagen können, dass auf dem Gebiet der bildenden Kunst interkulturelle Dialoge nicht nur größere Anerkennung finden, sondern auch eher begonnen haben als in der Philosophie. Sie können die entsprechenden Versuche von Philosophen ermutigen und stärken. Wenn es für das allgemeine Bewusstsein annehmbar erscheint, dass es Kunst, wenn auch nicht unter diesem Namen, in allen Kulturen gibt und gegeben hat und dass ein Austausch von Kunst zwischen den Kulturen interessant und für alle Beteiligten förderlich ist, wird man eher geneigt sein, entsprechende Thesen für die Philosophie als nicht verfehlt oder an der Sache vorbeigehend zu beurteilen. So wird vielleicht auch der Eurozentrismus der westlichen Philosophie seit der Aufklärung besser überwindbar. Und man kann davon ausgehen, dass durch die Tatsache interkultureller Dialoge in Kunst und Philosophie die Formen des Miteinander-Umgehens von Vertretern verschiedener Kulturen in Wirtschaft und Politik und in Wissenschaft und Technologie die Anregung erfahren, soweit es geht dialogischer zu sein. Auf dem Gebiet der Religionen liegt diese Sache besonders kompliziert und erfordert eingehendere Erörterung, die im 3. Abschnitt des 1. Kapitels vorgetragen wird.

            Dass es in Kunst und Philosophie, wenn auch mit zeitlicher Verschiebung, entsprechende Entwicklungen gibt, beruht m.E. auf einer tiefer gehenden Nachbarschaft beider Phänomene. In diesem Zusammenhang habe ich die zu verbreiteten Annahmen quer stehende These aufgestellt, dass es in Kunst und Philosophie im Blick auf das eigentlich Künstlerische bzw. eigentlich Philosophische keine Geschichte und jedenfalls keinen Fortschritt gibt. Geschichtliche Entwicklungen und Fortschritte gibt es lediglich im Blick auf die technischen Mittel und Möglichkeiten, die von Künstlern und/oder Philosophen für ihre Arbeit benutzt werden. Aber Computergrafiken sind nicht qualitativ besser oder weiter entwickelt als Ölgemälde. Und gedruckte Texte oder auch digital gespeicherte haben keinen Vorteil gegenüber philosophischen Äußerungen, die mit der Hand geschrieben oder in mündlicher Überlieferung weiter gegeben worden sind.

Die Gemälde in den Höhlen von Lascaux, die mehr als 20.000 Jahre alt sind, werden durch keine späteren Werke der bildenden Kunst übertroffen. Und es ergibt keinen Sinn zu sagen, dass Kant und Hegel oder Heidegger und Wittgenstein bessere Philosophien hervorgebracht haben, als Laozi und Kongzi oder als Platon und Aristoteles, die Tausende von Jahren früher gelebt und philosophisch gearbeitet haben, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Was vor allem Hegel als Geschichte der Philosophie konzipiert hat und was seiner Meinung nach durchaus und in wesentlicher Hinsicht Fortschritte enthält, bezeichnet genau genommen Zusammenhänge des Weiterdenkens und Aufbauens auf früher Gedachtem innerhalb eines bestimmten Traditionszusammenhanges, wobei auch kritische Bezugnahmen an der Tagesordnung sind, ohne dass die späteren Philosophien die vorangehenden in qualitativem Sinn übertreffen würden.[25]

 

 

I. Globalisierung und Regionalisierung inWirtschaft und Politik, Wissenschaft und Technologie, Religion, Kunst und Philosophie

 

 

Seit den Berichten an den »Club of Rome« über Grenzen des Wachstums (hg. von D.L. Meadows u.a., 1972) und Menschheit am Wendepunkt (hg. von M. Mesarovic/E. Pestel, 1974), sowie dem Bericht des amerikanischen Präsidenten Carter Global 2000 (hg. vom »Council on Environmental Quality« und vom US-Außenministerium) und dessen Fortschreibung Global Future mit dem Untertitel »Es ist Zeit zu handeln« (1980/81) ist die Rede von dem global village und dem »kleinen Planeten«, auf dem wir leben und mit dessen geringer werdenden Ressourcen wir uns einrichten müssen, fast zu einem Gemeinplatz geworden. Der Bericht der »World Commission on Environment and Development« unter der Leitung von G.H. Brundtland: Our Common Future (1987) sucht die Umweltweltprobleme und eine »dauerhafte Entwicklung«, die durch eine maßvolle Politik gelenkt werden muss, im Weltmaßstab zusammen zu bringen. Es ist jedoch fraglich, ob dies gelingen kann, wenn der Gedanke einer zwar kontrollierten, aber im Prinzip ins Unendliche weitergehenden Entwicklung festgehalten wird.

Inzwischen ist durch den Zerfall der Sowjetunion und Jugoslawiens und die zahlreichen ethnischen Konflikte, die damit gepaart gehen und die auch an anderen Stellen der Welt ausbrechen (man denke nur an Ruanda, Ost-Timor oder Zentralasien), auch die Gegenbewegung zur Globalisierung für jedermann sichtbar. Diese gegenläufigen Bewegungen, mit denen wir seitdem zu tun haben, geschehen indessen in Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Technologie, Religion, Kunst und Philosophie unter je verschiedenen Bedingungen, die eine genauere Analyse berücksichtigen muss.

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1. Wirtschaft und Politik

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Es zeigt sich immer wieder, dass die Wirtschaft die stärkste Kraft ist, die auf großräumige Entwicklungen und weltweite Verflechtungen hindrängt. Die Ausdehnung des gemeinsamen Marktes, wie sie sich in Europa vollzieht, um zu den ohnehin sehr viel größeren Wirtschaftseinheiten Nordamerikas ein Gegengewicht bieten zu können, bis hin zur Einführung des Euro an der Jahreswende von 2001 zu 2002, ist eines der hervorstechendsten Beispiele. Aber auch die Zusammenarbeit der Länder, die Handelsbeschränkungen aufheben oder vermindern wollen, und der 7 bis 8 größten Industriestaaten (ohne oder mit Russland) machen regelmäßig von sich reden.  Diese Entwicklungen der Märkte bedingen immer größere und effektivere Produktionsweisen und Produktionseinrichtungen. Kleinbetriebe und auf übersehbare Absatzgebiete eingerichtete Produktionsstätten werden in den gewaltigen Sog dieser Ausdehnungsbestrebungen mit hinein gerissen und können ihm auf die Dauer wenig entgegensetzen. Die Bürgerbewegungen, die  sich gegen die Beschädigung der Umwelt durch diese Tendenzen richten, sind buchstäblich vom herrschenden wirtschaftlich-politischen System aufgesogen und in ihren Forderungen auf minimale Maße zurückgebracht worden.

            Die internationalen Protestbewegungen, die gegen wirtschaftliche Globalisierung kämpfen, weisen vor allem darauf hin, dass diese den reichen Ländern und innerhalb dieser Länder einigen wenigen sehr viel mehr als der breiten Masse zugute kommen. Die Schere zwischen reich und arm oder in den Industrieländern zwischen reich und nicht-reich klafft allenthalben immer weiter auseinander. Vor allem Subsistenzökonomien und lokale Märkte, wie es sie in Afrika und anderen industriell weniger entwickelten Gebieten der Welt noch gibt, können sich diesen Entwicklungen gar nicht oder nur sehr mühsam anschließen und geraten in bitterste Armut. Schließlich sind hier die Krisen in der hochentwickelten landwirtschaftlichen Produktion der westlichen Welt zu nennen (BSE- und MKS-Krise), die Gegenkräfte zur Globalisierung auf den Plan rufen. Die wenigen biologisch und umweltfreundlich produzierenden Agrarbetriebe gewinnen in diesem Zusammenhang etwas an Boden und können ihre wirtschaftliche Position stärken.

            Die Politik sucht in erster Linie der wirtschaftlichen Globalisierung zu folgen und für diese günstige Bedingungen zu schaffen. Die Machtverhältnisse zwischen Wirtschaft und Politik lassen auch kaum etwas anderes zu. Das lässt sich schon daran ablesen, dass das Jahresbudget eines internationalen Konzerns den Haushalt eines Staates bei weitem übertrifft. Und dies gilt auch für mittelgroße und große Staaten wie Deutschland oder die USA. So soll dem gemeinsamen europäischen Markt eine politische Union der entsprechenden Staaten folgen. Von Nordamerika geht ein wachsender Einfluss aus auf die mittel- und südamerikanischen Staaten. Und die Liga der arabischen Staaten ist in zunehmendem Maß um eine gemeinsame politische Linie bemüht. In Afrika sind die Bestrebungen, zu regionalem Zusammenschlüssen zu kommen, wie die Zusammenarbeit von Uganda, Kenia und Tansania in Ostafrika, die politische Annäherung der ECOWAS-Staaten in Westafrika, und erst recht die panafrikanische Bewegung sehr viel weniger erfolgreich. Aber auch hier bleibt die OAS in ihren regelmäßigen Konferenzen um politische Koordination bemüht.

            Im weltweiten Maßstab nehmen die Einflussmöglichkeiten der UNO eher ab. Das hat wohl mit dem Verschwinden des Ost-West-Gegensatzes zu tun, in dem den Vereinten Nationen unter bestimmten Bedingungen eine Vermittlerrolle zufiel, da die Länder der damals sogenannten »Dritten Welt« bei Konflikten mit zu entscheiden hatten. Seitdem spielen die USA ihre Rolle als einzig übrig gebliebene Supermacht, die überall in der Welt regulierend und die Interessen freier demokratischer Politik schützend einzugreifen in der Lage und bereit ist, mehr schlecht als recht. Dabei stehen entsprechende Aktionen (in Somalia, in der Region des Persischen Golfs, besonders im Konflikt mit dem Irak und Afghanistan, und auf dem Balkan) häufig quer zu den Einflussmöglichkeiten der UNO. Wenn die amerikanische Regierung einen international breit angelegten Kampf gegen den Terrorismus inszeniert (übrigens mit bewusster Einschaltung des Sicherheitsrates der UNO), kehrt sie zu einer ideologischen Zweiteilung der Welt zurück. So richtig es ist, zwischen dem Islam und dem Terrorismus zu differenzieren, kann ein einfaches Freund-Feind-Denken zwischen Terroristen auf der einen Seite und Ländern mit freiheitlich-demokratischen Verfassungen auf der anderen Seite, das ja keineswegs der Wirklichkeit entspricht, nicht zu den Bemühungen beitragen, der Regionalisierung als Differenzierung gerebht zu werden, die inmitten der wirtschaftlichen und politischen Vereinheitlichung kulturelle Sonderbedingungen anerkennt.

            Vom Zerfall der Sowjetunion und dem Jugoslawien, das Tito gegründet hat, sowie den ethnischen Konflikten, die daraus entstanden sind, war schon die Rede. Der Begriff und die Sache der »ethnischen Säuberungen« sind noch in schreckensvoller Erinnerung. Ebenso die grausamen Militäreinsätze der türkischen Regierung gegen die Selbstständigkeitsbestrebungen der kurdischen Minderheit. Ethnische Spannungen und Kriege, die sich zwischen Hutu und Tutsi bis zum Völkermord gesteigert haben, findet man an vielen Stellen in Afrika. Der Versuch, die ethnischen Unterschiede positiv einzubringen, wie etwa in Äthiopien, wo in einem demokratischen System an die Stelle politischer Parteien ethnische Gruppen getreten sind, hat nicht zu überzeugenden Ergebnissen geführt. Der schwierige Prozess, die Besonderheit der verschiedenen Regionen, die am ehesten kulturell zu definieren ist, im Zusammenwachsen der Welt zu einer großen Einheit auf friedlichem Weg zur Geltung zu bringen, ist in der Praxis noch nicht sehr erfolgreich.   

            Im Spannungsfeld von wirtschaftlicher und politischer Globalisierung und Regionalisierung sind die gigantischen Migrationsströme zu erwähnen. Viele Menschen flüchten aus Konfliktgebieten in Regionen, wo sie sicherer sind. Und viele suchen in den Industrieländern ein besseres Leben, als es in den weniger industriell entwickelten Gebieten erreichbar ist. Wirtschaftliche Interessen, denen es um billige oder in bestimmter Hinsicht qualifizierte Arbeitskräfte geht, und politische Abschottungsmaßnahmen, die einer wachsenden Anzahl sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge den Zugang zu den Industrieländern verwehren sollen,  sind dabei oft nur mühsam auf einander abzustimmen. Die multikulturellen Gesellschaften, die so entstehen, werden allermeist kritisch gesehen. Für die dabei entstehenden Probleme findet die Politik selten adäquate Lösungen. Der Hinweis darauf, dass in der Tatsache der Anwesenheit von Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen auf dem Gebiet eines Staates auch entschieden positive Möglichkeiten liegen, der auch von philosophischer Seite aus gegeben wird, findet wenig Gehör. Man kann gespannt sein, was sich bei dem in dieser Hinsicht ziemlich einmaligen Experiment der Republik Südafrika ergeben wird, das den Gedanken der »Rainbownation« bewusst als positiven Ansatz propagiert.      

            Die ideologischen Unterschiede zwischen der westlichen und der islamischen Welt können im Sinn einer neuen Polarisierung in zwei feindliche Lager aufgefasst werden. Um dem entgegen zu wirken, spielt der Begriff des Dialogs in der Politik eine nicht unbedeutende Rolle. Ein Dialog der Kulturen und der Religionen soll die gemäßigten Kräfte beider Seiten zueinander führen und die Fundamentalisten bzw. »hard liner«, die es in beiden Lagern gibt, isolieren. Ein Dialog, der auf diese Weise funktionalisiert wird und politischen Zielen dienen soll, kann freilich nur in einem eingeschränkten Sinn so heißen. Aber er kann dennoch ein Element der Verständigung und des Ausgleichs bilden, das in der wirtschaftlichen und politischen Doppelbewegung von Globalisierung und Regionalisierung in der Lage ist, zu dem Entstehen eines Gleichgewichts zwischen beiden etwas beizutragen. 

2. Wissenschaft und Technologie

Die Wissenschaften, die seit langem international betrieben werden, haben ihre eigenen Bedingungen der Zusammenarbeit. Die Experimente sehr avancierter Wissenschaften wie der theoretischen Physik erfordern einen Aufwand auch an finanziellen Mitteln, den ein einzelner Staat nicht zur Verfügung stellen kann. Für Biochemie und Pharmazie bieten sich Standorte in der Umgebung entsprechender Industrien an, und die Genforschung siedelt sich in Staaten an, die den Wissenschaftlern auf diesem ethisch sensiblen Gebiet die größten Spielräume lassen. In allen Fächern und Disziplinen sorgen zahllose Kongresse und Konferenzen für einen Austausch auch über die Grenzen einzelner Länder und Kontinente hinweg. Auf die Sonderstellung der Philosophie, die mit ihrer Nachbarschaft zur Kunst zusammenhängt, gehe ich im 4. Abschnitt näher ein.

            Insgesamt gibt es freilich ein deutliches Gefälle zwischen den mehr und den weniger industriell entwickelten Ländern, das einfach von den vorhandenen finanziellen Möglichkeiten abhängt. Universitäten, Institute, Laboratorien, Bibliotheken, elektronische Apparate usw. kosten viel Geld. Aber auch hier gibt es, gerade auch in neu entstehenden Wissenschaften wie der Computerkunde, einzelne Gegenbewegungen. Es ist erstaunlich genug, dass Deutschland auf dem zuletzt genannten Gebiet Fachkräfte aus Indien, den osteuropäischen Ländern und den Balkanstaaten anwerben muss. Geisteswissenschaften scheinen gewissermaßen Luxusfächer zu sein, die in reichen Ländern am ehesten gedeihen, während in den Sozialwissenschaften und in der christlichen Theologie bestimmte innovative emanzipatorische Impulse auch von weniger entwickelten Teilen der Welt, etwa Süd- und Mittelamerika oder auch Südafrika, ausgehen. Insbesondere sind hier die »Theologie der Befreiung« aus Süd- und Mittelamerika und die »Schwarze Theologie« aus Südafrika zu erwähnen. Aber auch »weiße Afrikaner« bemühen sich, die Verbindung zwischen Kolonisierung und Missionierung kritisch zu sehen und zu korrigieren. Darauf komme ich im folgenden Abschnitt zurück. 

            Schwierige politische und ethische Probleme entstehen bei der Anwendung der Wissenschaften. Was gesellschaftlich und vor allem auch militärisch relevant ist, wird oft genug am meisten gefördert. Die wirtschaftliche, aber auch die politische oder in der öffentlichen Meinung bestehende »Konjunktur« beeinflusst die Entwicklung und Förderung der Wissenschaften. Diese Probleme spitzen sich zu, wenn bestimmte wissenschaftliche Ergebnisse in der Waffentechnik verwendet werden. Dass die Ergebnisse der Mikrophysik, insbesondere der Quantenmechanik, für den Bau von Atomwaffen verwertet werden, hat zu Gewissenskonflikten bei den betroffenen Wissenschaftlern und zu intensiven Reflexionen über die »Verantwortung der Wissenschaft« geführt. Neben zahlreichen Texten, auch Zeitungsartikeln von Carl-Friedrich von Weizsäcker ist hier die Präzisierung des Verantwortungsbegriffs durch Hans Jonas zu erwähnen.[26] Es geht um die im Grunde nicht zu beantwortende Frage: Kann der Forschungsprozess sich selbst begrenzen oder von außen her, etwa mit politischen oder rechtlichen Mitteln, so begrenzt werden, dass für die Menschen schädlichen Anwendungen vermieden werden, jedenfalls sofern er riesige, für den Bestand der Menschheit gefährliche Ausmaße annimmt?

            Ähnliches gilt für die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Produktion chemischer oder biologischer Waffen. Es gehört zur weltweiten Verbreitung von Wissenschaft und Technologie, dass Massenvernichtungsmittel, die auf physikalischen, chemischen und biologischen Erkenntnissen beruhen, auch von ideologisch fanatisierten oder schlichtweg verbrecherischen Individuen oder Gruppen gebraucht werden können. Hier liegt im Zeitalter des international operierenden Terrorismus eine konkrete Gefahr. Die Ergebnisse der Genforschung können zur Manipulation der menschlichen Erbanlagen eingesetzt werden. Diese Möglichkeit ruft geradezu Horrorvisionen hervor, die in Aldous Huxleys Schöner neuer Welt einen noch geradezu harmlosen Vorläufer haben.[27] Andererseits lassen sich die Ergebnisse dieser Forschung auch verwenden, um die Anfälligkeit der Menschen für bestimmte Krankheiten zu vermindern oder um Heilmittel gegen gefährliche Krankheiten zu erproben und herzustellen. Das ethische Dilemma der Begrenzung der Forschung kann nicht durch prinzipielle Beschlüsse, sondern nur dialogisch gelöst werden, indem durch Fachleute, Vertreter gesellschaftlicher Gruppen, Politiker und Ethiker konkrete Fragen beraten und entschieden werden.[28]

            Die technisierten und hochtechnisierten industriellen Produktionsweisen bedingen gewaltige Steigerungen der Produktivität und Erleichterungen für die Menschen von der Last schwerer Arbeit. Dies ist bis heute regional nicht gleichmäßig über die verschiedenen Gebiete der Welt verteilt. Und es gibt unerwünschte Nebenwirkungen dieser Produktionsweisen, sofern sie zu Belastungen der Umwelt führen. Hier stellen endogene Technologien in wenig industrialisierten Ländern eine Gegenbewegung dar. Diese sind letztlich weniger effektiv, zeigen aber doch Möglichkeiten und Wege umweltschonender Produktion auf, die auch für die Industrieländer relevant sein können. Die von den Niederlanden aus koordinierte Bewegung COMPAS organisiert zahlreiche Modelle in vielen wenig industrialisierten Ländern zur Förderung »endogener Entwicklung«.[29]   

            Die Computertechnologie oder im weiteren Sinn die elektronischen Medien stoßen auch in den Fragen der Globalisierung und Regionalisierung in theoretisches und praktisches Neuland vor. Dass einfache Grundvorgänge eines dualen Rechensystems auf vielen Gebieten eine immense Erhöhung der Effektivität ermöglichen und dass räumlicher Abstand praktisch keine Rolle mehr spielt, stimuliert auch bei relativ jungen Menschen und in relativ entlegenen Gebieten Phantasie und Experimentierfreudigkeit, die zu erstaunlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten führen, sofern überhaupt brauchbare Apparatur vorhanden ist. Es gilt freilich auch hier, was bei jeder Technologie zu beachten ist, dass sie eine Eigendynamik entfaltet, die vergessen machen kann, dass sie ein Mittel und nicht Selbstzweck ist. Schon seit längerem wirft die »technische Zivilisation« Fragen auf, die auch von der Philosophie angegangen werden müssen. [30]

3. Religion

In der Geschichte haben die Religionen im Zusammenleben der Völker und Kulturen eine höchst ambivalente Rolle gespielt. Das gilt insbesondere für die sogenannten monotheistischen Hochreligionen, also Judentum, Christentum und Islam. Einerseits predigen sie Toleranz und Frieden, Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Und andererseits beanspruchen sie, dass sie jeweils die einzig wahre Religion seien, der sich folgerichtig alle Menschen anzuschließen hätten. Letzteres führt immer wieder zu Religionskriegen und zu den Versuchen, die Menschen, die einer anderen Kultur und Religion angehören, zu missionieren. Dabei werden notfalls kriegerische Mittel gebraucht oder es wird mit gewaltsamer Kolonisierungs- und Unterdrückungspolitik zusammengearbeitet. In der Summe sind bei weitem die meisten Kriege und gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Geschichte der Menschheit von Religionen oder aus religiösen Motiven geführt worden. Das wirkt bis heute weiter, sei es in dem viele Jahrzehnte andauernden bewaffneten Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland, in der militanten Bewegung des islamischen Djihad, den eine Gruppe von Palästinensern gegen Israel führt, oder in den Kriegen auf dem Balkan zwischen islamischen Menschen albanischer und anderer Abstammung und slawischen Gruppierungen, die der serbisch-orthodoxen Kirche angehören.

            Animismus, Hinduismus und Buddhismus sind nicht monotheistisch und erheben nicht einen solchen in sich unlogischen Absolutheits- und Universalitätsanspruch. Hinduismus und Buddhismus werden dabei häufig auch zu den Hochreligionen gerechnet und suchen Anhänger des Animismus zu missionieren. Dieses Überlegenheitsdenken in Begriffen von hoch und niedrig steht ebenfalls quer zu den sonst verkündigten Prinzipien der Toleranz und Menschenliebe. So gesehen, gebührt dem Animismus das Lob, sich solcher Unlogik und Militanz nicht schuldig zu machen. In der heutigen Zeit, in der auch in den Industrieländern viele nach einem neuen Verhältnis zur Natur suchen, in dem diese respektiert und in Ehren gehalten wird, sind die Verehrung der Natur und des Lebens im Animismus im Grunde hochaktuell. Aber die Animisten haben häufig die Einschätzung internalisiert, selbst auf einer niedrigeren Stufe zu stehen als die sogenannten Hochreligionen. Das hängt freilich damit zusammen, dass in bestimmten kolonisierten Gebieten mit dem Übertritt vor allem zum Christentum und Islam ein sozialer Aufstieg gepaart geht.

            Die Vertreter der verschiedenen großen Religionen, besonders auch die Theologen, gelegentlich im Konflikt mit den offiziellen Kirchen, arbeiten daran, die praktischen und theoretischen Probleme zu überwinden, die durch den Absolutheitsanspruch und die Missionierungsbestrebungen entstanden sind. Es gibt zahlreiche Ansätze zu »interreligiösen Dialogen«, bei denen häufig auch »ethische Perspektiven« im Vordergrund stehen. Ich möchte hier das Projekt Weltethos des in gewisser Weise zum Ketzer abgestempelten katholischen Theologen Hans Küng besonders hervorheben.[31] Er sucht zu zeigen, dass »Dialogfähigkeit und Standfestigkeit« nicht  notwendigerweise »Gegensätze« sind. Dabei sagt er zu Recht, dass ein Dialog bei den beteiligten Partnern »Standpunkte« voraussetzt. Der Schritt von dieser Voraussetzung zur Standfestigkeit führt indessen nicht in überzeugender Weise zu einem absoluten oder als allein richtig erklärten »Glaubensstandpunkt«.

            Überdies gewahrt Küng »in der Kulturlandschaft dieser Erde … gegenwärtig noch drei große … religiöse Stromsysteme», nämlich (1) »die Religionen semitischen Ursprungs«, die einen »prophetischen Charakter« haben: Judentum, Christentum und Islam; (2) »die Religionen indischer Herkunft«, die einen »mystischen Charakter« haben: frühe Religion der Upanishaden, Buddhismus und Hinduismus; (3) »die Religionen chinesischer Tradition«, die eine »weisheitliche Ausprägung« zeigen: Konfuzianismus und Daoismus. Das ist eine klare und auf Ausgewogenheit bedachte Übersicht. Sie zeigt jedoch, dass auch Küng keinen Blick für den Animismus hat, den er gegenwärtig für überholt anzusehen scheint, der aber immer noch auf großen Teilen der irdischen Kulturlandschaft anzutreffen ist und dessen Eigenart von Spiritualität (Geisterglaube) und Naturverbundenheit bestimmt wird.  Wie jede Form von Absolutheitsanspruch von der Seite der interkulturellen Philosophie aus zu kritisieren ist, hat diese auch auf die Auswahl der Religionen den Finger zu legen, die den Animismus vergisst oder auslässt.[32]

            Die afrikanische christliche Theologie seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts nimmt die traditionell afrikanischen Religionen, die durchweg animistisch sind, sehr wohl ernst, und sie nimmt zahlreiche Elemente dieser Religionen in das Christentum auf. Hervorstechende Beispiele sind: Ghana und (seit 1994) Südafrika. Der »gemeinsame Boden«, auf dem christliche Mission und Kolonisation in Afrika (und anderswo in der Welt) gewachsen sind, sowie die Art und Weise, wie beide unter einer Decke gespielt haben, nicht nur in dem Sinn, dass die erstere immer wieder »ideologische Rechtfertigungen« für die letztere hervorgebracht hat, sind unbestritten.[33] Dennoch erlebt das Christentum in der heutigen Zeit in Afrika südlich der Sahara eine ungeahnte Konjunktur. Ähnliches gilt für den Islam in Ländern wie Senegal, Mali, Niger oder den nördlichen Gebieten Nigerias. Im Sudan befindet sich der nördliche islamische Teil mit der Hauptstadt Khartum mit dem südlichen Teil, in dem überwiegend Christen wohnen, seit langem in einem bürgerkriegsähnlichen Konflikt.

            Für viele christliche Theologen in Afrika wird zwar nicht die christliche Missionstätigkeit und ihre theoretische Begründung, wohl aber die christliche Religion von der allgemeinen Kritik am Kolonialismus ausgenommen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die »nachkoloniale« Situation in Afrika von derjenigen in den arabischen und fernöstlichen Ländern, wo christliche Mission von fundamentalistischen Moslems oder Hindus nicht nur kritisiert, sondern entschieden bekämpft wird. In Afrika südlich der Sahara werden den »Missionskirchen« an vielen Stellen unzählige »unabhängige afrikanische christliche Kirchen« hinzugefügt. Allein in Südafrika sind es mehr als 1000, und von Ghana sagt die niederländische Theologin Gerrie ter Haar, dass die »Erstaunen erweckende Vielfalt« dieser Kirchen »den individuellen Gläubigen ein breites Band an Wahlmöglichkeiten« bietet.[34] Der südafrikanische Theologe Gerrit Brand, der zur Bevölkerungsgruppe der »Boeren« gehört, versucht, auf der Grundlage einer Reihe mehr historisch argumentierender Beiträge am Beispiel der »Lehre von der Erlösung« eine »Typologie der bestehenden Ansätze« schwarzer oder afrikanischer christlicher Theologie zu entwickeln.[35] Sofern dabei animistische und christliche religiöse Motive nach heutigen Einsichten und Bedürfnissen mit einander verbunden werden, ist ein solcher Ausgangspunkt am ehesten geeignet, im Verhältnis der Religionen zu einander Offenheit und dialogische Wechselbeziehungen zu ermöglichen.   

4. Kunst und Philosophie

Von der Vorreiterrolle der interkulturellen Kunst gegenüber der interkulturellen Philosophie war im Abschnitt 3 der Einleitung bereits die Rede. Man kann sagen, dass die Kunst insofern an den Prozessen der Globalisierung beteiligt ist, als die westliche Kunst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend Anregungen von der Kunst nicht-westlicher Länder erfahren hat, auch wenn diese dort traditionellerweise nicht unter dem Namen von »Kunst« produziert und gesellschaftlich verwendet worden ist. Bekanntermaßen werden Masken, kleine und große Holzplastiken, Fruchtbarkeitssymbole, Ahnenpfähle und dergleichen in Afrika, Südamerika oder den ozeanischen Gebieten in rituellen Zusammenhängen gebraucht. Besonders beeindruckt bin ich von den gewaltigen Holzplastiken der Asmat im indonesischen Teil Neuguineas, die zu jedem der jährlich wiederkehrenden religiösen Feste neu hergestellt werden.[36] Wenn es wahr ist, dass die Pyramiden als Grabmäler im alten Ägypten, die aus Stein gemeißelten Statuen der Götter in der griechischen und römischen Antike, die romanische und gotische Architektur christlicher Kirchen im Mittelalter, das Theater und die epische Literatur in der Antike, im England und Spanien der beginnenden Neuzeit, sowie in den klassischen Produktionen vieler europäischer Länder und die Musik im Europa der klassischen und romantischen Periode weltweite Höhepunkte erreicht haben, gilt dasselbe für die Holzschnitzkunst der Asmat und anderer ethnischer Gruppen in den genannten Gebieten bis in unsere Zeit. 

            Die Kunstproduktion der nicht-westlichen Länder hat sich indessen auf die Interessen und Bedürfnisse westlicher Touristen und Kunsthändler eingestellt. Es kommt zu dem Phänomen der »Airport Art«, das sind Kunstwerke, die in nicht-westlichen Ländern gemacht und dem Geschmack der westlichen Besucher angepasst werden, so dass letztere zum Kauf und zur Mitnahme als Erinnerungsstück angeregt werden. In den westlichen Museen für Völkerkunde werden viele Ausstellungsstücke je länger desto mehr nicht mehr als Dokumente des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens in anderen Teilen der Welt, sondern als Kunstgegenstände aus anderen Kulturen präsentiert. Der Reichtum asiatischer, ozeanischer und afrikanischer Kunst, der in westlichen Museen vorhanden ist und gezeigt wird, ist unermesslich. Und auf den internationalen Kunstmärkten finden sich immer mehr Kunstwerke aus nicht-westlichen Ländern zu ständig steigenden Preisen. Dabei ist sowohl die quantitative Zunahme als auch die Konzentration auf qualitativ sehr hochwertige Kunstwerke zu beobachten. Die erstgenannte Tendenz zeigt sich etwa in der Tatsache, dass afrikanische Kunst auch in großen Warenhäusern der westlichen Welt angeboten wird. Für die letztere nenne ich als Beispiel den Katalog zu der Ausstellung »Ife, Akan und Benin. Gold und Bronzen aus Westafrika« im Schmuckmuseum Pforzheim im Sommer 2000, die von der »Stiftung Vergessene Kulturgüter« organisiert worden ist.[37]  

            Es ist bekannt, dass in der Musik eine Reihe neuer Musikstile wie Jazz oder Reggae, bestimmte Richtungen der Popmusik und die Benutzung von Trommeln, die sich auch in der westlichen Welt größter Beliebtheit erfreuen, von Afrika und  der afrikanischen Diaspora in Nord-, Mittel- und Südamerika ausgegangen sind. Einerseits gibt es eine scharfe gegenseitige Abgrenzung dieser Stilrichtungen und der klassisch-romantischen sowie der modern-klassischen Musikausübung von einander, wobei die letzteren in den westlichen Ländern beheimatet sind und auch in anderen Teilen der Welt, etwa China, Japan oder Südafrika hoch geschätzt werden. In dieser Hinsicht lassen sich weit verbreitete Gemeinsamkeiten des Geschmacks quer zu den jeweiligen nationalen oder kulturell zu definierenden Zugehörigkeiten (westlich, östlich, afrikanisch, ozeanisch und dergleichen) beobachten. Andererseits öffnen sich die genannten neuen Stilrichtungen und die klassisch bestimmte Musikausübung in letzter Zeit auch für einander. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass in den Gesangsabteilungen der westlichen Hochschulen für Musik auch Unterricht für Sänger der Popmusik (»Belting voice«) angeboten wird.  

            Es ist schwer zu begreifen, dass in der Philosophie die doppelte Bewegung von Globalisierung und Regionalisierung kaum eine Rolle spielt. In der offiziellen westlichen Philosophie, wie sie an den Universitäten betrieben wird, wird auf dieses Geschehen kaum reflektiert. Und in ihrem eigenen Bereich bestehen große Hindernisse, entsprechende Prozesse zuzulassen. In der westlichen Philosophie herrscht noch immer eine eurozentrische Grundkonzeption vor, die Philosophie im eigentlichen Sinn auf Europa begrenzt wissen will. Diese Position wird zwar hier und da durchbrochen, aber nicht wirklich überwunden. (Siehe dazu Kapitel II.) Die philosophischen Aspekte der Ethnologie und die seit dem 19. Jahrhundert aufkommende Vergleichende Philosophie mit ihren Möglichkeiten und Grenzen sind in der Einleitung bereits erwähnt worden und sollen im Kapitel III. genauer betrachtet werden. Es passt zu diesem Bild der Gesamtsituation, dass die verschiedenen Ansätze einer interkulturellen Philosophie, die international bereits zahlreiche wichtige Forschungsergebnisse hervorgebracht haben, in den Curricula der Philosophie-Ausbildung der westlichen und auch der nicht-westlichen Universitäten noch keinen oder einen sehr marginalen Platz gefunden haben. Kapitel IV. bietet eine Übersicht dieser Ansätze. Der tiefere Grund hierfür liegt wohl darin, dass der Philosophiebegriff selbst zur Diskussion gestellt wird, wenn die Denkarbeit, die in anderen Kulturen geleistet wird, in den internationalen philosophischen Diskurs, der bisher zwischen westlichen Ländern unter Einbeziehung einiger fernöstlicher Länder geführt wird, im vollen Umfang berücksichtigt werden soll. In den »Abschließenden Überlegungen« wird ausgeführt, dass  eine Erweiterung und neue Präzisierung des Philosophiebegriffs und der Philosophiegeschichte notwendig sind, die weitgehend noch immer euroopazentrisch gedacht werden.

            Man kann immerhin auf die Debatten zur Frage: Universalismus oder Relativismus verweisen, in denen allgemeine, für die gesamte Welt gültige und besondere, nur für die jeweilige Kultur relevante Denkweisen und Orientierungen zu einander ins Verhältnis gesetzt werden. Diese Debatten sind vor allem durch die Erforschung der vielen verschiedenen Kulturen in der Ethnologie oder Kulturanthropologie auf die Tagesordnung wissenschaftlich-philosophischer Erörterung gesetzt worden. Auch wenn in der Ethnologie für die jeweiligen empirisch untersuchten Kulturen nicht deren verschiedene Philosophien thematisiert worden sind, bilden doch die verschiedenen Verhaltensformen und ihre Begründung, die unterschiedlichen Normen und Werte, an denen sich diese Kulturen orientieren, Anlass genug, nach Differenzen und Gemeinsamkeiten zu fragen. Nachdem Franz Boas, einer der Begründer der US-amerikanischen Ethnologie, auf der Grundlage empirischer Feldforschung einen Kulturrelativismus proklamiert hat, der jede Kultur nach ihren eigenen Standards zu verstehen sucht, ist dieser Auffassung durch andere auch widersprochen worden. Es erscheint notwendig, kulturelle Universalien (cultural universals)  anzunehmen, um überhaupt die Verstehbarkeit und Vergleichbarkeit verschiedener Kulturen zu ermöglichen.[38]

            Die Konzeption, dass für interkulturelles Verstehen beides vorausgesetzt werden müsse: Universales, von den jeweiligen Kulturen Unabhängiges, und Besonderes, nur für diese Spezifisches, wird auch von dem afrikanischen Philosophen Kwasil Wiredu vertreten. Als »Cultural universals« nennt er »die drei höchsten Gesetze des Denkens und Verhaltens«, nämlich das logische Prinzip des »verbotenen Widerspruchs«, das wissenschaftstheoretisch grundlegende der »Induktion« und das ethische des »Kategorischen Imperativs«.[39] Alle drei verraten jedoch bereits durch ihre Herkunft aus der westlichen philosophischen Tradition ihre kulturelle Bestimmtheit.

            Clifford Geertz, einer der US-amerikanischen Ethnologen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, widersetzt sich indessen dem Universalismus als »Anti-Relativismus«.[40] Er sucht einen Zugang zum Verstehen fremder Kulturen, der für diese einen allgemeinen Bezugsrahmen zur Verfügung stellt. Das Verfahren einer »dicken Beschreibung«, durch das er den Sinn (meaning) der jeweiligen Kultur zu erfassen sucht, ist einerseits den philosophischen Analysen von Sprachfragmenten entlehnt, wie Gilbert Ryle sie unternommen hat, und andererseits einem zeichentheoretischen Ansatz verpflichtet, der mit Max Weber davon ausgeht, dass »der Mensch in ein selbstgesponnenes Netz von Bedeutungen ausgespannt ist«. Dieses Verfahren, das er ethnographisch nennt, richtet sich auch auf die feinsten Strukturen; es ist »mikroskopisch«.[41]

            Eine andere mögliche Lösung des Dilemmas: Universalismus oder Relativismus liegt darin, dass man kulturelle Universalien zwar voraussetzt, aber als konkret nicht ausgeformt und dementsprechend nicht benennbar annimmt. Diese Voraussetzung liegt etwa dem Verfahren der Dekonstruktion zugrunde, das von Jacques Derrida praktiziert wird. Jan Hoogland schreibt in einem Artikel in niederländischer Sprache, dass er für einen »änigmatischen« Universalismus plädiert, der von unbekannt und unbenennbar bleibenden Universalien (des Wahren, Guten oder Gerechten) ausgeht, die in den jeweiligen »tatsächlichen Gestalten« enthalten sind und in einer vergleichenden Betrachtung annäherungsweise erschlossen werden können. [42] Das Modell der Sprache kann dies verdeutlichen. Alle Menschen haben zwar Sprache, aber die Sprachen der verschiedenen Völker und Völkergruppen sind jeweils verschieden. Eine Universalsprache, auf die sich die verschiedenen Sprachen beziehen lassen, gibt es nicht. Dennoch ist im Wege des Erlernens anderer Sprachen und der Übersetzung aus einer Sprache in andere zwischen allen Menschen Verständigung möglich. Dann liegt der Akzent freilich auf dem konkret Verschiedenen, in dem es jeweils eine Ausformung des formal Allgemeinen zu erfassen gilt. Letzteres kann dann und muss dann inmitten des Verschiedenen oder Besonderen aufgesucht, in immer erneuten Durchgängen durch es anvisiert werden.

 

II. Der Durchbruch zur interkulturellen Philosophie und die Kritik des Eurozentrismus der europäisch-westlichen Philosophie seit der Aufklärung

Bei der begrifflichen Erörterung der Frage nach Universalismus oder Relativismus bleibt außerhalb der Betrachtung, dass gerade auch von Europa und der westlichen Welt aus bestimmte Auffassungen, die unverkennbar von den spezifischen Bedingungen der eigenen Kultur geprägt sind, als universal gültige angesehen und als solche auch den Vertretern anderer Kulturen gegenüber proklamiert worden sind. Dies gilt insbesondere für das westliche Denken seit der Aufklärung. In dieser Periode der europäischen Geistesgeschichte ist die Auffassung Gemeingut, dass die europäische Kultur als der Höhepunkt aller geschichtlichen Entwicklungen auf der gesamten Erde anzusehen sei. Die umfassende Verwendung des Begriffs »Fortschritt« ermöglicht die Konzeption einer Höherentwicklung in allen Teilen der Welt von so genannten primitiven Anfängen zur Zivilisation und Humanität im Europa des 18. Jahrhunderts. Diese Konzeption muss heute als äußerst problematisch gelten, hat aber zum ersten Mal den Gedanken einer »Weltgeschichte« entstehen lassen, die alle besonderen Geschichten der verschiedenen Regionen der Erde und ihrer Kulturen in sich vereinigt. Darin liegt eine wesentliche theoretische Voraussetzung für den in der Gegenwart praktisch sich vollziehenden Prozess der Globalisierung.

            Ferner hat diese Konzeption der Theorie und Praxis der Kolonisierung großer Teile der Welt von Europa aus Vorschub geleistet. Im Zusammenhang mit dem Kolonisierungsprozess ist  das Verhältnis der Kulturen zueinander definitiv eurozentrisch aufgefasst worden. Die Welt bildet eine Einheit, die politisch, wirtschaftlich und auch kulturell von Europa aus beherrscht wird. Diese Auffassung ist bis in die Gegenwart hinein theoretisch und praktisch wirksam. Auch heute noch werden parlamentarische Demokratie, freie Marktwirtschaft und christliche Religion als universelle Konzepte angesehen, die für die ganze bewohnte Erde gültig sein sollen. Dabei soll nicht verkannt werden, dass diese Konzepte in der Tat auch für die nicht-europäische Welt von großer Bedeutung sind. Aber auch im Blick auf diese durchaus bedeutsamen Beiträge Europas für die Welt im Ganzen muss man das Denkmodell mit einem Fragezeichen versehen, das sich - gewissermaßen als Einbahnstraße - von Europa aus auf die übrige Welt richtet.

          Um den Eurozentrismus der westlichen Philosophie seit der Aufklärung angemessen erfassen und kritisieren zu können, soll zunächst der darin vorausgesetzte Kulturbegriff durch einen neuen, für die gesamten folgenden Erörterungen grundlegenden Kulturbegriff ersetzt werden. Ferner soll herausgestellt werden, dass unter der Voraussetzung dieses Begriffs von Kultur Philosophie keine ausschließlich europäisch-westliche Angelegenheit ist, sondern – wie die Kunst – in  spezifischer Weise zu jeder Kultur gehört. Forschungen zur Entstehung der Philosophie in verschiedenen Regionen der Erde sind auf dem Weg zu dieser These, die selbst aber erst mit dem Durchbruch zur interkulturellen Philosophie klar und entschieden formuliert werden kann. Von hier aus ergibt sich im Kontext dieses Kapitels die Notwendigkeit einer Kritik des Eurozentrismus der Aufklärungsphilosophie bis hin zu Hegel und einer vorsichtigen Analyse der doppelten Bewegung des Sich-öffnens und zugleich auch wieder -verschließens gegenüber anderen Kulturen in der europäisch-westlichen Philosophie nach Hegel. 

1. Ein neuer Kulturbegriff 

Unter den Bedingungen eines Denkens, das die Prämissen der Aufklärungsphilosophie, insbesondere die umfassende Verwendung des Fortschrittsbegriffs, nicht mehr anerkennt, ist der Begriff Kultur neu zu bestimmen. Es muss als vermessen erscheinen, die eigene Kultur als Höhepunkt der Entwicklung in allen anderen Kulturen aufzufassen. Anstatt von einem Universum auszugehen, das von vornherein alle Kulturen umfasst und in der europäisch-westlichen Welt seinen Höhepunkt und Mittelpunkt hat, möchte ich den Gedanken eines »Multiversums« der Kulturen einführen, durch den die Vielfalt der Kulturen mit ihren politischen, wirt­schaftlichen, gedanklichen und religiösen Strukturen betont wird. Den Ausdruck »Multiversum« übernehme ich von Ernst Bloch, der ihn  zuerst 1956 in einem Vortrag über Differenzierungen im Begriff Fortschritt vor der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gebraucht hat.[43] Dabei ist bemerkenswert, dass dieser Ausdruck bei Bloch nicht nur eine geographische, sondern auch eine zeitliche Dimension hat.  

          Die mit dem Begriff eines Multiversums der Kulturen gegebene Konzeption des Verhältnisses der Kulturen zueinander macht eine Neubestimmung des Kulturbegriffs notwendig. Von dieser Voraussetzung aus möchte ich jede hierarchische und prinzipiell auf ständige Höherentwicklung angelegte Auffassung von Kultur vermeiden. In ihrem allgemeinsten und grundlegenden Sinn möchte ich unter Kultur verstehen: die Bemühung einer Gruppe von Men­schen, eine bestimmte Lebensform so zu gestalten, dass sie inmitten anderer Kulturen und inmitten der Natur auf die Dauer Bestand haben kann. Dazu gehört wesentlich die Anerkennung der Anderen innerhalb der eigenen Kultur, aber auch der anderen Kulturen und der zugehörigen natürlichen Lebensräume in ihren eigenen Rechten. Fortschritte und Höherentwicklungen sollen damit nicht ausgeschlossen sein, aber sie sind in ihren jeweiligen Bereichen konkret zu bestimmen, und in ihren positiven wie auch möglichen negativen Aspekten zu erfassen. Grundsätzlich neige ich dazu, Fortschritte am ehesten im wissenschaftlich-technologischen Bereich anzunehmen und weniger im Bereich der eigentlich menschlichen Fragen, wie es in der Formulierung Theodor W. Adornos zum Ausdruck kommt: Kein universalgeschichtlicher Fortschritt »führt vom Wilden zur Humanität, sehr wohl einer von der Steinschleuder zu Megabombe«.[44]

          Von dieser Begriffsbestimmung aus kann man sagen, dass alle Kulturen, die heute noch bestehen, gleich alt sind, weil sie sich von den Anfängen der Menschheit an bis heute unter den ge­nannten Bedingungen im Sein erhalten haben. Dass sie gleich alt sind, bedeutet dann aber auch, dass sie jeweils auf ihre Weise die Rolle oder Aufgabe einer Kultur erfüllt haben und insofern gleichberechtigt sind. Im »Multiversum« der Kulturen kann die eine von der anderen nur etwas übernehmen, sofern beide – oder auch mehrere – von sich aus damit übereinstimmen. Von daher ergibt sich die Frage, welche Funktion oder Aufgabe die Philosophie im Kontext des so verstandenen Multiversums der Kulturen haben kann. Zu ihrer Beantwortung ist es ein notwendiger Schri­tt, die Einstellungen der zeitgenössischen eu­ropäisch-westlichen Philosophie zu anderen Kulturen und ihren Philosophien kritisch zu hinterfragen.  

 

 

2. Philosophie ist keine spezifisch oder gar ausschließlich europäisch-westliche Angelegenheit.

 

Bekanntermaßen ist das Wort »Philosophie« europäisch-west­lichen Ursprungs. Die Herkunft von dem griechischen philo-sophia ist leicht ersichtlich. Damit ist indessen nichts über den Ursprung oder die Herkunft der Sache gesagt, die damit gemeint ist.

          Zweifellos kann man einen Ursprungsort der Philosophie im antiken Griechenland, genauer im Stadtstaat Athen, lokalisieren. Dabei wird man eine zu einfache Herleitung Vom Mythos zum Logos, wie sie nicht nur in dem Buch von Wilhelm Nestle mit diesem Titel (1942, 2. Aufl.) vorgenommen wird, zu vermeiden suchen müssen. Einerseits steckt in den Mythen, wie auch in den epischen Dichtungen Homers und den Tragödien von Aischylos und Sophokles, die wichtige Quellen für diese Mythen sind, sehr viel Philosophisches: eine Deutung der Welt und des Lebens, die um rationale Begründung bemüht ist, gerade auch weil dieses Bemühen in den genannten Zusammenhängen gezwungen ist, seine eigene Be­grenztheit zu erkennen. Andererseits enthalten die philosophischen Entwür­fe seit Thales und Anaximander zahl­reiche mythologische Elemente. Man denke nur daran, dass Parmenides seine Lehre vom Sein von der Göttin Dike empfä­ngt und dass sie es ist, die ihre Autorität einem anderen Prinzip unterordnet, wenn sie dazu auffordert: "Laß allein die Vernunft [den Logos] die Entscheidung fällen",[45] oder daran, wie häufig Platon, etwa in den Dialogen Phaidros, Vom Staat oder Timaios, mythische Bilder und Gleichnisse ge­braucht, die nicht in diskursive Erörterungen aufgelöst werden.

          Ferner ist es von großer Wichtigkeit, dass der griechische und damit der europäisch-westliche Ursprung der Philosophie weiter zurückreichende Wurzeln hat in den ägyptischen Mysterien und in der hermetischen Weisheit des vorderen Orients, insbesondere in der orphischen Lehre. Die platonische Gleichung: soma = sema (Leib = Grab),[46] die so folgenreich für die Geschichte des europäisch-westlichen Denkens war und ist, lässt sich ohne die Verwurzelung in der altorphischen Seelenlehre nicht erklären. Dass u.a. Pythagoras und Platon von Griechenland aus nach Ägypten gereist sind, um dort religiöse und wissenschaftliche Lehren kennen zu lernen, ist bekannt genug. Das Eigene und Besondere der antik-griechischen Philosophie lässt sich nur vor dem Hintergrund des Zusammenhangs mit den Mythen, den Tragö­dien und den afrikanischen und vorderasiatischen Weisheitslehren adäquat erfassen. In der neuplatonischen Philosophie ist dann erneut eine starke Wechselwirkung mit orientalischem und ägyptischem Denken, insbesondere mit der christlichen und außerchristlichen Gnosis, zu bemerken. Als Exponenten dieser hellenistisch-orientalisch beeinflussten Denkweise seien hier Proklos und Plotin genannt.

          Die Fiktion einer zusammenhängenden Tradition der Philosophie von Thales bis zu Hegel, wie sie von dem letzteren begründet worden ist, wird sich keineswegs halten lassen. Trotzdem war und ist diese Fiktion sehr folgenreich, und die nachhegelsche europäisch-westliche Philosophie hat im Blick auf ihre eigene Geschichte häufig nicht viel anderes getan, als die Linie zu verlängern: bis zu Nietzsche, Heidegger oder Wittgenstein bzw. auch bis zu Habermas oder Rorty. Heidegger hat sich in dieser Sache vielleicht am radikalsten ausgesprochen: europäische Philosophie, das sei ein Pleonasmus, das europäische Denken sei philosophisch und die Philosophie sei europäisch.[47] Aber auch Nietzsche, der von seinem philosophischen Lehrer Schopenhauer auf die Bedeutung des Buddhismus und der indischen Philosophie hingewiesen worden ist, richtet sich in seiner Auseinandersetzung mit der bisherigen Philosophie ganz auf die europäisch-westliche Tradition, die er freilich als »christ­lichen Platonismus« bezeichnet.

          Tatsächlich macht Nietzsche mit dieser Formel zugleich deutlich, dass die christliche Lehre, die ja offensichtlich ihren Ursprung im Vorderen Orient hat, dann aber griechisch-hellenistisch und später lateinisch und vom arabischen Aristotelismus aus überformt worden ist, als solche das europäisch-westliche Denken mitbestimmt hat. Hier ist an die griechischen und lateinischen Kirchenväter, an Augustinus und seine Auseinandersetzungen mit dem Neuplatonismus, sowie an den mittelalter­lichen Aristotelismus zu erinnern. Luthers reformatorische Unternehmung bestand so gesehen zu einem guten Teil in dem Aufweis originär jüdisch-israelitischen Denkens in den biblischen Texten. Dies ist freilich in der lutherischen Orthodoxie, insbesondere durch Melanchthon und andere protestantische Humanisten, rasch wieder zurückgenommen worden.

          Wenn man auf diese Weise die Verflochtenheit des europäisch-westlichen Denkens mit außereuropäischen Philosophien herausstellt, ergibt sich auch eine innere Differenzierung des ersteren. Der Blick wird geschärft nicht nur für die Besonderheiten der angelsächsischen und der kontinentalen europäisch-westlichen Philosophien, sondern auch für die spezifische Prägung der letzteren in den verschiedenen Ländern des eu­ropäischen Kontinents: die Gebiete mit romanischen Sprachen unterscheiden sich auf charakteristische Weise von denen mit germanischen oder slawischen sprachlichen Traditionen. Und es zeigt sich, dass die Philosophen der Vereinigten Staaten von Amerika eigene Probleme haben, wenn sie sich zur indianischen Vergangenheit ihres Landes und zu den spezifischen Traditionen des Bevölkerungsanteils mit afrikanischer Herkunft in Beziehung setzen wollen.

          Die hier vertretene Betrachtungsweise der europäisch-west­lichen Philosophie führt weiterhin zu der Frage, welche anderen Gebiete in der Welt neben den genannten außereuropäischen Traditionen eigene philosophische Denkweisen gehabt haben oder haben, einschließlich des Gesichtspunkts wo, wann und wie diese begrün­det worden sind. Schließlich wird es nicht nur um deutlich erkennbare und zu belegende philosophische Überlieferungen gehen, sondern auch um die Frage, ob nicht zu jeder menschlichen Kultur eine spezifische Form der Philosophie gehört.

3. Wo, wann und wie entstand Philosophie in den verschiedenen Regionen der Erde?

Bei der Beantwortung der Frage, welche anderen Gebiete in der Welt eine eigene philosophische Tradition haben, stellt sich häufig als erstes der Vergleich mit China und Indien ein. Das Fach »Vergleichende Philosophie«, das heutzutage an europäisch-westlichen Universitäten gelehrt wird, richtet sich auf chinesische und indische, kurz »östliche« Philosophie. Der Vergleich zwischen westlichen und östlichen Philosophien in diesem Sinn bildet auch den Forschungsgegenstand eines großen Instituts auf Hawaii, einer Inselgruppe, die ja häufig als der am weitesten vorgeschobene Posten der westlichen Welt in Richtung auf den Fernen Osten betrachtet wird. Auf die besondere Problematik der Vergleichenden Philosophie komme ich im nächsten Kapitel ausführlicher zurück.

          Einen anderen Ausgangspunkt als den des bloßen Vergleichs oder der möglichen Integration in ein formales Modell wählen die Autoren Ram Adhar Mall und Heinz Hülsmann in ihrem Buch: Die drei Geburtsorte der Philosophie. China, Indien, Europa (Bonn 1989). Sie arbeiten daran, dass »unser Philosophieren sich enteuropäisiert«, der Anspruch der Dominanz des eu­ropäisch-westlichen Denkens ent­kräftet wird, indem gleichrangig neben diesem indische und chinesische Philosophien behandelt werden. Dabei suchen sie »darauf zu achten, dass gleichzeitig zu der Schriftkultur die lebendigen Traditionsbestände von Ritual, mündlicher Überlieferung wirksam bleiben«. Und sie sind sich dessen bewusst, dass man neben »China, Indien, Europa« an andere Teile der Welt: »Afrika, Australien, Südamerika« als mögliche Geburtsorte der Philosophie denken kann. Abgesehen davon, dass diese Aufzählung immer noch unvollständig ist, hätte im Titel des Buches der be­stimmte Artikel »Die drei Geburtsorte der Philosophie« wegbleiben müssen, wenn die Autoren die erwähnten Hinweise folgerichtig zu Ende gedacht hätten. In späteren Arbeiten hat Mall ausdrüc­klich eine breitere Perspektive gewählt. So enthält sein in der Einleitung bereits herangezogenes Buch Philosophie im Vergleich der Kulturen. Eine Einführung in die interkulturelle Philosophie (s. dort Anm. 4) neben grundsätzlichen Erörterungen zu »Begriff und Inhalt der interkulturellen Philosophie« und eingehenden methodologischen Überlegungen zur »Hermeneutik im interkulturellen Kontext« eine kurze Darstellung »einiger wesentlicher Aspekte der chinesischen, indi­schen, europäi­schen«, sowie auch der »afrikanischen und lateinamerikanischen Philosophie".

          Für Afrika als Geburtsort der Philosophie kann auf eine lebhafte Auseinandersetzung afrikanischer Philosophen verwiesen werden, die sich je länger desto mehr neben der Prägung ihres Denkens durch die Denkstile der früheren Kolonialmächte auch ihren eigenen philosophischen Überlieferungen zuwenden. Ich möchte zur Veranschaulichung dieser Tendenz das Projekt der »Sage Philosophy« (Weisheitsphilosophie) des kenianischen Philosophen Henry Odera Oruka und des aus Mali stammenden und lange Zeit im Senegal wirksamen Amadou Hampaté Bâ nennen,[48] die Bemühung um die Philosophien der Akan im heutigen Ghana und der Giukyu im heutigen Kenia durch Kwame Gyekye und Gerald Joseph Wanjohi, die sich weitgehend des Materials der Sprichwörter bedienen[49], sowie der Yoruba durch Segun Gbadegesin und Sophie B. Oluwole, die ihre Einsichten vor allem aus der Sprache und der oralen Literatur gewinnen[50]. Das sind indessen nur einige Beispiele, die aus größeren Zusammenhängen herausgegriffen sind. Wichtig erscheint mir, dass hier philosophische Traditionen in den internationalen philosophischen Diskurs eingebracht werden, die sich weitgehend auf primär mündliche Formen der Kommunikation und Überlieferung berufen.

          Die eigenständige mittel- und südamerikanische Philosophie, die sich in den letzten Jahrzehnten als »Philosophie der Befreiung« profiliert, aber auf einen vielstimmigen Chor von Beiträgen zurückgeht, die sich zunehmend auch »dem Horizont der Volksweisheit des Sich-Befindens« öffnen, wird von Raúl Fornet-Betancourt sachkundig und detailliert dargestellt. Er will damit ausdrücklich in Ergänzung zu Mall und Hülsmann auch von Lateinamerika als »möglichem eigenem Ort der Philosophie sprechen«. Gegen eine lange zeit der Vorherrschaft europäisch-westlicher philosophischer Strömungen bringt sich nach seiner Darstellung auch die »indianische Stimme« stärker zu Gehör.[51]

          Bereits ein Jahr vor dem erwähnten Werk von Mall und Hülsmann ist in der damaligen DDR ein Buch erschienen, das von acht Autoren gemeinsam erarbeitet worden ist und in dem die für jenes Werk charakteristische Beschränkung überwunden ist: Wie und warum entstand Philosophie in verschiedenen Regionen der Erde?[52] Die Autoren dieses Buches »möchten ihren Beitrag dazu leisten, den Blick zu weiten und die gesamte Weltkarte der Philosophie zu betrachten«, auf der dann neben den drei oben genannten, im akademischen Betrieb schon fleißig miteinander verglichenen Philosophien auch diejenigen Japans, des islamischen Bereichs, des subsaharischen Afrika, des präkolonialen Mexiko und der kolonialen und nachkolonialen Perioden Lateinamerikas einen Platz bekommen. In dem Konzept einer möglichst umfassenden »vergleichenden Philosophiege­schichte auf marxistischer Grundlage« soll ausdrücklich die Eigenbedeutung des außereuropäischen Denkens gewürdigt und die »Vielgestaltigkeit bei der Entstehung von philosophischem Denken« herausgestellt werden.

          Obwohl im Vorwort dieses Buches betont wird: »Jedes Volk hat mit seiner Geschichte einen Beitrag zum Werden der Welt von heute geleistet«, bleibt die Liste der »verschiedenen Regionen der Erde« selektiv, in denen Philosophie entstand und – von den Voraussetzungen eines marxistischen Philosophiebegriffs aus – entstehen konnte. Vorausgesetzt sind bestimmte »ge­sellschaftliche Bedingungen«, eine »bestimmte Form von früher Klassengesellschaft« und »die in den jeweiligen Gesellschaften vollzogene Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit«. In den hier behandelten Regionen gibt es demgemäss vorphilosophische geschichtliche Perioden, in denen es zwar Religion, aber keine Philosophie oder allenfalls »protophilosophische Elemente unter der Hülle der Religion« gegeben hat. Große Gebiete der Erde bleiben nach dieser Auffassung offenbar bis heute auf einer solchen protophilosophischen Entwicklungsstufe stehen.

          Hier stellt sich die Frage, ob nicht die »Weltkarte der Philosophie« in der Weise ausgeweitet werden müsste, dass sie mit einer Weltkarte der Kulturen identisch ist. Wird nicht von dem genannten Autoren-Kollektiv noch immer von einem europäisch-westlichen Philosophiebegriff aus gedacht, der zudem noch an der akademischen Philosophie dieses Weltteils orientiert ist? Eine Beschränkung des Buches liegt ferner darin, dass das Paradigma der Naturevolution auch die Aussagen über die Geschichte der Menschheit bestimmt. Mit dem philosophischen Denken erreicht die Menschheit eine Entwicklungsstufe, die gegenüber den vorausliegenden ein höheres Niveau darstellen soll. Demge­genüber möchte ich hier die Auffassung verteidigen, dass Philosophie – wie die Kunst – schon in den frühesten Zeiten der Menschheit angetroffen werden kann. Von dieser Auffassung muss man ausgehen, wenn man die These ernstnehmen will, dass zu jeder Kultur eine spezifische Form der Philosophie gehört. Auch von diesem Ausgangspunkt aus gesehen ist es eine »überaus wichtige, aber ebenso komplizierte Frage«, wie die »Beziehung zwischen Philosophemen und religiösen Bewusstseinsinhalten« zu denken ist. Zwischen beiden ist keine scharfe Trennung mög­lich, das lehren uns die mittelalterlichen und die heutigen konfessionell gebundenen Philosophien  der europäisch-westlichen Tradition, aber auch die indische, afrikanische und andere Philosophien.

          Darüber hinaus ist es schwer, von dem genannten Ausgangspunkt aus zu ent­scheiden, was innerhalb und außerh­alb des akademischen Rahmens als »große« oder »echte« Philosophie zu gelten hat. Zweifellos kann dies nicht von den Gesichtspunkten der Evolution oder des Fort­schritts aus geschehen. Denn die Lehren Laozis oder Zoroasters, die Kodifizierung des Ma'at im ägyptischen Totenbuch oder die Sammlung von Weißheitssprüchen in den Büchern Proverbia, Prediger und Hohes Lied im Alten Testament, die klassischen Philosophien der europäisch-westlichen Tradition eines Platon oder Aristoteles sind gewiss nicht durch Spätere übertroffen oder als überholt zu betrachten. In diesem Punkt kann ich mich auf den Hegel der ersten Jenaer Jahre seines Wirkens (1801/02) berufen, der ganz anders als der spätere evolutionistisch denkende Philosoph, darauf aus ist, nicht Neues zu bieten, sondern das "älteste Alte" wiederherzustellen. Er formuliert treffend: »Jede [große oder echte] Philosophie ist in sich vollendet, und hat, wie ein ächtes Kunstwerk, die Totalität in sich.«[53] So gesehen, wäre viel gewonnen, wenn im Titel des Buches der acht DDR-Autoren wohl der bestimmte Artikel stünde, den sie gerade nicht verwenden: »Wie und warum entstand Philosophie in den verschiedenen Regionen der Erde?«

          Die Frage nach dem »Warum« hat dabei noch ihre eigene Problematik. Sie setzt voraus, dass es außerhalb ihrer selbst liegende Entstehungsgründe der Philosophie gibt, nämlich »be­stimmte gesellschaftliche Bedingungen« mit grundlegenden ökonomischen Gegebenheiten (»Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit«). Demgegenüber ist meine These in der Auffassung begrün­det, dass das Philosophieren – wie das Machen von Kunst – ein eigenständiges, in jeder menschlichen Kultur auf spezifische Weise, freilich nicht notwendig unter dem Begriff »Philosophie« (oder im Vergleichsfall »Kunst«) anzutreffendes Attribut des Mensch­seins ist. Welche gesellschaftlich-geschichtlichen Bedingungen das Entstehen von Philosophie evozieren, wird in den »Abschließenden Überlegungen« erörtert. Hier ist im Blick auf die im Titel des besprochenen Werkes nicht gestellte Frage nach dem »Wo« eindeutig festzustellen: in jeder menschlichen Kultur.

          Wenn wir in diesem Zusammenhang die Frage nach dem »Wann« stellen, ist damit nicht eine Jahreszahl oder eine Periode in der Menschheitsgeschichte gemeint. Die ältesten, in Abschnitt 3 der Einleitung bereits erwähnten Kultur­äußerungen von Menschen, die wir als Kunst ansehen müssen, sind mehr als 20.000 Jahre alt. Man kann dabei an die Felszeichnungen in Namibia oder an die Höhlenmalerei in Südfrankreich erinnern. Die ältesten schriftlichen Dokumente des Philosophierens: Rig-Veda und Artharva-Veda aus der indischen Überlieferung sind in der Zeit 2000-1000 vor unserer Zeitrechnung entstanden.[54] Wie weit die Entstehung primär mündlich überlieferter Philosophien zurückreich­t, deren Rang den primär schri­ft­lich tradierten im Prinzip nicht nachstehen muss, lässt sich nicht in Jahreszahlen angeben. Dieser Prozess gehört meines Erachtens mit der Entste­hungsgeschichte menschlicher Kulturen als solcher zusammen.

          Schließlich hängt auch die Untersuchung der Frage nach dem »Wie« des Entstehens von Philosophie – ebenso wie die Erörterung der nicht leicht beantwortbaren Warum-Frage und die Diskussion des Wo? und Wann? – auf das Genaueste zusammen mit dem Philosophiebegriff, der all diesen Fragen zugrunde liegt, wie auch mit der Konzeption einer interkulturellen  Philosophie, die diesen Namen wirklich verdient. Die Autoren des hier zur Diskussion stehenden Buches stützen sich auf eine Formulierung des Leipziger Philosophen Helmut Seidel: »Unter Philo­sophie wollen wir alle Versuche fassen, die darauf aus waren bzw. sind, die Totalität der Welt rational zu erkennen, die Stellung des Menschen in der Welt, seine Tätigkeit und sein Verhalten zu ihr zu begreifen und zu begründen.«[55]

          Ich kann von diesem Philosophiebegriff ebenfalls ausgehen, wenn ich ihn (1) einfacher fasse und (2) den darin verwendeten Rationalitätsbegriff einer kritischen Revision unterziehe. Dann wäre zu formulieren, dass als Philosophie jede Deutung der Welt und des menschlichen Lebens gelten soll, die mit dem Anspruch auf rationale Begründbarkeit unternommen wird. Rationale Begründbarkeit steht dabei nicht in erster Linie und vor allem nicht ausschließlich für logische Konsistenz oder argumentative Richtigkeit – diese gehören vielmehr auf selbstverständ­liche Weise dazu –, sondern für einen Denkzusammenhang, der sich in jeder Hinsicht nur der eigenen Mittel des Denkens bedient. Dass nicht einfachhin von rationaler Begründbarkeit die Rede ist, sondern von dem Anspruch darauf, soll heißen, dass der Philosophierende sich den spezifischen Mitteln des Denkens verpflichtet weiß, aber nicht, dass er davon ausgeht, mit diesen Mitteln jederzeit zu umfassenden Deutungen der Welt und des menschlichen Lebens gelangen zu können. Jener Anspruch und diese Verpflichtung bedeuten indessen wohl, dass der Philosophierende den »Weg des Denkens«, wenn er ihn schon nicht in jedem Fall bis zu Ende gehen kann, in seinen prinzipiellen Möglichkeiten und Begrenzungen zu reflektieren hat. Dabei ist es charakteristisch, dass die Begrenzungen für den »Weg des Denkens« häufig genug, gerade auch in »frühen« Denkzusammenhängen, durch Aporien (Ausweglosigkeiten) markiert werden.

          Wenn wir dieses Philosophieverständnis voraussetzen, ist es nicht ver­wunderlich, dass philosophische Denkzusammenhänge auch in mythischen oder religiösen Erzäh­lun­gen und dichterischen Aussagen anzutreffen sind. Dabei ist die Festlegung bereits von Mall und Hülsmann durch ihren Hinweis auf »Rituale« und »münd­liche Überlieferungen« aufgegeben bzw. als eurozentrisch erkannt worden, dass Philosophie sich nur in schrift­lichen Dokumenten finden lasse. Darüber hinaus kann Philosophisches in Mythi­sches, Poetisches oder allgemein Künstlerisches und Religiöses eingebettet sein. In seinen frühen Formen und in bestimmten philosophischen Richtungen auch bis heute schei­nt dies der Normalfall (gewesen) zu sein. Die Entstehungsge­schichte der Philosophie als Philosophie wäre dann die Ge­schichte der relativen Her­auslösung des Philosophischen aus den genannten Kontexten und einer Verselbstständigung, die bis heute als unabgeschlossen – und im Blick auf das philosophische Denken mit seinen prinzipiellen Möglichkeiten und Begrenzungen sowie seinen, wie es scheint, unvermeidlichen aporetischen Charakterzügen als unabschlie­ßbar – aufzufassen ist.              ­  

         

4. Der Durchbruch zur interkulturellen Philosophie und die Kritik des Ethnozentrismus der europäisch-westlichen Philosophie seit der Aufklärung

         

Von einer Konzeption der Philosophie aus, die zwar breit angelegt ist und einen eurozentrischen Ausgangspunkt bewusst vermeidet, aber im Blick auf andere Kulturen selektiv ver­fährt, wobei dann die eigene Philosophie die Auswahlkriterien liefert, ist noch ein entscheidender Schritt zu vollziehen bis zur Konstituierung der interkulturellen Philosophie. Franz M. Wimmer hat in seinem Buch: Interkulturelle Philosophie wichtige Bausteine einer teils historischen, teils theoretischen Grundlegung dieses neuen Typs von Philosophie beigebracht. Er entscheidet sich bewusst für diesen gemischten und unvollständig bleibenden Grundlegungsversuch. Dabei steht im Vordergrund, dass er »die These von der Notwendigkeit und der Möglichkeit einer interkulturellen Orientierung der Philosophiehistorie« ausarbeiten möchte.[56] Mit der »Reflexion auf die Denkformen« der europäisch-westlichen Tradition, »wie sie vor der kolonialistischen Phase unserer Geschichte entwickelt wurden«, will er einen ersten Schritt tun, um »die Deformationen der Blickweisen« offen zu legen, »die ein euroopazentriertes ­ Superioritätsbewusstsein verursacht oder doch erleichtert haben«.[57]

          Alle Unterschiede zwischen Menschen aus verschiedenen Regionen sind nach Wimmers Auffassung insgesamt kulturell bedingt – und nicht etwa durch die Zugehörigkeit zu verschiedenen Rassen erklärbar. Da die letztere Erklärung häufig genug auch von Philosophen vorgebracht worden ist, findet Wimmer es »unum­gäng­l­ic­h, die These von der Einzigkeit der Philosophieentwicklung in Europa in den Kontext des Rassismus zu stellen«.[58] Die »Einschätzung der Anderen« als Barbaren, Exoten und Heiden, die für das europäisch-westliche Denken seit seinen An­fängen bis ins 19. Jahrhundert kennzeichnend ist, lässt die elementare »Achtung der Anderen« vermissen, die für die interkulturelle Philosophie vorausgesetzt werden muss.[59] Die Darstellung dieses Ersten Bandes einer Grundlegung der interkulturellen Philosophie endet mit der Periode des Kolonialismus, in der sich die negativen Einstellungen in der europäisch-westlichen Philosophie zum Denken in anderen Kulturen noch erheblich zuspitzen, bevor im nachkolonialen Zeitalter einer »global sich vereinheitlichenden Kultur« die Konzeption einer interkulturellen Philosophie als etwas prinzipiell Neues auf die Tagesordnung philosophischer Diskussionen gesetzt werden kann.

          Es ist freilich unverkennbar, wenn auch im Einzelnen nicht leicht anzugeben, auf welche Weise im nachkolonialen Zeitalter kolonial bestimmtes Denken und politisch-ökonomisches Handeln weiterwirken. Einerseits übernehmen in vielen afrikanischen und anderen ehemals kolonisierten Ländern einzelne mächtige Gruppen (ethnische Gruppen, Clans, Familien) Rollen und Funktionen der früheren Kolonialherren. Andererseits werden von Europa und Nordamerika aus Programme der Entwicklungshilfe konzipiert und ausgeführt,  die ohne weiteres davon ausgehen, dass politisch, wirtschaftlich und kulturell in der ganzen Welt europäisch-westliche Verhältnisse entstehen werden oder entstehen können. Eine genauere Kenntnis der spezifischen Bedingungen anderer Kulturen ist kaum vorhanden und scheint für diese Konzeptionen keine wesentliche Rolle zu spielen. Das ist auch auf philosophischem Gebiet zu bemerken. Der Typ vernünftigen Argumentierens, wie er in der Tradition der Aufklärung entwickelt worden ist, versteht sich selbst als Modell auch für die interkulturelle philosophische Kommunikation.

          Bevor wir uns der Situation nach der Aufklärung zuwenden, wollen wir jedoch die Argumentationslinie Wimmers fortsetzen und die Philosophie im Zeitalter des beginnenden Kolonialismus untersuchen. Der Kolonialismus und die Philosophie der Aufklärung, mit den Systemen des Deutschen Idealismus in ihrem Gefolge, gehören deutlich zusammen. Die Aufklä­rungsdenker (Voltaire und die Enzyklopädisten in Frankreich, Hume und Locke in England, Lessing und Kant in Deutsch­land, um nur einige wenige herausragende Namen zu nennen) betrachten – gemäß den allgemeinen Denkvoraussetzungen ihrer Epoche – die eigene Zeit als den Höhepunkt aller geschichtlichen Entwicklung und die eigene Kultur als den zentralen Bezugspunkt für alle anderen Kulturen. Von einfachsten Anfän­gen entwickelt sich die Geschichte in beständigem Fortschritt bis zu den Höhen der Gegenwart. Dabei wird die Vergangenheit als »dunkel« und die Gegenwart als »erleuchtet« angesehen.

          Es scheint ein merkwürdiger Widerspruch zu sein, dass Kant, der Denker der Vernunft und der Freiheit und zugleich auch einer der Verkünder der Menschenrechte, des Weltbürgertums und des ewigen Friedens in Bezug auf andere Kulturen offensichtlich rassistische Vorurteile hegt. Dieser Widerspruch wird indessen verständlicher, wenn man bedenkt, dass Vernunft, Freiheit usw. nach Kant auch innerhalb der europäischen Kultur nur den wirtschaftlich selbstständigen männlichen Bürgern zukommen. Zur Verdeutlichung seiner Einstellung zu anderen Kulturen werden hier einige wenige Aussagen über Neger und andere nicht-weiße Rassen angeführt, die im Prinzip beliebig vermehrt werden können. Diese Aussagen finden sich vor allem in den Manuskripten zu einer Vorlesung über Physische Geographie, die Kant von 1756 bis 1796 regelmäßig gehalten hat und in einigen kleineren Schriften zum Begriff der Rasse, aber auch in systematisch zentraleren Schriften wie Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen, Metaphysik der Sitten, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbü­rgerlicher Absicht und Zum ewigen Frieden.

          Was Kant z.B. über die Neger sagt, ist äußerst drastisch und übernimmt im Kontext philosophisch-wissenschaftlicher Systematik »zum Teil schier infantile rassische Vorbehalte und Vorurteile«.[60] Der Neger ist ein Wilder ohne jede Feinheit der Bildung, und der Wilde dient der plastischen Darstellung der »Bösartigkeit der menschlichen Natur«.[61] Der Hautfarbe wird eine geradezu metaphysische Bedeutung zugeschrieben, die »zur Unterscheidung der Menschengattung in sichtbarlich verschiedene Klassen berechtigt«.[62] »Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Race der Weißen. Die gelben Indianer haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer, und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.«[63]

          Sklaverei findet sich vor allem in Afrika, denn der Neger ist am besten als Sklave geeignet. Er ist »nämlich stark, fleischig, gelenk, aber unter der reichlichen Versorgung seines Mutterlandes faul, weichlich und tändelnd«.[64] Seine Faulheit muss deshalb »durch die Regierung und den Zwang gemäßigt« werden.[65] Bei Vergehen muss die Bestrafung drastisch sein; sie »haben eine dicke Haut«, und des gewünschten Effekts wegen ist es notwendig, dass man sie mit »gespaltenen Röhren peitscht«.[66] Sklaverei setzt nach Kant ein Verbrechen voraus; sie ist »eine spezielle Form von Bestrafung für begangene Untaten – ein Mittel der Erziehung«.[67]

          Man wird sagen müssen, dass Kant auch für seine Zeit und die damals zur Verfügung stehende Literatur besonders schlecht über nicht-europäische Kulturen und deren Bildungsstand informiert war.[68] Dabei hätte er auf Grund der Tatsache, dass er in seiner Schulklasse zeitweise einen Negerjungen als Mitschüler hatte, direkte Kenntnisse über diese »Rasse« erwerben können. Und er hätte wissen müssen, dass zwischen 1730 und 1740 an den Universitäten zu Halle, Wittenberg und Jena der Philosoph Amo Guinea-Africanus (aus dem heutigen Ghana) gelehrt und (in lateinischer Sprache, wie es damals üblich war) eine Reihe wichtiger Arbeiten zur Rechtsphilosophie, Anthropologie und philosophischen Methodologie veröffentlicht hat.[69] 

          Bei Hegel lässt sich zeigen, wie die rassistischen Vorurteile, die er vom Denken der Aufklärung übernimmt, im Zusammenhang des Systems der Vernunft einen Platz bekommen und von diesem aus gerechtfertigt werden. Den Kolonialismus erklärt Hegel aus der wirtschaftlichen Dynamik des frühen Kapitalismus. Nach seiner Analyse der »bürgerlichen Gesellschaft« in den Grundlinien der Philosophie des Rechts entwickeln sich darin trotz des allgemeinen Wachstums scharfe Widersprüche, z.B. zwischen reich und arm.[70] Um solche Widersprüche überwinden zu können, drängen die europäischen Nationen über ihre Grenzen hinaus zum Meer. (§ 247) Es kommt zu einer Belebung der Seefahrt und des Handels mit überseeischen Gebieten. Die Kolonien sind in derselben Weise Ausdehnungsraum dieses Wachstums wie das Meer. Dass dort Menschen wohnen, denen das Recht auf ihr eigenes Gebiet bestritten und genommen wird, kommt Hegel nicht in den Sinn. Es geht um Länder mit wichtigen Rohstoffquellen und auch um neue Absatzgebiete. Eine eigene Bedeutung erhalten die kolonisierten Gebiete lediglich, sofern sich dort weiße Siedler dauerhaft niederlassen und auf fremdem Boden ein Stück Europa verwirklichen. Das Musterbeispiel hierfür ist bei Hegel bereits Nordamerika. (§ 248)

          Die eigentlich enthüllenden Passagen finden sich in den Vorlesungen zur Philosophie der Weltgeschichte. Im Zuge einleitender Ausführungen erörtert Hegel die »geographischen Grundlagen der Weltgeschichte«. Dabei zeigt sich, dass Asien (mit der Ausnahme von Teilen des heutigen China und des indischen Subkontinents) und Afrika (mit der Ausnahme Ägyptens  und einiger Küstengebiete) schon wegen ihrer geographischen Eigenart nicht zum Schauplatz der Geschichte werden konnten. Da es sich nach Hegels Meinung bei diesen Gebieten um eine Übergewicht der »Talebene« bzw. des »Hochlandes« handelt, fehlt ihnen die Spannung einer Landschaft, die in Berg und Tal, Hochland und Flachland gegliedert ist, die vom Naturzusammenhang aus vorausgesetzt werden muss, damit sich dort Geschichte abspielen kann.[71] Und die klimatischen Bedingungen großer Hitze widersprechen der Voraussetzung, dass »die gemäßigte Zone das Theater für das Schauspiel der Weltgeschichte« bieten muss.[72] Deshalb können diese Gebiete weltgeschichtlich niemals eine Rolle spielen.

          Ein weiterer Grund, warum Afrika nicht an der Weltgeschichte teilhaben kann, ist in Hegels System der Philosophie selbst verankert. Es gibt in Afrika zwar »Familiensittlichkeit« und »Horden«, aber keinen Staat. Geschichte ist für Hegel Geschichte von Staaten. In Afrika herrscht indessen nach seiner Auffassung »das Verhältnis des Despotismus; die äußere Gewalt ist selbst willkürlich«.[73] Diese Ausführungen zeugen davon, dass Hegel von den politischen Systemen in den afrikanischen Gesellschaften so gut wie keine Kenntnis besitzt. Seine Quellen sind Reiseerzählungen und Berichte christlicher Missionare, unter denen sich, besonders für die politischen Verhältnisse, ein Werk von G.A. Cavazzi befindet: Istoria descrizione dei tre regni Congo, Matamba, Angola, das bereits 1687 in Bologna erschienen war.

          Auch auf anderen Gebieten zeigt sich die groteske Unkenntnis des sonst so gründlichen Philosophen, z.B. wenn er sagt, dass »der König von Dahomey ... 3333 Frauen« hat. Hier handelt es sich nicht, wie Hegel meint, um ein historisches, sondern wohl um ein aus der spekulativen Vorliebe für die Zahl 3 entstandenes »Mißverhältnis«, das »ins Grenzenlose ... geht«.[74] Auf dem religiösen Gebiet gehören Afrika, aber auch die Eskimos und die chinesische Staatsreligion, wie Hegel auch in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Religion ausführt, zu den »Religionen der [direkten und indirekten] Zauberei«.[75] Dazu gehören magische Praktiken wie der Versuch, »den Naturmächten zu gebieten«, und der Fetischglaube, der sich an äußere Gegenstände heftet, die der Mensch zugleich in seiner Gewalt behält. »An Verehrung Gottes ist hier nicht zu denken, nicht an die Anerkennung des allgemeinen Geistes im Gegensatze zu dem des Individuums«.[76]

          Ein entscheidender Punkt ist - ähnlich wie bei Kant - Hegels Beurteilung der Sklaverei. Wie kann es sein, dass von einer Philosophie der »konkreten Freiheit« aus, wie man Hegels politische Philosophie oft genannt hat, die Sklaverei gerechtfertigt wird? Nach Hegel bekundet die angeblich weit verbreitete Sitte, »Menschenfleisch zu essen«, die indessen nicht näher belegt wird, die »vollkommene Verachtung« und die »Wertlosigkeit des Menschen« in Afrika. Daraus »erklärt sich, dass in Afrika die Sklaverei das Grundverhältnis des Rechts bildet«. In diesem Zusammenhang erscheint es berechtigt, dass sich die Europäer, obwohl die Sklaverei »an und für sich Unrecht ist«, in großem Stil am Sklavenhandel beteiligen.[77] Eine genauere Analyse hat mich zu dem Ergebnis gebracht, dass man diese Einstellung innerhalb der Systematik des Hegelschen Denkens nur so erklären kann, dass »die Afrikaner als Menschen in einer Art Zwischenzustand existieren. Einerseits haben sie keinen Staat, keine Religion; sie sind wie die Tiere«. Andererseits wird ihnen »eine Art von Staat« zugestanden und »ihre Religion kennt erste Formen einer geistigen ‘Vermittlung’ durch belebt vorgestellte ‘natürliche Gegenstände’«, das heißt sie tragen auf gewisse Weise auch menschliche Züge. Letztlich sind es aber für Hegel keine wirklich freien menschlichen Wesen, die von den Europäern zu Sklaven gemacht und als Handelsware verkauft werden.[78]

          Vor diesem Hintergrund wird auch Hegels Konzeption der Philosophiegeschichte verständlich, die zwar eine Vorgeschichte in China und Indien, Persien, Babylonien und Kleinasien hat, die aber als Philosophie erst mit Thales und Anaximander, Heraklit und Parmenides, sowie anderen griechischen Denkern vor Sokrates beginnt. Diese Geschichte entfaltet sich dann im griechisch-römisch beherrschten Mittelmeerraum und gelangt schließlich im Europa nördlich der Alpen zur Vollendung. Das heißt, sie ist auf die Region Europa begrenzt. Dass die Gebiete, die sich schon von ihren natürlichen Voraussetzungen aus nicht als »Theater für das Schauspiel der Weltgeschichte« eignen, keinesfalls als Heimat oder Geburtsort der Philosophie in Frage kommen, in der nach seiner Meinung der höchste Gipfel der menschlichen Bildung zum Ausdruck kommt, versteht sich für Hegel von selbst.

         

5. Die doppelte Bewegung des Sich-öffnens und zugleich auch wieder-verschließens gegenüber anderen Kulturen in der europäisch-westlichen Philosophie nach Hegel

         

Vom Standpunkt der interkulturellen Philosophie aus lässt sich beobachten, dass nach Hegel in der europäisch-westlichen Philosophie eine Verschiebung des Urteils über andere Kulturen stattfindet, die aber nicht konsequent zu Ende gedacht wird. Diese eigenartige Bewegungsstruktur soll hier durch einige kurze Hinweise verdeutlicht werden. Artur Schopenhauer entlehnt die Begriffe des Nichts und des Leidens dem Denken des Buddhismus, um seine pessimistische Weltauffassung artikulieren zu können. In diesem Punkt bleibt ihm Friedrich Nietzsche treu, der sich im übrigen weitgehend von seinen Auffassungen abgewendet hat. Nietzsche liest die indischen Veden und zitiert aus der Rigveda:

 

          »Im Herzen sinnend spüren weise Seher

          das alte Band, das Sein und Nichtsein bindet.«[79]

 

          In zahlreichen vergleichenden Betrachtungen des Christentums und des Buddhismus kennzeichnet er das erstere als reaktiven, den letzteren als aktiven Nihilismus. Damit ist gemeint, dass die buddhistische Religion ihre Anhänger auffordert, das Leiden nicht einfach hinzunehmen, sondern dagegen zu kämpfen, um schließlich Heiterkeit, Ruhe und Freiheit von Begierden zu erreichen.

          Nietzsches Faszination von der persischen Religion und ihrem Stifter Zarathustra ist bekannt. Die Gestalt des Zarathustra wird zum Verkünder seiner wichtigsten Lehren, insbesondere in dem Buch das dessen Namen im Titel trägt:  der Lehre vom »Übermenschen« und von der »ewigen Wiederkehr des Gleichen«.[80] Indessen, soweit es die Geschichte der Philosophie betrifft, sieht er deren Anfang im antiken Griechenland und nirgendwo anders. Er erkennt zwar an, dass das griechische Denken seine Wurzeln in orientalischen Traditionen hat, wenn er der Einordnung von Zarathustra neben Heraklit, den frühen indischen Denkern neben den Eleaten, den ägyptischen neben Empedokles, den chinesischen neben Pythagoras und den jüdischen neben Anaxagoras zustimmt.[81] Aber es waren die Griechen, welche die Philosophie zu dem gemacht haben was sie ist, im Unterschied zu orientalischen Mythologien. Sie haben die Philosophie ein für allemal gerechtfertigt.

          Wenn wir mehr zeitgenössische Philosophen zunächst in französischen Kontext betrachten, können wir Georges Batailles Analysen zu Hegel und Nietzsche und zur politisch-ideologischen Situation des aufkommenden Nationalsozialismus heranziehen. Darin wird durch den Hinweis auf die Praxis des Opfers in archaischen Kulturen eine vergessene oder verdrängte Dimension des menschlichen Bewusstseins ins Spiel gebracht. Aber dieser Hinweis gerät durch die zeitliche und kulturspezifische Charakteristik des Archaischen in eine Rousseauische Perspektive, die sich aus der Umkehrung des Fortschritts zum Besseren begründet.

          Offensichtlich sind für Maurice Merleau-Ponty die kulturanthropologischen Forschungen von Marcel Mauss und Claude Lévi-Strauss von großem Interesse, die in bestimmten indianischen Kulturen Nord-, Mittel- und Südamerikas am Beispiel des Gebens von Geschenken ein anderes mitmenschliches Verhältnis und ein anderes Weltverhältnis aufzeigen. Im Grunde findet er jedoch in diesen Forschungen nur eine Illustration seines Rückgangs auf präreflexive Strukturen des Bewusstseins und des Sich-verhaltens im Allgemeinen.

          Florian Vetsch zeigt in seiner Züricher Dissertation, dass Martin Heideggers Anhang der interkulturellen Auseinandersetzung (Würzburg 1992) eine etwas genauere Betrachtung verdient. Einerseits will Heidegger die Philosophie strikt auf Europa begrenzt wissen. Dabei erhält deutsche Philosophie die Aufgabe, die Hauptfrage der Philosophie, wie sie von den Griechen in der Zeit vor Sokrates gestellt worden ist, dass »Seiendes ist und ein Seyn west«, wieder freizulegen und neu zu fragen.[82] Andererseits findet er gerade für diese Frage viel Interesse bei japanischen und koreanischen Philosophen, mit denen er darüber Dialoge führt. Und er zeigt eine große Offenheit für die Andersartigkeit des fernöstlichen Denkens, wie es sich in seinen Grundworten artikuliert.[83] Diese doppelte Haltung erklärt sich zum Teil aus Heideggers Terminologie. Was er  »Metaphysik« oder auch ganz allgemein »Philosophie« nennt, ereignet sich von Parmenides und Platon bis zu Hegel und Nietzsche. Und von dieser Periode sucht er sich gerade abzusetzen, indem er seine eigene Unternehmung, die nach der Philosophie einsetzt, »Denken« nennt. Er bezeichnet seine Dialoge mit japanischen und koreanischen Kollegen demgemäss als »Gespräche von Denkern«. Jedoch, seine nicht-westlichen Gesprächspartner schließen sich dieser Terminologie nicht an und nennen sich mit dem griechischen Wort »Philosophen«. 

           Schließlich sei Jacques Derrida erwähnt. Er zieht eine deutliche Linie vom Logozentrismus der europäisch-westlichen Philosophie (von Platon bis Hegel) über den Phonozentrismus (den er vor allem bei Platon, Rousseau und Hegel nachweist) zum Ethnozentrismus (der nach seiner Auffassung für die »Epoche Rousseaus« charakteristisch ist, die er bis einschließlich Lévi-Strauss dauern lässt).[84] Er stellt eine Affinität fest zwischen Dekolonisierung und Dekonstruktion, und er verweist ebenfalls auf die Sprache, die den Zugang zum Anderen und seinem Denken ermöglicht und reguliert. In diesem Zusammenhang wendet er sich gegen »jede Einsprachigkeit [monolinguisme] und jedes Sprechen in einer Richtung [monologisme]«, die unvermeidlich zu Herrschaftsansprüchen führen.[85] Aber er gelangt nicht zu einer genaueren Ausarbeitung der Kritik des Ethnozentrismus der europäisch-westlichen Philosophie oder der Affinität zwischen Dekolonisierung und Dekonstruktion. Sein philosophisches Betätigungsfeld bleibt allein die europäisch-westliche Tradition.

          Es soll indessen nicht verkannt werden, dass ohne die immanente Kritik der europäisch-westlichen Philosophie, wie sie von Nietzsche, Heidegger, Derrida u.a. ausgearbeitet worden ist, der Schritt zur interkulturellen Philosophie nicht möglich gewesen wäre. Es war notwendig, die Geschichte der »Metaphysik« von Platon bis Hegel als eine Gestalt des Philosophierens zu erfassen, die sich selbst zu Unrecht als die Philosophie proklamiert hat. Dies ist geschehen und geschieht noch immer, indem die Absolutheitsansprüche des Denkens innerhalb dieser Geschichte unterminiert werden. Die Bewegung des Kritisierens und Unterminierens kann sich aber – etwa in Derridas Projekt der Dekonstruktion – als notwendige philosophische Arbeit in der Nachgeschichte dieser Metaphysik selbst affirmieren. Nicht diese Bewegung als solche, die für die ge­genwärtige Situation der europäisch-westlichen Philosophie charakteristisch ist, wohl aber die damit verbundene Selbstbescheidung des Denkens in seinen prinzipiellen Möglichkeiten und Begrenzungen bewirkt die Offenheit für ein anderes, nicht mehr in diesem Sinne metaphysisch begründe­tes Denken, das für die europäisch-westliche Geschichte von der Zukunft erwartet werden kann und für das sich in anderen Kulturen spezifische Formen finden lassen. 

         

III. Thematisierung des Denkens in anderen Kulturen in der Ethnologie und Vergleichenden Philosophie

         

Während sich in der Philosophie nach Hegel schrittweise, aber sehr zögerlich eine Öffnung gegenüber anderen Kulturen ergeben hat, bevor schließlich so etwas wie interkulturelle Philosophie möglich wurde, ist in der Ethnologie oder Kulturanthropologie seit etwa 1870 das Denken in anderen Kulturen in der Weise einer empirischen Wissenschaft thematisiert worden. Die anderen Kulturen, denen sich die Ethnologen zuwenden, bezeichnen sie selbst zunächst als »primitiv«, versuchen aber je länger desto mehr den wertenden Gesichtspunkt, der in diesem Begriff liegt, zu vermeiden und sprechen von »schriftlosen«, »dem zahlenmäßigen und räumlichen Umfang nach kleinen« (small-scale), »gesellschaftlich nicht sehr gegliederten« (unstratified) oder »technologisch einfachen« Kulturen.[86] Dabei gehört es zum Blick der Ethnologen, dass sie das Denken dieser Kulturen nicht als Philosophie wahrnehmen und klassifizieren. In der hier folgenden Darstellung der Thematisierung des Denkens in anderen Kulturen in der Ethnologie folge ich weitgehend einem Buch des aus dem damaligen Zaïre stammenden und seit langem in den USA lehrenden Valentin Y. Mudimbe, der für das subsaharische Afrika zeigt, auf welche Weise der kulturanthropologisch/ethnologische Diskurs als ein Teil der »kolonialen Struktur« und deren beginnender Auflösung zu verstehen ist.[87]

            Als ein Vorläufer und eine parallele Unternehmung der interkulturellen Philosophie kann die Vergleichende oder Komparative Philosophie gelten, die bereits zu Wilhelm von Humboldts und Hegels Zeiten mit der »Entdeckung«, Übersetzung und kritischen Würdigung der Bhagavad-Gita und anderer Schriften der älteren indischen philosophischen Literatur beginnt[88] und die sich bis heute vornehmlich der östlichen (indischen, chinesischen, japanischen) Philosophie zuwendet. Die regionale Begrenzung und auch der methodische Unterschied zur interkulturellen Philosophie sind jedoch klar heraus zu stellen.

         

1. Das Denken in anderen Kulturen im kulturanthropologisch/ethnologischen Diskurs

         

Als der Begründer der Kulturanthropologie, die später zur Selbstkennzeichnung den Namen Ethnologie oder Ethnographie bevorzugt, kann Edward B. Tylor gelten. Sein Buch Primitive culture. Researches into the development of mythology, philosophy, religion, art and custom erscheint 1871.[89] Er will nicht etwa behaupten, die »wilden Rassen« hätten in ihrer »primitiven Kultur« Philosophie gekannt oder ausgearbeitet. Er möchte auf den »Ursprung philosophischer Meinung« in den »verachteten Ideen« dieser Menschen hinweisen, deren spätere Entwicklung zu so etwas wie Philosophie geführt hat und deshalb für diese bis heute nicht ohne Bedeutung ist. Auch für Lucien Lévy-Bruhl ist klar, dass das Denken der Menschen mit einer »primitiven Seele« der Philosophie, insbesondere der Logik, nicht fähig ist.[90] Mudimbe konstatiert einen »erkenntnistheoretischen Bruch« zwischen »Lévy-Bruhls Kommentaren über das Prälogische [des Denkens der Afrikaner] und Malinowskis Funktionalismus«, in dem mit neuen »begrifflichen Werkzeugen« gearbeitet wird, wie »autonome Regel, gesellschaftliche Norm und die [besondere] Erkenntnistheorie und Einzigartigartigkeit regionaler kultureller Systeme«. Die Kulturanthropologie bleibt für ihn jedoch bis hin zu Michel Leiris, Margaret Mead und Carl Sagan von einem doppelten »Ethnozentrismus« bestimmt: »einem der erkenntnistheoretischen Herleitung und einem des ideologischen Zusammenhangs«. Der erste lässt sich darauf zurückführen, dass  »menschliche Erfahrungen« zum Objekt wissenschaftlicher Beobachtungen gemacht werden, der zweite ist in wechselnder Weise abhängig von »der Auffassung des Wissenschaftlers vom Bewusstsein, den wissenschaftlichen Modellen seiner Zeit und den kulturellen und sozialen Normen seiner Gesellschaft«. Dies führt in der »kolonialen Erfahrung« zu einem »Diskurs der Macht und des Wissens«.[91]

            Nach Lévy-Bruhl verschwindet der Begriff des »Primitiven« mehr und mehr aus dem begrifflichen Instrumentarium der Kulturanthropologie, und die eigenen methodischen Ausgangspunkte werden zunehmend kritisch gesehen. Statt von Kulturanthropologie wird von Ethnologie und – noch vorsichtiger – von Ethnographie gesprochen. Aber es bleibt die Schwierigkeit, dass das »Auge des Ethnographen« das des objektiven Beobachters ist.[92] Das lässt sich letztlich auch durch die Methode der »teilnehmenden Beobachtung« bei der »Feldarbeit« des Ethnologen nicht vermeiden. Im Rahmen dieser Möglichkeiten findet sich eine weitgehende Anerkennung der Besonderheit und Eigenständigkeit der afrikanischen Kulturen, in seinem Fall insbesondere der Dogon (in heutigen Mali), bei dem französischen Ethnologen Marcel Griaule. Er hat in vielen Jahren, in denen er immer wieder längere Perioden in einem Dorf der Dogon gelebt hat (Ogol du Bas), nicht nur die sehr spezifischen astronomischen Kenntnisse dieses Volkes, seine reichhaltigen Mythen, Sitten und Gebräuche, sowie »die Systeme der Institutionen und Riten«, sondern auch ein Beispiel seiner philosophischen Auffassungen  kennen gelernt und aufgezeichnet. Wenn er auch den Begriff Philosophie oder den des »Sage« nicht verwendet, der (im französisch- und englischsprachigen Afrika) für Philosophen im traditionellen Lebenszusammenhang  üblich geworden ist, hat er der Sache nach in den »Gesprächen mit Ogotemmêli« dessen philosophische Lehren in einer Art Gesprächsprotokoll aufgeschrieben.[93] In diesem Punkt bildet seine Arbeit eine Ausnahme im kulturanthropologisch/ethnologischen Diskurs, der das Denken als solches und die philosophischen Auffassungen der untersuchten Völker sonst nicht als solche thematisiert.

            Derrida sucht zu zeigen, dass der Ethnozentrismus in der Ethnologie, der auch die Blindheit für Philosophie bei den untersuchten Völkern bedingt, bis hin zu Claude Lévi-Strauss nicht überwunden wird. Am Beispiel des Kapitels »Schreibstunde« in dem Buch von Lévi-Strauss Traurige Tropen (Köln 1960) macht Derrida deutlich, dass der Ethnologe Lévi-Strauss einen zu engen Begriff der Schrift verwendet, der an der alphabetischen Schrift orientiert ist. Obwohl er von bedeutungsvollen Einritzungen auf den Kalebassen der Nambikwara, eines südamerikanischen Indianervolkes, berichtet, verweigert er ihnen die Fähigkeit der Schrift. Er bleibt damit dem »scheinbaren Paradox« Rousseaus verhaftet: »Mit ein und derselben Geste verachtet man die alphabetische Schrift«, das sie »serviles Instrument eines gesprochenen Wortes« ist, »das seine Fülle und Selbstpräsenz erträumt,« und »verweigert den nicht-alphabetischen Zeichen die Ehre, überhaupt Schrift zu sein.«[94] So erweist sich, dass das Bemühen von Lévi-Strauss, dem Wilden Denken (Frankfurt/M. 1968) seine eigene Würde und Bedeutung zu geben, wie einflussreich es auch gewesen sein mag, nicht durchschlagend ist, sofern es in dem ethnozentrischen Gegensatz von Wildheit und Zivilisation stecken bleibt. 

            Johannes Fabian, selbst Ethnologe, bringt die methodologische Kalamität seines Fachs auf den Punkt, wenn er zeigt, dass der Andere der anderen Kultur, die Gegenstand dieser Wissenschaft ist, als Anderer auf einer früheren Stufe der menschlichen Evolution angesiedelt wird. Obwohl sich im Einzelnen durchaus Vergleiche zwischen den Beobachtungen in den untersuchten Kulturen und in der eigenen Vergangenheit ergeben, ist es ein Fehler, diese Kulturen auf einer früheren Entwicklungsstufe der Kultur zu fixieren. Letzten Endes ist es das Entwicklungsdenken oder noch allgemeiner: das Zeitdenken der Ethnologie, durch das der Andere der anderen Kultur nicht in seiner Verschiedenheit und Gleichrangigkeit erfasst wird.[95] Was bei ihm vor allem nicht gesucht und deshalb auch nicht gefunden wird, ist (wie zu Hegels Zeiten) Philosophie. In zwei willkürlich gewählten aktuellen Lehrbüchern der »Cultural Anthropology« werden zwar Sprache und Strukturen der Sprache, Religion, besonders auch Kosmologie, Kunst in ihren verschiedenen Formen oder auch das Rechtswesen in eigenen Kapiteln behandelt, aber Philosophie oder philosophische Weisheitslehre (sagacity) werden nicht erwähnt.[96]

Demgegenüber hat Paul Radin, der die von den Ethnologen untersuchten Kulturen noch »primitiv« nennt, ihre Fähigkeit zur Philosophie klar erfasst und eindrucksvolle Beispiele dafür veröffentlicht. [97] Der belgische Missionar Placide Tempels hat die Sprache und Sprachstrukturen der Luba, eines Volkes in Zentralafrika, zum Ausgangspunkt der Erfassung der Bantu Philosophie (Heidelberg 1956, nicht im Buchhandel erschienene flämische Originalausgabe 1945) gemacht. Kwame Gyekye und Gerald J. Wanjohi haben für die Akan in Ghana und die Gikuyu in Kenia deren Sprichwörter als primäre Quelle ihrer Philosophie herangezogen. [98] Herny Odera Oruka, selbst Sohn eines philosophischen Weisheitslehrers (sage) der Luo, eines Volkes im heutigen Westkenia, und an schwedischen und US-amerikanischen Universitäten ausgebildeter Philosoph,  sowie Amadou Hampaté Bâ, selbst Schüler des »Sage de Bandiagara«, der Hauptstadt des Dogon-Gebiets, und an französischen Universitäten ausgebildeter Philosoph, haben die Personengruppe der philosophischen Weisheitslehrer in den traditionellen afrikanischen Gemeinschaften als solche herausgestellt und ihre Funktion und Beispiele ihrer Lehren bekannt gemacht. [99]

2. Vergleichende Philosophie mit ihren regionalen und methodischen Grenzen

         

Wilhelm von Humboldts Abhandlung Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Mahabharata (Berlin 1826), die Hegel in den von ihm herausgegebenen »Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik« (Jahrgang 1827) ausführlich bespricht, [100] markiert den Anfang einer genaueren Kenntnisnahme und Würdigung der indischen Philosophie in der europäisch-westlichen Tradition. Humboldt bezieht sich unter anderem auf die Ausgabe und lateinische Übersetzung der Bhagavad-Gita von August Wilhelm Schlegel (Berlin 1823) und benutzt die Auszüge aus den Veden, die in englischer Übersetzung von Henry Thomas Colebrooke in den Transactions of the Royal Asiatic Society (Bd I, Calcutta 1798) herausgegeben worden sind.

          Während Humboldt ziemlich unterschiedslos von »indischer Mythologie und Philosophie« spricht und für eine genaue und gründliche Kenntnis jedes einzelnen Textes eintritt, bevor ein Vergleich mit anderen Texten aus demselben inhaltlichen Zusammenhang erfolgen kann, sucht Hegel deutlich zu machen, dass es sich hier um »Quellen« der Philosophie im Sinn von Vorformen handelt und dass es gilt, »eine Kenntnis von allgemeiner indischer Lehre« anzustreben. Die einzelnen Lehrstücke der indischen Philosophie, insbesondere die Yoga-Lehre, erfüllen nach seiner Darstellung nicht die Forderungen, die man an eine systematisch aufgebaute wirkliche Philosophie stellen muss. Humboldts und Schlegels Bemühungen um die Texte bezeugen eine Offenheit gegenüber dem indischen Denken, das sie den deutschen Lesern nahe bringen wollen. Hegel vertieft sich ebenfalls gründlich in die Problemlage, kommt aber im Grunde zu einer weitgehenden, wenn auch »versteckten« oder ironisch gebrochenen Kritik. Das zeigt sich besonders deutlich in seiner Auseinandersetzung mit Colebrookes These, das indische Einheitsdenken bedinge in der Theologie einen Monotheismus. Obgleich »diese Bestimmung nicht unrichtig ist«, kann die indische Religion, weil der Gottesbegriff nicht konkret ist, »eben so sehr der tollste Pantheismus« sein. Sofern aber nach der indischen Lehre das Eine zugleich in Allem ist, und zwar in allen empirischen Dingen, ist dies nach Hegel nicht nur Pantheismus, sondern eine »Allesgötterei«. [101]

          Die Erforschung des indischen Denkens und zunehmend auch des chinesischen Denkens, besonders des Daoismus und des Konfuzianismus, führen im 19. und 20. Jahrhundert zu zahlreichen hervorragenden Ergebnissen. Ich nenne nur einige wenige Namen: Paul Deussen, Max Weber, Friedrich Heiler, Walter Otto, Nathan Söderblom, Gerard van der Leeuw, Mircea Eliade, Richard Wilhelm, Gustav Mensching, Helmuth von Glasenapp. Ihre Arbeiten sind von ihnen selbst nicht in erster Linie als philosophisch oder als Beiträge zur Vergleichenden Philosophie, sondern als religionsphilosophisch, -soziologisch, -wissenschaftlich, -phänomenologisch, -historisch klassifiziert. Die vergleichenden Aspekte sind in der Tat nicht von allgemein oder grundsätzlich philosophischer Art. Im europäisch-westlichen philosophischen Diskurs werden sie nicht als Beiträge zur philosophischen Problematik und Literatur im strikten Sinn zur Kenntnis genommen. Ähnliches gilt für die bahnbrechenden Arbeiten von James Legge zu den Klassikern der chinesischen Philosophie oder von Joseph Needham zur chinesischen Wissenschaftsphilosophie und -geschichte. Der organisatorische Zusammenhang, in dem diese Arbeiten an den europäisch-westlichen Universitäten ausgeführt werden und in Forschung und Lehre eine Rolle spielen, sind dann auch nicht die Abteilungen, Institute oder Seminare für Philosophie, sondern speziell religionswissenschaftliche oder -soziologische Institute oder philosophische Lehrstühle in den Abteilungen für Indologie und Sinologie.

          Das japanische Denken kommt erst später ins Bild. Es wird direkter auf Probleme bezogen, die im europäisch-westlichen Sinn als eigentlich philosophisch gelten, und von hier aus kommt es sehr bald zu interkulturell philosophischen Fragestellungen. Das Besondere dieses fernöstlichen Denkens im Vergleich zur europäisch-westlichen Tradition der Philosophie wird von japanischer Seite eindringlich formuliert. Auf Kitaro Nishida, Keiji Nishitani und auch auf die zusammenfassende Präsentation der Philosophie der Kyoto-Schule durch Ryôsuke Ohashi [102] komme ich im nächsten Kapitel ausführlicher  zurück.

            Wie die japanische wird auch die indische Philosophie seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts von einheimischen Autoren in einer Weise präsentiert, die weltweite Beachtung und Anerkennung findet. Dafür stehen Namen wie Sri Radakrishnan, Sri Aurobindo, Raymondo Pannikar, Ram Adhar Mall. Indische Philosophen gehen auch vergleichende Studien mit westlichem Denken an. [103] Dasselbe lässt sich von der chinesischen Philosophie sagen, auch wenn Namen wie Wang Gung-Hsing, Lin Yutang, Fung Yu-Lan oder Liu Wu-chi weniger bekannt sind. Vergleiche mit dem Westen, besonders mit Heidegger, finden sich auch hier recht häufig. [104] In der Ära Mao Tsetungs und ihrer Nachgeschichte werden die sogenannten philosophischen Auseinandersetzungen, die im Rahmen der sozialistisch-kommunistischen Länder auch international ein breites Echo finden, von politisch-ideologischen Prämissen aus geführt. [105]  

            Vergleichende Philosophie kommt innerhalb der europäisch-westlichen Arbeitszusammenhänge nur mühsam in Gang. Wichtige Namen sind Paul O. Ingram, Frederick J. Streng, Robert E. Allinson, Roger T. Ames. Das Institut Philosophy East and West in Honolulu hat mehr als hundert Mitarbeiter. Die Ergebnisse lassen indessen zu wünschen übrig. Der anfängliche Gedanke des Instituts in Honolulu (1939), eine Weltphilosophie als Synthese der östlichen und westlichen zu entwickeln, verflacht zu einer Ansammlung von Detailanalysen zur nicht-westlichen (=östlichen) Philosophie. Und auch die Versuche einer Global History of Philosophy können die in sie gestellten Erwartungen nicht erfüllen. [106] Die Begrenzung auf östliche und westliche Philosophie als Bezugsrahmen der Vergleichenden Philosophie wird von den Vertretern dieses Faches auf keine Weise adäquat begründet. Auch das Argument, dass es neben der europäisch-westlichen Tradition keine Texte einer schriftlich überlieferten Philosophie gibt, ist ja keineswegs stichhaltig. Dagegen wäre nicht nur die arabische philosophische Tradition ins Feld zu führen, sondern auch die Geschichte der äthiopischen Philosophie, deren älteste Dokumente immerhin ins 5. Jahrhundert n.Chr. zurückreichen. Ich werde am Beispiel der subsaharisch afrikanischen Philosophie zeigen, dass primär mündlich tradierte philosophische Inhalte den schriftlich fixierten Texten prinzipiell im Rang nicht nachstehen.

          Die Methode des Vergleichens philosophischer Inhalte und Traditionen bedeutet, dass ein  äußeres Herangehen gewählt wird. Das kann den verschiedenen Inhalten dieser Philosophien nicht gerecht werden. Die Inhalte werden unvermeidlicherweise auf einander einwirken, wenn sie  neben einander gestellt werden. Deshalb ist für die interkulturelle Philosophie die Methode – oder besser – der Weg von Dialogen zu bevorzugen. Dazu ist oben (in der Einleitung) bereits einiges bemerkt worden. Genauer ist darauf am Beginn des nächsten Kapitels einzugehen.

            Eine ausführliche und gründliche Untersuchung zur Vergleichenden oder Komparativen Philosophie, die auch die methodischen Fragen angeht, hat der belgische Sinologe und Philosoph Ulrich Libbrecht vorgelegt. Im ersten Band seiner Studie stellt er »Ansatz und Entwicklung eines komparativen Modells« vor. Er möchte, ausgehend von chinesischer, indischer und westlicher Philosophie, die grundsätzlichen Wege und Möglichkeiten des Philosophierens formal erfassen. Es handelt sich dabei nicht um ein »passives Vergleichen«, weil nicht Inhalte und Strukturen des Denkens inventarisiert werden, wie sie an der Oberfläche erkennbar sind, sondern um ein Durchdringen zu den »Tiefenstrukturen«, die auf charakteristische Weise unterschieden sind und doch zusammengehören. Auf diesem Wege erweisen sich die philosophischen Systeme weithin als »intellektueller Ausdruck  der Weltreligionen«. [107]

            Die drei grundsätzlich möglichen philosophischen Systeme sind im Kern (1) westlicher Rationalismus, dem (2) indischer Mystizismus gegenübersteht, die beide eine je verschiedene Beziehung zum (3) chinesischen Naturalismus unterhalten. Die beiden ersten Systeme kennen einen Zugang zu einer intelligiblen Welt, der logisch unterbaut oder erfahrungsmäßig erlebt wird, während das dritte für einen konsequenten Immanentismus steht. Wenn es im Westen um eine aktive, auf richtiges Handeln gerichtete Grundkonzeption geht, sind für die indische Tradition »Ruhe und Einsamkeit, Leere und Nicht-handeln« charakteristisch. Die chinesische Philosophie wird demgegenüber durch ein Harmoniestreben gekennzeichnet,  das physische und psychische Komponenten mit einander verbindet. [108]

            Nun beansprucht Libbrecht zwar nicht, damit schon alle möglichen Weisen des Philosophierens erfasst zu haben. Das vorgestellte Modell gleicht vielmehr einer Schwarz-Weiß-Darstellung, die nur die möglichen Extreme verzeichnet. Dazwischen lassen sich nach seiner Auffassung beliebig viele andere Weisen des Philosophierens als verschiedene Grautöne ansiedeln. So behandelt er in Teil II die indianische Weltanschauung, die dem chinesischen Daoismus und seinem Naturbegriff verwandt ist, und das Denken in Japan und in Irland, die in der östlichen bzw. westlichen Welt einen Kontrapunkt zu Naturalismus und Rationalismus bilden. [109] Dennoch lassen sich auf diesem Weg die regionalen und methodischen Grenzen der Vergleichenden Philosophie nicht überwinden.

Wenn Libbrecht »eine gleichwertige Herangehensweise aller Kulturen mit einer geschriebenen Geschichte« als Ausgangspunkt wählt, [110] wo bleiben dann die Kulturen, die keine geschriebene, sondern eine primär mündliche Überlieferung kennen? Worauf basiert die Voraussetzung, dass sich auf der Grundlage der chinesischen, indischen und westlichen Philosophie ein Modell entwickeln lässt, das alle anderen Philosophien auf der Erde mit umfasst? Auch die Bevorzugung systematischen Philosophierens ist nicht näher begründet. Daneben gibt es eine ganze Palette anderer Weisen zu philosophieren, die dem Systemdenken gleichwertig sind. Gerade das dialogische Philosophieren ist hier zu nennen, das in der westlichen Tradition sein großes Vorbild in Platon findet, aber auch das aphoristische Philosophieren, das im Westen von keinen Geringeren als Friedrich Nietzsche und dem späteren Ludwig Wittgenstein praktiziert wird, oder auch Theodor W. Adornos Versuche, an die Stelle der Systeme Essays und Modelle zur Erfassung von Konstellationen zu setzen, sowie schließlich eine eher narrative Philosophie, die in der französischen Tradition wichtige Vertreter kennt (Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Luce Irigaray, Julia Kristeva) und die für die subsaharisch afrikanische Philosophie sehr kennzeichnend ist.

       

IV. Ansätze zur Interkulturalität in Dialogen westlicher Philosophie mit Philosophien anderer Kulturen

         

Philosophie scheint sich dem »Auge des Ethnographen« weitestgehend zu entziehen, auch wenn er – wie etwa Michel Leiris – allen Ernstes darum ringt, eigene, europäisch-westliche Voraussetzungen des Sehens so wenig wie möglich ins Spiel zu bringen. [111] Vergleichende Philosophie geht von einem Philosophiebegriff aus, der sich an primär schriftlichen Formen der Kommunikation und Überlieferung orientiert, der aber auch im Rahmen dieser nicht ausgewiesenen oder eigens begründeten Begrenzung selektiv angelegt ist, sofern er arabische und äthiopische Philosophie nicht einbezieht. Und die Methode des Vergleichens bleibt eine äußerliche Herangehensweise. Der »Durchbruch zur interkulturellen Philosophie«, der im II. Kapitel im Kontext des europäisch-westlichen philosophischen Diskurses beschrieben worden ist, lässt sich an dieser Stelle so zusammenfassen, dass (1) nicht nur (a) die Verschränkung des ethnographischen mit dem kolonialen Blick, sondern auch (b) die notwendigerweise objektivierende Blickrichtung des empirischen Beobachtens und Beschreibens überwunden werden und dass (2) die Begrenzung der Vergleichenden Philosophie (a) auf »Kulturen mit einer geschriebenen Geschichte« sowie auf Grund unklarer Auswahlkriterien und (b) durch die äußerlich bleibende Methode des Vergleichens überschritten werden. Zugleich soll betont werden, dass dieser Durchbruch bisher erst in einigen Ansätzen vollzogen ist, die hier beispielhaft vorgestellt werden sollen.

            Philosophie gehört – wie Kunst – zur conditio humana und ist im Zusammenhang mit bestimmten gesellschaftlich-geschichtlichen Bedingungen, auf die ich in den »Abschließenden Überlegungen« näher eingehe, in allen Kulturen anzutreffen. Die Philosophien der verschiedenen Kulturen sind – wie diese insgesamt – dem Rang nach gleich und dem Inhalt nach verschieden. Es gibt keine Höherentwicklung von früheren zu späteren Philosophien und kein grundsätzliches Höher- oder Tieferstehen gleichzeitig neben einander bestehender Kulturen und ihrer Philosophien. In methodischer Hinsicht kann es hier nicht darum gehen, die Philosophien verschiedener Kulturen empirisch zu erforschen und zu beschreiben. Sie entziehen sich einer solchen Herangehensweise und würden sich bei ihrer Anwendung womöglich in Nichts auflösen Von europäisch-westlicher philosophischer Seite aus erscheint für den Umgang der Philosophen/Philosophien verschiedener Kulturen mit einander die Methode oder der Weg von Dialogen am angemessensten zu sein, die/der in dieser Tradition am stärksten Offenheit für den/die Anderen und Gleichrangigkeit der verschiedenen Partner ermöglicht.

         

1. Die Methode oder der Weg interkulturell philosophischer Dialoge

         

In der Einleitung sind bereits einige Merkmale von Dialogen, insbesondere interkulturell philosophischen Dialogen genannt worden: (1) Die Dialogpartner sind dem Rang nach gleich, ihre Auffassungen dem Inhalt nach verschieden, (2) Dialoge sind durch Offenheit im Blick auf das zu erreichende Ergebnis gekennzeichnet, (3) die Mittel und Wege, die zum Verständnis führen, sind nicht nur diskursiv-sprachlicher Art, (4) Dialogen liegt die Erwartung zu Grunde, dass der/die Andere/n mir etwas zu sagen hat (haben), das ich mir auf keine Weise, etwa auf Grund meiner Teilhabe an der allgemeinen menschlichen Vernunft, auch selbst hätte sagen können. Diese Merkmale sollen hier in einen etwas weiteren Kontext einbezogen und ergänzt werden.

          Nicht nur bei interkulturell philosophischen Dialogen, sondern bei Dialogen allgemein ist es wichtig, dass die Personen, die am Dialog teilnehmen, im Idealfall leiblich anwesend sind. Dabei findet bereits vorsprachlich vielfacher Austausch statt. Das Antlitz des Dialogpartners qualifiziert ihn als solchen. Wenn jemanden der Blick des/der Anderen trifft, sind darauf unterschiedliche Antworten möglich. Die Blicke der Dialogpartner können sich positiv begegnen, indifferent bleiben oder sich ausweichen. Außer dem Blickkontakt gibt es eine Reihe anderer multisensorischer Wechselbezüge. Dazu gehören auch die Gestik und der Tonfall, die den sprachlich geführten Dialog begleiten und im Prozess des gegenseitigen Verstehens eine Rolle spielen.   

            Dialoge kommen nur zu Stande, wenn für das Thema, um das es geht, ein gewisses Vorverständnis bei den Dialogpartnern vorhanden ist. Man kann es vielleicht auch vorsichtiger so ausdrücken, dass ein vorgeschlagenes Thema bei den Betroffenen eine Resonanz erzeugen muss, die nicht notwendigerweise bereits inhaltlich weitgehend artikuliert zu sein braucht. Ein Dialog, wenn er zustande kommt, unterliegt zwar bestimmten Regeln, ist aber an diese nicht in einem äußerlichen verfahrensmäßigen Sinn gebunden. Es sind eher die Regeln der Höflichkeit, die ein spontanes Agieren und Reagieren nicht ausschließen. Grundsätzlich erkennen sich die Dialogpartner – wie gesagt – gegenseitig als gleichberechtigt an. Sie versammeln sich gewissermaßen um die offene Mitte eines »Zwischen«, das sie verbindet und in ihren Standpunkten auch frei lässt.

            Martin Buber hat in seinen »Schriften zum dialogischen Prinzip« eindringliche Analysen zu diesem Zwischen vorgelegt. Es geht ihm um den Dialog des Ich mit dem Du, der durch eine Instanz zwischen beiden vermittelt wird. Diese Instanz ist unverfügbar und wird von den Beteiligten als Geschenk erfahren. [112] An den interkulturellen Dialogen, die uns hier beschäftigen, werden in der Regel mehrere Personen beteiligt sein. Dementsprechend ist das Zwischen von etwas anderer Art, vielleicht weniger intim und wohl auch weniger intensiv. Ferner sprechen wir bewusst von Dialogen in der Mehrzahl, da interkulturelle Verständigung eine vielfältige und häufig zu wiederholende Anwendung des »dialogischen Prinzips« erfordert.    

            Dennoch lässt es sich nicht vermeiden, dass bei Dialogen auch Machtpositionen im Spiel sind, die auf Lebensalter, Energie und Kompetenz der Beteiligten beruhen und die zu dem »zwanglosen Zwang« des besseren Arguments, von dem Aristoteles spricht, hinzutreten. Freilich kann und soll in Dialogen so viel wie möglich argumentiert werden. Aber man muss sich irren können, und man muss beschämt sein können, ohne dass dies zum Abbruch des Dialogs führt. Die Meinung des Einzelnen muss sich nicht vor der Instanz eines herrschenden Diskurses oder gängiger Auffassungen rechtfertigen. »Wer überhaupt etwas meint, meint auch immer etwas Richtiges«, hat Hans-Georg Gadamer einmal gesagt. Das Ergebnis eines Dialogs beruht deshalb nicht auf der überlegenen Position des einen oder anderen der Beteiligten. Es ist auch nicht als »Verschmelzung der Horizonte« der Beteiligten zu charakterisieren, wie es bei Gadamer geschieht. [113] An den platonischen Dialogen kann man ablesen, dass ihr Ergebnis in ihrem Vollzug zur Erscheinung kommt.

            In seinem neuesten Platon-Buch hat Gernot Böhme von der Technischen Hochschule Darmstadt die Dialogform der Platonischen Philosophie so beschrieben, dass darin »philosophische Gedankengänge … in einer Gesprächssituation« entwickelt werden, das heißt »aus den Voraussetzungen heraus, die bei den Gesprächspartnern unterstellt werden oder von ihnen selbst gemacht werden«. [114] Die theoretische Begründung der Dialoge »als Weg der Erkenntnisgewinnung« nennt Platon Dialektik. Diese Methode oder der Weg der Dialektik wird von ihm doppelt charakterisiert. Nach dem Dialog Politeia (Vom Staat, 531e5f.) geht es einerseits um das »lógon didónai«, das am besten mit »Rechenschaft ablegen« übersetzt wird, und andererseits um das »apodéchesthai«, das für ein nicht passiv gemeintes »Rede entgegennehmen« steht. Der »entgegennehmende Teil, in der Regel Sokrates, ist [vielmehr] der eigentlich aktive«. Die auch als Maieutik (Hebammenkunst) bekannte Gesprächsführung von Sokrates beruht darauf, dass er sich die richtigen »Fragen einfallen lassen« kann und dass in seinem Entgegennehmen der Antworten ein »Akt der Billigung« liegt, »durch die ein möglicher Konsensus konstituiert wird«.

            Nun setzt die Rolle des Sokrates in den Platonischen Dialogen eine überlegene Sachkompetenz voraus. Meist besteht ein Lehrer-Schüler-Verhältnis mit dem zugehörigen Autoritäts- und Machtsgefälle, das aber ausschließlich auf der größeren Sachkompetenz begründet ist. Sokrates nimmt sich und seine überlegene Position in der Gesprächssituation auch stets wieder zurück, indem er darauf besteht, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht die seinen sind, sondern von den Gesprächspartnern eingebracht werden und an den Vollzug des Dialogs gebunden sind. Diese Erkenntnisse lassen sich nicht auch als Teile eines systematischen Lehrgebäudes darstellen, das die Philosophie Platons enthält. Damit würde man die »trotz aller Strenge immer wieder spürbaren spielerischen und tentativen Züge seiner Philosophie« verkennen.   

            Die Minimierung der Gewaltverhältnisse, wie sie in  philosophischen Dialogen möglich ist und für den interkulturellen Umgang mit einander aus westlicher Sicht am angemessensten erscheint, hat eine unmittelbare politische Konsequenz. Sie enthält die Aufforderung an andere Formen der Kommunikation in der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder Kunst diese dialogischer zu machen. Man kann auch sagen, dass Dialoge eine Gegeninstanz der stärker auf Machtunterschieden beruhenden Kommunikationsformen bilden.

            In Dialogen, insbesondere in interkulturellen Dialogen bleiben Elemente des Nichtverstehens. Ein Dialog ist nur, was er ist, wenn er auch scheitern kann. Wichtig ist der Respekt vor den Auffassungen des Anderen, auch wenn man sie im eigenen Verständnishorizont nicht unterbringen kann. Dieser Respekt beruht auf dem Vertrauen zu dem Partner, der sich der Situation des Dialogs ausgesetzt hat. Freilich ist in Dialogen oder an ihrer Grenze festzuhalten, dass nur Respekt verdient, wer selbst respektiert. Und es muss klar sein, dass die Kommunikationsform der Dialoge eine Zugangsmöglichkeit zur interkulturellen Philosophie ist, die von europäisch-westlicher Seit aus konzipiert und angeboten wird. Damit ist zugleich gesagt, dass in den Dialogen die Offenheit eingeschlossen ist, zu anderen Kommunikationsformen überzugehen, wenn sich diese als angemessener erweisen.

            Interkulturell philosophische Dialoge konstituieren sich, sofern zwischen den Philosophen/Philosophien verschiedener Kulturen gemeinsam interessierende Themen bearbeitet werden. Dabei kann das Interesse an dem Beitrag des/der Anderen besonders auch darauf beruhen, dass er/sie von seinen/ihren Voraussetzungen aus etwas einbringen kann/können, das im Arsenal der Denkmittel oder -möglichkeiten der eigenen Tradition gerade nicht aufzufinden oder darin verschüttet und in Vergessenheit geraten ist. Es ist unstreitig, dass interkulturelle Philosophie sich als eine Vielzahl solcher Dialoge vollzieht, die dann wieder durch das Wort »Polylog« in der Einzahl bezeichnet werden kann. Darauf ist oben (s. Anm. 7 und den zugehörigen Text) bereits hingewiesen worden. Die Zeitschrift polylog, in ihrer gedruckten und in ihrer Internetversion, [115] wird diesem Anspruch auf vorbildliche Weise gerecht. Deshalb mache ich bei der Darstellung interkulturell philosophischer Dialoge zwischen westlichen und verschiedenen nicht-westlichen Philosophien unter anderem von dieser Zeitschrift dankbar Gebrauch.

          Die hier folgende Darstellung interkulturell philosophischer Dialoge schließt sich im übrigen weitgehend bei der Arbeit von verschiedenen Gesellschaften und Institutionen an, die auf diesem Gebiet tätig sind. Die Gesellschaft für interkulturelle Philosophie (GIP) mit Sitz in Köln (gegründet 1990) und einer großen Zahl von Mitgliedern aus aller Welt hat Schwestergesellschaften in Österreich: Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie (WiGIP) und in den Niederlanden: Nederlands-Vlaamse Vereniging voor Interculturele Filosofie (NVVIF) mit Sitz in Rotterdam. Mit der Arbeit dieser Gesellschaften eng verbunden ist das Publikationsorgan Studien zur interkulturellen Philosophie (hg. von H. Kimmerle und R.A. Mall im Rodopi Verlag in Amsterdam und Atlanta, GA), in denen Beiträge in deutscher, englischer und französischer Sprache veröffentlicht werden und von denen in der Zeit von 1993 bis 2001 elf Bände erschienen sind.  An der Erasmus Universität Rotterdam gibt es einen Arbeitszusammenhang zur interkulturellen Philosophie, der 1990 mit der Einrichtung eines besonderen (das heißt von einer Stiftung finanzierten) Lehrstuhls für Grundlagen der interkulturellen Philosophie, mit einem Schwerpunkt auf afrikanischer Philosophie, begonnen hat. Und im Institut für Philosophie der Ruhr-Universität Bochum arbeitet Jürgen Hengelbrock, auch in Verbindung mit dem Fachverband Philosophie (für Philosophielehrer an Gymnasien) kontinuierlich an Fragen der interkulturellen Philosophie, insbesondere dem Dialog mit afrikanischer Philosophie. Von diesen Gesellschaften und Institutionen aus haben sich zahlreiche individuelle und institutionelle Kontakte und Projekte der Zusammenarbeit ergeben mit Philosophen und philosophischen Einrichtungen in anderen Kulturen.    

            Dialoge und Auseinandersetzungen westlicher Philosophie mit philosophischen Traditionen in bestimmten anderen Kulturen werden von verschiedenen Universitäten, Institutionen und einzelnen Personen organisiert. Für die Ost-West-Dialoge ist noch einmal das Institut und das Publikationsorgan Philosophy East and West in Honolulu zu erwähnen. Auf diesem Gebiet arbeiten auch Robert E. Allinson von der Chinese University of Hong Kong, die School voor Comparatieve Filosofie in Antwerpen und die Stichting Filosofie Oost-West in Utrecht, wobei letztere seit einigen Jahren auch afrikanische Philosophie in ihr Programm aufgenommen hat. Um afrikanisch-westliche Dialoge bemühen sich die Society for African Philosophy in North-America (SAPINA) und auch einige afrikanische Universitäten, besonders in Kinshasa, Addis Abeba, Nairobi, Lagos, Ibadan, Legon-Accra, Abidjan, Dakar und Pretoria. Den Dialogen mit lateinamerikanischer Philosophie widmet sich – wie in der Einleitung schon erwähnt – eine Gruppe um den in Aachen lehrenden Raúl Fornet-Betancourt in Zusammenarbeit  mit dem Verlag für interkulturelle Kommunikation (IKO) in Frankfurt/Main.

            Es versteht sich von selbst, dass diese Aufzählung, die den Erfahrungshintergrund des hier vorliegenden Textes umschreibt, subjektiv eingefärbt ist. Die Reihenfolge der Darstellung: Dialoge mit östlichen Philosophien (Indien, China, Japan), mit islamischer Philosophie, mit latein- bzw. iberoamerikanischer Philosophie, mit afrikanischer und anderen primär mündlich überlieferten Philosophien sucht der zeitlichen Abfolge nachzugehen, in der diese Philosophien seit der Aufklärung als mögliche Dialogpartner in den Horizont der europäisch-westlichen Philosophie getreten sind. Dabei ist klar, dass innerhalb der westlichen Philosophie bestimmte Positionen als Ausgangspunkte eingenommen werden. Es wären gewiss auch Dialoge über die entsprechenden Themen innerhalb der europäisch-westlichen Philosophie möglich und notwendig. Insofern sind intrakulturelle und interkulturelle philosophische Dialoge mit einander verbunden. Ich möchte indessen an der Besonderheit der interkulturellen Dialoge festhalten, wie sie von europäisch-westlichen Auffassungen aus mit Philosophen und Philosophien anderer Kulturen geführt werden und bei denen – wie oben gezeigt – ein höherer Grad an zu überwindender und bestehen bleibender Fremdheit vorauszusetzen ist.

2. Dialoge mit östlichen Philosophien (Indien, China, Japan)

Der Buddhismus als religiöse Theorie und Praxis mit deutlichen philosophischen Lehrinhalten ist in Indien entstanden. Als die Lebenszeit seines Stifters, Buddha Siddhârta, auch Gautama genannt, »sind von der europäischen Forschung die Jahre um 560-480 v.Chr. ermittelt worden«. [116] Das muss als der Versuch einer Präzisierung verschiedener Angaben gewertet werden, die in früher Zeit von Anhängern dieser Religion gemacht worden sind. In der Zeit von ca. 250 – ca. 700 n.Chr. hat sich der Buddhismus nach Indonesien, China, Japan und Tibet ausgedehnt, wo seine Lehren auf je spezifische Weise weiter entwickelt worden sind. Die philosophischen Aspekte des Buddhismus bilden demgemäss für die östlichen Philosophien von Indien, China und Japan, die hier entsprechend der gängigen Forschungspraxis als repräsentativ ausgewählt worden sind, einen gewissen gemeinsamen Nenner, wobei die je spezifischen Weiterentwicklungen freilich nicht vergessen werden. Deshalb soll ein Beitrag des Buddhismus zu einem weltweit, aber gerade auch im Westen aktuellen philosophischen Thema den Anfang der Darstellung von Dialogen mit diesen Philosophien bilden. Ich beziehe mich auf das Thema »Gerechtigkeit« und referiere hier einen Artikel von Sungtaek Cho, Professor für Religious Studies an der New York State University in Stony Brook, den er in der Zeitschrift polylog veröffentlicht hat. [117]

            Cho bezieht sich auf den Mahayana-Buddhismus, der die ursprüngliche Lehre, den Hinayana-Buddhismus, in den ersten  drei Jahrhunderten n.Chr. weiter ausgearbeitet hat und der dann in China, »oft gerade in Zeiten politischer Instabilität«, eine wichtige Rolle gespielt hat. Die »ureigenste Natur des Buddhismus als ein ontologischer Diskurs, der auf die individuelle Erlösung durch eine innere Transformation zielt«, die schließlich zum »Erwachen« oder zur »Erleuchtung« führt, bedingt eine nicht gering einzuschätzende Schwierigkeit für die Ausarbeitung einer sozialen und politischen Philosophie, eine Schwierigkeit, die der Buddhismus freilich mit anderen Erlösungsreligionen teilt. Indessen sieht Cho im Begriff der »Selbstlosigkeit«, der in der buddhistischen Lehre zentral ist, eine »Basis für eine buddhistische Theorie von sozialer Gerechtigkeit«.  Von dieser Basis aus bezieht er die buddhistischen Auffassungen auf das im Westen tonangebende Werk des amerikanischen Philosophen John Rawls: A Theory of Justice (Cambridge, MA 1971, deutsche Übers. 1977).

            Während Rawls’ Theorie, unabhängig von den »moralischen Neigungen in den Individuen«, Gerechtigkeit in den »sozialen Institutionen« zu verankern sucht, wird »das buddhistische Modell weniger Wert auf soziale Institutionen und mehr Wert auf persönliches Verhalten, vor allem auf persönliche Qualitäten wie Mitleid und Wohlwollen legen«. Für Rawls ist »das Erreichen von sozialer Gerechtigkeit ein Selbstzweck«, für den Buddhismus dagegen »muss letztendlich auch die Frage der sozialen Gerechtigkeit zurück auf den Weg zur Erleuchtung führen«. Das Ideal des Bodhisattvas, das den Buddhisten zu einem »Anwärter auf die Buddhaschaft« macht, bedeutet, dass der Bodhisattva sein eigenes Selbst aufgibt und zum Selbst der ganzen Welt erweitert, um »die Last alles Leidens« nicht nur der Menschen, sondern aller »lebenden Wesen« auf sich zu nehmen. Dabei ergibt sich dann eine Übereinstimmung mit Rawls’ Theorie. »Genau wie Rawls’ Gründerväter gezwungen sind, sich vorzustellen, dass sie möglicherweise irgendwer in der Gesellschaft sein könnten, um die Fairness ihrer Gesetze zu gewährleisten, so verlangt die Lehre von der Selbstlosigkeit, dass sich Buddhisten tatsächlich als jeder innerhalb der Gesellschaft sehen«. In dieser religiösen Forderung an die Buddhisten liegt nach Cho eine philosophische Erkenntnis, sofern sie »eine solide rationale Basis für das soziale Handeln« bietet.

 

          Auf diese Weise wird deutlich, dass im Mahayana-Buddhismus in seiner chinesischen Ausprägung Motive liegen, die für heutige philosophische Fragen wichtig sind. Sie können zu Fragestellungen in der westlichen Philosophie ins Verhältnis gesetzt werden, um ein umfassenderes Modell zur Lösung der entsprechenden Fragen zu erarbeiten. Das Motiv der Selbstlosigkeit hat dabei in den östlichen Philosophien ältere Wurzeln als die Aufstellung des Bodhisattva-Ideals im Buddhismus der ersten Jahrhunderte n.Chr. Es reicht zurück in die Periode der Vedas und der Upanishaden in der indischen Philosophie, die für die Zeit von 2500-600 v.Chr. angesetzt wird. Seine eigentliche Wurzel muss man wohl in dem Gedanken sehen, dass brahman (das Absolute in seiner objektiven Gestalt) zugleich atman (das Absolute in seiner subjektiven Gestalt) ist. Diese frühe Form des Einheitsdenkens wird in philosophisch-religiösen Systemen vielfach weiter ausgearbeitet, die von den Upanishaden ausgehen und unter dem Namen Advaita Vedanta (Nicht-Zweiheit lehrende Veda-Philosophie) tradiert werden. »Als solche sind sie orthodox-hinduistisch und gehören zu den anerkannten darshana’s (wörtlich Betrachtungsweisen), wie auch Yoga und Samkhya«. [118]

          Douwe Tiermersma, der den Arbeitszusammenhang der interkulturellen Philosophie in Rotterdam weiterführt, betont die aktuelle Bedeutung der Advaita Vedanta-Tradition, die mit den Upanishaden, sowie der Bhagavadgitaö und den Brahma- und Vedanta-Sutras (600 v.Chr.-200 n.Chr.) beginnt und über Gaudapada, Govinda und Shankara (im 8. Jahrhundert n.Chr.), Ramanuja und Madhva (im 12. und 13. Jahrhundert) bis zu Ramakrishna und Ramana Maharshi (im 19. und 20. Jahrhundert) führt. Nach Tiemersma liegt die aktuelle Bedeutung dieser Tradition darin, dass sie in der Situation eines radikalen Relativismus, eines Verlusts an Gewissheit in theoretischen und praktischen Zusammenhängen, wie sie durch Nietzsche  oder die französischen Differenzphilosophen markiert wird, einen Weg aufzeigen kann. Dabei geht es nicht nur um das spezifische Problem der sozialen Gerechtigkeit, sondern um eine mystische Erfahrung, in der das Selbst sich zum Selbst »alles dessen was lebt« erweitert, so dass das Selbst-sein auch das Sein des/der Anderen umfasst. Diese Auffassungen der hinduistischen Philosophie werden auf den Rotterdamer Advaita-Symposien mit westlichen Konzeptionen von Hume und Kant bis zu Heidegger und Ricoeur und der jüdischen Dialog-Philosophie (insbesondere Rosenzweig, Buber und Levinas) ins Gespräch gebracht. [119]

            Für eine zusammenfassende deutschsprachige Darstellung der aktuellen Bedeutung des Buddhismus und Hinduismus als Dialogpartner westlicher Philosophie und Religion sind zwei Bücher Ram Adhar Malls zu erwähnen, des Gründers und langjährigen Präsidenten der »Gesellschaft für interkulturelle Philosophie«, der ja – wie oben bereits bemerkt – aus Indien kommt und seit langen Jahren in Deutschland forscht und lehrt: Buddhismus. Religion der Postmoderne? (Hildesheim1990) und Der Hinduismus. Seine Stellung in der Vielfalt der Religionen (Darmstadt 1997).

          Zur Vervollständigung der philosophischen Tradition und aktuellen Situation in China, wie sie in vielfältigen Bezugnahmen und Auseinandersetzungen von westlicher Seite aus vorausgesetzt werden, ist auf die Jahrtausende alten, aber bis heute immer wieder relevanten Strömungen des Daoismus und des Konfuzianismus einzugehen. Dabei kann es hier nicht das Ziel sein, diese philosophischen Strömungen in ihrer für China gegebenen Bedeutung zu beschreiben, auch nicht in dem Sinn, dass so Material für Vergleiche oder Dialoge mit westlichem Denken bereit gestellt wird. Das geschieht in anderen Zusammenhängen wie dem der Sinologie und der komparativen Philosophie, deren Wichtigkeit unbestritten ist. Für die interkulturell philosophische Arbeit ist festzuhalten, was ich in meinem ersten Afrika-Buch vorangestellt habe, dass sie »von allem Anfang an dialogisch zu sein versucht«. [120]

          In dieser Perspektive ist es indessen wohl bedeutsam, dass klassische Texte der Sinologie und vergleichenden Religionswissenschaft heute in großen Auflagen nachgedruckt werden. Dies gilt zum Beispiel für das Buch von Helmuth von Glasenapp: Die fünf Weltreligionen, das 1963 erschienen ist und 2001 in der viel gelesenen »Diederichs Gelben Reihe«, die sich um die Verbreitung des Wissens um die »Weltkulturen« bemüht, neu aufgelegt wird. [121] Darin wird das große Interesse westlicher Leser an diesem Wissen sichtbar. Die hier zu besprechenden Strömungen des chinesischen Denkens: Daosimus und Konfuzianismus werden bei von Glasenapp treffend unter dem Begriff des »Chinesischen Universismus« zusammengefasst, der auch die Forderung einer »praktischen Verwirklichung der universellen Harmonie« beinhaltet. Dass in seiner Auswahl der »fünf Weltreligionen« die frühe Religion der Upanishaden, das Judentum und der Animismus fehlen, lasse ich hier auf sich beruhen. [122] Dagegen ist es wichtig zu betonen, dass im Daoismus und Konfuzianismus philosophische Gesichtspunkte, besonders die einer rationalen Kosmologie und einer politisch verbindlichen Ethik, deutlich im Vordergrund stehen.

            In den Veranstaltungen der Stichting Filosofie Oost-West werden für den Kontext der chinesischen Philosophie neben dem Buddhismus der Konfuzianismus von dem Amsterdamer Philosophen Karel van der Leeuw und der Daoismus, zusammen mit dem Yangismus, von der belgischen Sinologin Patricia Konings behandelt. Der Aufgabenstellung dieser Stiftung entsprechend geht es darum, die Wissensvermittlung so einzurichten, dass »die Übereinstimmungen und Unterschiede in Hinsicht auf das europäische Denken sichtbar werden«. Der Begriff Natur in Beziehung zur Natur des Menschen und die daraus herzuleitenden ethischen Verpflichtungen wie Authentizität und Sorge um den eigenen Körper stehen im Vordergrund. [123]

            Vor allem möchte ich hier jedoch den von Robert E. Allinson herausgegebenen Sammelband: Understanding the Chinese Mindl diskutieren, in dem neben Vertretern der Chinese University of Hong Kong, zu denen auch Allinson gehört, maßgebliche US-amerikanische Kenner der chinesischen Philosophie sowie der Direktor des Department of East Asian Studies der Universität von Oslo geschrieben haben. [124] Neben den methodisch wichtigen Beiträgen von Robert E. Allinson: »An Overview of the Chinese Mind«, John E. Smith: »Interpreting across Boundaries« und Lao Sze-Kwang: »On Understanding Chinese Philosophy: An Inquiry and a Proposal« beziehe ich mich auf die Artikel von Chung-Ying Cheng zum Daoismus und von Antonio S. Cua zum Konfuzianismus.

            Allinson definiert Philosophie als »Selbstreflexion einer Kultur«, die das Selbst-Verständnis (self-understanding) dieser Kultur artikuliert. Von hier aus begründet er die hermeneutisch recht gewagte These, dass es gilt, das Selbst-Verständnis der einen (nämlich fremden) durch das Selbst-Verständnis einer anderen (nämlich eigenen) Kultur zu verstehen. Darin sind meines Erachtens zwei Thesen zusammengebracht: (1) Das Verstehen einer anderen Kultur in ihrer Eigenart hat von der Position des Verstehens der Eigenart der eigenen Kultur auszugehen. (2) Philosophen einer bestimmten Kultur, das heißt diejenigen, die das Selbst-Verständnis dieser Kultur artikulieren, sind am ehesten in der Lage und auf Grund ihrer Tätigkeit prädisponiert, Philosophen einer anderen Kultur, die deren Selbst-Verständnis artikulieren, zu verstehen. [125]

          Eine solche Verstehensbemühung, die unter Philosophen stattfindet, hält er für wesensgemäß »dialogisch«. Ihr Resultat wird durch die Doppelheit von Übereinstimmungen und Unterschieden gekennzeichnet, wie es auch durch Van der Leeuw formuliert wird. Die »Unterschiede müssen nicht antithetisch sein; sie können komplementär sein«, wobei de facto das letztere in der Regel der Fall ist. Das zeigt sich auch in der allgemeinen Charakteristik des westlichen Denkens als »theoretisch« oder »kognitiv ausgerichtet« und des chinesischen als »orientierend«, - eine Kennzeichnung, die von Lao Sze-Kwang sehr viel genauer ausgearbeitet und bestätigt wird. Der vorausgesetzten Definition von Philosophie gemäß, die breiter ist als eine ausschließlich auf Wissen gerichtete Unternehmung, können beide Denkweisen in gleicher Weise als philosophisch gelten. Was Allinson nicht in den Blick fasst, sind Fälle des Nicht-Verstehens, Selbst-Verständnisse einer anderen Kultur, die im Horizont der eigenen auf keine Weise unterzubringen sind. 

          John E. Smith von der Yale University in den USA betont dann auch stärker die »Grenzen«, die das »interkulturelle Verstehen« überwinden muss. Die Möglichkeit der Vollzugsform des Dialogs für dieses Verstehen sieht er in den intrakulturellen Dialogen begründet, die Philosophen mit einander führen. In diesem Punkt schätzt er die chinesische Philosophie als »bewundernswert gut ausgerüstet« ein, da ihre eigene philosophische Kultur wesentlich homogener ist als die in sich sehr differenzierte westliche, so dass sie »intensivere« und durch bessere Feinabstimmung gekennzeichnete (more finely focused) interne Dialoge führen kann. Als Modell hierfür verweist er auf den Dialog, den Mengzi (Mencius) mit Kongzi (Confucius) angeht, indem er die Ideen seines Vorgängers als richtig übernimmt, aber die Diskussion durch eine eigene These auch entscheidend weiterbringt. Seine entschiedene Auffassung von dem »ursprünglichen Gutsein der menschlichen Natur« liefert dann wieder für Jahrhunderte neuen Stoff für Diskussionen. [126]

          Ein Vergleich des Daoismus mit der Geschichte der westlichen Metaphysik bringt Chung-Ying Cheng von der University of Hawaii ebenfalls zu der Annahme eines komplementären Verhältnisses beider, aber – wie bei Smith – mit  Hervorhebung der Vorteile der chinesischen Tradition. Dabei scheint mir die höhere Bewertung der chinesischen Philosophie gegenüber der westlichen auf einer zu pauschalen Beurteilung der letzteren zu beruhen. Von Parmenides her sieht Cheng die westliche Metaphysik auf die Frage nach dem »ontologischen Sein« konzentriert, während die chinesische Philosophie in ihrer allgemeinsten Fragestellung auf das »kosmologische Werden« ausgerichtet ist. Das macht er am Charakter der jeweiligen Sprachen fest, der im Fall des Griechischen (und der übrigen europäischen Sprachen) phonetisch ist und das Hören besonders auszeichnet und im Fall des Chinesischen eine bildhafte Sprache (image-language), die das Sehen bevorzugt. Im Fall der ersteren bedingt dies eine Trennung des Wahrnehmbaren vom Nicht-wahrnehmbaren (separation of the sensible from the non-sensible), im Fall der letzteren gerade deren innere Zusammengehörigkeit (cohesion).

Das Seinsdenken, wie es von Parmenides’ Lehrgedicht ausgeht (»nur das Seiende ist, das Nichtseiende ist nicht«), vermag das Nichtsein nicht in gleicher Weise zu erfassen. Es wird der Offenheit im Werden letztlich nicht gerecht. Das Denken des dao als des »Suchens nach dem Weg«, wie es vom Yijing (I Ging) und von Laotzis Daodejing (Tao te king) ausgeht, ist ein Denken in Polaritäten (Yin und Yang), das Sein und Nichtsein in der »natürlichen Erfahrung des Wandels und der Transformation der Dinge« am Werk sieht. Das westliche Denken erreicht so einen höheren Abstraktionsgrad, und/aber das chinesische ist nicht nur historisch, sondern auch philosophisch das ursprünglichere, weil es »sich auf die ursprüngliche menschliche Erfahrung des Bestehens und der Welt gründet« und dadurch die Trennung in Natürliches (Wahrnehmbares) und Übernatürliches (Nicht-wahrnehmbares) vermeidet. Denn »Metaphysik soll nicht die Wirklichkeit überschreiten, sondern sie umfassen«. [127]

Antonius S. Cua von der Catholic University of America in Washington, DC konzentriert sich auf eine systematische Klärung der Begriffs Li in der Ethik des Konfuzius. Damit richtet er sich auf das am meisten umstrittene Problem in Konfuzius’ Denken. Er betont den komplexen Charakter dieses Begriffs, der nicht auf eine »notwendige Verbindung von [traditionellem] Ritual und Moralität« eingeschränkt werden darf. Es geht vielmehr darum,  dass das Ritual, welches »Gebräuche, Konventionen oder formale Regeln richtigen Verhaltens umfasst«, wobei letztere um eine subtile Fassung der sogenannten »Goldenen Regel« (Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu) gruppiert sind, lediglich den »Ausgangspunkt  der individuellen Moralität bereit stellt«. [128] Nach dem ideologisch dominierten Streit um Konfuzius in der Ära Maos [129] ist eine differenzierte Betrachtung gerade dieses Begriffs sicher notwendig. Dies betont auch Heiner Roetz, Sinologe aus Frankfurt/M., in seiner einführenden Konfuzius-Monographie. Bei aller Wichtigkeit, die dem Ritual und der Tradition zukommt, zeigt ein genaueres Studium der von den Schülern des Konfuzius etwa 50 Jahre nach dessen Tod (481 v.Chr.) aufgezeichneten Gespräche (Lunyu), dass seine Ethik mehr ist »als die Ideologie der Anpassung, auf die man sie oft reduziert«. Denn das Subjekt dieser Ethik oder die eigentliche Handlungsinstanz »ist die integre moralische Person, die bei aller Bereitschaft zur Integration zugleich um deren Grenzen weiß. Erst die Einheit von Integration und Integrität macht die genuine konfuzianische Ethik aus«. [130]

          Bei einer Betrachtung der japanischen Philosophie als Dialogpartner der westlichen läge es nahe, ebenfalls vom Buddhismus auszugehen, der von Indien über China ins Land gekommen ist, und der in Japan die besondere Form des Zen-Buddhismus angenommen hat. Das Besondere der japanischen Philosophie im Gegenüber zur europäisch-westlichen liegt aber nun gerade darin, dass sie sich einerseits bewusst den westlichen Einflüssen öffnet und andererseits ihre Besonderheit im Blick auf diese Einflüsse selbst formuliert. Kitaro Nishida, der Begründer der Kyoto-Schule, spricht von einer tiefen »Entzweiung« der japanischen Kultur durch die Europäisierung. Dieser möchte er jedoch nicht begegnen, indem er den Einfluss des europäisch-westlichen Denkens abschneidet, sondern indem er mit dessen Mitteln eine »Wiederholung« der eigenen Tradition bewerkstelligt. So zielt seine philosophische Arbeit, nach verschiedenen »Kehren« schließlich auf eine »Auseinandersetzung mit dem Geschehen einer ‘Weltenbegegnung’«. [131]

            Rolf Elberfeld hat Nishidas Kulturphilosophie als eine von fernöstlichen Prämissen aus formulierte »Philosophie der Interkulturalität« interpretiert. Dabei spielt buddhistisches Gedankengut eine entscheidende Rolle. Den Ausgangspunkt für diese Philosophie sieht Elberfeld in Nishidas Schriften zur »Logik des Ortes«. [132] Der eigentliche Ort ist im Sinne des Buddhismus der »Ort des absoluten Nichts«; er umfasst den »Ort des Seienden« und den »des relativen Nichts«. Als solcher ist er der »Ort des lebendigen Geschehens selber«, das der Subjekt-Objekt-Spaltung vorausliegt. Vom subjektiven Erkennen aus gesehen ist es ein »leerer Ort«, welcher nur der »reinen Erfahrung« zugänglich ist. [133] Sofern der Ort für Nishida auch immer »welthafter Ort« ist, in dem das Eine und das Viele immer schon in einander übergegangen sind, gibt sich die Nähe seiner Philosophie zu Heideggers Denken zu erkennen. Der individuelle Mensch und auch eine ganze Kultur streben danach, »welthaft« zu werden. Die je einzelne Welt einer bestimmten Kultur wird Teil der »welthaften Welt« auf dem Weg über eine »selbstverneinende Begegnung«, die dann zur »absoluten Bejahung« der welthaften, das heißt mit anderen vereinigten Kultur führt, welche sie in sich aufgenommen hat. Wenn die einzelnen Kulturen ihre Aufgabe ernstnehmen, »welthafte Kulturen« zu werden, eine Aufgabe, die neben der philosophischen sowohl religiöse als auch politische Dimensionen hat, kann daraus schließlich eine »Weltordnung« entstehen. [134]

            Das Besondere der japanischen Situation, im Vergleich zu Indien oder China, zeigt sich nach Ryôsuke Ohashi, der selbst an der Universität von Kyoto lehrt und »Die Philosophie der Kyoto-Schule« dokumentiert hat (Freiburg/München 1990), vor allem darin, dass dieses Land einen eigenen Weg in die Moderne gefunden hat. Das ist rein äußerlich an der fortgeschrittenen Technisierung und Industrialisierung Japans abzulesen. Ohashi untersucht die Frage »nach dem ethisch-kulturellen Boden, auf dem diese Moderne wachsen konnte«. [135] Wenn er hierfür nicht zuletzt auf den »Art Way (dô)« verweist, zeigt sich die Nähe der japanischen Tradition zum Daoismus. [136] Dass in diesen intra- und interkulturellen Kontext auch Heidegger gehört, ist nicht nur durch das Interesse Ohashis und vieler anderer japanischer und koreanischer Philosophen an Heideggers Denken dokumentiert, sondern auch durch die Anweisung dieses westlichen Denkers für die Gesamtausgabe seiner Schriften: »Wege, nicht Werke!«

            Der Weg oder die Wege japanischer Kunst findet man zu einem entscheidenden Teil im Theater, von dessen Geschichte das Kabuki-Theater und das Nô-Theater weithin bekannt geworden sind. Ohashi bezieht sich in einem Artikel über den »Art Way« auf eine spezifische Art des Theaters, dessen ontologischer Status wichtige Hinweise auf den Charakter der japanischen Modernität enthält. Chikamatsul Monzaemons (1653-1724) schreibt Texte für eine bestimmte Art des Puppentheaters und hat sich auch zur Theorie dieses Typus von Theater geäußert. Es heißt »Ningyô Jôruri« und wird mit Puppen gespielt, die keinen Körper (kein Fleisch) haben, sondern nur eine umhüllende Haut (skin membrane). Wenn sie vom Puppenspieler in Bewegung versetzt werden, scheinen sie, die so wenig Wirklichkeitsbasis besitzen, »wirklicher als wirkliche Menschen« zu sein. So entsteht ein »Zwischenraum« oder eine Zwischensphäre (interspace) zwischen wirklich und nicht-wirklich. [137]

            Ohashi zieht nun eine Linie von Chikamatsu und dem wesentlich älteren, in der japanischen Tradition bekannten Nô-Schauspieler und  -Theoretiker Zeami (1364-1443), der auch bereits von der Dichtheit der spezifischen Wirklichkeit des Theaters gesprochen hat, zu Laozi und zum Zen-Buddhismus. Laozi und die Zen-Meister stellen den Menschen und die Intensität seiner inneren Welt in Beziehung zur Erde, zum Himmel und zur Natur im Ganzen. Die Erfahrungen bei den Meditationsübungen der Zen-Buddhisten werden mit dem Zustand einer Landschaft verglichen. In diesem Sinn hat schon der Zen-Meister Dôgen (1200-1253) in Berg und Wasser die Anwesenheit des Weges von Buddha selbst gesehen. Das führt Ohashi schließlich zu der Schlussfolgerung: »Vielleicht eröffnet die Lehre vom Weg der Kunst im mittelalterlichen und modernen Japan eine Perspektive auf die moderne Welt. In dieser Welt des technischen Fortschritts scheint die Natur auf dem Rückzug zu sein. Aber als Weg der Kunst könnte Natur auch in dieser modernen Welt weiterhin existieren.« Diesen Beitrag einer nicht-westlichen Modernität, welcher der westlichen Modernität möglicherweise den Weg aus einer ihrer Krisen aufzeigen kann, sieht Ohashi selbst in der Nachbarschaft zur westlichen, von Martin Seel von der Universität Konstanz entwickelten Ästhetik der Natur. [138]     

3. Dialoge mit islamischer Philosophie

Im Islam sind die Ansprüche des Monotheismus und des Besitzes der alleinigen oder letztgültigen Wahrheit, die er mit dem Judentum und dem Christentum teilt, und die theoretischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, auf die Spitze getrieben. Er positioniert sich nach dem Judentum und Christentum, sucht deren »wahre«  Aspekte in sich aufzunehmen und deren Propheten, einschließlich Jesus von Nazareth, als Vorläufer Mohammeds zu integrieren. Widersprüchliches und mit den Prinzipien des Einen gerechten und gütigen Gottes nicht zu vereinbarende Aspekte dagegen schließt er aus. Gegenüber dem Buddhismus und Hinduismus bedeutet dieses Selbstverständnis, die letzte, höchste und darum in gesteigertem Sinn allein wahre Religion zu sein, dass diesen vorgeworfen wird, keinen konsequenten Monotheismus zu vertreten, sondern im Gegenteil, eine Vielzahl von Göttern und göttlichen oder halbgöttlichen Wesen anzuerkennen. Den Animismus nimmt der Islam noch weniger als gleichwertig ernst als etwa jüdische oder christliche Theologen, ich erinnere an Hans Küng, als Hinduismus und Buddhismus mit ihrem Streben, in animistische Gebiete zu expandieren, oder Religionswissenschaftler wie der oben erwähnte Helmuth von Glasenapp.

Kann man in diesen Ansprüchen eine Voraussetzung erblicken, dass Anhänger des Islam eher und mehr zum Fanatismus neigen als die Gläubigen anderer Religionen, denen diese Haltung gewiss auch nicht fremd ist? Oder lässt sich aus diesem Selbstverständnis des Islam ein stärkerer Impuls zur geistig-geistlichen Fundierung des weltlichen und insbesondere des politischen Handelns herleiten, der dieses Handeln gerade in seiner Vorläufigkeit belässt und ihm damit jeden Anspruch auf Absolutheit nimmt?

Ein eindeutiges und gut unterbautes Plädoyer für eine positive Antwort auf die zweite Frage findet sich in dem Buch des Obersten Richters des Hohen Gerichts (High Court) von Ägypten Muhammad Saïd al-Ashmawy über den Islam und die politische Sphäre.[139] Dieses Buch beginnt mit dem Satz: »Gott wollte, dass der Islam eine Religion ist, aber die Menschen haben versucht, ihn ins Politische zu wenden.« In den weiteren Ausführungen wird dann gezeigt, dass in der politischen Sphäre eine liberale, demokratische Staatsform durchaus mit den Grundaussagen des Koran zu vereinbaren ist. Sie können als eine Aufforderung gelesen werden, dass die Menschen ihre eigene Verantwortung auf sich nehmen und ihrer Freiheit auch politisch Gestalt verleihen sollen. Dabei werden alle Bemühungen als Blasphemie und Gotteslästerung abgetan, die bestimmten politischen Positionen und Handlungen eine religiöse Weihe verschaffen. Insoweit wendet sich al-Ashmawy im Namen des Islam gegen die Islamisten und ihren politischen Fundamentalismus. In dem weiteren Horizont der allgemeinen kulturellen und auch der spirituellen und religiösen Voraussetzungen des menschlichen Handelns versteht er indessen gerade die Freiheit des Menschen als von Gott gewollt, als Ausdruck der göttlichen Allmacht und Liebe. Insoweit plädiert sein Text für einen »authentischen, das ist vernünftigen und spirituellen Fundamentalismus«, der auch im Kontext europäisch-westlicher Philosophie als Position eines Dialogpartners wichtig und interessant ist.

Mit diesen Gedankengängen schließt al-Ashmawy bei einer Tradition des Austauschs zwischen europäisch-westlicher und arabisch-islamischer Philosophie an, die ihre Vorgeschichte in der Zeit vor der europäischen Aufklärung hat mit ihren radikal ethnozentrischen Auffassungen zur Geschichte und Philosophie. Ich verweise nur auf den Astronomen und Kosmologen al-Bumazar (805-885), den Logiker al-Farabi (gest. 950) und die Aristoteles-Kommentatoren Avicenna (Ibn Sina, 980-1037) und Averroes (Ibn Rushd, 1126-1198), die großen Einfluss auf die mittelalterliche christliche Theologe und Philosophie, insbesondere auf Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Roger Bacon, ausgeübt haben. Bertrand Russell widmet in seiner umfassend angelegten »Geschichte der westlichen Philosophie« der mittelalterlichen »Mohammedan Culture and Philosophy« ein eigenes Kapitel.[140]

 

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass philosophische Probleme, etwa das der Gerechtigkeit, im Kontext des Islam strenger und ausschließlicher vom Offenbarungsdokument dieser Religion aus durchdacht und beurteilt werden als in jeder anderen Religion. Wie islamisches Recht in seiner letzten Begründung Gottesrecht ist, ist Gerechtigkeit im Islam letztlich die Gerechtigkeit Allahs. Daraus sind alle anderen Überlegungen, welche die menschliche Welt betreffen, abzuleiten. Die konkreten Formen, die sich aus dieser Grundvoraussetzung in der Geschichte ergeben haben, und die entsprechenden theoretischen Überlegungen kann man aber durchaus kritisch sehen. Nasr Hamid Abu Sayd, ein ägyptischer Sprach- und Islamwissenschaftler, der zur Zeit an der Universität Leiden in den Niederlanden unterrichtet, sucht die konkreten geschichtlichen Erscheinungsformen an eine genaue und hermeneutisch verantwortbare Lektüre des Koran zurück zu binden. Er nennt dies »Re-kontextualisierung« der Koran-Lektüre und wendet sich von hier aus gegen autoritäre, äußerlich auferlegte Interpretationen. Dabei wird nicht übersehen, dass »selbst heute, da der Koran ein gedruckter Text ist«, der jedermann zugänglich ist, »die Rezitation des Koran eine sehr wichtige Praxis in der Gemeinschaft wie im individuellen Leben ist«. Und die Gesamtheit der Koranwissenschaften wird einer kritischen Würdigung unterzogen. In einem Artikel zur Frage der »Gerechtigkeit«  beruft er sich hierfür auf zwei seiner Bücher: The Concept of the Text. A Study in the Sciences of the Qur’an (Beirut 1999, 5. Aufl.), sowie Islam und Politik. Zur Kritik des religiösen Diskurses (Frankfurt/M. 1996).[141]   

            Die göttliche Gerechtigkeit schließt nach der Meinung Abu Sayds ein, dass auch Atheisten und Polytheisten in einer muslimischen Gemeinschaft gerecht behandelt werden müssen. Denn die göttliche Gerechtigkeit lässt »keine Ungerechtigkeit im ganzen Universum« zu. Gerechtigkeit ist »ein allumgreifendes oder sogar kosmologisches Gebot«. Für die menschlichen Verhältnisse als solche widerlegt Abu Sayd, dass »die Mehrehe, die Stellung sowohl der Frauen als von Nicht-Muslimen oder auch die Religionsfreiheit«, die zur Gerechtigkeit im Widerspruch stehen, aus dem Koran zu rechtfertigen sind. Was der Koran über die Mehrehe sagt, bezieht sich auf die Situation von Waisen, die Schutz und Fürsorge brauchen, wenn sie einen oder beide Elternteile verloren haben, wie es in der Schlacht bei Uhud (625 n.Chr) geschehen ist, »als die Muslime ernsthaft geschlagen und zehn Prozent ihres Heeres – insgesamt 700 Krieger – getötet wurden, die ihre Kinder hinterließen«. Auch die »Stellung der Frauen, wie sie im Koran ausgedrückt wird», wenn man die entsprechenden Passagen re-kontextualisiert, »ist im allgemeinen, relativ und historisch gesprochen, fortschrittlich« und entspricht dem »Prinzip der Gleichheit«, das dem der Gerechtigkeit inhärent ist. Da der Islam in allen heiligen Schriften und bei allen Propheten, wenn auch vor Mohammed in vorläufiger und noch widersprüchlicher Weise offenbart worden ist, sofern der Glaube an einen Gott und an das Jenseits darin enthalten ist, »spielt es keine Rolle, ob der Glaubende ein Jude, ein Christ, ein Sabäer ist oder irgendeiner anderen Religion angehört«.

            Besonders der Begriff des Jihad wird nach Abu Sayd ent-kontextualisiert, sofern daraus eine »verbindliche religiöse Pflicht« zur kriegerischen Ausbreitung des Islam abgeleitet wird. Die berühmte Passage des Koran (2:190-193) muss im Ganzen gelesen und im Kontext des Verhaltens des Propheten interpretiert werden, der seinen Feinden verzeiht und dafür betet, dass Gott ihnen vergebe. Der Tenor der genannten Passage erweist sich dann als Aufruf zur Verteidigung und Vergeltung, bei denen das Maß nicht überschritten werden darf. Bei der ökonomischen Gerechtigkeit stehen das Gebot, Almosen zu geben, und das Verbot, Geld gegen Zinsen zu verleihen, im Vordergrund. Dass das Verhalten islamischer Banken, entgegen anders lautenden Beteuerungen, in diesem Punkt »identisch mit dem Handel innerhalb des bestehenden Bankensystems« ist, lässt sich nach Abu Sayd rechtfertigen, weil die Ausleger der entsprechenden Stellen im Koran »die Natur und die Umstände ignorierten, unter denen der Wucher verboten wurde«.[142]      

            Abschließend verweist Abu Sayd darauf, dass die rationalen muslimischen Theologen, die »Mu’tazila«, das Feststehen Gottes in der Gerechtigkeit unter den fünf Hauptprinzipien des Islam nach dem der »Göttlichen Einheit« an zweiter Stelle nennen. Wenn man dies mit dem Gedanken der »Sufis« zusammennimmt, die eine eher mystische Theologie vertreten, dass der Mensch »nach dem Bilde Gottes« geschaffen ist, hat sein Handeln auch das Urbild der göttlichen Gerechtigkeit wiederzuspiegeln. Es geht im Endeffekt darum, in allem, nicht nur bei Maßen und Gewichten, das richtige Maß zu finden oder das Ungleichgewicht, das durch die Sünde in die Welt gekommen ist, mit Gottes Hilfe »wieder ins Gleichgewicht« zu bringen.[143]

 

Das Verfahren der Re-kontextualisierung, wie Abu Sayd es anwendet, kann bestimmte Auslegungen des Koran, die auch zu teilweise sehr rigiden Gebräuchen und Handlungsrechtfertigungen in islamischen Gemeinschaften führen, etwa in Hinsicht auf die Mehrehe und die Stellung der Frau oder auch den Jihad, nach meiner Auffassung nicht in überzeugender Weise entkräften. Es gelingt mir nicht, ein konsistentes Verständnis seiner Argumentation im Rahmen der gegenwärtigen Theorie und Praxis des Islam zu gewinnen. Dennoch muss ich und will ich diese Argumente von ihrem internen Zusammenhang aus respektieren. Um so mehr freue ich mich, hier auch einen Text besprechen zu können, in dem der scheinbar überzogene Anspruch des Islam auf alleinigen Besitz der Wahrheit und die Prinzipien der Toleranz und des Dialogs in philosophisch schlüssiger Weise mit einander vermittelt sind. Es handelt sich um einen Artikel von Yasin Ceylan, türkischer Philosoph kurdischer Abstammung an der Technical University of the Middle East in Ankara, den er für eine Konferenz an der Erasmus Universität Rotterdam im November 1997 geschrieben hat.[144]  

            Der Prozess der Globalisierung hat für Ceylan den ironischen Aspekt, dass in Verbindung damit eine säkulare Weltanschauung, die sich um eine »friedliche Koexistenz verschiedener Gesellschaften in verschiedenen Teilen der Welt« bemüht, als eine Art »neuer Religion« auftritt, die »alle anderen [traditionellen] Religionen zu eliminieren versucht«. Dem können und sollen die traditionellen Religionen das Streben entgegensetzen, die bestehenden Verschiedenheiten zu akzeptieren, eine Atmosphäre der Toleranz zwischen ihnen zu befördern und darauf zu verzichten, ihre jeweilige Region auf andere auszudehnen. Sie bilden damit ein notwendiges Gegengewicht zur Globalisierung und Universalisierung, eine Tendenz zur Partikularisierung oder Regionalisierung.

Die Notwendigkeit der Partikularisierung beruht auf der Einsicht, dass die absolute Wahrheit der Religionen und Weltanschauungen von Menschen immer nur partiell und nie von irgendjemand vollständig erkannt werden kann. Dabei ist der Teil für mich der beste, der zu der bestimmten Region und Kultur gehört, in der ich lebe. Zugleich ist Offenheit wichtig, von anderen Religionen und Kulturen Elemente zu übernehmen, die mir im Zuge multi- und interkultureller Kommunikation bekannt werden und gerade für diese Situation und die darin stattfindenden Veränderungen angemessen sind. Eine Einheitsreligion wird daraus nicht entstehen, weil dieser die natürliche Neigung des Menschen zur Differenzierung entgegenwirkt. Für die inter-religiösen Dialoge, die der interkulturellen Welt angemessen sind, ist die Bereitschaft zu hören wichtig und eine Haltung, die den Anderen nicht daran hindert, seine tiefsten Überzeugungen und fundamentalen Gedanken offen darzulegen.

Bevor es zu solchen Dialogen kommen kann, ist aber nun nach Ceylan wichtig, dass »der Mensch mit sich selbst einen Dialog beginnt, in dem er sein Bewusstsein vertieft und versucht, zu den letzten Zielen der Religiosität vorzudringen«. Dabei wird sich zunächst einmal zeigen, dass Fanatismus in den meisten Fällen auf flacher Kenntnis der Religion beruht. Des weiteren ergibt sich von der jeweiligen Religion aus, dass Religion und Weltanschauung mit dem »tiefsten Grund der Rationalität« (basic ground of rationality) nicht identisch sind, diesen nicht erschöpfen. Denn die ersteren können sich ändern, indem jemand von einer Religion oder Weltanschauung zu einer anderen übertritt, der letztere jedoch ist der bleibende Grund, auf dem dies geschieht: die »stetige Dynamik in der [wechselnden] Konfiguration der Weltanschauungen«. Zu diesem Grund dringen nur wenige vor; er ist zugleich der Grund »prophetischer Erkenntnis«.  Denn die Propheten als göttliche oder heilige Persönlichkeiten richten sich an die Menschheit im Ganzen, ihre Worte übersteigen kulturelle Grenzen: heilig ist ganzheitlich (such words are holy because they are holistic).

Die Moslems haben seit dem Anfang ihrer Religion Anhänger anderer Religionen in ihrer Mitte geduldet. Ceylan plädiert nun dafür, dass diese »historisch tolerante Haltung, die ihre Vorfahren gegenüber Christen und Juden  als Minderheiten in ihren Gesellschaften angenommen haben«, von den heutigen Moslems »ausgedehnt werden sollte auf die Völker anderer Religionen, die nicht notwendigerweise ein Jenseits kennen, oder auf Kulturen, die nicht christlich oder jüdisch sind«. Dem liegt ein Religionsbegriff zu Grunde, der weiter und offener ist, als wir ihn bislang, etwa bei Küng und von Glasenapp, gefunden haben. Denn er ist nicht auf die »Buchreligionen« und auch nicht auf die großen »Weltreligionen« begrenzt, sondern bezieht andere Völker und Kulturen mit ihren jeweiligen Traditionen ein. Diese »erweiterte Haltung der Toleranz« kann meines Erachtens nur bedeuten, dass auch die von mir als animistisch bezeichneten Religionen als Dialogpartner ernstgenommen werden.  

Bei dem allen konfrontiert Ceylan seine Dialogik mit der Dialektik, die er ablehnt, weil sie von dem Streit zwischen Gegensätzen ausgeht. Das ist aber ein zu enger Begriff der Dialektik, die ja auch auf »Versöhnung« gerichtet ist, wenn wir an die Hegelsche Version denken, oder auf die gemeinsame Suche nach der Wahrheit in der Platonischen Form. Voll zu unterstützen ist indessen, was Ceylan über die Praxis der von ihm beabsichtigten Dialoge sagt. Sie bewirkt, dass »die Ethik des Gesprächs« und der Wille, von dem und den Anderen zu lernen, als Bedingungen des fruchtbaren Vollzugs dieser Dialoge erkannt werden. So werden die gegenseitige Kenntnis der Dialogpartner und auf jeder Seite die Bereitschaft, die eigenen Überzeugungen und Haltungen kritisch zu prüfen, unvermeidlich zunehmen. Der Gewinn an ethischen Handlungsimpulsen wird dabei wichtiger sein als die abstrakten metaphysischen Spekulationen. Das weist auf die wichtigste und schwierigste Pflicht des Menschen, sich auf die Schicksalsschläge vorzubereiten, die ihn treffen können.

 

 

4. Dialoge mit lateinamerikanischer Philosophie

 

Im Mittelpunkt der europäisch-westlichen Dialoge mit der lateinamerikanischen Philosophie, wie sie seit 1989 geführt werden, steht die »Befreiungsethik« des aus Argentinien stammenden Philosophen Enrique Dussel, der später in Mexiko lehrt. Die Befreiungsethik ist ein Beitrag zur »Philosophie der Befreiung«, die in Lateinamerika parallel zur »Theologie der Befreiung« entwickelt wird und die aus einer Kritik an der Situation der Armut und der Verelendung hervorgeht, wie sie besonders in den großen Städten dieses Kontinents als Folge der (neo)kolonialen Politik Spaniens und Portugals besteht. Die Nähe zum Denken von Karl Marx und zur Theorie-Praxis des Marxismus liegt vor der Hand. Der Zusammenhang von Theologie und Philosophie der Befreiung wird 1988 von Raúl Fornet-Betancourt in einer Monographie herausgearbeitet.[145]

In seiner Wiener Dissertation beschreibt Hans Schelkshorn die »Herausforderungssituation der Befreiungsethik« durch einen Hinweis auf die Abhandlung des peruanischen Philosophen Augusto Salazar Bondy von 1969: »Gibt es eine Philosophie unseres Amerikas?« Nach Schelkshorn fragt Bondy in dieser Abhandlung nicht danach, ob es überhaupt eine lateinamerikanische Philosophie gibt, sondern worin der besondere Charakter dieser Philosophie zu erblicken ist. Dabei spielen einerseits, freilich bisher nur am Rande, »die Weisheitstraditionen der amerindischen Völker« eine Rolle, andererseits und vor allem aber »die Rezeption europäischer Philosophien«, wie sie an den »von den Spaniern gegründeten theologischen Fakultäten spätestens seit dem 16. Jahrhundert« stattfindet. Bondys Charakteristik, dass es der lateinamerikanischen Philosophie an »Originalität« und »Authentizität« fehle, wird von Leopoldo Zea, dem bekanntesten mexikanischen Philosophen, noch in demselben Jahr entschieden kritisiert, da eine »Philosophie … ihre Identität allein durch ein radikales Fragen nach der Wahrheit, d.h. als Philosophie schlechthin« und nicht durch eine Eigenständigkeit im Sinn der Vermeidung fremder Einflüsse erlange. Wohl sei es wichtig, dass der »kontextuelle Ausgangspunkt« dieses radikalen Fragens reflektiert werde.[146]

Der Hinweis auf das Denken der »amerindischen«, das heißt der einheimischen indianischen Völker Amerikas ist freilich sehr verkürzt. Dass Schelkshorn von »Weisheitstraditionen« spricht, zeigt ferner an, dass er sie nicht im vollen Sinn als philosophische Traditionen ernstnimmt. Es gibt generell nur wenige Zeugnisse indianischer Philosophie, die im Druck zugänglich sind. Ihre primär mündliche Überlieferung lässt sich indirekt, etwa aus ethnographischen Darstellungen, erschließen.  Das ist ein Problem, auf das ich im Zusammenhang des nächsten Abschnitts zurückkommen werde, sofern darin »Dialoge mit afrikanischen und anderen primär mündlich überlieferten Philosophien« behandelt werden. 

 

Die weithin bekannte Auseinandersetzung zwischen den sehr unterschiedlichen Ethik-Entwürfen von Karl-Otto Apel, der zunächst in Bonn und Kiel und dann vor allem in Frankfurt/M. lehrt, und von Enrique Dussel findet zum großen Teil in  unmittelbaren Gesprächen zwischen beiden Autoren auf einer Reihe von Tagungen in Deutschland sowie in Mittel- und Südamerika statt, die »von Raúl Fornet-Betancourt 1989 initiiert und über mehr als fünf Jahre hindurch betreut worden« sind. Die Akten dieser Tagungen sind in entsprechenden, vom Initiator und Organisator herausgegebenen Bänden (Aachen 1990-1996) veröffentlicht. Apel und auch Dussel streben eine universale Begründung ihrer Ethik-Konzeptionen an. Während es sich bei Apels Diskursethik um eine formal-prozedurale Universalität handelt, die im vernünftigen Argumentieren begründet ist, verlangt Dussel für seine Befreiungsethik auch eine materiale Universalität, die sich an dem Recht auf die Möglichkeit der Aufrechterhaltung und Entfaltung des gemeinschaftlichen menschlichen Lebens orientiert.

Schelkshorn zeigt in seiner ausführlichen  kritischen Würdigung dieser Auseinandersetzung, dass beide Positionen aus konträren Blickwinkeln aufgestellt worden sind. Apel wendet sich gegen den ethischen Skeptizismus, der in der europäisch-westlichen Tradition vorherrscht, und zwar sowohl in den szientistischen, auf die Bedingungen der Wissenschaft und Technologie bezogenen als auch in den existenzphilosophischen und hermeneutisch-relativistischen Richtungen. Mithilfe einer sprachphilosophischen Transformation der Transzendental-Philosophie im Kantischen Sinn, die sich auf formale Geltungsansprüche konzentriert, möchte er die »normativen Grundfesten moderner Demokratien wieder freilegen«. Dussel hingegen sucht inhaltliche, gesellschaftlich-politische Fragen, insbesondere die Kritik des »Elends der Massen« und der bleibenden Situation des »schreienden Unrechts« ihrer Armut in seinem philosophischen Ansatz mit aufzunehmen. Für diese Situation wird die »(neo)koloniale Unterwerfung der Länder der Dritten Welt«, die »durch ethnozentrisch verkürzte Versionen eines ethischen Universalismus (Christentum, Aufklärung) legitimiert worden ist«, als Hauptursache angeführt. Dussel bleibt indessen nicht bei einer »kontextualistischen Negation« stehen, sondern strebt die »kritische Reformulierung einer globalen Verantwortungsethik« an. Dabei bleibt ein entscheidender Ausgangspunkt seine Bindung an jüdische Traditionen, besonders auch an die Ethik-Konzeption des in Paris lehrenden jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas. Das zeigt sibh besonders deutlich an der Prämisse, dass die Befreiungsethik »ihren Diskurs primär unter dem fordernden Blick der Armen« entwickelt.[147]

 

In dem schon mehrfach herangezogenen Heft Nr. 6 (2000) der Zeitschrift polylog findet sich ein aktueller Beitrag von Enrique Dussel zum Thema »Gerechtigkeit« aus der Perspektive der »Ethik der Befreiung«.[148] Sein Ausgangspunkt ist hier die »ethische Kritik der Ökonomie« des aus Indien stammenden und in den USA lehrenden Ökonomen und Philosophen Amartyas Sen. Die von den herrschenden ökonomischen Theorien vorausgesetzte Rationalität, dass die »Maximierung des [egoistischen] Eigeninteresses« der Wohlfahrt aller zugute kommt, ist nach Sen auf jeden Fall in dem Sinn zu ergänzen, dass eine »ökonomische Maßnahme die den Nutzen eines Betroffenen vergrößert,  den Nutzen eines anderen nicht verringern darf«. Für die »volle Erfüllung des Personseins« ist nach seiner Meinung »der ‘freie’ Zugang zu Wohlstand und Nutzen notwendig«.

Dussel findet jedoch, dass auch Sen trotz des Erfahrungshintergrundes der indischen Realität die Situation »extremer Armut« nicht hinreichend in seinen Ansatz aufnimmt, eine Situation, in der es nicht um die »Verwirklichungschancen« von Wohlfahrt und Nutzen geht, sondern um die tiefere Ebene der »Überlebensstrategie«. Von daher macht Dussel das »menschliche Leben als eines solchen« zum universalen Kriterium seiner materialen Ethik. Seine Prägung durch eine kritische Marx-Lektüre ist unverkennbar, wenn er sagt: »Das menschliche Sein soll sich produzieren, reproduzieren und das menschliche Leben in Gemeinschaft mit allen Aspekten entwickeln«. Wenn dann die Möglichkeiten der Verwirklichung dieses menschlichen Seins konkretisiert werden, geschieht dies im Kontext »einer bestimmten Kultur«, der »den geschichtlichen Horizont vorgibt, von dem her seine Verwirklichung hinsichtlich der Individuen, der Gemeinschaften bis hin zur Menschheit« zu verstehen und auch zu messen ist. Der Universalismus Dussels erweist sich so als ein konkret gegebener, der von der je eigenen Situation aufsteigt zur makroethischen Berücksichtigung der gesamten Weltlage.

In kritischer Ergänzung zu dem großen Entwurf einer Handlungstheorie, wie sie Jürgen Habermas, Kollege und Partner Apels an der Frankfurter Universität, entwickelt und in der die kommunikative, praktische Handlung neben der instrumentellen, technischen und der expressiven, ästhetisch-kritischen steht,[149] konzipiert Dussel die »ökonomische Handlung«, in der praktische, den Austausch von Gütern bestimmende und instrumentelle, Güter produzierende Beziehungen zusammen wirken. Dieser Handlungstyp verwirklicht sich in der Arbeit in einem weiten Sinn, in dem diese als »eine Weise zu sein, zu leben« verstanden wird: »nämlich leben, indem man in kultureller Weise Neues und damit Geschichte schafft, nachdem man von der bloßen Reproduktion befreit ist; dies wäre ein Arbeiten als Entwicklung des Lebens«, das neben der Produktion auch Tausch und Distribution einschließt. Auf dieser Grundlage erscheint »die Beziehung zwischen Ethik und Ökonomie in einem neuen Licht.« Anders als es auch bei Sen geschieht, stehen die ethischen Prinzipien »nicht einfach neben oder außerhalb der Ökonomie, sondern konstituieren die Ökonomie von Innen her«.[150]

Rückblickend fasst Dussel von diesem Standpunkt aus den »Dialog zwischen Befreiungsethik und Diskursethik« folgendermaßen zusammen: »Wenn die Moral keinen materialen, d.h. inhaltlichen Aspekt formuliert, der im universalen Prinzip der Reproduktion und Entfaltung des menschlichen Lebens besteht, bleibt die Gültigkeit einer solchen Ethik bloß formal. In diesem Fall subsumiert die Befreiungsethik die formal-diskursive Moral«, freilich nicht, ohne deren Anspruch auf eine Letztbegründung als »abstrakten Universalismus« abzuweisen. Ob es indessen wirklich von einer überlegenen Position zeugt, wenn nun für das »materiale Kriterium des menschlichen Lebens … absolute Gültigkeit« beansprucht und von daher gefordert wird, es müsse »der letzte Referenzpunkt jedes Modells, jedes Arguments, jedes ökonomischen Systems sein«, muss fraglich erscheinen.[151] Wäre es nicht angemessener, im Sinn eines konkreten Universalismus für die jeweils gegebene Situation und deren durch die eigene Sicht bedingten Erkenntnis zu sprechen? Dabei würden dann der kulturelle und historische Kontext vor Beliebigkeit und Relativismus schützen. 

5. Dialoge mit afrikanischen und anderen primär mündlich überlieferten Philosophien

Die Dialoge zwischen westlichen und östlichen Philosophien sind etwas prinzipiell anderes als die Arbeiten der Vergleichenden Philosophie, die sich auf diese beiden Weltregionen beziehen, wobei die ersteren die letzteren voraussetzen und das von ihnen angesammelte Material verwenden und verwerten. Indem von der europäisch-westlichen Philosophie aus Dialoge mit der arabisch-islamischen Philosophie angegangen werden, die im Mittelalter eine beachtliche Vorgeschichte haben, werden nicht nur die methodologischen, sondern auch die regionalen Grenzen der Vergleichenden Philosophie überschritten. Die Dialoge westlicher mit lateinamerikanischer Philosophie bringen eine Weltregion in den internationalen philosophischen Diskurs ein, die bis dahin nicht in dessen Blickfeld gelegen hat. Dabei ist mit der Wendung gegen die koloniale und neokoloniale Haltung des europäisch-westlichen Denkens eine Hinwendung zu unterprivilegierten Gruppen der Bevölkerung verbunden. Der Hauptakzent der »Ethik der Befreiung« liegt auf der Situation der Armen, die in die Philosophie einbezogen werden muss. Die Traditionen des Denkens der einheimischen indianischen Völker werden bisher nur am Rande beachtet. In diesem Punkt führen die Dialoge mit afrikanischer Philosophie einen entscheidenden Schritt weiter, sofern darin von der heutigen Situation aus der Zugang zu dem durch die Jahrhunderte primär mündlich überlieferten philosophischen Gedankengut, der auf verschiedenen Wegen gesucht wird, mit zur Diskussion steht.

            So wird man sagen können, dass die Dialoge europäisch-westlicher mit afrikanischer Philosophie den Testfall darstellen. Afrikanische Philosophie steht dabei für die Philosophie in Afrika südlich der Sahara. Die nordafrikanischen Länder, die im frühen Mittelalter arabisiert und islamisiert worden sind, fallen in dieser Hinsicht unter eine andere Kategorie.  In den Dialogen mit der Philosophie des subsaharischen Afrika geht es in wesentlicher Hinsicht, wie in den internen Debatten der Philosophen aus diesem Gebiet, um die Erweiterung dessen, was Philosophie heißt, über die in Texten dokumentierten Philosophien hinaus auf primär mündlich überliefertes philosophisches Gedankengut. Damit wird dann allererst die Dimension des Interkulturellen in der Philosophie erreicht. Denn interkulturelle Philosophie geht davon aus, dass Philosophie nicht das Privileg bestimmter einzelner Kulturen ist, welche die »Kunst des Schreibens« beherrschen, sondern wesentlich zu jeder Kultur gehört, also auch zu denen mit primär mündlichen Formen der Kommunikation und Überlieferung. Es ist klar, dass auf diese Weise der Philosophiebegriff und auch die Philosophiegeschichte erweitert werden und neuer Präzisierung bedürfen. Darauf werde ich weiter unten in den »Abschließenden Überlegungen« näher eingehen.   

            Von Jacques Derrida und seiner Philosophie der Differenz lässt sich lernen, dass der Gegensatz von mündlich und schriftlich der Denkweise der europäisch-westlichen Philosophie entstammt und parallel zum Logozentrismus und Ethnozentrismus dieser Denkweise deren Phonozentrismus charakterisiert. Die vorherrschende europäisch-westliche philosophische Tradition bevorzugt einerseits die gesprochene Sprache und bewertet die Schrift nur als äußerliches Mittel, als Gedächtnisstütze, um das gesprochene Wort nicht zu vergessen. Derrida bezieht sich in diesem Zusammenhang besonders auf Platon, Rousseau und Hegel. Andererseits beurteilt dieselbe philosophische Tradition Kulturen, welche die »Kunst des Schreibens« nicht kennen, als niedriger stehend im Vergleich zu denjenigen mit primär schriftlichen Formen der Kommunikation und Überlieferung. Derrida will diese Rangordnung nicht umkehren, sondern gesprochene Sprache und Schrift als gleichwertig und gleichursprünglich denken. Dazu bedarf es eines radikal erweiterten Schriftbegriffs, so dass das Hinterlassen jedweder Art einer »lesbaren Spur« Schrift heißen kann.[152] Eine hierarchische Ordnung der Kulturen auf der Grundlage ihrer wohl oder nicht bestehenden Schriftlichkeit ist damit obsolet geworden. Jede Kultur beruht nicht nur auf gesprochener Sprache, sondern auch auf einer spezifischen Art von Schrift in dem genannten weiten Sinn. Diese neue Betrachtungsweise hat mich dazu veranlasst zu fragen, wie sich im afrikanischen Kontext von der »Politik der Differenz« aus der »Gegensatz von mündlich und schriftlich« ausräumen lässt, indem »der philosophische Text in der afrikanischen mündlichen Tradition« sichtbar gemacht wird.[153]

            Von afrikanischer Philosophie ist zum ersten Mal in dem oben bereits genannten Buch des aus Flandern stammenden belgischen Missionars Placide Tempels über »Bantu Philosophie« die Rede, das er ursprünglich in niederländischer Sprache verfasst hat.[154] Tempels rekonstruiert die Philosophie der Luba, eines Volkes im Nordosten des damaligen Belgisch Kongo (der heutigen Demokratischen Republik Kongo), bei dem er sich als Missionar aufhält, aus dessen Sprache, besonders den Sprichwörtern, Mythen, religiösen Riten und alltäglichen Gebräuchen. Er kennt ihnen damit implizit Philosophie zu, meint aber, dass sie nicht selbst in der Lage sind, diese explizit zu machen. Besonders seit der politischen Unabhängigkeit, die für die meisten afrikanischen Völker um 1960 verwirklicht wird, entbrennt eine heftige Debatte darüber, ob es afrikanische Philosophie (im strengen Sinn des Wortes) gibt und in der Geschichte dieser Völker gegeben hat. Diese Debatte hat selbst unzweifelhaft philosophischen Charakter, so dass man auch zu der These gelangt, die afrikanische Philosophie entstehe in der Debatte um die Frage, ob es sie gibt oder gegeben hat.[155]

            Nach Tempels haben auch afrikanische Autoren die implizite Philosophie ihrer Völker explizit zu machen gesucht. Diese Unternehmung, die zunächst nicht von allen afrikanischen Philosophen akzeptiert wird, heißt »Ethnophilosophie«. Der entschiedenste Kritiker ist Paulin J. Hountondji, ein Philosoph aus Cotonou im heutigen Benin. Sein Buch: Sur la philosophie africaine. Une critique de l’ethnophilosophie (Paris 1977) ist auf Deutsch als Übersetzung der englischen Ausgabe erschienen, in welcher der kritisch auf die Ethnophilosophie bezogene Untertitel nicht übernommen wird.[156] Wie die an der Herausgabe der deutschen Übersetzung Beteiligten haben sich auch viele andere westliche Leser der Kritik Hountondjis angeschlossen. Der paternalistische Aspekt der Studie von Tempels wird jedoch weggenommen, wenn die Rekonstruktion der Philosophie eines afrikanischen Volkes aus seiner Sprache und den anderen genannten Quellen von afrikanischen Autoren vorgenommen wird. In dieser Form erscheint mir die Ethnophilosophie als ein legitimes und hochinteressantes philosophisches Projekt. Ich erinnere an die bereits erwähnten Arbeiten von Kwame Gyekye aus Ghana und Gerald J. Wanjohi aus Kenia sowie an die besondere Bedeutung, die sie Sprichwörtern als Quelle der Philosophie zumessen. Ferner sind der heute in Washington, DC lehrende Segun Gbagedesin und die Philosophie-Professorin aus Lagos Sophie B. Oluwole aus dem Gebiet der Yoruba in Nigeria genannt worden, wobei die letztere auch vielfach Texte der oralen Literatur ihres Volkes heranzieht.[157] Dass aus dem alltäglichen Sprachgebrauch eine philosophische Begriffssprache entwickelt wird, geschieht auch an der Wiege der europäisch-westlichen Philosophie, wenn Aristoteles für seine Begriffsbildung immer wieder vom légetai, von dem was man sagt, ausgeht.   

            Die traditionelle afrikanische Philosophie, die primär mündlich praktiziert und überliefert wird, ist zum ersten Mal durch den kenianischen Philosophen Henry Odera Oruka als solche thematisiert worden. Darauf habe ich oben (in Kapitel II,3 und III,2) bereits hingewiesen. Hier soll sein Projekt etwas genauer vorgestellt werden. Selbst eines der 21 Kinder eines sage (als englisches und französisches Wort im Gebrauch), das heißt eines philosophischen Weisheitslehrers, der Luo in Westkenia, hat er nach seinem Philosophiestudium in Schweden und den USA maßgeblich an der Errichtung einer Philosophie-Abteilung an der Universität Nairobi mitgewirkt. Von diesen Voraussetzungen aus gelangt er zu der These, dass der Gegenstand seiner Studien an europäisch-westlichen Universitäten sachlich damit übereinkommt, was er in seiner Jugend als die Tätigkeit seines Vaters erfahren hat. Um diese These zu erhärten und die traditionelle afrikanische Philosophie zu dokumentieren, hat er damit begonnen, gemeinsam mit einer Reihe von Mitarbeitern der Universität Nairobi möglichst viele sages in verschiedenen Völkern Kenias aufzusuchen, mit ihnen zu sprechen und ihr Gedankengut schriftlich festzuhalten. Sein erstes wichtiges Buch zur Sage Philosophy erscheint 1990.[158]

            Ohne auf Orukas Projekt in allen Einzelheiten eingehen zu können, ist es wichtig zu betonen, dass er einen strengen Philosophiebegriff anwendet, mit dem er gerade auch den Ansprüchen der analytisch orientierten angelsächsischen Philosophie dieser Zeit gerecht zu werden sucht. Die Gesichtspunkte »rational begründend«, »kritisch« und  »selbstständig denkend« stehen dabei im Vordergrund. Das bringt ihn dazu, bei den Weisheitslehrern und Weisheitslehrerinnen, die er besucht und befragt, einen etwas künstlich anmutenden Unterschied zwischen Volksweisen (folk sages) und philosophischen Weisen (philosophical sages) anzubringen. Das dient jedoch dem Ziel nachzuweisen, dass es Philosophie im strengen Sinn in den traditionellen afrikanischen Gemeinschaften gegeben hat und bis heute gibt. Die Funktion der sages in diesen Gemeinschaften besteht darin, dass sie einzelnen Personen oder auch Familienoberhäuptern und politischen Leitern (chiefs) praktische Ratschläge erteilen, für die sie auf den Wissensvorrat zurückgreifen, der ihnen mündlich überliefert worden ist.

            Wie ebenfalls oben bereits erwähnt wurde, hat Amadou Hampaté Bâ, ein Philosoph aus Mali, der in Frankreich studiert und lange Zeit im Senegal gelebt hat, über »Leben und Lehre« des traditionellen philosophischen Weisheitslehrers Tierno Bokar geschrieben, dessen Schüler er in seiner Heimatstadt Bandiagara, der Hauptstadt des Dogon-Gebiets im heutigen Mali, selbst gewesen ist. Mit diesem Text, der schon 1980, das heißt zehn Jahre vor Orukas Sage Philosophy veröffentlicht wird,[159] hat Bâ nicht die Absicht, die Philosophie dieses sage als solche zu thematisieren oder nachzuweisen, dass es sie gibt. Er schreibt im Auftrag einer Untersuchungskommission islamischer Gelehrter und Richter, die dem Moslem und Koran-Lehrer Tierno Bokar Ketzerei vorwerfen, ein Gutachten, das die dem Sufismus und anderen der Mystik verwandten islamischen Lehren der Philosophie seines Meisters herausstellt. Eine bis heute noch nicht recht beachtete Besonderheit des traditionellen Philosophen Tierno Bokar, die in der Wiedergabe seiner Lehre durch Hampaté Bâ zutage tritt, besteht darin, dass er eine eigene symbolische Darstellung der logischen Struktur seiner Argumente entwickelt hat.[160] Das kann man der These des britischen Kulturanthropologen Robin Horton entgegenhalten, der heute nigerianischer Staatsbürger ist und an der Universität von Port Harcourt lehrt, wenn er behauptet, die Afrikaner seien nicht fähig, eine eigene Philosophie zu entwickeln, weil ihr Denken sich nicht eigne, Erkenntnistheorie und Logik, besonders formale Logik, hervorzubringen, die er als Kerndisziplinen jeder Philosophie ansieht.[161]

            Mit dem Buch über Tierno Bokar vergleichbar sind die ebenfalls aus einem gegebenen zufälligen Anlass aufgeschriebenen Lehren von zwei äthiopischen sages aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Diese einzigartigen Quellen beruhen darauf, dass  es in Äthiopien, anders als in den übrigen Ländern des subsaharischen Afrika sehr wohl schriftlich überlieferte philosophische Texte gibt, die bis ins 5. Jahrhundert zurückreichen. Das hängt mit der Gründung der äthiopischen christlichen Kirche im 4. Jahrhundert zusammen, die eine eigene Sprache und Schrift, das Ge’ez, vergleichbar mit dem Gebrauch des Lateinischen in der römisch-katholischen Kirche, einführt und benutzt. Das Manuskript »Leben und die Maximen des Skendes« stammt aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts. Es ist aufgeschrieben worden, weil Skendes auf Grund einer schweren moralischen Verfehlung das Gelübde getan hat nie wieder zu sprechen. Als er vom König von Axum (im Norden des heutigen Äthiopiens) an dessen Hof gerufen wird, um dort als sage zu wirken, bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine philosophisch unterbauten Ratschläge schriftlich zu erteilen.[162] Hier folgen zwei Beispiele aus den 55 Fragen und Antworten der zweiten, stark philosophisch-spekulativen Abteilung seines Textes:

Sie fragten den weisen Mann und sagten zu ihm: »Was ist die Seele?« Er antwortete [indem er schrieb]: »Die Seele ist ein himmlisches Feuer, ein unsterbliches Geschöpf wie die Engel; eine Lampe, … ein gutes und vernünftiges [rational] Feuer, voll Wissen, eine Intelligenz; sie spricht, regt den Körper an und lehrt ihn Vernunft [reason].«

 

Sie fragten den weisen Mann und sagten zu ihm: »Was ist der Verstand?« Er antwortete [indem er schrieb]: »Der Verstand ist ein verborgenes Gut; er ist das Licht der Seele, ein Feuer, das viele Gedanken hervorbringt; er vollbringt Handlungen; er hat Gewalt über die Sprache; er ist vernünftig [rational]; er kontrolliert das Denken; … er ernährt und stärkt die Intelligenz; er ist die Ehre des Körpers, die Zierde der Weisheit, die er richtig konzipiert [setting it up rightly].«[163]

 

            Die »Abhandlung von Sera Jakob« (1667) bildet nach Claude Sumner, dem kanadischen Philosophen, der seit langen Jahren in Addis Abeba lebt und lehrt und der diese Texte entdeckt, transkribiert, kommentiert und veröffentlicht hat, das Gegenstück zu einem hochwichtigen Text aus der europäisch-westlichen philosophischen Tradition, dem Discours de la Méthode (Abhandlung über die Methode) von René Descartes aus dem Jahr 1637. Der Titel dieser Abhandlung ist: hatäta, was so viel bedeutet wie »Schritt für Schritt befragen, … in und durch etwas hindurch suchen, genau untersuchen, prüfen, inspektieren«. In dem Streit der orthodox-äthiopischen, römisch-katholischen jüdischen und islamischen Theologen, der zu seiner Zeit in Äthiopien geführt wird, sucht er durch vernünftiges Nachdenken die logische Stimmigkeit und Konsistenz der Argumente zu prüfen und zu einer rational unterbauten Position zu gelangen.[164]

            Sera Jakob hat diese Abhandlung aufgeschrieben auf die Bitte eines seiner Schüler, des Sohnes des Kaufmanns Habtu aus Enfraz, den er im Auftrag des Vaters unterrichtet. Wie aus der Lebensgeschichte am Beginn der Abhandlung hatäta hervorgeht, hat er diese 40 Jahre vor ihrer Niederschrift konzipiert, als er 1627 vor dem zum katholischen Glauben übergetretenen König Susenyos fliehen muss und jahrelang in einer Höhle nicht weit vom heutigen Addis Abeba lebt. Kapitel VIII der Abhandlung zur »Natur des Wissens« beginnt mit den Sätzen: »Der Wille Gottes [zu diesem Thema]  ist durch die kurze Feststellung [statement] unserer Vernunft [reason] bekannt, die uns sagt: ‘Diene und verehre [worship] Gott deinen Schöpfer und liebe alle Menschen wie dich selbst’. Weiterhin sagt unsere Vernunft: ‘Füge anderen nicht zu, was du nicht willst, das sie dir tun, sondern handle so gegenüber anderen wie du willst, dass sie dir gegenüber handeln’. Die Zehn Gebote in den Fünf Büchern Moses drücken den Willen Gottes aus, wobei sie das Einhalten des Sabbath ausnehmen, denn unsere Vernunft sagt nichts über das Einhalten des Sabbath.«[165]

            Damit hoffe ich, die Existenz, den Rang als Philosophie im strengen Sinn und die Eigenart der traditionellen primär mündlich überlieferten Philosophie im subsaharischen Afrika hinreichend verdeutlicht zu haben. Vergleichbare Forschungen zu den Philosophien anderer Kulturen mit primär mündlichen Formen der Kommunikation und Tradition, etwa bei den malaiischen Völkern Südostasiens, den Bewohnern Ozeaniens, des vorkolonialen Nord-, Mittel- und Südamerika oder Nord- und Zentralasiens, sind noch kaum ausgeführt. Wegen des noch stets vorherrschenden Philosophiebegriffs, der sich nur auf geschriebene Texte bezieht, und der methodologischen Schwierigkeiten, da diese Philosophien nur indirekt aus anderen Quellen (Sprache, Sprichwörtern, Mythen, Sitten und Gebräuchen) oder durch Auskünfte der wenigen heute noch lebenden traditionellen Philosophen zu erheben sind, ist auf diesem Gebiet noch wenig geschehen. Enorme Vorräte an philosophischem Wissen der Menschheit drohen so verloren zu gehen. Hampaté Bâ hat einmal gesagt, dass mit dem Tod eines jeden sage dasselbe geschieht, wie wenn eine Bibliothek mit einmaligen Dokumenten abbrennt. Einige wenige orale Texte, die zufällig aufgeschrieben worden sind und die als Quellen zur Philosophie der Indianer Nordamerikas dienen können, bilden hier eine Ausnahme.[166] 

            Neben der primär mündlich praktizierten und überlieferten Philosophie im subsaharischen Afrika sind die schriftlichen Texte zur politischen Philosophie zu erwähnen, die von den Leitern der Kämpfe um Unabhängigkeit als Theorie dieser Kämpfe und praktische Beiträge zu ihnen formuliert worden sind. In diesem Zusammenhang sind einige wichtige Monographien entstanden; zahlreiche dieser Texte sind auch die gedruckten Fassungen von Reden vor politischen Parteien, Parlamenten, Kongressen. Hier sind zu nennen: Léopold S. Senghor aus dem Senegal, Sékou Touré aus Guinea, Amilcar Cabral aus Guinea-Bissao, Kwame Nkrumah aus Ghana, Jomo Kenyatta aus Kenia, Julius Nyerere aus Tansania, Kenneth Kaunda aus Sambia und (im historischen Kontext des Kampfes gegen die Apartheid) Stephen Biko aus Südafrika.

            Ferner ist die Arbeit der Professoren und Dozenten an den Philosophie-Abteilungen der seit den 50er Jahren entstehenden Universitäten der afrikanischen Länder sowie an Universitäten in den USA, an die zahlreiche afrikanische Philosophen berufen worden sind, als die aktuell bedeutsame Betätigung auf dem Gebiet der afrikanischen Philosophie zu erwähnen. Es lässt sich beobachten, dass in den Curricula dieser Abteilungen die Beschäftigung mit westlich-europäischer Philosophie im Vordergrund steht, dass aber zunehmend auch die eigenen philosophischen Traditionen dabei berücksichtigt werden. Da Philosophie an der Abteilung einer Universität auf der Grundlage schriftlicher Texte betrieben wird, müssen zunächst solche Texte zur eigenständig afrikanischen Philosophie produziert werden, bevor sie in Forschung und Lehre benutzt werden können. Daran wird intensiv gearbeitet; in einer »Bibliographischen Übersicht« über die »Philosophische Forschung in Afrika«, die unter der Redaktion von Hountondji zusammengestellt worden ist, werden für die Zdit von 1900 bis 1985 bereits 3365 Titel aufgeführt.[167] 

            Auf dem von Alwin Diemer an seiner Heimatuniversität Düsseldorf 1978 organisierten XVI. Weltkongress für Philosophie wird die afrikanische Philosophie mit ihren verschiedenen Richtungen zum ersten Mal in den weltweiten internationalen philosophischen Diskurs einbezogen. Das Symposium on Philosophy in the Present Situation of Africa, das dort stattgefunden hat, ist in einer eigenen von A. Diemer herausgegebenen Veröffentlichung dokumentiert (Wiesbaden 1981). Vier Jahre nach dem Weltkongress ruft Diemer eine sehr viel größere Anzahl afrikanischer Philosophen zu einem Symposium in Düsseldorf zusammen, zu dem er auch Vertreter aus nordafrikanischen Ländern einlädt. Die Akten dieses Symposiums erscheinen dann 1985.[168] 

            Seitdem haben viele Symposien und Kongresse stattgefunden, und es sind Zeitschriften und Sammelbände herausgegeben worden, die dazu dienen, Dialoge zwischen europäisch-westlicher und subsaharisch-afrikanischer Philosophie über gemeinsam interessierende Themen in Gang zu bringen und zu dokumentieren.[169] Als Beispiel seien einige Themen der Symposien afrikanischer und niederländischer, sowie belgischer und deutscher Philosophen in Rotterdam (1989-1997) genannt: Person und Gemeinschaft, Philosophie und Demokratie, Das Multiversum der Kulturen, Zeit und Entwicklung, Gemeinsinn in Kunst und Politik. Von beiden Seiten werden auch kritische Fragen an den Dialogpartner gestellt.

            Die kritische Haltung afrikanischer Philosophie gegenüber westlichem Denken kommt am deutlichsten in zwei Artikeln von Odera Oruka zum Ausdruck, auf die hier kurz Bezug genommen wird. Es handelt sich um ethische Reflexionen zur Gerechtigkeit in der Weltgesellschaft.[170] In einer »Philosophie der Entwicklungshilfe« vertritt Odera Oruka entschieden die Position der empfangenden Länder. Er stellt neben das Recht auf »territoriale Souveränität«, nach dem »militärische Einmischung« in die inneren Angelegenheiten eines Staates nicht gerechtfertigt ist, das »Prinzip der [Entwicklungshilfe als] nationaler Mehrleistung [zu der ein Staat nicht verpflichtet ist]«, nach dem »ökonomische Einmischung« der Geberstaaten ebenso wenig gerechtfertigt sein sollte. Dennoch nimmt sich im Fall der Entwicklungshilfe »der Geber das absolute Recht, über die Bedingungen und die Zeit der Vergabe zu entscheiden«.[171]

            Ferner hält Oruka die drei Prinzipien, nach denen Entwicklungshilfe oder »Kredite reicher Nationen« gerechtfertigt werden, nicht für ausreichend. Diese Prinzipien sind: »(1) das Gesetz des internationalen Handels«, das überall in der Welt Partner bzw. Mitspieler braucht, »(2) das Prinzip historischer Wiedergutmachung«, durch das die Ungerechtigkeiten der Kolonisation abgemildert werden sollen, und »(3) die Wohlfahrtsmaxime«, nach der Reiche den Armen helfen sollen. Oruka fügt als viertes Prinzip hinzu (4) »das Recht auf ein menschliches Minimum«, das nicht nur innerhalb bestehender staatlicher Gesellschaften, sondern weltweit, innerhalb der »Weltgesellschaft« auch für Völker, die »weit entfernt« leben, allen eine Verantwortung zur Sicherung dieses Rechts als Menschenrecht  auferlegt. Das »Prinzip der territorialen Souveränität« wird so im Sinn einer Kritik an der absoluten Verfügung über nationales Eigentum relativiert, nicht aber das politische »Recht auf nationale Souveränität«.[172]

            Oruka sieht in diesem vierten Prinzip zur Rechtfertigung der Entwicklungshilfe einen »Beitrag zur normativen Ökonomie«, da aus philosophischer Sicht Ökonomie rein als positive Wissenschaft nicht zureichend ist. Das Recht auf ein menschliches Minimum schließt ein, dass die Mittel zur Befriedigung von drei Grundbedürfnissen jedem zur Verfügung stehen: »physische Sicherheit, Gesundheit und Subsistenz«, wobei durch das letztere die Mittel zur Selbsterhaltung des Lebens bezeichnet werden: Essen, Trinken, Kleidung, Behausung, Liebe. Die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ist vorausgesetzt, damit ein Mensch »als Person agieren kann«. Oruka beruft sich auf maßgebliche Studien, die zeigen, dass, wenn die Welt der reichen Nationen »überflüssige militärische Ausgaben und überflüssigen Konsum der Haushalte vermeidet und diese Einsparungen vernünftig unter den an Armut leidenden Nationen aufteilen würde, der Welthunger dann abgeschafft werden könnte«.

            Ulrich Lölke, der zunächst einen Lehrauftrag an der Universität Hamburg hat und jetzt an der Universität Lüneburg doziert, zieht die Linie von Orukas »Philosophie der Entwicklungshilfe« durch zu  dem zweiten der erwähnten Artikel (s. Anm. 168), in dem dieser das Prinzip der »elterlichen Fürsorge« zum Grundprinzip einer »für die gesamte Erde gültigen Ethik« (parental earth ethics) macht. Wenn er das afrikanische Gemeinschaftsdenken, das auf der Großfamilie (extended family) basiert, in der die Mitglieder einander nicht in absoluter Not verkehren lassen, in dieser Weise auf die Weltgesellschaft anwendet, plädiert Oruka nach Lölke nicht für einen »afrikanischen« Begriff der Gerechtigkeit, sondern für einen allgemeingültigen, der aber stark durch die »afrikanische Erfahrung« geprägt ist. Die europäisch-westliche Philosophie, wir als »Teilnehmer an einem Diskurs im Norden«, werden auf diese Herausforderung noch antworten müssen oder vielmehr allererst lernen müssen, »auf Stimmen aus dem Süden zu hören.«[173]

            In seiner 1999 an der Universität Düsseldorf von Norbert Henrichs, dem Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Alwin Diemer, angenommenen Dissertation, geht Lölke vor allem einen Dialog an mit Kwame Gyekye, Philosoph an der University of Ghana in Legon/Accra. [174] Er weist freilich auch darauf hin, dass afrikanische Philosophie an den deutschen Universitäten noch kein allgemein anerkanntes Thema ist. So sagt er über den XV. Deutschen Kongress für Philosophie in Hamburg im Jahr 1990: »Es ist interessant, dass die von Jürgen Hengelbrock geleitete Sektion ‘Gegenwart der Philosophie in Afrika’ von den deutschen Philosophen nicht besucht wurde und damit als solche nicht anerkannt wurde«. Afrikanische Kultur und afrikanische Philosophie werden vielmehr in der Tradition Hegels als »die Anwesenheit einer vorgeschichtlichen Vergangenheit« betrachtet, »die nie den Status einer zeitgemäßen (d.h. modernen) Antwort auf spezifische regionale Herausforderungen angenommen hat«.

            Der gemeinsame Ausgangspunkt von Lölke und Gyekye ist, dass das subsaharische Afrika gegenwärtig in einem »Raum des Zwischen« (intermediate space) existiert, der »zwischen Tradition und Modernität« liegt. Sie sind auch darin einig, dass Tradition nicht von sich aus autoritär ist, sondern reflexiv, so dass ein kritisches Verhältnis zu ihr jederzeit möglich ist.[175] Der näheren Bestimmung des Begriffs Tradition, die Gyekye in seinem Buch Tradition and Modernity ausarbeitet, kann Lölke indessen nicht folgen. Gyekye will von Tradition sprechen, wenn ein Ritual oder ein Zusammenhang kultureller Werte (a set of cultural values) über mindestens zwei Generationen, also zwei Mal 20 bis 30 Jahre als gültig oder maßgebend anerkannt wird.[176] Nach Lölke ist der Terminus »Generation« in dieser Begriffsbestimmung in verdinglichter Weise gedacht. Er möchte Tradition deutlicher als »lebendige Tradition« auffassen. Deshalb definiert er: »Eine Tradition ist ein Muster, ein Ritual oder auch ein komplexer kultureller oder sozialer Zusammenhang, dessen Wiedergabe nicht mehr in den Händen jener liegt, die sie erfunden haben

            So entsteht bei Gyekye ein nicht adäquates Verhältnis zur Tradition, wenn er – wie übrigens auch Odera Oruka – seine Gespräche mit jetzt lebenden sages als Beweis dafür nimmt, dass es Philosophen in Afrikas kultureller Vergangenheit gegeben hat. Lölke kritisiert dies, indem er von der »Historisierung einer tradition vivante« spricht und dabei einen Terminus von Hampaté Bâ aufnimmt. Wenn man den »Raum des Zwischen« ernstnimmt, ist das Jetzt, die Gegenwart Afrikas nicht bestimmbar. Die sages gehören ebenso sehr dazu wie die Wirtschaftsmanager und die Universitätsprofessoren, die Souvenirhändler und die Tricksters in den Straßen mancher Großstädte. In der nachkolonialen Periode hat dieser Kontinent seine Identität verloren, und er kann sie nur durch den Prozess entschiedener Dekolonisierung wieder finden. In diesem Prozess kann die Philosophie, wie Lölke mit Kwasi Wiredu betont,[177] eine wichtige Rolle spielen. Ein entscheidender Beitrag der Philosophie kann darin bestehen, den spezifischen Rationalitätstyp anzugeben, der in Afrikas lebendiger Tradition verkörpert ist. Yacouba Konaté, Philosoph an der Universität von Abidjan, arbeitet daran, diesen Rationalitätstyp zu bestimmen. Dies führt ihn inmitten der »Krisen des gegenwärtigen Afrika« an  eine »Wegkreuzung«, an der dessen Untergang, aber auch dessen »Wiedergeburt« möglich werden.[178]

Abschließende Überlegungen

Erweiterung und neue Präzisierung des Philosophiebegriffs und der Philosophiegeschichte

Für Hegel, aber auch für Nietzsche und für Heidegger, ebenso für Russell und seinen Lehrer Alfred N. Whitehead beginnt Philosophie in der griechischen Antike, in einem vorläufigen Sinn mit den Vorsokratikern und definitiv mit Platon und Aristoteles. Philosophie wird damit für Europa und seine Geschichte reklamiert. Dass die Geschichte der Philosophie ihren Weg nimmt über das antike römische Reich ins Europa nördlich der Alpen ist noch immer communis opinio. Es gibt nach diesen Auffassungen zwar eine Vorgeschichte der Philosophie, die bis zu den Upanishaden in der indischen Tradition (750-550 v.Chr.) und Laozi in der chinesischen Tradition (geb. 604 v.Chr.) zurückreicht, und es gibt Einflüsse aus dem Vorderen Orient mit seinen orphischen Geheimlehren und aus Ägypten mit seiner Mysterienreligion. Im Mittelalter dringen die Auffassungen islamischer Gelehrter, besonders von al-Farabi, Avicenna und Averroes, in die europäische Theologie und Philosophie ein. Das kann aber nichts an der Annahme verändern, dass die Philosophie einen europäischen Charakter hat. Sofern sich mit der Entwicklung von Nordamerika seit etwa 1800 die europäische Zivilisation auf diesem Kontinent ausbreitet, ist es dann angemessen, von einem nordatlantischen oder in einer etwas weniger geographisch orientierten Terminologie von einem europäisch-westlichen Charakter d(l)er Philosophie zu sprechen.

            Hegel hat die Philosophie von Platon und Aristoteles bis zu ihm selbst als die innere Linie der Weltgeschichte aufgefasst, die er bekanntlich als »Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit« begreift. Auch Nietzsche sieht die Geschichte der europäischen Philosophie, für ihn die Geschichte der Philosophie überhaupt, unter einem einheitlichen Gesichtspunkt, nach dem sie freilich eher eine Geschichte des Verfalls als des Fortschritts ist. Der »christliche Platonismus« mit seiner zunehmenden Leibfeindlichkeit und Abstraktheit ist insgesamt die »Heraufkunft des europäischen Nihilismus«. Heideggers Betrachtung der Geschichte der Philosophie als anwachsende »Seinsvergessenheit« schließt bei Nietzsche an, geht aber einen entscheidenden Schritt weiter. Zum Verständnis des »Seins des Seienden« wird in dieser Geschichte immer nur auf wechselnde Art und Weise auf ein »höchstes Seiendes« verwiesen, ohne an das Sein selbst zu denken. Sofern Heidegger die Frage nach dem Sein neu stellt, geht er zugleich zu dem ältesten Alten zurück, etwa zu Anaximander, bei dem es noch »eine frühe Spur des Unterschieds« von Sein und Seiendem gibt, die aber auch hier schon »ausgelöscht« ist. So scheint es, dass »die Vergessenheit des Seins in das durch sie selbst verhüllte Wesen des Seins« gehört.[179]

            Heidegger selbst positioniert sich nach der Geschichte der Seinsvergessenheit oder – besser gesagt – dieser Seinsvergessenheit der europäischen Geschichte der Philosophie, welche die einzige ist, die es gibt. Was sich nun geändert hat, ist nicht, dass Heidegger das Sein beziehungsweise die »Wahrheit des Seins« unverhüllt zu sehen bekäme, sondern dass er um die wesensgemäße Verhülltheit dieser Wahrheit weiß. Das bringt ihn zu einer Bescheidenheit, die der Selbstbescheidung der interkulturellen Philosophie durchaus verwandt ist, die keiner der durch eine bestimmte Kultur geprägten Philosophien die absolute Wahrheit zuerkennt. Heidegger kann sich jedoch von der Hegelschen Gleichsetzung von Philosophie und Europa nicht lösen. Deshalb befindet er sich mit seiner Position in der Nachgeschichte der (mit Europa und seiner Geschichte identifizierten) Philosophie und bezeichnet sich selbst nicht mehr als Philosophen, sondern als Denker. Es entbehrt nicht der Ironie, wenn seine denkende Explikation der Seinsfrage, wie wir oben bereits gesehen haben, von nicht-europäischen, vor allem japanischen und koreanischen Philosophen als verwandte Unternehmung zu ihrer Philosophie erfahren wird.

            Was als Philosophie verstanden wird, hängt also offenbar mit der Auffassung über ihre Geschichte, wann und wo sie sich abgespielt hat, auf das Engste zusammen. So ist es nicht verwunderlich, dass eine Erweiterung und neue Präzisierung des Philosophiebegriffs, wie sie auf Grund der Einführung der Dimension des Interkulturellen in die Philosophie notwendig sind, sich in entsprechender Weise auch auf die Konzeption der Philosophiegeschichte auswirken. Philosophie kann nicht länger ein Synonym für Europa sein. Auf dem Weg über die Entdeckung der Philosophie im Osten, wobei Indien, China und Japan nur Beispiele sind (besonders gern hätte ich noch über tibetische Philosophie gesprochen), arabisch-islamische, latein- oder iberoamerikanische und subsaharisch-afrikanische Philosophie (bei der die Ausnahme Äthiopien, nicht aber die – umstrittene – Sonderstellung Ägyptens zur Sprache gekommen ist) hat sich der Horizont geöffnet für einen Begriff der Philosophie, bei dem diese mit dem Menschsein und menschlicher Kultur als solcher in einem wesensmäßigen Zusammenhang steht.

            Aber auch hier gibt es noch eine Verwandtschaft der interkulturellen Philosophie mit Heideggers angeblich nachphilosophischem Denken. In einer 1935 in Rom gehaltenen Rede »Europa und die deutsche Philosophie« statuiert er, wenn auch im Kontext einer befremdlichen Deutschtümelei, dass im »Bereich der Kunst« etwas geschieht, das für die Philosophie wegweisend ist. Das gilt, wie oben in Abschnitt 3 der Einleitung ausgeführt, auch für die interkulturelle Philosophie. Ferner sagt der Denker Heidegger über die »Vielfältigkeit der Standpunkte« und den »Wechsel der Systeme« in der (europäischen) Geschichte der Philosophie, über ihre sich auftürmende Komplexität und ihre immer schwerer zugängliche Abstraktheit, dass es darin im Grunde um die »Einfachheit des Einzigen und Selbigen« gehe, nämlich die sich verbergende Wahrheit des Seins.[180] Damit sucht Heidegger auch zu einer anderen Sprache zurück zu finden, die er selbst als »das einfache Sagen« charakterisiert. Und er weiß, dass das Einfachste oft das Schwerste ist. Jedenfalls erfahren dies Philosophen, die von der europäisch-westlichen Tradition geprägt sind, gerade auch wenn sie von der Grundlage des dieser Tradition Wesentlichen aus Dialoge mit anderen philosophischen Traditionen angehen wollen.      

            Die Erweiterung der Philosophie von Europa  und seiner Geschichte auf die gesamte Menschheit und ihre Geschichte verlangt wie auch andere Prozesse der Globalisierung als Gegenbewegung eine Regionalisierung. Die eine Weltphilosophie gibt es nur im Chor der vielen Stimmen kulturspezifischer Philosophien. Dieter Senghaas, der von ganz anderen Voraussetzungen aus zur interkulturellen Philosophie kommt, sieht die »große Chance … für interkulturelle Philosophie« darin, dass »alle Kulturen«, in der Gegenwart »mehr als je«, und dies gilt dann nicht nur geographisch »in der Welt von heute«, sondern auch historisch in entsprechenden anderen Situationen der Geschichte [der Menschheit], »mit sich selbst in Konflikt geraten und darüber selbstreflexiv werden«.[181]

            Eben dieses Selbstreflexiv-Werden in Konflikt- oder Notsituationen einer Kultur ist die Geburtsstunde der Philosophie in der Geschichte dieser Kultur. So erwartet Heidegger in der angegebenen Rede von der Philosophie (in dem erwähnten problematischen Kontext sagt er: »von der deutschen Philosophie und damit von der Philosophie überhaupt«) durch eine »schöpferische Auseinandersetzung mit der ganzen bisherigen Geschichte« einen Beitrag zur »Rettung Europas«, das sich 1935 auch wegen seiner »eigenen Entwurzelung und Zersplitterung« in »gesteigerter Bedrängnis« befindet.[182] Und Hegel spricht 1801 in seinem ersten philosophischen Buch, in dem er seine eigene Position gegenüber derjenigen Fichtes und Schellings herauszustellen sucht, von der »geschichtlichen Ansicht philosophischer Systeme«. Er sagt dort: »Entzweiung ist der Quell des Bedürfnisses der Philosophie«.[183] Entzweiung heißt dabei, dass eine Zeit oder eine Kultur in die Krise gerät, weil die Menschen mit sich selbst, mit dem was sie »bewusstlos suchen«, und den Strukturen und Institutionen ihrer Gemeinschaft, »dem Leben, das ihnen angeboten und erlaubt wird«, in einen wachsenden »Widerspruch« geraten.[184]

            Solche Situationen, die Philosophie erfordern und hervorrufen, kommen in der Geschichte jeder Gemeinschaft vor. Eine Kulturgemeinschaft, die in der einen oder anderen Weise mit sich selbst in Konflikt gerät, muss sich und wird sich über ihre eigenen Grundlagen, die Bedingungen ihres Bestehens und Fortbestehens inmitten anderer Kulturen und der Natur vergewissern. Sie muss und wird in erster Linie artikulieren. dass sie sich in Frage gestellt sieht, und dabei auffächern, welche Fragen sich im Einzelnen stellen. Indem mit den Mitteln des Denkens, Hegel sagt: der Vernunft, der Zusammenhang dieser Fragen und die möglichen Antworten oder der Hinweis darauf, in welcher Richtung die Antworten gesucht werden müssen, schrittweise entfaltet werden, entsteht die Philosophie der betreffenden Kulturgemeinschaft. 

            Aus diesen Aussagen Hegels zur Entstehung und zum Begriff der Philosophie in dem soeben angegebenen Kontext, ergibt sich seine damalige Konzeption der Geschichte der Philosophie. Wie man leicht erkennen wird, unterscheidet sich diese Konzeption radikal von Hegels späteren Auffassungen. Hegel geht davon aus, dass »jede Vernunft, die sich auf sich selbst gerichtet und sich erkannt hat,« unter den jeweiligen besonderen Bedingungen »eine wahre Philosophie producirt, und sich die Aufgabe gelöst hat, welche … zu allen Zeiten dieselbe ist«. Dies bedeutet, dass Philosophen auf Grund der »verwandten Kraft des Geistes« einander erkennen, dass sie in der Philosophie eines Anderen, auch wenn diese unter sehr unterschiedlichen besonderen Bedingungen konzipiert worden ist, »Geist von ihrem Geist, Fleisch von ihrem Fleisch« finden. Anders ausgedrückt: »Der lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt, verlangt, um sich zu enthüllen, durch einen verwandten Geist gebohren zu werden«.[185]

            Auch dieser Gedanke Hegels, der sich auf die Philosophie – und übrigens auch auf die Kunst – aus früheren Perioden der eigenen Geschichte bezieht, bewährt sich in der Erfahrung der interkulturellen Philosophie. Auch wenn unter fremden geschichtlichen und geographischen Bedingungen eine Kultur selbstreflexiv wird und sich über ihr Bestehen und Fortbestehen vergewissert, wird die Philosophie, die daraus hervorgeht, für Philosophen einer anderen Kultur erkennbar sein. Die Philosophien verschiedener Kulturen werden dann ebenso sehr wie die Philosophien aus verschiedenen Perioden derselben Kultur bei allen inhaltlichen und den Stil des Philosophierens betreffenden Unterschieden dem Rang nach gleich, Hegel sagt: »in sich vollendet«, sein. Wie es in der Philosophie »weder Vorgänger noch Nachgänger« gibt, sofern jede Philosophie ihre Aufgabe unter den Bedingungen ihrer Zeit und Umgebung gelöst hat, so gibt es auch keine Rangunterschiede zwischen Philosophien verschiedener Kulturen. Entscheidend ist (im Blick auf die historischen und die kulturellen Unterschiede), dass die jeweiligen Philosophien die Fraglichkeit ihrer Situation sowie den Zusammenhang einzelner Fragen und möglicher Antwort(richtung)en mit den Mitteln der Vernunft, das heißt des Denkens und nur des Denkens, reflektieren.

            Für die Philosophie innerhalb der europäisch-westlichen Tradition lässt sich aus der hier herangezogenen Position Hegels von 1801 ableiten, dass es für das eigentlich Philosophische keine Geschichte gibt, kein Bessersein oder Höherstehen der Späteren gegenüber den Früheren. Dasselbe lässt sich, mit einer größeren Erwartung auf Zustimmung für das eigentlich Künstlerische in der Kunst sagen.  Was sich ändert, ist »das Bauzeug eines Zeitalters«, sind die herrschenden Vorstellungen und Auffassungen, ist die Sprache einer Zeit. Auch die technischen Mittel sind wichtig, in der Philosophie sind dies vor allem die Medien der Sprachlichkeit und Schriftlichkeit. Bei ihnen gibt es Geschichte und auch geschichtliche Fortschritte, man denke an Diskussionstechniken, Regelungen für Debatten, persönliche oder telefonische Interviews oder auch an handgeschriebene Manuskripte, gedruckte Bücher oder digitalisierte Texte. Das eigentlich Philosophische, die Aufgabe der Philosophie und ihre Lösungswege, wird von den technischen Mitteln nicht tangiert.       

            Wir wagen es nun, die so gefasste »geschichtliche Ansicht philosophischer Systeme« auf die kulturellen Unterschiede der Philosophien zu übertragen. Die kulturellen Unterschiede betreffen nicht das eigentlich Philosophische, das in den höchst unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen dasselbe ist und für Philosophen aus anderen Kulturen als Philosophie erkennbar ist. Deshalb können wir festhalten, dass es für die Philosophien in den verschiedenen Perioden der eigenen Geschichte und in den verschiedenen Kulturen mit ihrer jeweiligen Geschichte prinzipiell keine Rangunterschiede und keine Entwicklung von weniger gut nach besser oder von tiefer stehend nach höher stehend gibt.

Das soll indessen nicht heißen, in der Philosophie gäbe es überhaupt keine Rang- oder Qualitätsunterschiede. Es ist lediglich gemeint, dass eine Philosophie nicht deswegen geringeren Rang hat als eine andere, weil sie geschichtlich gesehen früher ist oder weil sie geographisch gesehen aus einem anderen Weltteil und einer anderen Kultur stammt. Innerhalb des geschichtlichen Zusammenhangs einer bestimmten philosophischen Tradition oder innerhalb des kulturellen Zusammenhangs einer bestimmten Form des Philosophierens gibt es durchaus Unterschiede des Rangs, der Qualität und des sachlichen Gewichts. Und es gibt auch kulturübergreifende Höhepunkte philosophischer Arbeit. Die letzteren müssen jedoch mit besonderer Vorsicht beurteilt werden. Es darf nicht dazu kommen, dass dann doch eine Kultur als philosophisch prinzipiell höherstehend gegenüber anderen angesehen wird.

            Die herausragende Bedeutung von Platon und Aristoteles, Descartes und Spinoza, Kant und Hegel, Heidegger und Wittgenstein in der europäisch-westlichen philosophischen Tradition soll ebenso wenig in Abrede gestellt werden wie etwa diejenige Laozis und Kongzis in der chinesischen oder der Upanishaden, der Bhagavadgita und der Brahma-Sutras in der Vedanta-Tradition der indischen Philosophie. Der Deutsche Idealismus oder die im angelsächsischen Bereich entstandene Ordinary language philosophy, zwei herausragende Richtungen der europäisch-westlichen Philosophie, werden schon innerhalb dieser Tradition durchaus unterschiedlich beurteilt. Dabei ist die Bedeutung Kants am wenigsten umstritten. Gerade Kant genießt indessen in nicht-westlichen Philosophien häufig relativ geringere Anerkennung.   

            Was sich am Beispiel der indischen Philosophie zeigt, tritt im Kontext der afrikanischen und anderer nicht primär schriftlich überlieferter philosophischer Traditionen noch stärker in den Vordergrund, dass nämlich maßgebliche oder herausragende Beiträge nicht immer mit den Namen ihrer Urheber verknüpft sind und wie im Fall afrikanischer philosophischer Traditionen nicht als bestimmte benennbare und als solche zugängliche Texte oder Textsammlungen anweisbar sind. Vielfach ist hier auch die heutige Kenntnis zu begrenzt, weil die Traditionslinien primär mündlich überlieferter Philosophien mit und seit der Alphabetisierung und Modernisierung der entsprechenden Kulturen abgerissen sind. Wo überhaupt viel philosophisches Wissen der Menschheit verloren gegangen ist, müssen wir auch den Verlust der Kenntnis besonderer Höhepunkte in diesen Traditionszusammenhängen beklagen. 

            Dass (a) spätere Philosophien prinzipiell nicht besser sind als frühere oder (b) solche der eigenen Tradition prinzipiell nicht besser sind als solche aus anderen Traditionen soll dann auch nicht heißen, dass (a) spätere Philosophen sich nicht auf frühere zu beziehen brauchen und dass sie nicht nach einer neuen Philosophie streben sollen, in der die positiven Aspekte der älteren mit aufgenommen werden, oder (b) die Philosophien des einen Kulturraumes nicht bereichert werden können und sollen durch Dialoge mit Philosophien anderer Kulturräume.

            Im ersteren Fall (a) gibt es ferner so etwas wie einen tragenden Anfang, bei dem von den Früheren für die Späteren der Möglichkeitsspielraum abgesteckt wird, der von diesen durchmessen werden kann oder muss. Das meint Heidegger, wenn er auf den Anfang der europäisch-westlichen Philosophie bei den Griechen verweist, der die Grundlage für die philosophischen Bemühungen von Platon und Aristoteles bis zu Hegel und Nietzsche bildet und demgegenüber im 20. Jahrhundert an der Vorbereitung eines »anderen Anfangs« gearbeitet werden soll. Vergleichbares ließe sich auch hier für die chinesischen und indischen philosophischen Traditionen sagen, die durch Jahrtausende bestimmte anfänglich umgrenzte Möglichkeiten ausmessen.

            Eine besondere Situation ist dabei für einige religiös gebundene Philosophien gegeben, wie die buddhistische, jüdische, christliche oder islamische Philosophie. Sie berufen sich auf einen tragenden Anfang, dem zugleich eine nicht einholbare oder ersetzbare Autorität zukommt. Die Religionsstifter und ihre Lehren behalten für die sich darauf berufenden Religionen und die im Kontext dieser Religionen konzipierten Philosophien diese Art von Autorität: Buddha Gautama für den Buddhismus, Moses und die Propheten für das Judentum, Jesus und die Apostel für das Christentum, und Mohammed als der letzte und maßgebende Prophet für den Islam. Philosophien, die sich für den sie konstituierenden Begründungszusammenhang auf den Hinduismus oder den Animismus beziehen, wie bestimmte fernöstliche oder afrikanische philosophische Traditionen, stehen den nicht religiös gebundenen Philosophien näher, sofern sie nicht von einem Religionsstifter ausgehen oder einem solchen die beschriebene Form von Autorität zuerkennen.

            Der tragende Anfang kann für die Späteren, die sich in dem davon eröffneten Möglichkeitsspielraum ansiedeln, nur von Bedeutung sein, sofern er bei ihnen bekannt ist. Und bestimmte auszumessende Möglichkeiten erhalten in dem Maße ihre Kontur, wie sie sich von anderen im Allgemeinen und im Einzelnen absetzen. Bei den religiös gebundenen Philosophien, die sich auf Religionsstifter und deren Lehren berufen, ist mit dem tragenden Anfang ein unendlicher und nicht zu überschreitender Möglichkeitsspielraum gegeben. Der Rückbezug auf den jeweiligen Anfang ist bei ihnen immer notwendig und besonders intensiv. Bei philosophischen Traditionen, die primär mündlich überliefert worden sind, ist es oft schwer auszumachen, wann und wo der tragende Anfang zu suchen ist und welche darauf aufbauenden oder diesen variierende Möglichkeiten bereits vorliegen. Im Fall der subsaharisch-afrikanischen Philosophie wird von einigen Autoren auf das alte Ägypten verwiesen,[186] dessen Bevölkerung vor der Arabisierung und Islamisierung der Hautfarbe und dem Phänotypus nach zu Schwarzafrika gehört haben soll.[187] Die lateinamerikanische Philosophie konzentriert sich bislang sehr viel mehr auf Dialoge mit europäisch-westlichen Partnern, insbesondere mit den Vertretern der Diskursethik, als auf die Zuwendung zu einheimischen philosophischen Traditionen.   

            Für die methodische Seite des Umgangs späterer mit früheren Philosophien in einer bestimmten Tradition möchte ich mich bei dem von Hans-Georg Gadamer vorgeschlagenen Modell von Dialogen mit der Geschichte anschließen, auch wenn ich, wie oben bereits gesagt, in Bezug auf das Ergebnis solcher Dialoge und das Maß der jeweils zu erreichenden Verständigung vorsichtiger sein und ein mögliches bleibendes Nichtverstehen immer in Rechnung stellen möchte.[188] Wer der jeweilige Dialogpartner ist, ergibt sich aus den Besonderheiten und den Bedürfnissen der jeweiligen Gegenwart. Daraus konstituiert sich auch das in einer Gegenwart relevante Bild der Geschichte, nicht als eines Kontinuums von Vorgängern und Nachgängern, sondern eher als eine Art Lostrommel, aus der, freilich nicht blindlings, bestimmte Lose gezogen werden. Es versteht sich, dass ausreichende Kenntnisse darüber vorhanden sein müssen, was sich in dieser Lostrommel befindet, damit die Wahl bestimmter Lose begründbar und verantwortbar ist.

            So ist dann auch in dem Fall (b) für das Umgehen von Philosophen verschiedener Kulturen mit einander von europäisch-westlicher Seite aus das Modell des Dialogs vorzuschlagen. Das ist oben schon genauer begründet worden (Kapitel IV, 1). Die Probleme der Gegenwart bedürfen zu ihrer adäquaten Behandlung nicht nur der Zuwendung zu bestimmten Instanzen, Autoren, Textkonstellationen oder Perioden der jeweils eigenen Geschichte. Diese Probleme sind so schwierig und in ihrer Zuspitzung für große Teile der Welt oder den Planeten Erde im Ganzen so bedrohlich, dass zu ihrer Lösung oder – was von der Philosophie redlicherweise erwartet werden kann – zum Aufweis der Richtung, in der diese Lösungen zu suchen sind, die philosophischen Potentiale aller Kulturen genutzt werden müssen. Die Vorräte an atomaren Waffen ermöglichen noch immer, nach verschiedenen Abrüstungsabkommen, einen Overkill der gesamten Menschheit. Und die Gefahr, dass  diese Waffen in die Hände von Fanatikern und/oder gewissenlosen Verbrechern geraten, ist in der letzten Zeit sehr gewachsen. Aber auch die Risiken der so genannten friedlichen Nutzung der Atomenergie sind in ihren Ausmaßen kaum abzuschätzen. Schließlich soll hier noch auf die ungeklärten möglichen Folgen der Gentechnologie hingewiesen werden. Die wissenschaftlich-technische Erforschung und Erprobung der genetischen Manipulation, einschließlich des Klonens von Menschen, wird sich nicht aufhalten lassen. Es wird darauf ankommen, dass die Philosophen aller Länder und Weltteile ihre Potentiale und Kräfte zusammenfassen, um wenigstens gesagt zu haben, wo die ethischen und vernünftigen Grenzen des Gebrauchs solcher Energien und Technologien verlaufen.    

            Die Zusammenfassung der philosophischen Potentiale aller Kulturen im Wege von Dialogen zwischen ihnen setzt voraus, dass in der Philosophie einer jeden Kultur ein Grundwissen von den Philosophien der anderen Kulturen vorhanden ist und gepflegt wird.

            Es ist leicht ersichtlich, dass im bisherigen Diskurs zum Philosophiebegriff und zur Philosophiegeschichte primär von den Voraussetzungen der kontinentalen europäischen Philosophie und den von hier aus geführten Dialogen mit den Philosophien anderer Kulturen ausgegangen worden ist. Abschließend möchte ich noch einmal den afrikanischen Philosophen Odera Oruka zu Wort kommen lassen, der sich in seinem Philosophieverständnis einerseits innerhalb der europäisch-westlichen Philosophie auf die angelsächsisch geprägte Ausübung dieses Faches beruft, wie sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts dort vorherrschend ist, und andererseits, wie oben genauer aufgezeigt, auf die Tradition der afrikanischen sages. Er steht also für einen im bisherigen Diskurs weniger herangezogenen Traditionszusammenhang der europäisch-westlichen Philosophie und für den Versuch, von diesem aus oder auf diesen hin die Relevanz der afrikanischen philosophischen Tradition sichtbar zu machen. Die Erörterung seines Philosophieverständnisses bildet eine aufschlussreiche Fallstudie, welche die bisherigen mehr prinzipiellen Überlegungen ergänzen soll.

            Nun hat es in der europäisch-westlichen Ausübung des Faches Philosophie vierzig Jahre gedauert, bis das Schisma zwischen kontinental-europäischer und britisch-nordamerikanischer Philosophie überwunden worden ist. Es wird also vermutlich auch eine längere Zeitperiode erforderlich sein, bevor die europäisch-westliche Philosophie sich in ihren offiziellen Vertretern und Wortführern und in ihrer Breite für die Philosophien anderer Kulturen öffnet. Orukas Bestimmung der Philosophie und des Umgangs mit ihrer Geschichte, die in Hinsicht auf ihre Orientierung an einer spezifisch angelsächsischen Ausübung der Philosophie bereits einer vergangenen Periode angehört, kann für die Zukunftsaufgabe der Öffnung der Philosophien verschiedener Kulturen für einander durchaus von Bedeutung sein. Was den Umgang mit der Geschichte der eigenen Philosophie betrifft, steht Oruka mit der ihm eigenen Entschiedenheit auf der Seite der soeben skizzierten interkulturell philosophischen Position. Das hört sich im Originalton so an: »Wenn die Vergangenheit … ihm [dem Afrikaner] Weisheit anbieten kann, um die Zukunft zu bewältigen, gut und schön. Aber wenn sie das nicht kann, dann zur Hölle mit der [philosophischen] Weisheit der Vergangenheit … Es gibt eine Menge in der Vergangenheit, das wir um der Zukunft willen aufopfern müssen«.[189]    

            In der Bestimmung dessen, was Philosophie ist, betont Odera Oruka ihre enge Verbindung mit den Wissenschaften, insbesondere den exakten Naturwissenschaften. Er stimmt dem Argument zu, es sei »die Hauptaufgabe der Philosophie … die Natur und die Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft zu bestimmen«. Später präzisiert und modifiziert er diesen Standpunkt dahingehend, dass es die Aufgabe der Philosophie ist, die Grundlagen der Wissenschaften zu klären. Das kann nach dieser Auffassung Orukas die Philosophie nur leisten, wenn sie auch ihre eigenen Annahmen immer wieder in Frage stellt.[190] Grundsätzlich gilt: »Im exakten Sinn ist Philosophie eine rationale und kritische Reflexion auf den Menschen, die Gesellschaft und die Natur«. Wenn er sagt, eine »Beschreibung« sei deshalb nicht genug, lässt er offensichtlich die spezifischen Möglichkeiten der  auf das Wesen gerichteten phänomenologischen Beschreibung außer Acht. Wenn es sich um die Philosophie einer bestimmten Gemeinschaft handelt, die nicht von einem individuellen Philosophen konzipiert ist, handelt es sich allenfalls um Philosophie in einem herabgesetzten Sinn (in a debased sense).

            Dieser einseitig am angelsächsisch geprägten Philosophieverständnis der Zeit bis etwa 1985 orientierte  Philosophiebegriff Orukas führt zu einigen recht problematischen Positionen. Dazu gehört, dass er religiös gebundene Philosophien nicht als solche anerkennt. Zwischen Mythologie und Philosophie sieht er eine tiefe Kluft. Das sicher mit einigen nicht adäquaten Voraussetzungen belastete, aber im Ergebnis für die afrikanische Philosophie positive Unternehmen von Placide Tempels, der als Europäer die Philosophie der Bantu aus der Sprache, Mythologie und den Gebräuchen eines Bantu-Volkes rekonstruiert, kann Oruka nur rundheraus ablehnen. Und im Blick auf die von ihm entdeckte Philosophie der sages sieht er sich veranlasst, wie oben schon angemerkt (s. Kapitel IV, 4), einen nicht sehr überzeugend durchgeführten Unterschied zwischen folk sages und philosophical sages einzuführen, wobei nur die letzteren seinem einseitigen Kriterienkatalog entsprechen. Indessen, wer selbst bei der Anwendung dieser äußerst eng gefassten Kriterien als Philosoph »im exakten Sinn« klassifiziert wird, dem wird dieser Titel von niemandem mehr streitig gemacht werden können.

            Schließlich gibt Oruka seinem Philosophieverständnis eine Wendung, die sein oben besprochenes ethisches Engagement für die armen Länder innerhalb der Weltgesellschaft ermöglicht. Indem er die Philosophie von den Wissenschaften abgrenzt, betont er gerade für afrikanische Verhältnisse, dass sie neben ihrer Aufgabe, Grundlagenforschung zu betreiben, zum Entstehen und zum Ausbau einer »kulturellen Plattform« Wichtiges beitragen kann. Sie kann mithelfen, dass einem rein technologisch orientierten Entwicklungsbegriff eine kulturelle Dimension hinzugefügt wird, so dass ein »besseres« Leben sich nicht nur auf den materiellen Lebensstandard bezieht, sondern auch darauf, dass die Menschen »glücklicher, würdiger, im Umgang mit einander freundlicher, friedlicher und wohlhabender« werden.[191] Das sind Ziele, die nicht nur durch eine Modernisierung und Verwestlichung nicht-westlicher Länder erreicht werden können, sondern die Einflüsse in beide Richtungen, eine gemeinsame Arbeit der Philosophen aus verschiedenen Kulturen, voraussetzen.

Nachtrag

Es wird deutlich geworden sein, dass sich interkulturelle Philosophie nicht ausschließlich am Schreibtisch oder vor dem PC entwickeln lässt. Aus diesem Grund habe ich in dem Artikel Afrikanische Philosophie als Weisheitslehre? Von einer »Methodologie der Tat« gesprochen.[192] Europäisch-westliche Philosophen müssen sich der anderen Kultur aussetzen, mit deren Philosophie sie in einen Dialog kommen wollen, indem sie längere Zeit am Ort und in der Umgebung der dortigen Kollegen am Prozess der Forschung und Lehre teilnehmen sowie umgekehrt mit diesen Kollegen am eigenen Ort und in der eigenen universitären Umgebung zusammen arbeiten. Das müsste auf die Dauer zu einem Austausch von Professoren, Dozenten und Studenten führen. Die Arbeit der Gesellschaften und Stiftungen für interkulturelle Philosophie mit ihren Kongressen und Symposien sowie den wenigen bisher bestehenden Buchreihen und Zeitschriften, die zum Teil auch im Internet präsent sind, bilden  in dieser Hinsicht nur ein Anfang.

            Die offiziellen, auch mit entsprechenden Mitteln ausgestatteten europäisch-westlichen Wissenschaftsinstitutionen, auf dem europäischen Kontinent stärker als in den angelsächsischen Ländern, besonders den USA, geben der interkulturellen Dimension der Philosophie nur wenig Raum. Das hat zur Folge, dass die Beschäftigung mit buddhistischer und hinduistischer Philosophie zwar auf breiter Front, aber überwiegend in außeruniversitären Kontexten geschieht. Das gilt noch mehr von islamischer Philosophie, obwohl aktuelle Ereignisse, in denen der islamische Fundamentalismus unübersehbar vor der Weltöffentlichkeit präsent ist, zu einer gründlicheren Beschäftigung herausfordern. Die Dialoge mit lateinamerikanischer Philosophie bleiben am Rande offizieller akademischer Arbeit. Das Schlusslicht bilden afrikanische und andere traditionell primär mündlich überlieferte Philosophien.

            Sofern vor allem die letzteren zu einer Neubesinnung auf den Philosophiebegriff und die Philosophiegeschichte Anlass geben, wird ihre Einbeziehung vielleicht einen Umschlag herbeiführen, so dass die eurozentrische Orientierung überwunden und die Philosophie der heutigen Weltlage gerecht werden kann, die von der doppelten Bewegung der Globalisierung und Regionalisierung gekennzeichnet wird. Damit kehrt dieser Diskurs zu seinem Ausgangspunkt zurück.

 

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Über den Autor

Heinz Kimmerle, geb. 1930, emeritierter Professor für Philosophie, von 1990-1995 Inhaber des besonderen Lehrstuhls für Grundlagen der interkulturellen Philosophie, an der Erasmus Universität Rotterdam. Hauptarbeitsgebiete: (historisch) Schleiermacher, Hegel, Marx, Bloch, Derrida; (systematisch) Hermeneutik, Dialektik, Religionsphilosophie, Theorie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Philosophien der Differenz, interkulturelle Philosophie (mit Schwerpunkt afrikanische Philosophie).

 

 



Anmerkungen

 

Einleitung

[1] M. Heidegger, Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner und einem Fragenden, in: Ders., Unterwegs zur Sprache, Pfullingen 1959, S. 83-155.

[2] J. Hengelbrock (Hg.), Philosophie. Beiträge zur Unterrichtspraxis, Heft 26, Selbstverständnis und Lehre – international, und Heft 29, Afrika. Texte zur afrikanischen Philosophie, ausgewählt und eingeleitet von G.-R. Hoffmann, Frankfurt/M. 1991 und 1993.

[3] H. Kimmerle, Die Dimension des Interkulturellen. Philosophie in Afrika – afrikanische Philosophie. Zweiter Teil: Supplemente und Verallgemeinerungsschritte, Amsterdam/Atlanta, GA 1994 (Studien zur interkulturellen Philosophie 2), S. 131.

[4] R.A. Mall, Philosophie im Vergleich der Kulturen. Eine Einführung in die interkulturelle Philosophie, Bremen (Bremer Philosophica) 1992, S. 10.

[5] H. Kimmerle, Philosophien der Differenz. Eine Einführung, Würzburg 2000 (Schriften zur Philosophie der Differenz, Bd 9), s. bes. S. 46-49.

[6] R.A. Mall, Interkulturelle Philosophie und die Historiographie, in: M. Brocker und H. Nau (Hg.), Ethnozentrismus. Möglichkeiten und Grenzen des interkulturellen Dialogs, Darmstadt 1997, S. 69-89; s. für die Durchführung dieses Postulats F.M. Wimmer, Interkulturelle Philosophie, Geschichte und Theorie. Band 1, Wien 1990.

[7] Wimmer, Interkulturelle Philosophie – Vom Dilemma der Kulturalität zum Polylog, Wien 2001, S. 3-5.

[8] R. Fornet-Betancourt, Einführung, in: Ders. (Hg.), Armut im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und dem Recht auf eigene Kultur. Dokumentation des VI. Internationalen Seminars des philosophischen Dialogprogramms. Frankfurt/M. 1998 (Denktraditionen im Dialog: Studien zur Befreiung und Interkulturalität, Bd 2), S. 8.

[9] Fournet-Betancourt, Lateinamerikanische Philosophie zwischen Inkulturation und Interkulturalität, Frankfurt/M. 1997 (Denktraditionen Im Dialog: Studien zur Befreiung und Interkulturalität, Bd 1), S. 102-105.

[10] J. van Brakel, Interculturele communicatie en multiculturalisme. Enige filosofische voorbeschouwingen, Assen 1998 (Universitaire Pers Leuven. Wijsgerige Verkenningen 19), S. VII-VIII.

[11] J. Loenhoff, Interkulturelle Verständigung. Zum Problem grenzüberschreitender Kommunikation, Opladen 1992.

[12] Mall, Philosophie im Vergleich der Kulturen, a.a.O. (Anm. 4), S. 74-108, s. bes. S. 87 und 90-93. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1961, S. 279-283.

[13] B. Waldenfels, Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden I, Frankfurt/M. 1997, s. bes. S. 35-37: Steigerungsgrade des Fremdseins, zum Folgenden S. 110-144..

[14] E. Levinas, Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, übers. aus dem Französischen von W.N. Krewani, Freiburg/München 1983, S. 209-235.

[15] J. Kristeva, Fremde sind wir uns selbst, übers. aus dem Französischen von X. Rajewsky, Frankfurt/M. 1990, s. bes. S. 184-210. Vgl. zu dem kritischen Argument gegen die paradoxe Universalität des radikal »Fremden in uns« Waldenfels, a.a.O. (Anm. 13), S. 40-42 und Kimmerle, Philosophien der Differenz, a.a.O. (Anm. 5), S. 192-195.

[16] H. Münkler/K. Meßlinger/B. Ladewig (Hg.), Die Herausforderung durch das Fremde, Berlin 1998 (Interdisziplinäre Arbeitsgruppen. Forschungsberichte Bd 5), S. 23.

[17] M. Duala-M’bedy, Xenologie. Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrängung der Humanität in der Anthropologie, Freiburg/München 1977, S. 19.

[18] L.J.B. Duala M’bedy (Hg.), Das Begehren des Fremden. Tagungsergebnisse 1991 des Kaiserswerther Instituts für Xenologie, Essen 1992. (Beiträge zur Xenologie Bd 1.)

[19] E. Holenstein, Kulturphilosophische Perspektiven. Schulbeispiel Schweiz. Europäische Identität auf dem Prüfstand. Globale Verständigungs-möglichkeiten, Frankfurt/M. 1998, S. 11-43, 257-312, s. bes. S. 274, 277, 279.

[20] D. Senghaas, Interkulturelle Philosophie in der Welt von heute, in: Ders., Zivilisierung wider Willen. Der Konflikt der Kulturen mit sich selbst, Frankfurt/M. 1998, S. 27-49, s. bes. S. 32, 35, 37, 44, 48, auch zum Folgenden.

[21] S.P. Huntington, Kampf der Kulturen. The Clash of Civilizations. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München/Wien 1996.

[22] Kimmerle, Universale Erkenntnis a posteriori. Das Universum und die Menschenrechte, in: Ders., Die Dimension des Interklulturellen, a.a.O. (Anm. 3), S. 145-152. 

[23] E. Loko/Th. Schönauer (Hg.), Afrikanisch-Europäische Inspiration / Inspiration Afro-Européenne, Rees 1993.

[24] S. zu dieser Serie von Ausstellungen interkultureller Kunst den Beitrag von C. Jacobs, Nicht-westliche Kunst in westlichen Museen: Verschiebungen in einem interkulturellen Dialog, in: H. Kimmerle (Hg.), Das Multiversum der Kulturen. Beiträge zu einer Vorlesung im Fach ‘Interkulturelle Philosophie’ an der Erasmus Universität Rotterdam, Amsterdam/Atlanta, GA 1996 (ELEMENTA. Studien zur Philosophie und ihrer Problemgeschichte, Bd 67), S. 195-217.

[25] S. in H. Kimmerle, Philosophie in Afrika – afrikanische Philosophie. Annäherungen an einen interkulturellen Philosophiebegriff, Frankfurt/M. 1991, die Abschnitte: Zeit, Geschichte und Entwicklung, S. 163-172, und: Neokolonialismus und die Sonderstellung von Kunst und Philosophie, S. 184-190; ders., Art and Philosophy in the Development of  Sub-Sahran Africa, in: International Sociology 7, 1992, S. 173-186.

 

Kapitel I

 

[26] H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt/M. 1984.

[27] A. Huxley, Schöne neue Welt, aus dem Engl. übers. von H.E. Herlitschka, Frankfurt/M. 1953 (Engl. Originalausgabe 1932); ders.: Dreißig Jahre danach oder Wiedersehen mit der Wackeren neuen Welt, aus dem Engl übers. von  H.E. Herlitschka, München 1959.

[28] W. van den Daele, Mensch nach Maß? Ethische Probleme der Genmanipulation und Gentherapie, München 1985.

[29] S. COMPAS Newsletter for endogenous development, Leusden, nr. 1, Februar 1999.

[30] G. Böhme, Weltweisheit, Lebensform, Wissenschaft. Eine Einführung in die Philosophie, Frankfurt/M. 1994, S. 131-153, Hinweise auf weitere Literatur zu diesem Thema, S. 382-383.

[31] H. Küng, Projekt Weltethos, München/Zürich 1990; siehe zum Folgenden S. 123-127 und 158-161 (Kursivierung im Zitat von mir, HK).

[32] Die Einbeziehung des Animismus wird in dem Text begründet: H. Kimmerle, Entgeistert. Ein Essay über den Verlust des Geisterglaubens und den Wirklichkeitsstatus der Welt der Geister, Zoetermeer 2001, der primär für eine Veröffentlichung im Internet (http://kimmerle.nl) geschrieben worden ist.

[33] J. Fabian, Religious and Secular Colonization: Common Ground, in: History and Anthropolgy 4, 1990, S. 339-355.

[34] G. ter Haar, Standing up for Jesus. A survey of new developments in Christianity in Ghana, in: Exchange 23, 1994, S. 221-240, s. bes. S. 221.

[35] G. Brand, The Nature of Salvation. A Typology of Existing Approaches, in: Exchange 28, 1999, S. 1-20. Brand stützt sich u.a. auf G. Wilmore/J. Cone (Hg.), Black Theology. A Documentary History 1966-1979, Maryknoll 1979 und J. Parrat (Hg.), A Reader in African Christian Theology, London 1997.

[36] K. Helfrich/H. Jebens/W. Nelke/C. Winckelmann, Asmat. Mythos und Kunst im Leben mit den Ahnen, Berlin 1996.

[37] Schmuckmuseum Pforzheim, H. Kuebler/F. Falk (Hg.), Ife, Akan und Benin. Westafrikanische Kunst in 2000 Jahren. Gold – Bronzen – Terrakotten,  Stuttgart 2000.

[38] S. in dem Lehrbuch von G. Ferraro, Cultural Anthropology. An Applied Perspective, St. Paul, MN u.a. 1992, S. 25-27.

[39] K. Wiredu, Cultural Universals and Particulars. An African Perspective, Bloomington / Indianapolis 1996, S. 1-2.

[40] C. Geertz, Anti Anti-relativism, in: American Anthropologist 86, 1984, S. 263-278.

[41] Geertz, The Interpretation of Cultures. Selected Essays, London 1993 (1973, 1. Aufl.), S. 3-30.

[42] J. Hoogland, Over de zin van een interculturele filosofie, in: Tijdschrift voor Filosofie 58, 1996, S. 519-544, s. bes. 537.

 

Kapitel II

 [43] E. Bloch, Tübinger Einleitung in die Philosophie 1, Frankfurt/M. 1963, S. 160-203, s. bes. 175-176. Die hier folgenden Ausführungen dieses  Kapitels übernehmen großenteils den Text der von mir verfassten Prolegomena zu dem Band: H. Kimmerle (Hg.), Das Multiversum der Kulturen, a.a.O. (Anm. 24), S. 9-29.

[44] Th. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt/M. 1982, 3. Aufl., S. 314.

 

[45] W. Capelle (Hg.), Die Vorsokratiker. Fragmente und Quellenberichte, Stuttgart 1953, 4. Aufl., S. 164.

[46] Platon, Kratylos, 1B3 u.ö.

[47] M. Heidegger, Europa und die deutsche Philosophie (1936), in: H.-H. Gander (Hg.), Europa und die Philosophie. Frankfurt/M. 1993 (Martin-Heidegger-Gesellschaft. Schriftenreihe. Bd 2), S. 31-41; s. bes. 31 und 33-35.

[48] H. Odera Oruka, Sage Philosophy. Indigenous Thinkers and Modern Debate on African Philosophy, Leiden u.a. 1990; A. Hampaté Bâ, Vie et enseignement de Tierno Bokar. Le Sage de Bandiagara, Paris 1980.

 

[49] K. Gyekye, An essay on African philosophical thought, The Akan conceptual scheme., Philadelphia 1995, 2. Aufl.; G.J. Wanjohi, The Wisdom and Philosophy of the Gikuyu Proverbs. The Kihooto World-View, Nairobi 1997.

 

[50] S. Gbadegesin, African Philosophy. Traditional Yoruba Philosophy and Contemporary African Realities, New York u.a. 1991; S.B. Oluwole, Philosophy and Oral Tradition, Ikeja 1997.

 

[51] Fornet-Betancourt, a.a.O. (Anm. 9), s. bes. S. 80, 150-151 und 161-165.

 

[52] Hg. von R. Moritz, H. Rüstau und G.-R. Hoffmann, Berlin 1988.

 

[53 ]K. Rosenkranz, Hegel’s Leben, Berlin 1844, S. 189-190;  G.W.F. Hegel, Gesammelte Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Band 4, Jenaer Kritische Schriften, hg. von H. Buchner und O. Pöggeler, Hamburg 1968, S. 12.

[54] U. Libbrecht, Inleiding Comparatieve filosofie II. Culturen in het licht van een comparatief model, Assen 1999, S. 472.

[55] Wie und warum entstand Philosophie ...?, a.a.O. (Anm. 44), S. 7 am Rand.

[56] F.M. Wimmer, Interkulturelle Philsophie, a.a.O. (Anm. 6), S. 14. (Hervorhebung von mir, HK.)

[57] Ebenda, S. 21.

[58] Ebenda, S. 33-34.

[59]Ebenda, S. 80 ff. und 73 ff.

[60] A. Figl, Immanuel Kant und die wissenschaftliche Weihe des Rassismus, in: Zeitschrift für Afrikastudien 13/14, 1992, S. 9-28, s. bes. S. 10.

[61] I. Kant, Zum ewigen Frieden, in: Kants Werke. Akademie-Textausgabe (=AA). Berlin 1968. Band VIII, S. 341-386, s. bes. S. 354-355.

[62] Kant, Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace, in: AA. Band VIII, S. 93.

[63] Kant, Physische Geographie, hg. von F.Th. Rink. In: AA. Band IX, S. 316.

[64] Kant, Von den verschiedenen Racen der Menschen, in: AA. Band II, S. 438.

[65] Kant, Physische Geographie, a.a.O. (Anm.63), S. 316.

[66] Ebenda, S. 313.

[67] Figl, a.a.O. (Anm. 60), S. 22.

[68] Vgl. Wimmer, Rassismus und Kulturphilosophie, in: G. Heiß u.a. (Hg.), Willfährige Wissenschaft. Die Universität Wien 1938-1945, Wien 1989, S. 89-114, s. bes. S. 111, Anm. 45: »... so verzeichnet Johann Samuel Ersch, ‘Literatur der Geschichte und ihrer Hüfswissenschaften seit der Mitte des 18. Jahrhunderts bis auf die neueste Zeit’ (Leipzig 1827) ... für den Zeitraum von 1750 bis 1790 (in etwa Kants Lesezeit) 26 Werke im deutschen Buchhandel.«

[69] P.J. Hountondji, Afrikanische Philosophie. Mythos und Realität, hg. von G.R. Hoffmann, aus dem Englischen übers. von Ch. Neugebauer und F.M. Wimmer, Berlin 1993 (Franz. Originalausgabe 1977), S. 123-148: Ein afrikanischer Philosoph im Deutschland des 18. Jahrhunderts: Anton Wilhelm Amo.

[70] Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, hg. von J. Hoffmeister, Hamburg 1955. 4. Aufl., §§ 243-245. Die Nachweise zu diesem Werk werden in § angegeben, weil die Paragrapheneinteilung in den verschiedenen Ausgaben übereinstimmt.

[71] Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Band 1, Die Vernunft in der Geschichte, hg. von J. Hoffmeister. Hamburg 1966. 5. Aufl., S. 192, 212.

[72] Ebenda, S. 191.

[73] Ebenda, S. 228.

[74] Ebenda, S. 227.

[75] Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Band 2, Die Naturreligion, hg. von G. Lasson, Hamburg 1966, Nachdruck der 1. Aufl. von 1925, S. 77-119.

[76] Die Vernunft in der Geschichte, a.a.O. (Anm. 71), S. 220-222.

[77] Ebenda, S. 224-225.

[78] H. Kimmerle, Die Dimension des Interkulturellen, a.a.O. (Anm. 3); darin: Hegel und Afrika. Das Glas zerspringt S. 85-112, s. bes. 97-98.

[79] F. Nietzsche, Nachgelassene Fragmente, in: Sämtliche Werke, hg. von E. Colli und M. Montinari, Berlin/New York 1980, Bd 7, S. 106.

[80] Nietzsche, Also sprach Zarathustra, in: Sämtliche Werke, a.a.O. (vorige Anm.), Bd 4, S. 23, 41, 270-277, 288-291 u.ö.

[81] Nietzsche, Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen, in: Sämtliche Werke, a.a.O., Bd 1, S. 799-872, s. bes. 806; vgl. zum Folgenden die Beiträge von H. Oosterling und D. Tiemersma in: H. Kimmerle (Hg.), Das Multiversum der Kulturen, a.a.O. (Anm. 24), S. 103-122, bes. 110-114 und S. 31-55.

[82] M. Heidegger: Europa und die deutsche Philosophie, a.a.O. (Anm. 47), S. 31-41, s. bes. 33-35; auf diesen Text komme ich in den »Abschließenden Überlegungen« zurück.

[83] Heidegger, Aus einem Gespräch von der Sprache, a.a.O. (Anm. 1);  Zwei Texte von Professor Tomio Tezuka: Eine Stunde mit Heidegger und: Eine von den ‘Drei Antworten’, in: F. Vetsch, Martin Heideggers Angang …, a.a.O. (oben im Text), S. 189-197.

[84] J. Derrida, Grammatologie, aus dem Franz. übers. von H.J. Rheinberger und H. Zischler, Frankfurt/M. 1974, S. 173-243.

[85] Derrida, La crise de l’enseignement philosophique, in: Ders., Du droit à la philosophie, Paris 1990, S. 155-170.

 

Kapitel III

 

[86] Ferraro, Cultural Anthropology, a.a.O. (Anm. 38), S. 32.

[87] V.Y. Mudimbe, The Invention of Africa. Gnosis, Philosophy, and the Order of Knowledge, Bloomington/Indianapolis 1988, Kapitel I-III.

[88] Hegel, Über die unter dem Namen Bhagavad-Gita bekannte Episode des Mahabharata von Wilhelm von Humboldt, in: G.W.F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, hg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel, Bd 11, Berliner Schriften. 1818-1831, Frankfurt/M. 1970, S. 131-204.

[89] Eine neue Auflage dieses Buches trägt den Titel: The origins of culture, 2 Bde, hg. von P. Radin, New York 1958; s. zum Folgenden Bd 2, S. 195. 

[90] L. Lévy-Bruhl, L’Ame primitive, Paris 1963. (1. Aufl. 1921.)

[91] Mudimbe, a.a.O. (Anm. 87), S. 82 und 19-20. 

[92] M. Leiris, Das Auge des Ethnographen. Ethnologische Schriften, Bd 2, aus dem Franz. übers. von R. Wintermeyer, hg. von H.-J. Heinrichs, Frankfurt/M. 1985.

[93] M. Griaule, Dieu d’eau. Conversations avec Ogotemmêli, Paris 1966

[94] Derrida, Grammatologie, a.a.O. (Anm. 84), S. 178-243, s. bes. S. 193.

[95] J. Fabian, Time and the Other. How Anthropolgy Makes Its Object, New York 1983.

[96] Ferraro, Cultural Anthropology, a.a.O. (Anm. 38), S. 107-126, 261-300; R.M. Keesing, Cultural Anthropology. A Contemporary Perspective, New York u.a. 1981, 2. Aufl., S. 76-90, 316-347.

[97] P. Radin, Primitive Man as Philosopher, New York/London 1927.

[98] K. Gyekye, An essay on African philosophical thought, a.a.O. (Anm. 49); G.J. Wanjohi, The Wisdom and Philosophy of the Gikuyu Proverbs, a.a.O. (Anm. 49).

[99] H. Odera Oruka, Sage Philosophy, a.a.O. (Anm. 48); A.Hampaté Bâ, Vie et enseignement de Tierno Bokar, a.a.O. (Anm. 48).

[100] Hegel, a.a.O. (Anm. 88); s. zum Folgenden bes. S. 133, 142-143, 190-191.

[101] Hegel, Gesammelte Werke, Band 19, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1827), hg. von W. Bonsiepen und H.-Ch. Lucas, Hamburg 1989, S. 408-409.

[102] R. Ohashi (Hg.), Die Philosophie der Kyoto-Schule. Texte und Einführungen. München/Freiburg 1990.

[103] J.L. Mehta, India and the West. The Problem of Understanding, Chico, CA 1985; Y. Masih, Comparative Study of Religion, New Delhi 1990; P.T. Raju, Introduction to Comparative Philosophy, New Delhi 1992.

[104] Y.C. Ting, A Way towards the Confrontation between Heidegger and Lao tzu. The Approach through Language, Diss phil Louvain-la-Neuve 1990; Cheng Chung-ying, Remarks on Onto-Theo-Logical Formations of Language in Heidegger and Lao Tzu, in: Journal of Chinese Philosophy 5, 1978, S. 335-340; B. Gupta, Buddha and Hume. A popular comparison revisited, in: International Philosophical Quarterly 17, 1977, S. 135-146.

[105] Mao Tsetung, Kritik an Liang Schu-mings reaktionären Ideen (1953), in: ders., Ausgewählte Werke, Bd 5, hg. vom Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1978, S. 134-144; Verblichener Geist des Konfuzius, Wunschträume neuer Zaren, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1974; Kritik an Lin Biao und Konfuzius. Ausgewählte Artikel, 2 Bde, Verlag für fremdspraschige Literatur, Peking 1975.

[106] U. Libbrecht, Inleiding. Comparatieve Filosofie II, a.a.O. (Anm. 54), S. 606-607.

[107] Libbrecht, Inleiding. Comparatieve Filosofie I. Opzet en ontwikkeling van een comparatief model, Assen 1995, S. 13-14.

[108] Libbrecht, Inleiding. Comparatieve Filosofie II, a.a.O (Anm. 54), S. 4 und 147.

[109] Ebenda, S. XIII, 150-252, 331-362.

[110] Libbrecht, Inleiding. Comparatieve Filosofie I, a.a.O. (Anm. 107), S. 16.

 

Kapitel IV

[111] M. Leiris, Das Auge des Ethnographen (1930), in: ders., Das Auge des Ethnographen, a.a.O. (Anm. 92), S. 29-35.

[112] M. Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1984, 5. Aufl. (1954, 1. Aufl.)

[113] Gadamer, Wahrheit und Methode, a.a.O. (Anm. 12), S. 359-360.

[114] G. Böhme, Platons theoretische Philosophie, Stuttgart/Weimar 2000, S. 1-3, 100-109, s. auch zum Folgenden.

[115] polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, hg. von der Wiener Gesellschaft für interkulturelle Philosophie, 1998 ff; polylog (online), Forum für interkulturelles Philosophieren / Forum for Intercultural Philosophizing, 2000 ff.

[116] Pfad zur Erleuchtung. Buddhistische Grundtexte, übers. und hg. von H. von Glasenapp, Düsseldorf/Köln 1978, S. 15-16.

[117] S. Cho, Selbstlosigkeit. Zu einer buddhistischen Vision von sozialer Gerechtigkeit, in: polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, nr. 6, 2000, S. 30-37, s. auch zum Folgenden.

[118] D. Tiemersma (Hg.), Advaita Vedanta. De vraag naar het zelf-zijn. Symposium 2000, Gouda/Rotterdam 2001, S. 104.

[119] D. Tiemersma, De actuele betekenis van de Advaita Vedanta, in: Ders. (Hg.), Advaita Vedanta, a.a.O. (vorige Anm.), S. 37-52, s. bes. S. 50-51; Ankündigung des Advaita-Symposiums 2001, De ander en ik: eenheid en scheiding in westerse, joodse en upanishadische tradities, a.a.O., S. 123.

[120] H. Kimmerle, Philosophie in Afrika – afrikanische Philosophie, a.a.O. (Anm. 25), S. 8.

[121] H. von Glasenapp, Die fünf Weltreligionen. Hinduismus, Buddhismus, Chinesischer Universismus, Christentum, Islam, Kreuzlingen/München 1963; Nachdruck in Diederichs Gelber Reihe als Nr. 170: Weltkulturen 2001, s. zum Folgenden S. 152-154.

[122] S. oben (in Anm. 31 und 32 mit dem zugehörigen Text) die etwas vollständigere Aufzählung von H. Küng und meine kritische Ergänzung.

[123] Stichting Filosofie Oost-West, Nieuwsbrief 3, 2000, Nr. 4, S. 6-7, 14-15.

[124] R.E. Allinson, An Overview of the Cinese Mind, in Ders. (Hg.), Understanding the Chinese Mind. The Philosophical Roots, Hong Kong u.a. 1989, S. 1-25.

[125] Ebenda, S. 1, s. zum folgenden Absatz S. 11, 13, 23, vgl. dazu auch S. 266-271 und 290-291.

[126] Ebenda, S. 46-47.

[127] Ebenda, S. 167, 178-180, 203-206.

[128] Ebenda, S. 209, 225-227.

[129] S. oben Anm. 105.

[130] H. Roetz, Konfuzius, München 1995, S. 8.

[131] W. Tomaschitz, Nishida als Kulturphilosoph. Zu R. Elberfeld: Kitaro Nishida, in: polylog Nr.5, 2000, S. 82-83.

[132] K. Nishida, Die Logik des Ortes. Der Anfang der modernen Philosophie in Japan, übers. und hg. von R. Elberfeld, Darmstadt 1999.

[133] R. Elberfeld, Kitaro Nishida (1870-1945). Moderne japansiche Philosophie und die Frage nach der Interkulturalität, Amsterdam/Atlanta, GA 1999, S. 113-114.

[134] Ebenda, S.212-219.

[135] R. Ohashi, Reflexion der nicht-europäischen Moderne, in: R.A. Mall und D. Lohmar (Hg.), Philosophische Grundlagen der Interkulturalität, Amsterdam/Atlanta, GA 1993, S. 147-158, s. bes. S. 148-149.

[136] Ohashi, The Japanese ‘Art Way’ (dô). Sensus communis in the Context of the Question of a Non-Western Concept of Modernity, in: H. Kimmerle und H. Oosterling (Hg.), Sensus communis in Multi- and Intercultural Perspective. On the Possibility of Common Judgments in Arts and Politics, Würzburg 2000, S. 53-59.

[137] Ebenda, S. 54-56, s. zum folgenden Absatz auch S. 56-59.

[138] M. Seel, Ästhetik der Natur, Frankfurt/M. 1991, S. 168-169.

[139] M.S. al-Ashmawy, Islam and the Political Order, Washington, DC 1994, s. zum Folgenden S. 11 und das Vorwort (S. 1-9) von George F. McLean, dem Herausgeber der Reihe: Cultural Heritage and Contemporary Change, in dem die englischsprachige Fassung des Buches erschienen ist.

[140] B. Russell, A History of Western Philosophy, London 1984 (1949, 1. Aufl.), S. 413-421.

[141] N.H. Abu Zayd, Der Begriff  von ‘Gerechtigkeit’ nach dem Koran, in: polylog, a.a.O. (Anm. 117), S. 38-52, s. zum folgenden Absatz bes. S.42-45.

[142] Ebenda, S. 46-49.

[143] Ebenda, S. 50-52.

[144] Y. Ceylan, Islam and Global Dialogue, in: H. Kimmerle und H. Oosterling (Hg.), Sensus communis in Multi- and intercultural Perspective, a.a.O. (Anm. 135), S. 129-140; s. auch zu den folgenden Absätzen.

[145] R. Fornet-Betancourt, Philosophie und Theologie der Befreiung. Mit einem Vorwort von E. Dussel, Frankfurt/M. 1988.

[146] H. Schelkshorn, Diskurs und Befreiung. Studien zur philosophischen Ethik von Karl-Otto Apel und Enrique Dussel, Amsterdam/Atlanta, GA 1997, S. 23-26.

[147] Ebenda, S.  5, 11-15, 31-33.

[148] E. Dussel, Ethische Prinzipien und Ökonomie aus der Perspektive der ‘Ethik der Befreiung’, in polylog, a.a.O. (Anm. 117), S. 17-29, s. zum Folgenden in diesem und dem nächsten Absatz bes. S. 17-21.

[149] J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt/M. 1981, 2 Bde.

[150] E. Dussel, a.a.O. (Anm. 148), S. 22-25.

[151] Ebenda, S. 28-29.

[152] J. Derrida, Garmmatologie, a.a.O. (Anm. 84), S. 173-207.

[153] H. Kimmerle, The Philosophical Text in the African Oral Tradition. The Opposition of Oral and Literate and the Politics of Difference, in: H. Kimmerle und F.M. Wimmer (Hg.), Philosophy and Democracy in Interculural Perspective / Philosophie et démocratie en perspective interculturelle, Amsterdam/Atalanta, GA 1997, S. 43-56.

[154] Die erste Veröffentlichung der Bantoe Filosofie erfogt in französischer Sprache: P. Tempels, La philosophie bantoue. Elisabethville 1945. Auf Französisch und Englisch wird das Buch 1949 in Paris in der Reihe »Présence Africaine« herausgegeben; eine deutsche Übersetzung (Bantu Philosophie. Ontologie und Ethik) erscheint 1956 in Heidelberg.

[155] G. Blocker, African Philosophy, in: African Philosophical Inquiry 1, 1987, S. 1-7.

[156] P.J. Hountondji, Afrikanische Philosophie. Mythos und Realität, a.a.O. (Anm. 69).

[157]   Die Angaben zu K. Gyekye und G.J. Wanjohi, s.o.. in Anm. 49; zu S. Gbagedesin und S. B. Oluwole in Anm. 50.

[158] H. Odera Oruka, Sage Philosophy. Indigenous Thinkers and Modern Debate on African Philosophy, a.a.O. (Anm. 48).

[159] A.H. Bâ, Vie et enseignement de Tierno Bokar. Le Sage de Bandiagara, a.a.O. (Anm. 48).

[160] Kimmerle, Afrika in Amerika, in: Ders., Die Dimension des Interkulturellen, a.a.O. (Anm. 3), S. 43-75, s. S. 65-66.

[161] R. Horton, Traditional thought and the emerging African Philosophy Departments, in: Second Order VI, 1977, S. 64-80.

[162] C. Sumner, The Source of African Philosophy: The Ethiopian Philosophy of Man, Stuttgart 1986, S. 32-37.

[163] Ebenda, S. 113.

[164] Ebenda, S. 37-40, s. auch zum ersten Teil des folgenden Absatzes..

[165] Ebenda, S.131.

[166] The Speech of Chief Sealth (1854), hg. von H.A. Smith, Seattle 1887 (Niederländische Übers. von A.F. de Groot, Soest 1984); Der Gesang des Schwarzen Bären. Lieder und Gedichte der Indianer, zweisprachig (englisch und deutsch) hg. von W. Arens und H.-M. Braun, München 1992;  American Indian Prophecies. Conversations with Chasing Deer, hg. von K. Kaltreider, Carlsbad, CA 1998.

[167] P.J. Hountondji (Hg), Bilan de recherche philosophique africaine. Répertoire alphabétique / Philosophical Research in Africa. A Bibliographical Survey, Cotonou 1987, 2 Bde.

[168] A. Diemer / P.J. Hountondji (Hg.), Africa and the problem of its identity / L’Afrique et le problème de son identité / Afrika und das Problem seiner Identität, Frankfurt/M. u.a. 1985.

[169] Seit 1987 erscheint zunächst in Lusaka (Sambia) und ab 1991 in Groningen (Niederlande) die halbjährlich herauskommende Zeitschrift »Quest. Philosophical Discussions. An International African Journal of Philosophy / Un Journal International Philosophique Africain«. 1989 beginnt ferner der »SAPINA Newsletter. A Bulletin of The Society for African Philosophy in North America« zu erscheinen, der sich 1996 zu einer Zeitschrift mausert und ab 1999 die Begrenzung auf Nordamerika überschreitet und in Basingstoke (Großbritannien) unter dem Titel »African Philosophy« veröffentlicht wird. Von 1989 bis 1997 haben an der Erasmus Universität Rotterdam im Abstand von zwei Jahren regelmäßïg Symposien afrikanischer und niederländischer, sowie belgischer und deutscher Philosophen stattgefunden, deren Akten in den Schriften zur Philosophie der Differenz (Band 3, Amsterdam und Band 8, Würzburg) sowie in den Studien zur interkulturellen Philosophie (Bände 3 und 4 Amsterdam/Atlanta, GA) veröffentlicht sind. Schließlich erwähne ich noch den von den Wiener Philosophen Herta Nagl-Docekal und Franz M. Wimmer herausgegebenen Sammelband Postkoloniales Philosophieren: Afrika  (Wien/München 1992). Von afrikanischen Philosophen in Afrika und in den USA sind eine Reihe von Readern zur afrikansichen Philosophie zusammengestellt worden, die auch von europäisch-westlichen Lesern benutzt werden.

[170] H. Odera Oruka, Philosophy of Foreign Aid: A Question of the Right to a Human Minimum (1989) und Ecophilosophy and the Parental Earth Ethics (On the Complex Web of Being) (1994), in: A. Graness und K. Kresse (Hg.), Sagacious Reasoning. Henry Odera Oruka in memoriam, Frankfurt/M. u.a. 1997, S. 47-59 und 119-131. Der erste Artikel ist in deutscher Übersetzung, die von den Herausgebern des Gedenkbandes an Odera Oruka gemacht worden ist, auch in polylog Nr. 6, 2000, S. 6-16 erschienen. Diesen Text zitiere ich nach der deutschen Übersetzung.

[171] polylog, a.a.O. (vorige Anm.), S. 7; fúr das  »principle of national supererogation« habe ich eine eigene Übersetzung mit erklärenden Einschüben gewählt.

[172] Ebenda, S. 8-15; s. zum folgenden Absatz S. 15-16.

[173] U. Lölke, Parental Care as a Principle of Development, in: A. Graness und K. Kresse (Hg.), Sagacious Reasoning, a..a.O. (Anm. 168), S. 219-231; s. bes. S. 224 und 228.

[174] Lölke, Kritische Traditionen. Afrika. Philosophie als Ort der Dekolonisation, Frankfurt/M. 2001, S. 5; s. zum folgenden Hinweis bes. S. 116, mit Anm. 3.

[175] Ebenda, S. 169-218, s. zum Folgenden bes. S. 203.

[176] K. Gyekye, Tradition and Modernity. Philosophical Reflections on the African Experience, New York/Oxford 1997, S. 219-232.

[177] K. Wiredu, The Need of Conceptual Decolonization in African Philosophy, in: Ders., Cultural Universals and Particulars a.a.O. (Anm. 39), S. 136-144.

[178] J. Konaté, Aktualität der Philosophie in Afrika. Traditionen und wissenschaftlich-technischer Fortschritt, in: H. Nagl-Docekal und F.M. Wimmer (Hg.), Postkoloniales Philosophieren, a.a.O. (Anm. 169), S. 156-169; s. auch Lölke, Kritische Traditionen, a.a.O. (Anm. 174), S. 116-119.

 

Abschließende Überlegungen

 

[179] M. Heidegger, Der Spruch des Anaximander, in: Ders., Holzwege, Frankfurt/M. 1952, S. 296-343, s. bes. S. 336.

[180] Heidegger, Europa und die deutsche Philosophie (1935), a.a.O. (Anm. 47), S. 31-41, s. bes. S. 32-34.

[181] D. Senghaas, Interkulturelle Philosophie in der Welt von heute, a.a.O. (Anm. 20), S. 48.

[182] Heidegger, a.a.O. (Anm.47), S. 31.

[183] G.W.F. Hegel, Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (1801), in: Gesammelte Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Band 4: Jenaer Kritische Schriften, a.a.O. (Anm. 53), S. 1-92, s. bes. S. 9 und 12.

[184] Hegel, Der immer sich vergrößernde Widerspruch … (1799/1800), in: Werke in zwanzig Bänden, hg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel, Band 1: Frühe Schriften, Frankfurt/M. 1971, S. 457-460, s. bes. S. 457.

[185] Hegel, a.a.O. (Anm. 183), S. 9-10 und 12, s. auch zum Folgenden.

[186] Für die religiöse und philosophische Tradtion des Ma’at im alten Ägypten gibt es mündliche und schriftliche Überlieferungen. Das wichtigste Zeugnis der letzteren ist das Ägyptische Totenbuch, eine um 1550 v.Ch. verfertigte Sammlung von zum Teil viel älteren Sprüchen, die bis zu den Pyramiden-Texten von 2500 v.Chr. zurückreichen. S. die Einleitung von B. van der Meer in: Het Egyptische dodenboek, aus dem Altägyptischen ins Niederländische übers. von M.A. Geru, Deventer 1992, S. 25-26.

[187] Die These von der schwarzafrikanischen Bevölkerung des alten Ägypten ist von dem senegalesischen Philosophen, Historiker, Physiker und Politiker Cheikh Anta Diop (in Texten von 1959 bis 1981) aufgestellt und näher ausgearbeitet und vielfach sowohl bestritten als auch verteidigt worden. Die altägyptische Philosophie soll nicht nur für Afrika, sondern auch für das antike Griechenland und über die Griechen für Europa eine konstituive Bedeutung haben.  S. L. Harding und B. Reinwald (Hg.), Afrika – Mutter und Modell der europäischen Zivilisation. Zur Rehabilitierung des Schwarzen Kontinents durch Cheikh Anta Diop, Berlin 1990.  

[188] Gadamer, Wahrheit und Methode, a.a.O. (Anm. 12 und 113), s. auch den obigen Text, auf den sich diese Anmerkungen beziehen.

[189] Odera Oruka, Mythologies as African Philosophy (1972), in: A. Graness und K. Kresse (Hg.), Sagacious Reasoning, a.a.O. (Anm. 170), S.  23-34, s.bes. S. 24. 

[190] Odera Oruka, Philosophy and other Disciplines, in: Graness und Kresse (Hg.), Sagacious Reasoning a.a.O (vorige Anm.), S. 35-45, s.bes. S. 42-43, s. zum Folgenden den in Anm. 189 genannte Aufsatz S. 28-31.

[191] Odera Oruka, a.a.O. (vorige Anm.), S. 43-45.

Nachtrag

 

[192]   Kimmerle, Afrikanische Philosophie als Weisheitslehre?, in: R.A. Mall und D. Lohmar (Hg.), Philosophische Grundlagen der Interkulturalität, a.a.O. (Anm. 135), S. 159-180, s. bes. S. 159 und 178 Anm. 1.