Heinz Kimmerle

Entgeistert

Ein Essay über den Verlust des Geisterglaubens
und den Wirklichkeitsstatus der Welt der Geister

 

 

 

 

 

Inhaltsangabe

 

Einleitung .................................................................................................................................................................................................. 5

1. Das Verhältnis wissenschaftlich-rational erklärbarer und
    glaubend-angenommener Wirklichkeit nach Kant
.............13

 2. Reduktion christlicher Glaubensinhalte auf der Grundlage wissenschaftlicher
    Rationalität im Kantischen Sinn und eine differenzierte Welt der Geister im
    Kontext eines alternativen Rationalitätsbegriffs
.................  33

3. Die abwesende Anwesenheit der Engel, Dämonen und Geister
    in dichterisch gehaltenen Beschreibungen’ und in philosophischen
    Texten der westlichen Tradition
............................................................................................................ 47

4. Die unsichtbare Welt der Geister in Derridas Spectres de Marx
    und im afrikanischen Denken
.................... 63

Schlussbemerkung ...................77

 

Einleitung

Wer wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel
Ordnungen?
R. M. Rilke: Duineser Elegien (1912).
Ich halte immer noch Ausschau nach einem Grund, warum ich nicht an Geister glauben sollte.
H. Odera Oruka: Sage Philosophy (1990).

Bei meinen regelmäßigen Studienreisen in Afrika in den Jahren 1988 bis 1998[1] und meinen Kontakten mit afrikani­schen Menschen, insbesondere afrikani­schen Philoso­phen, habe ich zahlreiche Unterschiede zwischen westlichen und afrikanischen Denkweisen erfahren. Drei Kenn­zeichen des afrikanischen Denkens erschienen mir, im Unter­schied zu westlichen Auffassungen, besonders wichtig und als Themen für Dialoge mit afrikanischen Philosophen besonders fruchtbar: (1) der afrikanische Grundbegriff der (Lebens)Kraft (vital force) im Unterschied zu dem im Westen vorherrschenden Grundbegriff des Seins, (2) das afrikanische Ge­meinschaftsden­ken im Unterschied zu dem im Westen vorherr­schenden individua­lis­tischen Denken und (3) die afrikanische Spiritualität im Unter­schied zu dem im Westen vorherrschenden wissenschaftlich-rationalistischen Denken.[2] Andere wichtige Unterschiede sollen damit nicht abgewertet werden wie etwa die auf den Gebieten des Zeitdenkens, der Wahrheitsauffassungen, der Moralbegriffe oder der Ästhetik. Aber die drei zuerst genannten tragen für mich den Hauptakzent. Und der letzte von ihnen, die afrikani­sche Spiritualität im Unterschied zu dem im Westen vorherr­schenden wissenschaftlich-rationalistischen Denken, scheint mir der aufschlussreichste zu sein.

            Im Rückblick auf die Erfahrungen bei den Afrikarei­sen und die Gespräche über viele Themen mit afri­kanischen Philosophen, die dann auch zu Konfe­renzen und Buchveröffentlichungen geführt haben, [3] drängt sich mirvor allem die Frage auf, was es mit der afri­ka­nischen Spiri­tua­lität auf sich hat, was es bedeu­tet, dass der Geister­glau­be, wie er in der traditio­nellen Religio­sität und auch in Kombina­tion mit christlichen und/oder isla­mischen Glaubensin­halten in Afrika südlich der Sahara allent­halben vorkommt, dort so weit verbreitet ist und eine so hervorra­gende Rolle spielt. Diese Frage ist durch die Abwesenheit des Glaubens an Geister in der westlichen Welt motiviert, die hier im öffentlichen Bewusst­sein vorherrschend ist, die aber in tieferen Schichten des Bewusstseins und in Subkulturen nie völlig durchgedrungen ist. 

                Dass die Existenz von Geistern geleug­net wird, beginnt in der westlichen Tradition mit dem Aufkommen des Paradigmas exakt-mathematischer Naturwissenschaften am Anfang der Neuzeit. In ihrer radikalen Form kann die Leugnung der Existenz von Geistern als ein Erbe des Denkens der Aufklärung be­trachtet werden. Durch die Absolutsetzung der Vernunft und der wissenschaftlich-rational erklärba­ren Aspekte der Wirklichkeit im Denken der Aufklärung ist es zu einer kollektiven Geisteraustreibung gekommen, die indessen nicht vollständig gelungen ist. Mit der ambivalenten Haltung ge­genüber der Welt der Geister, die so entstanden ist, geht eine gewisse Unsicherheit zusammen, die zu Fragen und Zweifeln Anlass gibt, wie es nun wirklich um diese Wirklichkeitsdimen­sion bestellt ist. Wenn es nicht befriedigt, die Welt der Geister schlichtweg zu leugnen, andererseits aber ihre Exis­tenz nicht vernünftig, wissenschaftlich-rational erklärt werden kann, wie können und sollen wir dann über diese Wirk­lichkeitsdimension denken und sprechen?

                Gewiss ist es keine Lösung dieses Problems, im westlichen Denken einfach den Geisterglauben der afrikanischen Menschen zu übernehmen. Wenn irgendwo, wird in dieser Frage deutlich, dass westliches und afrikanisches Denken zu zwei verschiedenen Welten gehören. Die radikale Kritik an dieser Wirklichkeitsdimension in der Aufklärung war und ist aus westlicher Sicht nicht völlig unberechtigt, jedenfalls lässt sie sich im öffentlichen Bewusstsein nicht einfach rückgän­gig machen. Karl Marx hat der Kritik an den Geistern und an der Religion eine gesellschaftskritische Dimension abgewonnen. Der Glaube an eine transzendente Wirklichkeit lenke davon ab, die diesseitige Wirklichkeit verbessern und umgestalten zu wollen. Die christliche Sozialethik hat sich dieses Argument indessen zu Herzen genommen und sucht den christlichen Gottesglauben jedenfalls mit aktiver Gestaltung und Umgestaltung der diesseitigen Wirklichkeit zu verbinden.

                Umgekehrt ist es in Afrika so, dass unter den Intellektuellen, besonders sofern sie an westlichen Schulen und/oder Hochschulen ausgebildet worden sind, der Glaube an die Geister nicht mehr ungebrochen ist. Freilich kenne ich bemerkenswerterweise keine Beispiele dafür, dass es bei ihnen zu einer völligen Leugnung dieser Wirklich­keitsdimensi­on gekommen wäre. Kwame Gyekye gebraucht das Argument, dass Geisterglaube und Verehrung der Vorfahren oft zu sehr im Vordergrund des Denkens stehen und deshalb eine zu starke Orientierung des Verhaltens an der Vergangenheit bedingen. Dadurch werde wie es Marx in seiner Religionskritik formuliert hatte der Impuls gehemmt, sich auf die Zukunft zu richten und die Gesellschaft im Sinne neuer Einsichten zu verändern. Jedenfalls genüge es nicht, sich zur Rechtfertigung seines Denkens und Handelns darauf zu berufen, dass es die Vorfahren auch so gesagt und getan hätten.4 Es gilt, Vor- und Nachteile des westlichen und des afrikanischen  Denkens zu sehen und gegen einander abzuwägen, um auf diese Weise zwischen den Kulturen neue Wege des Denkens zu suchen und zu beschrei­ten, die dem Wirklichkeitsstatus der Welt der Geister gerecht werden.

                Die christlichen Theologien, welche die Glaubensinhalte der verschiedenen christlichen Konfessionen und Denominationen in der westlichen Welt, in Mittel- und Südamerika, im subsaharischen Afrika und wo immer sie vertreten sind, theoretisch zu klären suchen, nehmen in dieser Frage eine undeut­li­che Stel­lung ein. Die Engel, aber auch der Teufel und die Dämonen sowie in der Katholischen Kirche die Heiligen gehören zur transzenden­ten Welt und Wirklichkeit, die auch die Wirklichkeit Gottes ist und die als wissenschaftlich-rational nicht erklärbar gilt. Den­noch wird davon ausgegangen, dass sie bestehen, dass die Menschen mit ihnen kommunizieren und sie in der diesseiti­gen Welt etwas bewirken können. Es bleibt freilich ein qualitativer Unterschied zwischen der Annahme der Wirklichkeit von Engeln, Dämonen und dergleichen und dem Glauben an Gott.  Nachdem der afrikanische Geisterglaube von der missionarischen Theologie, die mit der kolonialen Ideologie einherging, lange Zeit als heidnisch’ und primitiv’ abgetan worden ist, bemühen sich vor allem afrikanische christliche Theologen darum, im Zuge der Überwindung des Kolonialismus und seiner theoretischen Rechtfertigung den Glauben an die Geister der Verstorbenen, an göttliche Geister und den einen höchsten Gott Ernstzunehmen. Der Wirk­lichkeitsstatus der Geister wird in diesen Fällen zwar nicht mit dem Gottes selbst, aber wohl mit dem der Engel, des Teufels und der Dämonen sowie der Heiligen als gleich oder doch vergleichbar aufgefasst.

                Dies ist indessen für eine Philosophie, die in der Tradition eines konsequent nur auf sich gestellten kritischen Denkens steht, keine befriedigende Lösung.5 Die Denkvoraussetzungen der Aufklärung, die von der Praxis exakt-naturwissenschaftlicher Forschung ausgehen und zur Leugnung der Existenz von Geistern führen, müssen genauer geprüft werden, um wissenschaftlich-rational erklärbare Wirklichkeit und glaubend-angenommene Wirklich­keitsdimensionen, seien diese nun Glaubensinhalt der christlichen Kirche oder einer anderen Religiosität, deutlich von einander absetzen zu können. Einen Angelpunkt hierfür bildet zweifellos die kritische Untersuchung der Vermögen der Vernunft, die von Immanuel Kant ausgeführt und für die Geschichte der Philosophie nach ihm maßgeblich geworden ist. Es ist jedoch fraglich, ob die Trennung in rational-erklärbare und glaubend-angenommene Wirklichkeit eine befriedigende Lösung für das Pro­blem bietet, wie wir (nicht nur als Philosophen vom Fach, sondern allgemein als denkende Menschen), die in der Tradition der Kanti­schen Vernunftkritik stehen und eventuell aus verschiedener kultu­reller Her­kunft kommen, über Geister denken und sprechen können. Kants Untersuchung der Vernunftvermögen ist in ihrer historischen Bedingtheit zu sehen und von daher zu relativieren. Da dies nicht von außen her, sondern im denkenden Nachvollzug geschieht, sprechen wir von einer dekonstruktiven Auseinandersetzung mit dieser Untersuchung.

                In einer Schrift, die er kurz vor seiner Wendung zur kritischen Philosophie’ verfasst hat (Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, 1766), rechnet Kant mit dem Geisterglauben in ironisch-kritischer Weise ab, was durchaus erfrischend zu lesen ist, aber doch nicht dazu führt, dass der Leser in Zeiten nach der Aufklärung mit dem Autor bereit ist, die ganze Materie von Geistern ... als abgemacht und vollendet bei Seite’ zu legen, wie es im letzten Absatz des Ersten Teils der Schrift formuliert wird.6 Was in den drei Kritiken’ (Kritik der reinen Vernunft, 1781/87, Kritik der praktischen Vernunft, 1788 und Kritik der Urteilskraft, 1790/93/99) zu den Fragen nach der Seele und ihrer Unsterblichkeit und nach dem Dasein Gottes und seiner Beweisbarkeit gesagt wird, verbannt solche Annahmen ganz und gar aus dem Bereich des Erkennbaren und bezieht sich nur noch auf ihre mögliche moralische Relevanz. Diese Wendung wird gegenkritisch zu überprüfen sein. Afrikanische Philosophen arbeiten daran, den Begriff der Kausalität über die bei Kant bereits zu findenden Ansätze hinaus zu differenzieren, um für die Wirksamkeit der Geister in der sichtbaren Welt der Menschen Raum zu machen.  

                Das Denken der Aufklärung und Kants Philosophie haben zur Folge, dass wir nach der Leugnung der Existenz der Geister den Glauben an sie nicht ohne weiteres restituieren können, indem wir z.B. schlichtweg dem afrikanischen Beispiel folgen. Wir sind entgeistert in dem Sinn, dass wir über Geister nicht mehr auf eine Weise sprechen können, die dem kritischem Denken standhält, aber auch in dem Sinn, dass uns dieser Sachverhalt verstört oder perplex sein lässt, weil wir alle Illusionen verloren haben. Der bekannte Begriff Entzauberung’, die nach Max Weber mit Modernisierung und Rationalisierung der Welt und des Denkens einhergeht, sagt Ähnliches. Aber er enthält nicht die Bedeutungsnuance, dass es sowohl um einen Verlust geht als auch um ein Stück Ratlosigkeit, wie mit dem Verlust umzugehen sei. Es scheint nicht möglich, einen Weg anzuweisen oder gar zu beschreiten, der aus dieser Situation des Entgeister-Seins führt. Was wir tun können und in der Fortsetzung dieses Textes tun wollen, ist lediglich, diese Situation in ihren Voraussetzungen klarer zu erfassen und damit ein Denken vorzubereiten, das vielleicht einmal den Wirklichkeitsstatus der Welt der Geister in adäquater Weise zu erklären vermag. Dabei werden wir neben philosophischen Texten auch die literarisch-dichterische Rede von Geistern und Göttern, Gespenstern, Phantomen und Engeln mit heranziehen.

                In erster Linie wird darzustellen sein, wie nach Kant wissenschaftlich-ratio­nal erklärbare und glaubend-angenommene Wirklichkeit zu denken sind und wie sie sich zu einander verhalten. Nach’ ist dabei sowohl als gemäß’ als auch im zeitlichen Sinn zu verstehen. Das soll im 1. Kapi­tel geschehen. Was in diesem Zusammenhang sehr vorläufig glaubend-angenommene Wirklichkeit genannt wird, ist inhaltlich indessen nicht nur, wie es in den Schriften Kants der Fall ist, von christlichen Glaubensinhal­ten aus näher zu bestimmen, wie sie in der Theologie und Religionsphilosophie vom 18. Jahrhundert bis heute angenommen wurden, sondern auch vom traditionell afrikanischen Geisterglauben aus. Die christliche Theologie zeichnet die Daseinsweise Gottes und mit ihr die des Heiligen Geistes besonders aus. Daran hält sie auch in afrikanischen Kontext fest. Was sich im Hinblick auf diese Auffassungen: die westlich-christliche und die afrikanische, sowohl in ihrer traditionellen als in ihren von christlicher und islamischer Mission modifizierten Gestalten, ihre theoretische Begründung und ihre mögliche Vergleichbarkeit er­gibt, soll im 2. Kapitel behandelt werden. Es wird sich zeigen, dass diese Glaubensweisen dem Inhalt nach als verschieden, dem Rang nach als gleichwertig zu betrachten sind.

                Insbesondere in der Dichtung war und ist auch in der westlichen Tradition vielfältig von Geistern die Rede und selbst in der Philosophie ist diese Rede nach der Aufklärung nicht ganz verschwunden. Bei Cervantes und Shakespeare spielt die Wirklichkeitsdimension des Phantastischen und Geisterhaften eine entscheidende Rolle. Geister, Hexen und der Teufel treten vielfach in Theaterstücken auf. In der Theologie wird die Rede von Engeln, Dämonen und dem Teufel in dem Sinn als dichterisch’ qualifiziert, dass sie nicht wirklich ernst genommen werden muss, da sie sich nicht auf Gott selbst, auch nicht als Heiligen Geist und als Christus bezieht, die einen göttlichen Status haben. Hölderlin misst indessen der Erwartung einer Wiederkehr der antiken Götter, zu denen er auch Christus rechnet, die größte Bedeutung bei, und in der Dichtung Rilkes hat die Anrufung Gottes und der Engel eine wesentliche Funktion. Es kennzeichnet die abwesende Anwesenheit der Geister im Denken seit den großen naturwissenschaftlichen Entdeckungen und seit der Aufklärung, dass Hegel zwar nicht von Geistern spricht, aber sein frühes Hauptwerk: Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes (1806) nennt und sein System der philosophischen Wissenschaften durchgängig als Philosophie des Geistes’ entwickelt. Die Natur ist in diesem Zusammenhang als das Andere des Geistes definiert. Die Junghegelianer Bruno Bauer und Max Stirner haben das Geisterhafte dieser Konzeption herausgestellt und sie damit im Grunde als unwirklich bestimmt. Im 3. Kapitel wird die kritische Tradition des Denkens, die seit Feuerbach und Marx die transzendente Wirklichkeit Gottes im Menschen und der menschlichen Gesellschaft zu verankern sucht, durchgezogen bis zu Ernst Bloch, der sich auch die Ergebnisse der Theorie der Psychoanalyse von Sigmund Freud zunutze macht und den Menschen als gesellschaftliches Wesen so tief und reich auffasst, dass er als der Ursprung aller religiösen Inhalte begriffen werden kann. Die so erreichte Position hat für westliches philosophisches Denken eine große Überzeugungskraft. 

                Dass die Geister im nachkantischen Denken überwiegend im Modus der Abwesenheit anwesend sind, hat Jacques Derrida in seinem Buch: Marx' Gespenster (1993) deutlich herausgearbeitet.7 Das Denken und Sprechen über diese Wirklichkeitsdimension der Geister und Phantome wird methodisch bewusst ins Ungewisse, Unentschiedene versetzt. In diesem Buch untersucht Derrida einerseits die Rede von Gespenstern, Phantomen und Geistern in den Texten von Karl Marx. Und er macht andererseits die gespenstische Nicht-Gegenwart der Diskurse über Marx in den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussionen nach dem Zusammenbruch des ,realen Sozialismus' in Osteuropa zum Thema. Von hier aus bietet dieses Buch Ansätze zu einer neuen Spektrologie oder Lehre von Gespenstern, Geistern und Phantomen, die deren Existenz im Ungewissen lässt. In einem Vortrag auf dem XX. Internationalen Hegel-Kongress in Debrecen/Budapest 1994 habe ich auf die Konsequenz hingewiesen, dass die neue Spektrologie im Sinne Derridas auf Grund des afrikanischen Glaubens an die Anwesenheit der Geister auch in den Dingen, etwa in einem Baum, einem Felsen, einem Fluss, einer Landschaft, zu einem neuen Animismus ausgeweitet werden müsse.8 Das  4. Kapitel bildet den Versuch, dieser Konsequenz gerecht zu werden, indem eine Rehabilitierung des Animismus in einem wohlverstandenen Sinn vorgeschlagen wird. Dabei ist wichtig, was von Kwasi Wiredu betont wird, dass nach bestehenden Auffassungen im subsaharischen Afrika nicht alle Dinge unterschiedslos als beseelt’ angesehen werden, wohl aber alle Dinge im Prinzip als Wohnstätte oder Aufenthaltsort von Geistern müssen dienen können.9

                Die Schlussbetrachtung verweist noch einmal darauf, dass wir  nach Kant nur im Modus der Abwesenheit von der Anwesenheit der Geister sprechen können, dass uns mit ihnen eine Wirklichkeitsdimension abhanden gekommen ist. Das hat uns mitten in der Wohlstandsgesellschaft irgendwie ärmer gemacht, und wir haben etwas zu gewinnen, wenn wir die im afrikanischen Denken weiterhin vorhandene Annahme der Existenz der Geister ernstnehmen. Dabei wird es nach Gyekye für das afrikanische Denken darauf ankommen, eine exzessive und ununterbrochene Konzentration’ auf die Geister der Vorfahren abzumildern, um eine zu starke Orientierung des Verhaltens an der Vergangenheit zu überwinden. Nach Wilhelm Weischedels Formulierung in seinem Buch: Der Gott der Philosophen (1971), bleibt für den westlichen philosophischen Diskurs über Gott, nachdem Friedrich Nietzsche definitiv den Tod Gottes’ proklamiert hat, nur die Geste des Abschieds, die wir auch auf die unsichtbare Welt der Geister beziehen wollen. Was wir verloren haben, werden wir in dieser Form nicht zurückgewinnen, auch wenn in bestimmten Subkulturen und beispielsweise in Kinderbüchern und zeitschriften oder in populären Filmen unbefangen und mit leichter Ironie wieder häufig von Geistern, Hexen und dergleichen gesprochen wird. Die virtuelle Welt der elektronischen Kommunikation erweitert heute das Wirklichkeitsverständnis in Richtung auf unsichtbare Dimensionen, ist aber prinzipiell vom Geisterglauben unterschieden.  Es bleibt das Gefühl der Leere, zu dem wir uns verhalten müssen, das wir letztlich weiter aushalten müssen, indem wir dafür offen sind, dass über diese Wirklichkeitsdimension in neuer Weise gedacht und gesprochen werden kann. Um dieses Denken und Sprechen vorzubereiten, kann die Einbeziehung afrikanischen Denkens womöglich eine Hilfe sein. 

1. Das Verhältnis wissenschaftlich-rational erklärbarer und
   glaubend-angenommener Wirklichkeit nach Kant 

Da ich mich jetzt beim Schlusse der Theorie von Geistern befinde,
so unterstehe ich mir noch  zu sagen:
... dass man davon vielleicht künftighin noch allerlei meinen, niemals aber mehr wissen könne.
Immanuel Kant: Träume eines Geistersehers (1766)
Indem sie Unsterblichkeit als ein Geschenk’ Gottes postuliert, weigert sich die christliche Auffassung im Grunde, den vorübergehenden Charakter der Unsterblichkeit anzuerkennen.
Mogobe B. Ramose: African Philosophy Through Ubuntu (1999).

Während in der westlichen Tradition im Mittelalter der Glaube an Geister, sowie an weibliche und auch männliche Hexen neben dem kirchlich und biblisch begründeten Glauben an Engel und Heilige sowie den Teufel und Dämonen weit verbreitet war, beginnt mit dem Aufkommen des Paradigmas exakt-naturwissenschaftlicher Forschung am Ende des Mittelalters und am Beginn der Neuzeit die Kritik an der Existenz derartiger Wesen. In diesem Zusammenhang ist an Nikolaus Kopernikus, Giordano Bruno und Galileo Galilei zu erinnern, deren astronomische Forschungen heftige Konflikte mit der christlichen Theologie und Kirche ausgelöst haben. Die Ergebnisse ihrer Forschungen, die zu einem heliozentrischen Weltbild, einer gewandelten Auffassung der Stellung der Erde im Kosmos und später bei Johannes Kepler zu genauen Kenntnissen über die Bewegung der Planeten geführt haben, bedingen zugleich, dass der Himmel nicht mehr als von Gott und allerlei Geistern bevölkert angesehen werden konnte. Die reformatorischen Theologien haben diese kollektive Geisteraustreibung und die damit verbundene Intellektualisierung des christlichen Glaubens aufgegriffen und selbst wesentlich unterstützt. Es sind vor allem Isaac Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica (1687), die Immanuel Kants systematischer Erfassung der erkenntnistheoretischen Bedingungen des von den exakten Naturwissenschaften geprägten Denkens zugrundeliegen.

                In dem kleinen Buch Träume eines Geistersehers sieht sich Kant durch das Auftreten und die Schriften eines gewissen Herrn Schwedenberg’ (der in Stockholm lebt und der nach seinen eigenen Aussagen in der Mitte der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts ,seit mehr als zwanzig Jahren mit Geistern und abgeschiedenen Seelen im genauesten Umgange steht’) zu einer Auseinandersetzung mit Geistererscheinungen’ veranlasst. Die Hirngespinste’ Schwedenbergs, die Mischung aus Wahnsinn’ und ,Wahnwitz’ in seinen Schriften würden indessen nach Kant kaum philosophisches Interesse verdienen, wäre es nicht, dass gewisse widersinnige Dinge selbst bei Vernünftigen Eingang finden, bloß weil allgemein davon gesprochen wird’. Dahin gehören, wie Kant wörtlich aufzählt, die Sympathie, die Wünschelrute, die Ahndungen, die Wirkung der Einbildungskraft schwangerer Frauen (auf den Fötus), die Einflüsse der Mondwechsel auf Thiere und Pflanzen u.d.g.’ [4]

                Diese Stellungnahme zu dem historischen’ Phänomen Schwedenberg in dem erwähnten Buch, mit dem Kant nicht nur für sich, sondern für die Philosophie im Allgemeinen das Thema Geister’ abschließen will, klingt sehr negativ, aus heutiger Sicht kann man sagen: zu negativ. Nun bin ich, weiß Gott, kein Geisterseher, aber der Zufall will es, dass ich rutenfühlig bin und bestätigen kann, dass die Wirkung der Wünschelrute real ist und nicht zu den gewissen unsinnigen Dingen’ gehört. Die ,Einflüsse der Mondwechsel auf Thiere und Pflanzen’ wie auch auf den Menschen sind heute durchaus wissenschaftlich nachweisbar. Und auch für das Phänomen der Sympathie’ zwischen Menschen und für Vorausahnungen der Zukunft gibt es verlässliche Zeugnisse, so dass wir hier eine Befangenheit Kants in den Vorurteilen seiner Zeit konstatieren müssen. 

                Demgegenüber sind die Ergebnisse, zu denen Kant im Ersten Teil seiner Schrift gelangt, welcher dogmatisch ist’, durchaus abgewogen. Von einfachen Substanzen’ wie z.B. den Geistern oder auch dem untheilbaren Ich’ oder der Seele wird angenommen, dass sie ,den Raum, in dem sie wirken’, nicht ,erfüllen’ und auch sonst auf keine Weise in die Sinne fallen’. Daraus muß nothwendig eine Art von Undenklichkeit entspringen. Allein diese kann darum nicht als eine erkannte Unmöglichkeit angesehen werden, eben darum weil das Gegentheil seiner Möglichkeit nach gleichfalls uneingesehen bleiben wird’. [5] Diese Unterscheidung wird in den Kritiken’ deutlicher ausgearbeitet werden.

                Von ihr aus kann man einerseits die Möglichkeit einer Welt der Geister annehmen, zu der dann auch die Seele der Menschen gehört. Sofern die Seele dabei zu persönlicher Einheit mit einem Körper verbunden ist’, vermag sie allein die materielle Natur’ klar zu empfinden. Dagegen wenn man sie als ein Glied der Geisterwelt’ betrachtet, wird die Verbindung mit dem Körper irgendwann aufhören, so dass die Gemeinschaft, darin sie jederzeit mit geistigen Naturen steht, allein übrig bleibt und sich ihrem Bewußtsein zum klaren Anschauen eröffnen’ wird. Man kann aber andererseits ebenso gut von der entgegengesetzten Annahme ausgehen und wird zu der Auffassung gelangen, dass wir Menschen bei dem Glauben an Geister rein innere Vorstellungen als Dinge außer uns’ wahrzunehmen meinen, dass wir den focus imaginarius der Phantasien nach außerhalb unserer selbst versetzen. [6]    

                Diese Beurteilung der Geistererscheinungen geht zwar von einem rein naturwissenschaftlichen, an der Newtonischen Physik orientierten Erkenntnisbegriff aus, insbesondere der Lehre vom Raum und seiner Erfüllung durch Masse, vermeidet aber diesen zu universalisieren. Was außerhalb der wissenschaftlichen Erkennbarkeit in diesem Sinn liegt, lässt sich mit den Mitteln d(ies)er Wissenschaft nicht bestätigen, aber auch nicht widerlegen. Die Doppelheit der Annahmen der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Geisterwelt, zu der auch die menschliche Seele gehört, weist voraus auf die letztlich moralisch begründete Annahme der Unsterblichkeit der Seele’ und des Daseins Gottes’ in Kants eigener kritischen Philosophie’. Und die Lehre von inneren Vorstellungen, die wir außer uns wahrzunehmen meinen, lässt uns an Feuerbachs Projektionstheorie’ denken, die weiter unten behandelt wird.  

Eine dogmatisch-metaphysische Erörterung der Frage nach den Geistern oder welcher anderen Frage auch immer ist auf dem Standpunkt der kritischen Philosophie’ bei Kant (seit der Dissertation: De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis von 1770) nicht mehr möglich. Das Unternehmen der Vernunftkritik ist bei ihm von der Frage geleitet: ,Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?’ Die Metaphysik hat also vor der Instanz der Wissenschaft ihr Recht zu erweisen. Es ist aber nicht seine Absicht, von der Wissenschaft aus oder auf der Grundlage wissenschaftlich-rationaler Erkenntnis die Unmöglichkeit der Metaphysik aufzuzeigen. Die Metaphysik, die sich mit transzendenten Ge­genständen beschäf­tigt, wie sie in der Religion angenommen werden, wird vielmehr als möglich vorausgesetzt. Und es bedarf umfangreicher erkenntniskritischer Erörterungen, um das ,Wie', die Art und Weise ihrer Möglichkeit zu klären. [7]

                Es ist klar, dass die Frage: ,Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich­?' einen anderen Charakter hat als die ihr in der Einleitung’ der Kritik der reinen Vernunft vorausgehenden Fragen: ,Wie ist reine Mathematik möglich?' oder: ,Wie ist reine Naturwissenschaft möglich?' Denn Metaphysik ist nicht selbst zweifelsfrei eine Wissenschaft wie die reine Mathematik oder die reine Physik, die in ihren Möglichkeiten zu untersuchen sind. Insofern ist das ,als’ in der Leitfrage der Vernunftkritik nicht explikativ gemeint. Jedenfalls ist Metaphysik nicht in demselben Sinn selbst wissenschaftlich wie etwa die reine Mathematik oder Physik. Es geht vielmehr darum zu bestimmen, wie sie, obwohl sie nicht selbst wissenschaftlich ist, ,von der Wissenschaft aus' oder ,auf der Grundlage wissenschaftlich-rationaler Er­kenntnis' dennoch als möglich gedacht werden kann. Das ,als’ drückt also nicht eine Explikation, sondern -  und im Grunde wird dies von der Bedeutung des ,als’ nicht gedeckt - eine Konfrontation aus: ,Wie ist Metaphysik angesichts der Wissenschaft möglich?’ [8]

                Diese Frage orientiert sich an einem Wissenschaftsverständnis, welches wir aus heutiger Sicht das der klassischen Newtonischen Mathematik und Naturwissenschaften nennen würden. Die wissenschaftlich-rationale Erklärbarkeit bestimmter Erscheinungen und bestimmter Aussagen zur Beurteilung dieser Erscheinungen und ihres Zusammenhangs ist von einem nachklassischen Einsteinschen Verständnis der Naturwissenschaften und von einem auch geisteswissenschaftlich orientierten Wissenschaftsverständnis aus  weiter zu fassen. Vieles was im Rahmen des bei Kant vorzufindenden Wissenschaftsverständnis als nicht rational erklärbar galt, ist inzwischen sehr wohl berechenbar, exakt erfassbar oder von geisteswissenschaftlichen Prämissen aus rational bestimmbar. Auf diese Weise ist für den Umgang damit, wie Kant diese Frage stellt und wie er sie behandelt von vornherein eine kritische Hinsicht angegeben..   

                Bei Kant steht der lange Weg zur Beantwortung dieser Frage unter der Prämisse, dass sich die drei genannten Fragen aus der Entfaltung der Frage ergeben, in der die ,eigentliche Aufgabe’ der Vernunftkritik enthalten ist: Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?’ Wenn wir die nicht sogleich verständlichen fachlic­hen Termini in dieser Frage in einer etwas umständlichen Art und Weise in eine allgemein zugängliche Begrifflichkeit übersetzen, lautet sie: Wie ist es möglich, dass ein Satz (Urteil) als wissenschaftlich gültige Er­kenntnis ausge­sprochen wird, in dem das Prädikat nicht bereits definitorisch im Subjekt enthalten ist (wie in dem Satz: ,Der Kreis ist rund’), sondern in dem das Prädikat dasjenige, was im Subjekt gedacht wird, erweitert, diesem etwas hinzufügt (deshalb handelt es sich um ein synthetisches Urteil), wobei diese Erweiterung oder Hin­zufügung nicht aus der Erfahrung stammt, sondern ,vor aller Erfahrung’ oder unabhän­gig von der Erfahrung (das heißt: a priori) seine Wahrheit im Sinne wissenschaftlich-rationaler Gültigkeit erweist? Solche Sätze sind nach Kant zum Beispiel in der reinen Naturwissenschaft (physica), ,dass in allen Veränderungen der körperlichen Welt die Quantität der Materie un­verändert bleibe, oder dass in aller Mittheilung der Bewegung Wirkung und Gegenwirkung jederzeit einander gleich sein müssen’.

                Wenn gezeigt ist, wie solche Sätze wissenschaftlich möglich sind, lässt sich auch erklären, wie metaphysische Fragen, welche die ,reine Vernunft sich aufwirft’, also zum Beispiel die Fragen nach der Unsterblichkeit der Seele, dem Zusammenhang der Welt im Ganzen oder dem Dasein Gottes angesichts solcher wissenschaftlicher Sätze angemessen durchdacht werden können. Dabei gilt es zunächst deutlich zu machen, dass und wie diese Fragen dem vernünftigen Denken notwendig entspringen. Dann ist es auch einsichtig, dass die Vernunft in sich Mittel und Wege haben muss, die metaphysischen Fragen ,so gut als sie kann, zu beantworten’. Mit dieser Formulierung greift Kant dem Ergebnis vor, dass Metaphysik schließlich nicht eigentlich als’, sondern vielmehr angesichts der’ Wissenschaft möglich ist. Die Kritik der reinen Vernunft, die Möglichkeit solcher Wissenschaftlichkeit untersucht, versteht sich damit als Wissenschaft der (klassischen Newtonischen Mathematik und Natur-)Wissenschaft. [9]

                Die Untersuchung der Bedingungen der Möglichkeit des wissenschaftlichen und damit objektiv gültigen Erkennens heißt bei Kant Transscendentalphilosophie’. Die Möglichkeit dieses Erkennens behandelt Kant in der Elementarlehre’, das heißt dem grundlegenden Teil der Kritik der reinen Vernunft. Sie wird zunächst näher entfaltet, indem die Transscendentale Ästhetik’, welche die Bedeutung des Anschauens für das Erkennen behandelt, mit der Transscendentalen Analytik’ als der Ersten Abtheilung’ der Transscendentalen Logik’, welche die Bedeutung des Denkens für das Erkennen thematisiert, verknüpft wird. Diese Verknüpfung besagt, dass die Möglichkeit des wissenschaftlichen, objektiv gültigen Erkennens auf dem Zusammenhang beruht, den die Kategorien des reinen Denkens in den data der Materie der Empfindungen’ anbringen, wie sie in den reinen Anschauungsformen des Raumes und der Zeit gegeben sind. Dass ein solcher Zusammenhang in den Vorstellungen des erkennenden Subjekts gestiftet werden kann, der darin die Erkenntnis eines bestimmten Objekts zustande bringt, beruht auf der Einheit des Ich im Ich denke’, das in allen diesen Vorstellungen mit gesetzt ist. [10]

                Mit den so zusammen zu fassenden Bedingungen wissenschaftlicher, objektiv gültiger Erkenntnis ist die Wirklichkeitsdimension des Rational-Erklärbaren auch schon umschrieben. Etwas ist rational erklärbar, wenn es in der Erfahrung anzutreffen ist, das heißt wenn es von Gegebenheiten ausgeht, die im Raum durch den ,äußeren’ und in der Zeit durch den ,inneren Sinn’ angeschaut werden, und wenn diese Gegebenheiten der Anschauung durch die Kategorien des Denkens zu Gegenständen synthetisiert (zusammengebracht und vereinigt) werden. Dabei treten aus meiner Sicht zwei schwerwiegende Probleme auf: (1) Der Ausgangspunkt müssen nicht immer Gegebenheiten in beiden reinen Formen der Anschauung sein: Raum und Zeit. Abstrakte oder rein psychische Gegenstände wie der Plan einer Handlung oder das Gefühl der Angst beruhen lediglich auf Gegebenheiten in der Zeit. Was dabei bei ihr Angeschautwerden durch den inneren Sinn besagt, ist nicht klar. (2) Eine besonders ausgezeichnete Kategorie, die Anschauungsdaten verbindet, ist die Kausalität. Der notwendige Zusammenhang von Ursache und Wirkung wird als durchgängige Bestimmung der gesamten natürlichen Welt angesehen. Im Fortgang seiner Argumentation wird Kant selbst noch darauf eingehen, in welchem spezifischen Sinn Motive des menschlichen Handelns, die oft nicht greifbar oder eindeutig erfassbar sind, als Ursachen gelten können. Und im Kontext der neueren Physik belehrt uns die Quantenmechanik darüber, dass im Bereich des sehr Kleinen auch die messbaren Ereignisse nicht immer einer eindeutigen Kausaldetermination unterliegen.   

                Die Zweite Abtheilung’ der Transscendentalen Logik’, die Transscendentale Dialektik’, widmet sich den traditionellen Fragen der Metaphysik, insbesondere den Fragen nach der Seele oder dem Ich, nach der Welt im Ganzen und nach dem Dasein Gottes, wie sie in der rationalen Psychologie’, der rationalen Kosmologie’ und der rationalen Theologie’ der Schulphilosophie des 16. und 17. Jahrhunderts behandelt worden sind.. Da in diesen Fragen keine Anschauung in Raum und Zeit vorausgesetzt werden kann, ist Erkenntnis im genannten strikten Sinn nicht möglich. Die Begriffe dieses Denkens, denen keine Anschauung zugrunde liegt, die also in gewissem Sinn leer bleiben, heißen bei Kant transscendentale Ideen’. Dennoch kann die Vernunft diese Fragen nicht abweisen, in ihr selbst gibt es einen metaphysischen Trieb’, der sie dazu drängt, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen. Auch wenn Erkenntnis hier nicht erwartet werden kann, ist auf der Grundlage der erkenntnistheoretischen Erörterungen in der Transscendentalen Ästhetik’ und der Ersten Abtheilung’ der ,Transscendentalen Analytik’ ein vernünftiger Umgang mit diesen Fragen möglich und notwendig. [11]

                Angesichts der Bedingungen der Möglichkeit des wissenschaftlichen Erkennens besteht die Möglichkeit der Metaphysik im Weiterdenken der hauptsächlichen Prinzipien der Transzendentalphilosophie. Das genaue Durchdenken des Ich als der Einheit, die letztlich den Zusammenhang der Empfindungsdaten als eines grundlegenden, alles umfassenden Zusammenhangs, das heißt der Welt im Ganzen, möglich macht, führt zur Erörterung der Fragen der rationalen Psychologie’ und der rationalen Kosmologie’. Und wenn man beide Fragenkomplexe zusammen nimmt, den des Ich als letzter Einheit und den des alles umfassenden Zusammenhangs der Welt im Ganzen, kommt man zu der Frage nach Gott, der in seiner Person das Ganze repräsentiert, und damit zur Fragestellung der rationalen Theologie’.          

                Da die Erörterung dieser Fragen aus dem genannten Grund nicht zu Erkenntnissen führen kann, verstrickt sie sich in theoretisch unauflösliche Paradoxe. Kant sagt auch, dass sich ein unvermeidlicher transscendentaler Schein’ ergibt. Die Transscendentale Dialektik’ bindet sich für ihre Denkarbeit an die Bedingungen des Denkens, die sich in der Ersten Abtheilung’ der Transscendentalen Analytik’ ergeben haben. Die Kategorien des reinen Denkens sind am Leitfaden’ der in der Sprache auffindbaren Urteilsformen in die vier Gruppen der Quantität, Qualität, Relation und Modalität eingeteilt worden. Kant erörtert zunächst die Vorstellung des Ich, die rein (oder nur) im Denken (also nicht in Raum und Zeit) gegeben ist, und fragt nach der Weise ihres Gedachtwerdens. In diesem Zusammenhang beginnt er nicht mit der Quantität, sondern mit der Substanz (einer Kategorie der Relation), durch die ein Ding an sich selbst vorgestellt wird’. Von diesem Ausgangspunkt aus gelangt er zu den Begriffen der qualitativ betrachtet einfachen Substanz’, die in quantitativer Hinsicht numerisch-identisch, d.i. Einheit (nicht Vielheit)’ ist und deren Verhältnis zu anderen möglichen Gegenständen’, die sich auch in Raum und Zeit befinden können, geklärt werden muss.

                Indem er in der Weise der Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts (bei Christian Wolff, Christian August Crusius oder Alexander Gottlieb Baumgarten) weiter argumentiert, führen ihn diese Begriffe im Blick auf das Ich oder die Seele zur Annahme der Immaterialität’ (Art der Substanz), Incorruptibilität’ (wegen der Einfachheit der Substanz), Personalität’ (auf Grund der numerischen Identität im Medium des reinen Denkens) und der Spiritualtät’ (als der Zusammenfassung dieser drei Annahmen). Das Zusammen-Dasein einer solchen spirituellen Substanz mit Körpern im Raum wäre als das Principium des Lebens in der Materie’ aufzufassen, das als bleibend wirksames der Seele Immortalität’ verleiht. Da diese Annahmen zwar in der Weise der rationalen Psychologie’ logisch abgeleitet sind, ihnen aber keine Gegebenheit in Raum und Zeit entspricht, haben sie keinen Erkenntniswert im Sinn wissenschaftlicher, objektiv gültiger Erkenntnis. Sie sind gewissermaßen leere Begriffe, die Kant auch transscendentale Ideen’ nennt. Er bezeichnet die Denknotwendigkeiten der rationalen Psychologie’, die zwar zur Annahme der Unsterblichkeit der Seele’ führen, als solche aber nicht den Status objektiv gültiger Erkenntnis erlangt, als Paralogismen einer transscendentalen Seelenlehre’. [12]   

                Damit ist näher bestimmt, was vom Ich als derjenigen Instanz zu denken ist, die in traditioneller Begrifflichkeit ausgedrückt für die Seele und somit auch andere mögliche immaterielle Wesen (Geister) steht. Da dieses Denken nicht zu Erkenntnissen führen kann, weil seinen Begriffen keine Anschauung (Gegebenheit in Raum und Zeit) entspricht, ist seine Logik eine Schein-Logik: sie bewegt sich zwar konsequent auf der Linie der Transzendentalphilosophie und ihrer Erkenntnisdefinition fort, ohne aber im Sinne dieser Definition zu Erkenntnissen zu gelangen.  Wenn wir dies im Kontext der übrigen Kritiken der Vernunftvermögen (d.i. der Kritik der praktischen Vernunft und der Kritik der Urteilskraft), also der gesamten Unternehmung der Transzentalphilosophie betrachten, ist folgendes wichtig: dass die Erkenntnis der Unsterblichkeit der Seele’ nicht gelingt, bedeutet keineswegs, dass über das Gegenteil, dass die Seele nicht unsterblich ist, eine Erkenntnisaussage möglich sei. Beides entzieht sich dem Bereich des Erkennbaren und wissenschaftlich-rational Erklärbaren. Dieser Zusammenhang wird sogleich bei der Untersuchung der Kantischen Widerlegung der Beweise des Daseins Gottes besser deutlich werden.

                Doch zunächst zur gedanklichen Erfassung des alles umfassenden Zusammenhangs der Welt im ganzen. Das System der kosmologischen Ideen’, das in diesem Zusammenhang entfaltet wird, orientiert sich wieder, wie bei der systematischen Anordnung der Paralogismen der transzendentalen Psychologie, an der Struktur der Kategorientafel in der Ersten Abtheilung’ der Transscendentalen Analytik’. Das Ganze der Welt ist als die absolute Vollständigkeit ... aller Erscheinungen’ zu denken. Als Erscheinungen’ gelten die auf Grund ihrer anschaulichen Gegebenheit und ihrer gedachten Einheit erkennbaren Dinge sowie deren geringerer oder größerer Zusammenhang. Die absolute Vollständigkeit’ aller Erscheinungen ist in quantitativer Hinsicht in der sukzessiven Zusammensetzung des gegebenen Ganzen’ ausgedrückt. Sodann besagt die Qualitätskategorie der Realität’ im Gegenüber zur ,Negation’, dass diese absolute Vollständigkeit aus einer regressiven Synthesis, nämlich der Theilung eines gegebenen Ganzen’, hervorgeht. Ihre Entstehung’ wird man mit Hilfe der Kausalität als der wichtigsten Relationskategorie zu erklären suchen. Schließlich ergibt sich aus der Abhängigkeit des Daseins’ der gesamten Reihe des Veränderlichen in der Erscheinung’ auf Grund der Totalität dieser Reihe’ die Annahme der unbedingten Nothwendigkeit’. [13]

                Aus dieser Systematik ergibt sich die Denkunmöglichkeit des Ganzen angesichts des Fehlens seiner Gegebenheit in der Anschauung, die das Zustandekommen einer Erkenntnis verhindert. Diese Denkunmöglichkeit heißt bei Kant die Antinomie der reinen Vernunft’, die sich entsprechend den vier Gruppen der Kategorien vierfach als ein Widerstreit’ darstellt. Ich konzentriere mich hier auf den für den Aufbau der Vernunftkritik als solcher entscheidenden dritten Widerstreit der transscendentalen Ideen’. Dieser Widerstreit besteht darin, dass einerseits für die Entstehung der Welt im ganzen eine erste Ursache’ oder eine Causalität aus Freiheit’ angenommen werden muss, andererseits aber die durchgängige kausale Determiniertheit der Natur als Ganzer nicht die Annahme einer Ursache, die nicht auch schon Wirkung ist, und somit keine Freiheit’ zulässt. Auch hier gilt, dass die Denkunmöglichkeit der Freiheit nicht deren Widerlegung bedeutet. Der Beweis für das Bestehen der Freiheit kann nicht geführt werden, aber auch der Gegenbeweis ist nicht möglich.. Das theoretische Resultat der Erörterung dieses Widerstreits: ,Freiheit ist nicht widerlegt’ eröffnet in praktischer Hinsicht die Möglichkeit, vom Sein der Freiheit auszugehen. [14]

                Für die Frage nach dem Wirklichkeitsstatus einer übersinnlichen Welt ist wichtig, dass Kant die Möglichkeit der Erkenntnis der Freiheit, welche die durchgängige kausale Bedingtheit der Welt durchbricht, zwar mit Nachdruck abweist, aber große Anstrengungen unternimmt, die Antinomie oder Denkunmöglichkeit aufzulösen, die daraus entsteht, dass die Leugnung der Freiheit theoretisch ebenfalls unbefriedigend ist. In diesem Zusammenhang ist auf zwei Gedankenschritte hinzuweisen: (1) Dass zur unendlichen Reihe des Bedingten ein Schlechthin-Unbedingtes’ hinzugedacht wird, entspricht dem Grundsatz der größtmöglichen Fortsetzung und Erweiterung der Erfahrung, nach welchem keine empirische Grenze für absolute Grenze gelten muß’. Dieser Grundsatz ist zwar kein constitutives Princip’, aus dem das Dasein des Unbedingten oder der Freiheit abzuleiten wäre, aber wohl ein regulatives Princip der Vernunft’ als solcher, welches als Regel postulirt’, dass ein solcher unendlicher Regressus geschehen soll’.

                (2) Wenn dieses Postulat eingelöst wird, entsteht die Frage nach der Annahme einer Wirklichkeitsdimension, in der eine Causalität durch Freiheit’ möglich ist. Diese Möglichkeit sucht Kant sicher zu stellen, indem er den intelligibelen Charakter’ der Handlung eines Subjekts annimmt, durch den es nicht nur zur Sinnenwelt gehört, Erscheinung oder ,Phaenomenon’ ist, sondern zugleich Noumenon, rein geistiges Wesen. Diese Annahme ist zwar nur ein regulatives’, kein constitutives Princip der Vernunft’, sie ist rein praktisch, nicht theoretisch notwendig. Aber sie ist äußerst weitreichend, und es ist nicht deutlich, was die praktische Notwendigkeit bedeutet, wenn sie sich theoretisch nicht rechtfertigen kann und für Kant offenbar auch nicht muss.

                Im Hinblick auf die (erkenntnis)theoretische Argumentation ist entscheidend, dass die so gewonnene transscendentale Idee der Freiheit’ die Naturgesetze nicht durchbricht, sondern mit der Allgemeinheit des Naturgesetzes der Causalität zusammen bestehen’ kann. Dazu ist es notwendig zu zeigen, dass nicht eine jede Wirkung in der Welt entweder aus Natur oder aus Freiheit’ entspringt, sondern vielmehr beides in verschiedener Beziehung bei einer und derselben Begebenheit zugleich stattfinden’ kann. Die Bestimmung der Maxime des Willens eines handelnden Subjekts kann als anfangende Ursache’ aufgefasst werden, die sich aber in die Kette von Ursachen und Wirkungen in der Natur einfügen muss, ohne sie zu unterbrechen. Dabei wird bereits deutlich, dass hier die Freiheit im praktischen Verstande’ ins Spiel kommt, ohne dass die Prinzipien der praktischen Vernunft bereits eingeführt und begründet sind, und dass umgekehrt auf diese theoretische transscendentale Idee der Freiheit sich der praktische Begriff derselben’ gründet. [15]

                Wenn es sich als angemessen oder als notwendig erweist, von der unendlichen Reihe des Bedingten aus ein Schlechthin-Unbedingtes’ anzunehmen und zur Begründung der Freiheit des Handelns des Subjekts diesem auch einen intelligibelen Charakter’ einzuräumen, ist damit der Gedanke eines bloß intelligibelen Wesens’, eines höchsten Wesens (ens summum)’ oder eines Wesens aller Wesen (ens entium)’ vorbereitet, ohne dass dieser weitere Schritt in die regulativ postulierte intelligible Welt eigens begründet würde. Kant spricht auch vom transscendentalen Ideal (prototypon transscendentale}’, das von der objectiven Realität’ des wissenschaftlich-rational Erklärbaren noch weiter als die Idee’ des Ich oder der Freiheit entfernt zu sein’ scheint. Seine Argumentation vollzieht sich als Kritik an der rationalen Theologie’, die in dem Erweis der Unmöglichkeit eines ... Beweises vom Dasein Gottes’ kulminiert. Von den ,drei Beweisarten vom Dasein Gottes’, der phyikotheologischen, der kosmologischen und der ontologischen, kommt der letzteren eine grundlegende Bedeutung zu, weil sie nicht empirisch’, sondern selber schon ,transscendental’ vorgeht. Mit dem Erweis ihrer Unmöglichkeit sind auch die beiden anderen erledigt, die von der Zweckmäßigkeit und Wohlgeordnetheit der Welt ausgehen. [16]    

                René Descartes und vor ihm Anselm von Canterbury haben argumentiert, dass aus dem Begriff Gottes als des vollkommensten Wesens auf sein Dasein geschlossen werden könne. Ein Wesen, dem alle möglichen Vollkommenheiten (perfectiones) zukommen wie Allmacht, vollkommene Liebe, Gerechtigkeit usw. wäre weniger vollkommen, wenn ihm nicht auch die perfectio des Seins zuerkannt würde. Kant spricht von Prädikaten Gottes und fasst den Beweis’ als einen Beweis aus der Unmöglichkeit des Gegenteils wie folgt zusammen: Wenn ihr aber sagt: Gott ist nicht, so ist weder die Allmacht, noch irgend ein anderes seiner Prädicate gegeben (wie z.B. seine Allweisheit, durch welche die Welt zweckmäßig und wohlgeordnet eingerichtet ist); denn sie sind alle zusammt (mit) dem Subjecte aufgehoben’. Für seine Kritik unterscheidet er (formal) logische und (synthetisch) reale Prädikate. Beim Gebrauch der ersteren kann alles angenommen werden, auch das Sein eines Subjekts, denn die Logik abstrahirt von allem Inhalte’. Das letztere ist eine Bestimmung, die dem Begriff des Subjekts etwas hinzufügt, eine Eigenschaft oder im Falle Gottes eine Vollkommenheit. Sein gehört nicht in die Reihe dieser Prädikate. ,Sein ist offenbar kein reales Prädikat’. In einem Urteil (Satz) ist es lediglich die Copula’, die (reale) Prädikate zum Subjekt in Beziehung setzt. [17]

                Die Kritik der Beweise vom Dasein Gottes erweist diese im Kontext der Transzendentalphilosophie als nicht schlüssig, so dass sie als unmöglich’ gelten müssen. Nun ist aber ganz entscheidend, dass damit nicht das Gegenteil erwiesen oder bewiesen ist: dass Gott nicht ist. Die Existenz und die Nicht-Existenz Gottes sind gleichermaßen unbeweisbar. Sie liegen außerhalb des Bereichs des wissenschaftlich, objektiv gültig Erkennbaren und damit des wissenschaftlich-rational Erklärbaren. Für die Frage, wie man dann über Gott denken und sprechen soll, ist auch hier, wie bei der Frage nach der Freiheit, die durch die Antinomie des Denkens über sie nicht als widerlegt gilt, auf das ,regulative Princip der Vernunft’ und ihren praktischen Gebrauch’ zu verweisen. Und für die ,Unsterblichkeit der Seele’ ergibt sich, dass weder ihre Existenz noch ihre Nicht-Existenz nach dem physischen Tod erkennbar oder beweisbar sind und dass auch in dieser Hinsicht ein praktisches Interesse angemeldet werden kann.

                Um den praktischen Gebrauch’ der Ideen der Vernunft genauer zu untersuchen, gehen wir in der Kritik der praktischen Vernunft sogleich zum Zweiten Buch der Elementarlehre’, in dem die Dialektik der reinen praktischen Vernunft’ behandelt wird. Die Tugend oder das moralische Handeln beruht auf einer Bestimmung der Maxime des Willens, die nur dem Gesetz der Vernunft selbst folgt (durch die Reflexion auf das Allgemeinseinkönnen der Maxime des subjektiven Willens) und alle Beeinflussung durch Neigung oder Gefühl ausschließt. Die Antinomie’, die hier entsteht, beruht darauf, dass zwar durch praktische Vernunft Tugend und Glückseligkeit als nothwendig verbunden gedacht’ werden, dass aber weder das Streben nach Glück(seligkeit) die Ursache zu Maximen der Tugend’ sein kann, noch die Maxime der Tugend’ ursächlich Glück(seligkjeit) bedingt. Das erste würde dem Prinzip der Moralität ganz und gar widersprechen, nach dem nur die Bestimmung des Willens durch das moralische Gesetz der Vernunft selbst und nicht durch irgendwelche sinnlichen Neigungen und Begierden zum tugendhaften Handeln führen. Das zweite ist aber auch unmöglich, weil alle praktische Verknüpfung der Ursachen und Wirkungen in der Welt ... sich nicht nach moralischen Gesinnungen des Willens, sondern der Kenntniß der Naturgesetze und dem physischen Vermögen, sie zu seinen Absichten zu gebrauchen, richtet’.

                Nun kann zwar diese Antinomie durch die Annahme aufgelöst werden, die schon in der Kritik der reinen Vernunft zur Auflösung des Widerstreits von durchgängiger kausaler Determiniertheit der Welt im Ganzen und der Möglichkeit der Freiheit geführt hat, nämlich so fern sich die handelnde Person’ nicht nur als Teil der Welt der Erscheinungen, sondern ,zugleich als Noumenon betrachtet’, als reine Intelligenz’, die der Causalität nach Naturgesetzen’ in Ansehung derselben Begebenheit’ einen Bestimmungsgrund hinzufügen kann, der von allem Naturgesetze frei ist’. [18] Der endliche Mensch (Kant sagt: ein vernünftiges Wesen der Sinnenwelt’) ist aber zu einer durchgängigen rein moralischen Bestimmung seines Willens nicht fähig. Dies würde eine Vollkommenheit bedeuten, welche die Heiligkeit’ der handelnden Person voraussetzt, die de facto bei keinem endlichen Menschen gegeben ist, aber praktisch gefordert werden kann und angestrebt werden soll. So kann sie nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus ... angetroffen werden’.

                Der unendliche Progressus zur moralischen Vollkommenheit oder Heiligkeit, durch den die Übereinstimmung von Tugend und Glückseligkeit erreichbar wird, verlangt aber eine ins Unendliche fortdauernde Existenz und Persönlichkeit desselben vernünftigen Wesens (welche man die Unsterblichkeit der Seele nennt)’. Diese ist somit ein Postulat der reinen praktischen Vernunft’ worunter Kant eine theoretisch notwendige Folgerung versteht, die zwar nicht als objektiv gültige Erkenntnis gelten kann, aber mit dem unbedingt geltenden Gesetz der Vernunft, als die Bedingung der Möglichkeit seiner vollen Verwirklichung (also in transzendentaler Bedeutung), unzertrennlich’ zusammenhängt. Dieses Postulat ist aber innerhalb der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeit, das heißt unter den Bedingungen endlicher Ursachen, die endliche Wirkungen haben, nicht einzulösen. Also wird auch das Dasein einer von der Natur unterschiedenen Ursache der gesamten Natur, welche den Grund ... der genauen (d.h. vollständigen) Übereinstimmung der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit (d.h. dem tugendhaften Handeln) enthalte, postulirt.’ Als eine solche oberste Ursache der Natur’ ist ein Wesen anzunehmen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d.i. Gott’. [19]

                Was im Sinne objektiv gültiger Erkenntnis seiner Möglichkeit nach nicht zu beweisen und also nicht wissenschaftlich-rational erklärbar ist, von dem aber auch die Unmöglichkeit nicht bewiesen, d.i. aus objectiven Gründen hinreichend’ dargetan werden kann, wird durch eine subjective Bedingung der Vernunft’ entschieden. Was theoretisch nicht unmöglich ist: die Freiheit ebenso wie die Annahmen der Unsterblichkeit der Seele und des Daseins Gottes, muss praktisch postuliert werden, weil so ein in sich stimmiger theoretisch-praktischer Rahmen entsteht, der dem moralischen Handeln förderlich ist. Die Postulate der reinen praktischen Vernunft enthalten somit den Grund einer Maxime des Fürwahrhaltens in moralischer Absicht’, das heißt einen reinen praktischen Vernunftglauben’. Dieser ist also nicht geboten, sondern als freiwillige, zur moralischen (gebotenen) Absicht zuträgliche, überdem noch mit dem theoretischen Bedürfnisse der Vernunft einstimmige Bestimmung unseres Urtheils’, die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes anzunehmen. [20] Diese unmittelbare Überzeugungskraft des Motivs, die Moralität zu fördern, wird man in der Zeitperiode nach Kant nicht mehr voraussetzen können.  

                Wenn man die Postulate der Unsterblichkeit der Seele und des Daseins Gottes mit traditionell afrikanischen Auffassungen vergleicht, fällt auf, dass in den letzteren beide Ideen nicht prinzipiell mit einander verbunden sind. Es bedarf offenbar eines ungleich geringeren argumentativen Aufwands, um den Unsterblichkeitsgedanken annehmbar zu machen. Er ist mit der Erinnerung der Verstorbenen durch die Lebenden verknüpft. Die Verstorbenen, auch wenn es sich um Vorfahren handelt, die schon länger tot sind, leben als Geister in der und durch die Erinnerung der Lebenden weiter. Damit soll nichts gegen die reale Existenz der Geister gesagt sein. Es wird lediglich eine wechselseitige Beziehung hergestellt zwischen dem Weiterleben der Verstorbenen und ihrem Erinnertwerden durch die Lebenden. Afrikanische Denker, die zugleich christliche Theologen sind, argumentieren dann so, dass nach unterschiedlich vielen Generationen, wenn die Erinnerung erlischt, der Geist des Verstorbenen als unsterbliche Seele in ein Reich kollektiver Unsterblichkeit’ im Sinn bestimmter christlicher Auffassungen übergeht. [21]

                Dieser Kombination traditionell afrikanischer mit bestimmten christlichen Konzeptionen, wobei die letzteren dem Kantischen Unsterblichkeitspostulat sehr nahe kommen, wird von anderen afrikanischen Philosophen entschieden bestritten. [22] Auch im traditionell afrikanischen Denken ist an dieser Stelle ein Paradox unvermeidlich. Persönliche Unsterblichkeit erweist sich als eine vorübergehende Realität’. Vorfahren, die nicht mehr namentlich erinnert werden, verlieren ihre persönliche Existenz als Geister. Sie bestehen weiter als pures Es’, als unpersönliche Entitäten. Als solche können sie nicht einem Reich kollektiver Unsterblichkeit’ angehören. Eine Verbindung zu Gott, der die Unsterblichkeit schenkt oder garantiert, wird dabei nicht hergestellt. Damit würde die wechselseitige Beziehung zwischen Unsterblichkeit und Erinnertwerden in einen theoretischen Zusammenhang gestellt, der dem afrikanischen Denken fremd ist. Die enge Verbindung zwischen den Lebenden und den Vorfahren besteht’ auf  Grund der Tatsache, dass die letzteren von den ersteren erinnert werden. Erinnerung ist für die Idee der persönlichen Unsterblichkeit im traditionellen afrikanischen Denken unerlässlich.’ [23]      

                Im Kontext der Kantischen Auffassungen zur Unsterblichkeit der Seele und zum Dasein Gottes ist zunächst noch die Kritik der Urteilskraft zu brachten, die seine systematische Darstellung der Vernunftvermögen abschließt. Die Freiheitslehre und die zugehörige Erörterung der transzendentalphilosophischen Bedeutung eines regulativen Princips’ des Erkennens (im Unterschied zu der eines constitutiven Princips’) in der Kritik der reinen Vernunft, mit der Vorwegnahme des Belangs dieser Auffassungen für den praktischen Gebrauch’ der Vernunft, und die Postulatenlehre der Kritik der praktischen Vernunft, mit der Betonung, dass diese Postulate für die Moralität förderlich’ und zuträglich’ sind, werden in der Kritik der Urteilskraft präzisiert und weiter ausgearbeitet. Auf diese Weise wird weiter verdeutlicht, welcher Wirklichkeitsstatus den religiösen Annahmen der Unsterblichkeit der Seele und des Daseins Gottes in der Lehre Kants zukommt. Es wird auch erneut unterstrichen, dass der reine Vernunftglaube’ schlussendlich einer moralischen Absicht dient. Die für unsere Fragestellung, aber auch für Kants systematische Konzeption der Philosophie wichtigen Erörterungen Von der Physikotheologie’, Von der Ethikotheologie’ und Von dem moralischen Beweise des Daseins Gottes’ finden sich in der Methodenlehre der teleologischen Urtheilskraft’, die dem Zweiten Theil’ der Kritik der Urteilskraft als Anhang’ beigegeben wird.

                Im Ersten Theil’ der Kritik der Urteilskraft, der die ästhetische Urtheilskraft’ behandelt, fehlt eine Methodenlehre’, die in der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft, im Anschluss an die grundlegenden Erörterungen der Elementarlehre’, darauf eingeht, wie mit deren Ergebnissen im Blick auf andere relevante Fragen der Philosophie auch außerhalb der Systematik der Vernunftkritik umzugehen ist. Diese Bedeutung einer Methodenlehre’ werden wir auch im Kontext der Kritik der Urteilskraft festhalten, obgleich sie in diesem Buch nur als Anhang’ zum Zweiten Theil’ mitgeteilt wird. Eine Ausarbeitung der Frage, wie der reine Vernunftglaube’ von diesen Voraussetzungen aus auf die bestehende dogmatisch-christliche Theologie zu beziehen sei, findet sich in der Schrift Kants: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), auf die weiter unten eingegangen wird.

                Einleitend betont Kant am Beginn der ,Kritik der teleologischen Urtheilskraft’, dass die Beurteilung der Natur als teleologisch (dass Dinge der Natur einander als Mittel zum Zweck dienen’), in der allgemeinen Idee der Natur, als Inbegriffs der Gegenstände der Sinne’ keinerlei Grund hat. Deshalb hängt objective Zweckmäßigkeit, als Princip der Möglichkeit der Dinge der Natur’ nicht notwendig mit dem Begriff der Natur zusammen. Und ein nexus effectivus kann nicht für einen nexus finalis genommen werden. Trotzdem ist die teleologische Beurtheilung’ sogar für die wissenschaftliche ,Naturforschung’ wichtig. Dass in ihr die Teleologie als regulatives Princip’ angeführt wird, bedeutet: ein teleologischer Grund wird so behandelt, als ob er in der Natur (nicht in uns) befindlich wäre’, als ob íhm Causalität in Ansehung eines Objects’ zukomme und er nach der Analogie einer solchen Causalität’ behandelt wird und nicht nur wie eine subjektiv angenommene besondere Art der Causalität’. [24]

                In der Methodenlehre’ wird daraus gefolgert, dass die Zweckverbindung in der Welt für real’ genommen werden kann, dass es in Bezug auf sie eine absichtlich wirkende Ursache’ gibt, die betrachtet wird, als ob sie die Ursache der Möglichkeit’ der Formen in der Welt ist. Eine solche zwecksetzende Ursache ist das Handeln des Menschen in der Welt, das seiner eigenen höchsten Bestimmung nach moralisches Handeln ist. Darin tritt der Mensch als ,Noumenon’ auf, der als solches über ein übersinnliches Vermögen (die Freiheit)’ verfügt. Die Physikotheologie’, die so aus den Zwecken der Natur (die nur empirisch erkannt werden können) auf die oberste Ursache der Natur’ zu schließen versucht, beruht also auf einem regulativen Prinzip. Sie ist allenfalls etwas Vorläufiges, eine Vorstufe (Propädeutik) zur Moraltheologie (Ethikotheologie)’, die versucht, aus dem moralischen Zwecke vernünftiger Wesen in der Natur (der a priori erkannt werden kann) auf jene Ursache und ihre Eigenschaften (in zwingender Weise) zu schließen’. [25]     

                Der Natur kann eine physische Teleologie’ unterstellt werden, denn es ist für die reflectirende Urtheilskraft’ nicht befriedigend, sie als etwas rein Mechanisches zu betrachten. Darin liegt für diese bereits ein Grund, das Dasein einer verständigen Weltursache anzunehmen’. Der Mensch als moralisches Wesen’ erweist sich darüber hinaus als Zweck der Natur, weil er in ihr Zwecke setzen kann. Das verstärkt die Forderung der Vernunft, solche bedingten Zwecke einem unbedingten obersten, d.i. einem Endzweck,’ unter zu ordnen. Auf diese Weise sucht sie der besonderen und einzigartigen Stellung des Menschen als moralischen Wesens in der Welt gerecht zu werden. Dann ist es nur ein weiterer Schritt, für die nothwendige Beziehung der Naturzwecke auf eine verständige Weltursache ein Princip, die Natur und Eigenschaften dieser ersten Ursache, als obersten Grundes im Reich der Zwecke zu denken’. Die Causalität des Urwesens’, die in diesem Prinzip vorausgesetzt ist, fasst gewissermaßen alle zwecksetzenden moralisch begründeten Handlungen der Menschen zusammen, so dass dieses Urwesen oder höchste Wesen nicht bloß als Intelligenz und gesetzgebend für die Natur, sondern auch als gesetzgebendes Oberhaupt in einem moralischen Reich der Zwecke’ gedacht werden muss.         

                Der Beweis des Daseins Gottes’, der sich so ergibt, ist erkenntnistheoretisch nicht von anderer Art als das Postulat der praktischen Vernunft. Er fügt diesem Postulat den Gedanken der Zweckmäßigkeit der Natur hinzu, die aber als solche, wie sich schon in der Kritik der reinen Vernunft gezeigt hat, keinen Beweis hervorbringen kann. Entscheidend ist der für Kant so sehr im Vordergrund stehende, nach ihm aber weniger unmittelbar überzeugende praktische Gesichtspunkt: Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit nach der Analogie der Kausalität wird durch den Zwecke setzenden moralisch handelnden Menschen so überhöht, dass nun doch, nach dem theoretischen Erweis der Unmöglichkeit eines jeden Gottesbeweises, ein moralischer Beweis’ seines Daseins geführt wird. Mit der für einen Beweis notwendigen logischen Präcision’ lässt sich zeigen, dass das moralische Handeln der Menschen, das Zweckverbindungen stiftet, eine erste moralische Weltursache’ und damit einen Welturheber’ zu denken verlangt. Folglich beruht dieser Beweis auf der Annahme des freien moralischen Handelns, die zwar praktisch notwendig ist, (erkenntnis)theoretisch indessen in ihrer Möglichkeit nicht zu beweisen und ebensowenig in ihrer Unmöglichkeit zwingend aufzuzeigen ist. Diese Beschränkung der Gültigkeit des moralischen Beweises’ lässt sich nicht wegnehmen. [26]

                Wenn aber in Ansehung des Daseins’ Gottes theoretisch nichts zu bestimmen’ ist, wie kann die praktisch motivierte Annahme seiner Wirklichkeit dann als Beweis gelten? In der Argumentation für den moralischen’ Beweis ist folgender Schritt entscheidend. Von der Beurteilung der Welt als zweckmäßig, weil die rein mechanische Erklärung unbefriedigend ist, geht Kant weiter zur Konstatierung der Zwecke setzenden Tätigkeit des Menschen, bei der sein Handeln moralisch und vernünftig ist. Durch dieses Handeln kommt eine übersinnliche’ Instanz ins Spiel, die dann den Schluss auf den moralischen ,Welturheber’ möglich macht. Die unmittelbare Verknüpfung des zweckmäßigen mit dem moralischen Handeln ist indessen nicht wirklich überzeugend. Und  es wird kaum den Charakter eines Beweises haben, dass mit dem moralischen Handeln, wie streng es auch als das Befolgen des moralischen Gesetzes gefasst wird, das die Vernunft sich selber gibt, die intelligible Welt (mit einem zughörigen Welturheber’) in die Welt des sinnlich Wahrnehmbaren einbricht. 

                Die Besonderheit des Menschen in der Welt der Zwecke, die auf seiner Befähigung zur Freiheit und zum moralischen Handeln beruht, führt bei Kant nicht nur zu der Annahme eines moralischen ,Urwesens’, sondern auch dazu, dass dieses Urwesen strikt monotheistisch gedacht wird: als allwissend’, allmächtig’, allgütig und zugleich gerecht’, und auch mit allen noch übrigen transscendentalen Eigenschaften, als Ewigkeit, Allgegenwart u.s.w.’ ausgestattet. Diesen Standpunkt grenzt Kant von den Auffassungen der Alten’ ab, das heißt sowohl des griechischen als des römischen Altertums, die eine Vielzahl von Göttern kannten, die sie teils ihrem Vermögen, teils den Absichten und Willensmeinungen nach sehr mannigfaltig verschieden, aber alle, selbst ihr Oberhaupt nicht ausgenommen, noch immer auf menschliche Weise eingeschränkt dachten’. Sie befanden sich auf dem Standpunkt der als solcher nicht zureichenden Physikotheologie, die in der Welt mehr als Mechanisches zur Ursache derselben’ annimmt, aber keine klare Auszeichnung der intelligiblen Seite des Menschen als eines vernünftigen Wesens vornimmt, aus der sich die Ethikotheologie und der moralische Beweis Gottes als eines höchst vollkommenen Urhebers’ dieser Welt ergibt. Immerhin bescheinigt ihnen Kant, dass sie nach Maximen des bloß theoretischen Gebrauchs der Vernunft ganz consequent verfuhren’. [27] Bei ihnen fehlt die moralische Auszeichnung des menschlichen  Subjekts als eines Teilhabers an der intelligiblen Welt.

                Wenn aber die Fähigkeit zu absichtsvollem moralischem Handeln, das eine Kausalität besonderer Art in die Kausaldeterminiertheit der Natur einbringt, nicht ohne weiteres zu der Annahme der Zugehörigkeit zu einer intelligiblen Welt berechtigt, ist auch der Schluss auf ein strikt monotheistisch gedachtes Urwesen nicht zwingend. Und was Kant den Alten’ vorwirft, dass sie das Gute und Böse, das Zweckmäßige und Zweckwidrige’ in der Welt sehr gemischt antrafen’, zeugt vielleicht von ihrem größeren Realitätssinn. Die nicht überzeugend begründete Annahme Kants, dass freies moralisches Handeln in einer Welt durchgängiger Kausaldeterminiertheit die Zugehörigkeit der Handelnden zu einer intelligiblen Welt notwendig macht, bedingt auch, dass das Gute, das so geschieht, seinem Prinzip nach ausschließlich und ungemischt nur gut ist. Dass der empirische Mensch, der auch immer ein Wesen ist, das der Sinnenwelt angehört, zu diesem nur guten Handeln nicht fähig ist, ist Kant freilich sehr bewusst. Aber er postuliert wohl den intelligibelen Charakter’ des Handelns der Menschen, weil ihm der Sollensanspruch des Guten sonst nicht stark genug begründet erscheint.

                Dass sich der reine Vernunftglaube der Kantischen kritischen Philosophie in dieser Hinsicht mit dem dogmatisch-christlichen Kirchenglauben in einer Art vorherbestimmter Harmonie befindet, zeigt sich in der Schrift: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft von 1793. Nach der Darstellung in dieser Schrift bindet eine Offenbarungsreligion wie die der christlichen Kirchen ihre Wahrheit an historische Ereignisse und präsentiert sie als ein historisches System’. Die reine Vernunftreligion’ hingegen führt diese mit vielen Zufälligkeiten behaftete Präsentation auf das reine Vernunftsystem der Religion’ zurück. Beide bilden zwei concentrische Kreise’, wobei die Vernunftreligion als der innere Kreis und als der wesentliche Kern gilt, auf den hin die Offenbarungsreligion, welche die weitere Sphäre des Glaubens’ bezeichnet, orientiert werden muss. [28] Um dies zu ermöglichen, hat der Kirchenglaube ... zu seinem höchsten Ausleger den reinen Religionsglauben’. Der fortschreitende Vollzug dieser Auslegung führt zu dem allmähligen Übergang des Kirchenglaubens zur Alleinherrschaft des reinen Religionsglaubens’. Darin liegt freilich eine endzeitliche Perspektive, denn unter den endlichen Bedingungen des Lebens, das auch in der sinnlich bestimmten Welt stattfindet, kann es sich bei diesem Prozess nur um eine Annäherung’ des ersteren an den letzteren handeln. [29]

                Die Offenbarungsreligion und der Kirchenglaube haben freilich im Blick auf die reine Vernunftreligion eine unverzichtbare Aufgabe. Wegen des Hanges zum Bösen in der menschlichen Natur’ bedarf es der historisch konkreten Präsentation der religiösen Wahrheit als des Weges, auf dem die ursprüngliche Anlage zum Guten’ gestärkt oder, sofern die Maximen des Handelns ganz verderbt waren, wieder hergestellt werden kann. Dies geschieht durch eine Revolution  der Denkungsart’, die der Wiedergeburt ... durch eine neue Schöpfung (Ev. Joh. III, 5)’ vergleichbar ist. In ihrem Gefolge kommt es zu einer allmähligen Reform für die Sinnesart’, welche jener Hindernisse entgegenstellt’, schließlich aber nicht nur zu einem fürs Gute empfänglichen Subject’, sondern in continuirlichem Wirken und Werden’ zu einem guten Menschen’ führt. [30] In diesem Geschehen ist die Offenbarungslehre’, auf die eine Kirche gegründet wird’, ein bloßes, aber höchst schätzenswertes Mittel’, um dem Vernunftglauben Faßlichkeit selbst für die Unwissenden, Ausbreitung und Beharrlichkeit zu geben’. Deshalb wird sie geliebt und cultivirt’ werden. [31] Jesus als der erste Lehrer der christlichen Religion, die diese Aufgabe einer Offenbarungslehre beispielhaft erfüllt, ist gleichsam die personificirte Idee des guten Princips’, das Ideal der moralischen Vollkommenheit’, das Urbild der sittlichen Gesinnung’. Eben dieser göttlich gesinnte, aber ganz eigentlich menschliche Lehrer’ spricht von sich als demjenigen, in dem das Ideal des Guten ... leibhaftig (in Lehre und Wandel) dargestellt’ ist. [32]

                Sofern eine Offenbarungsreligion rein ,statutarisch’ aufgefasst wird, indem ihre Lehre als äußerlich auferlegt gilt und nicht auch als durch reine Vernunft offenbart’ anerkannt werden kann, dient ihre Befolgung nicht der Beförderung des reinen Vernunftglaubens und damit letztlich der Moralität, sondern wird zum Aberglauben bzw. zum Afterdienst’. In diesem Zusammenhang zieht Kant gegen das Pfaffentum’ zu Felde, sofern es dabei um geistlichen Despotismus’ geht,  den man weithin von einem tungusischen Schamanen bis zu dem Staat und Kirche zugleich regierenden europäischen Prälaten’ antreffen kann. Und er verurteilt Versuche, durch ganz natürliche Mittel eine übernatürliche Wirkung zuwege zu bringen’, die er Zaubern’ oder, um den Nebenbegriff einer Gemeinschaft mit dem bösen Princip’ zu vermeiden, Fetischmachen’ nennt. [33] Ferner möchte er dreierlei Art von Wahnglauben’ ausschließen, durch die eine Überschreitung der Grenzen unserer Vernunft in Ansehung des Übernatürlichen’ als möglich erachtet werden. Es handelt sich um Arten des Glaubens, die auch in der Bibel und der christlichen Lehre vielfach vorkommen: (1) den Glauben an Wunder’, das heißt daran, etwas durch Erfahrung zu erkennen, was wir ...als nach objektiven Erfahrungsgesetzen geschehend unmöglich annehmen können’, (2) den Glauben an Geheimnisse’, das heißt das wovon wir selbst durch die Vernunft uns keinen Begriff machen können, doch ... als zu unserm moralischen Besten nöthig, aufnehmen zu müssen’ meinen, (3) den Glauben an Gnadenmittel’ wie das ,Beten’, das Kirchengehen’ und die Communion’, jedenfalls sofern bei diesen davon ausgegangen wird, durch den Gebrauch bloßer Naturmittel ... den Einfluß Gottes auf unsere Sittlichkeit hervorbringen zu können’ [34]               

                Der ,reine Vernunftglauben’ bzw. die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft’ sind also mit dem christlichen Offenbarungsglauben’ und ihrer Lehre in weiten Stücken in Übereinstimmung. Sie können von diesen als Mittel  Gebrauch machen, die Faßlichkeit’ der ersteren selbst für die Unwissenden’ auszubreiten, sofern der Offenbarungsglauben’ von demjenigen gereinigt wird, das aus dem Gesichtspunkt des ,reinen Vernunftglaubens’ als Arten des Wahnglaubens’ und des Afterdienstes’ zu charakterisieren ist. Es gibt für Kant eine, aber auch nur diese eine Teilhabe des Menschen an der intelligiblen übersinnlichen’ Welt, das ist sein Wissen um das moralische Gesetz der Vernunft und seine Fähigkeit, diesem Wissen gemäß zu handeln. Vorstellungen, die in der christlichen Offenbarungsreligion vorkommen und die (erkenntnis)theoretisch nicht widerlegt sind: die Unsterblichkeit der Seele, das Dasein Gottes und Erschaffung der Welt durch Gott als einen vernünftigen ,Welturheber’ sind Gegenstände des ,reinen Vernunftglaubens’ und dienen als Kriterium, was in einem Offenbarungsglauben anerkannt werden kann und was nicht. Die Annahme einer Welt der Engel, Dämonen, Heiligen oder des Teufels ist damit ausgeschlossen.

2. Reduktion christlicher Glaubensinhalte auf der Grundlage wissenschaftlicher Rationalität im Kantischen Sinn und eine differenzierte Welt der Geister im Kontext eines alternativen Rationalitätsbegriffs

Um auszumitteln, worin das Wesen der christlichen Frömmigkeit besteht, müssen wir
über das Christenthum hinausgehen, und unsern Standpunkt über demselben nehmen,
um es mit andern Glaubensarten zu vergleichen.
F.D.E. Schleiermacher: Der christliche Glaube (1821-22).
Es ist ein logischer Irrtum, wenn man auf Grund der Annahme der Unveränderlichkeit
irgendeiner Theorie argumentiert, dass es unmöglich sei, ein bestimmtes empirisches Ereignis
(wie die Reïnkarnation einer verstorbenen Person) könne eintreten.
S.B. Oluwole: Wichcraft, Reïncarnation and the God-Head (1992).
(Einfügung in Klammern von mir, HK.)

Die Bevorzugung der christlichen Religion vor allen anderen historischen Religionen bzw. Offenbarungsreligionen, weil sie der moralischen oder Vernunftreligion am nächsten kommt, ist bei Kant eine relative, die nicht ohne Einschränkung bleibt. So wird der Polytheismus der griechischen und römischen Antike verteidigt, weil er den einzelnen Göttern eine bloße symbolische’ Deutung gab, sofern diese als Eigenschaften des einigen göttlichen Wesens’ aufgefasst wurden, und weil er den wilden, aber doch schönen Träumereien’ der Dichtung einen mystischen Sinn unterzulegen’ wusste. Dies hatte zur Folge, dass er den zugehörigen Volksglauben’ einer allen Menschen verständlichen und allein ersprießlichen moralischen Lehre nahe brachte’. Demgegenüber besteht das spätere Judenthum und selbst das Christenthum’ aus ähnlichen, aber zum Theil sehr gezwungenen Deutungen’. Auch die Mohammedaner wissen der Beschreibung ihres aller Sinnlichkeit geweihten Paradieses sehr gut einen geistigen Sinn unterzulegen’. Und eben das thun die Indier mit der Auslegung ihres Vedas, wenigstens für den aufgeklärten Theil ihres Volkes’. Diese Sachverhalte beruhen darauf, dass die Anlage zur moralischen Religion’ seit jeher in der Vernunft verborgen lag’. [35]

                Umgekehrt war die Haltung der christlichen Theologie des 19. Jahrhunderts gegenüber der Kantischen Vernunftkritik nicht eindeutig. Einerseits wurde Kant als der Alleszermalmer’ angegriffen, der den christlichen Glaubensinhalten jeglichen Erkenntniswert absprach. Andererseits wurden die Postulate der Unsterblichkeit der Seele und des Daseins Gottes und die Anerkennung bestimmmter Glaubensinhalte als regulativer Prinzipien gewissermaßen als Hintertüren benutzt, um die christliche Glaubenslehre auf der Grundlage der Vernunftkritik ins kritische Denken wieder aufzunehmen. Insgesamt kommt es indessen nach der Aufklärung und durch die kritische wissenschaftliche Rationalität im Kantischen Sinn zu einer Reduktion der Glaubensinhalte der christlichen Religion, insbesondere was die Auffassungen von Geistern oder Wesen der unsichtbaren Welt betrifft. Die Unsterblichkeit der Seele und das Dasein Gottes können ganz im Sinne Kants zwar nicht als wissenschaftlich-rational erklärbare, aber doch als glaubend angenommene Wirklichkeit aufrecht erhalten werden. Aber auch der Glaube an den Teufel als den Widersacher’ Gottes, sowie an Engel und Dämonen verschwinden nicht völlig aus den christlichen Dogmatiken, obgleich dafür im rein moralischen Glauben der Kantischen Vernunftkritik kein Raum bleibt.

                Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher sucht der Annahme Gottes gegenüber Kants Erkenntnisrestriktionen über das Gefühl so etwas wie objektive Gültigkeit’ zurück zu geben. Er möchte, so weit es geht, auf dem Boden der Transzendentalphilosophie bleiben und gewissermaßen mit Kant gegen Kant argumentieren. Nach seiner Auffassung lehrt die Erfahrung, dass neben dem Wissen, das auf das Empfangen von Empfindungsdaten angewiesen ist, und dem Wollen, das sich in der Freiheit und Selbsttätigkeit des Handelns (Thuns’) betätigt, eine dritte, diesen noch zugrunde liegende Instanz anzunehmen ist, die er Gefühl’ nennt. Es enthält den transcendent(al)en Grund’ der Einheit des Wissens und Wollens. [36] Der Gegensatz zwischen dem abbildlichen Denken’ des Wissens und dem vorbildlichen’ des Wollens ist nur ein relativer’. Deshalb muss es die Möglichkeit geben, die Differenz beider aufzuheben’. Im menschlichen Selbstbewusstsein findet ein Übergang von dem einen in das andere statt. Jedes abbildliche Denken ist Bewußtsein von etwas, jedes vorbildliche auch. Der Übergang als solcher ist also das Bewußtsein von Null’, es ist die Identität des Subjekts’ in beiden. Diese Identität wird im Selbstbewußtsein aufgefaßt als Gott, und das Mitgesetztsein Gottes in jedem Übergang ist die Übertragung wie des Ich so auch des transcendenten Grundes von einer Reihe zur andern’.

                Diese philosophisch begründete Annahme Gottes wird von Schleiermacher theologisch präzisiert, indem er von den spezifischen Bewusstseinsakten oder Gemüthszuständen’ gläubiger Christen ausgeht. Das Bewußtsein von Null’ wird inhaltlich näher bestimmt, das darin enthaltene Mitgesetztsein Gottes’, das philosophisch auch mit dem beliebigen unpersönlichen aber gleichgehaltigen Ausdrukk = absolutem’ beschrieben werden kann, wird als ein persönliches Verhältnis erfassbar.  Wer auf  Grund seiner Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft des christlichen Glaubens oder im Kern auch jeder anderen Glaubensweise’ eine Erfahrung gemacht hat, die Schleiermacher Frömmigkeit’ nennt, kann von sich sagen, dass wir uns unsrer selbst als schlechthin abhängig bewusst sind, das heißt, dass wir uns abhängig fühlen von Gott’. Das ist der Ausgangspunkt für die systematisch zu entfaltende Lehre des Verhältnisses der Menschen zu Gott. Der christliche Glaube erweist sich dabei als die höchste Entwiklungsstuffe’ der verschiedenen in der Geschichte anzutreffenden Gestalten der Frömmigkeit’. [37]

                Die Anerkennung, dass jenes Abhängigkeitsgefühl eine wesentliche Lebensbedingung sei’, tritt für den Glaubenden an die Stelle aller Beweise vom Dasein Gottes’, die dann auch nicht mehr widerlegt oder moralisch gerechtfertigt werden müssen. Für ein Lehrstück von der Unsterblichkeit der Seele sieht Schleiermacher keinen Anlass, weder als Postulat im Kantischen Sinn noch als transzendentalphilosophisch zu erweisenden Sachverhalt. Er folgt der Lehre Jesu und der Apostel, die beinhaltet, dass die Toten tot sind und bei der Wiederkunft Christi am Jüngsten Tag’ auferstehen, und zwar als vollständige persönliche Wesen mit Leib und Seele, wobei der Leib ein anderer sein wird als im irdischen Leben. Den naturwissenschaftlichen Gehalt’ dieser Lehre lässt er ganz auf sich beruhen’ und setzt lediglich voraus, dass das gesamte Geschehen der Wiederkunft Christi und des Weltendes auf der einen Seite durch die göttliche Kraft Christi bedingt’ ist und auf der andern Seite als eine kosmische Erscheinung angesehen werden’ muss, auf welche die allgemeine Weltordnung angelegt ist’. [38]               

                Trotz der durchaus kritischen Einstellung Kant und seinem wissenschaftlich-rationalistischen Standpunkt gegenüber findet sich bei Schleiermacher eine große Zurückhaltung im Blick auf die Annahme von Wesen der unsichtbaren Welt zwischen der menschlichen und der göttlichen Sphäre. In seiner Lehre von der Schöpfung gibt es einen Ersten Anhang. Von den Engeln’ und einen Zweiten Anhang. Vom Teufel’. Beide stehen unter der Prämisse, dass es unserem allgemeinen Abhängigkeitsgefühl von Gott widerspricht’, wenn nicht auch das Entstehen der Welt’ und alles, was in ihr geschieht, ausschließlich und völlig von Gott abhängig sein muss. An der Vorstellung von zwischenweltlichen, das heißt keinem Weltkörper bestimmt angehörigen geistigen Wesen’, zum Beispiel Engeln, ist er bereit festzuhalten, weil ihre Unmöglichkeit’ ebenso wenig erwiesen ist wie ihre Möglichkeit. Das klingt sehr Kantisch. Schleiermacher geht aber davon aus, dass dies eine biblische Vorstellung ist, die indessen für die Frömmigkeit nicht wesentlich ist und die jetzt’, unter wissenschaftlich-rationalistischen Voraussetzungen, ,nicht würde erzeugt werden’. Im Alten und im Neuen Testament finden sich Berichte über Engelerscheinungen in dichterisch gehaltenen Erzählungen’. Daraus folgt, dass man sie nicht buchstäblich nehmen’ muss. Entscheidend ist die Aussage, dass Christus vortrefflicher ist als alle Engel’. Wenn dieser  Forderung  Genüge getan ist, muß man denn den Glauben an die Engel, wie man ihn nicht gebieten soll, auch auf der andern Seite nicht verurtheilen’. [39]

                Indem er Kant folgt und auch nicht folgt, gelangt Schleiermacher zu einer sehr reduzierten Bedeutung des Glaubens an Engel. Ähnlich verhält es sich mit der Vorstellung von gefallenen Engeln’ oder Dämonen und vom Teufel. In der Bibel wird häufig in Bildern über sie gesprochen. Der Versuch, eine zusammenhängende Lehre von gefallenen Engeln’ oder vom Teufel gedanklich auszuarbeiten, führt stets sehr bald  zu Widersprüchen. Wenn z.B. Luzifer schon vor seinem Falle hoffärtig war: so war er auch vor seinem Falle schon gefallen; und wenn die guten Engel Kampf und Streit wider die bösen gehabt ohne sie zu besiegen: so werden auch die guten Engel in das Gebiet des Leidens hinabgezogen.’ Die Vorstellung vom Teufel’ ist ebenso wenig für die Heilsordnung’ oder die Frömmigkeit relevant wie die von den Engeln. Sie kommt im Neuen Testament vor in Gleichnissen, in Sittensprüchen und in einem sprüchwörtlichen Gebrauch’. Wenn es um die Austreibung von Dämonien’ oder die Rükkehr des ausgetriebenen bösen Geistes’ geht, bezieht sich dies auf die Naturbedeutung des Teufels’, die überhaupt mit dem Glauben nichts zu tun hat’. Schleiermacher fasst seine minimalisierte Lehre vom Teufel zusammen, indem er sagt, daß jeder Einfluß desselben im Reiche Gottes aufgehoben sei’. [40]

                Dabei vermeidet Schleiermacher generell, von den Engeln, Dämonen und dem Teufel als von Geistern zu sprechen. Sein Geistbegriff bezieht auf den endlichen Menschen, der  teils eine geistige Wirklichkeitsdimension besitzt, teils aber auch der Wirklichkeit der Natur angehört, und auf den Heiligen Geist, der als eine Person des dreieinigen Gottes an dessen unendlicher Wirklichkeitssphäre teilhat. Im Unterschied  zu Georg Friedrich Wilhelm Hegel, auf dessen Geistlehre im folgenden Kapitel eingegangen wird, ist Geist bei Schleiermacher nicht ... ein Fundamental begriff, sondern ein Komplementär begriff, d.h. der Geist bleibt notwendig auf ein Gegenüber verwiesen und damit der Sphäre der Endlichkeit und des Gegensatzes verhaftet ... Geist ist Moment der Erscheinung des Absoluten, nicht das Absolute selbst’, wie es bei Hegel gedacht wird. Als Heiliger Geist ist seine unendliche Wirklichkeit durch den im Gefühl begründeten Glauben an den dreieinigen Gott verbürgt. Die Bedeutung des Heiligen Geistes für die Frömmigkeit des Menschen liegt darin, dass er in dem und als der Gemeingeist’ der Glaubenden in der endlichen Welt gegenwärtig ist. Diese Aspekte des Schleiermacherschen Geistbegriffs hat Andreas Arndt in einer Besprechung von zwei kürzlich erschienenen Büchern zu diesem Thema herausgestellt. [41]

                Im Volksglauben’, von dem sich Schleiermacher ähnlich wie Kant absetzt, und in der römisch-katholischen Theologie bleiben auch nach Kant eine größere Bedeutung der Engel und des Teufels sowie im Katholizismus der Heiligen bestehen. Diese Zwischenwesen, das heißt Wesen zwischen der seelisch-geistigen Wirklichkeit Gottes und der sichtbaren Welt der Menschen, haben Einfluss auf die letztere. Dabei können die Engel zu bestimmten Gelegenheiten, als Boten oder Gesandte Gottes, in der sichtbaren Welt erscheinen. Die Heiligen kann man um Hilfe und Schutz bitten. Sie haben einen den Engeln vergleichbaren seelisch-geistigen Wirklichkeitsstatus und ihre als real bestehend angenommene Wirkungsmöglichkeit beruht darauf, dass sie nach dem physischen Tod in dieser seelisch-geistigen Wirklichkeit weiterleben. Das bedeutet, dass im Volksglauben die Annahme der Unsterblichkeit der Seele, der Kantischen Position vergleichbar, aber anders als bei Schleiermacher, vorausgesetzt wird.

                In der evangelischen Kirche herrscht in diesen Fragen eine gewisse Unsicherheit. In dem Bestreben, alles was für den Glauben und die Rettung der eigenen Person von Schuld und Verdammnis wesentlich ist, ausschließlich von Christus, seinem Leiden und Sterben, sowie seiner Auferstehung von den Toten und seiner himmlische Existenz abhängen zu lassen, wird die Bedeutung und Funktion der Engel und des Teufels sowie auch der Heiligen zwar nicht bestritten, aber doch so weit wie möglich zurückgebracht. Dementsprechend bleibt im Glauben der evangelischen Kirche unklar, ob ein Weiterbestehen der Seele nach dem Tod angenommen werden kann oder am Ende der Welt und der Zeit die Auferstehung von den Toten erwartet wird. 

                Einen Angelpunkt für diese Auffassungen im Christentum und für die größere Zurückhaltung der evangelischen Theologie und Kirche im Blick auf den Glauben an die erwähnten Zwischenwesen bildet das Lehrstück der Bekenntnischriften der evangelisch-lutherischen Kirche über das Niedergefahren zur Höllen’, das nach dem Tod Christi am Kreuz und vor seiner Auferstehung von den Toten stattgefunden haben soll. Dieses Lehrstück findet sich sowohl in den altkirchlichen Symbolen’ als auch in den Texten, durch die sich die protestantischen Kirchen von der römisch-katholischen Lehre absetzen. Ein Vergleich zwischen dem ,Apostolischen Glaubensbekenntnis’, einem altkirchlichen Erbstück’, das in der römisch-katholischen Kirche das ganze Mittelalter hindurch und auch weiterhin in Gebrauch war und ist, auf der einen Seite und der Augsburgischen Konfession’ sowie der Apologie’ dieser Konfession, die im 16. Jahrhundert maßgeblich von Luther und Melanchthon verfasst worden sind, auf der anderen Seite kann hierüber einige Klarheit verschaffen.       

                Im Symbolum Apostolicum’ gibt es in dieser Hinsicht eine interessante doppelte Lesart. Die Evangelisch-lutherische Kirche beruft sich in der Konkordienformel’, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die gemeinsamen Grundüberzeugungen dieser Kirche festlegen soll, auf den altüberlieferten Text descendit ad inferna, bei dem nicht ausdrücklich von (einer Vielzahl von) Wesen der unterirdischen Welt(en) die Rede ist, während die römisch-katholische Kirche seit dem Mittelalter die Lesart descendit ad inferos bevorzugt, die das Bestehen solcher Wesen wohl voraussetzt. [42] Die Augsburgische Konfession’ von 1530 hält noch an dem ad inferos fest, warnt aber vor Auffassungen, die der ketzerischen Position der Manichäer  aus der frühen christlichen Kirche folgen und die den Teufel und sein Reich als eine eigenständige Instanz ansehen. Das komme dem Glauben an zween Götter’ gleich, ein bosen und ein guten’. Ein Reich der Toten, in dem Heilige’ und Fromme’ einen Vorgeschmack der ewigen Seligkeit und die verdammten Menschen’ bereits ewige Pein und Qual’ vor der Auferstehung bei der Wiederkunft Christi’ erfahren, wird ausdrücklich abgewiesen. Einen Heiligendienst’ kann es deshalb nur in dem Sinn geben, dass man Exempel nehme von ihren guten Werken’. Denn aus den Heiligen Schriften lässt sich nicht beweisen, daß man die Heiligen anrufen oder Hilf bei ihnen suchen kann’. [43]

                Die schon 1530 von Melanchthon verfasste und 1537 von den evangelisch-lutherischen Kirchen zur Bekenntnisschrift erhobene’ Apologia Confessionis Augustanae bestätigt diese Abgrenzungen vom römisch-katholischen Glauben und weist vor allem falsche Auffassungen zurück, die bei protestantischen Gruppen vorherrschen. Die Frage Von der Anrufung der Heiligen’ wird ausführlich erörtert. Die Formel bestimmter Widersacher’ der neuen protestantischen Lehre, man solle die Heiligen ehren’, wird akzeptiert. Aber es wird mit Nachdruck abgewiesen, dass man die toten Heiligen solle und müsse anrufen’. Melanchthon geht davon aus, dass die Heiligen nach ihrem Tod erst bei der Wiederkunft Christi wie alle anderen Verstorbenen ,auferweckt’ werden. Es hat also keinen Sinn zu erwarten, dass jeder unter den Heiligen eine sonderliche Gabe könne geben’. Wenn auch widerwillig, gibt Melanchthon zu, dass die Engel für uns bitten’, die damit der Wirklichkeit Gottes zugerechnet werden. Von den Heiligen ist dies in den Heiligen Schriften nicht bezeugt. Vor allem können und sollen die Heiligen nicht als Mittler’ zwischen Gott und den sündigen Menschen auftreten. Das ist allein die Rolle und Bedeutung Jesu Christi. Auch von Maria, der Mutter Jesu und damit auch Gottes, wird gesagt, dass ihr keinerlei Mittlerrolle zukommt. Wohl wird angenommen, dass sie für die Kirchen bittet’. Sie nimmt also, wie Jesus selbst und die Engel, am Leben in der Wirklichkeit Gottes teil. [44]

                Mit diesen Formulierungen ist der Rahmen abgesteckt, der für die protestantische Theologie im Unterschied zu römisch-katholischen Auffassungen verbindlich ist. Letztere gehen sehr wohl von einem Weiterleben der Heiligen aus, die der Gläubige anrufen und um Hilfe bitten kann. Wie überhaupt alle Verstorbenen haben sie nach katholisch-theologischer Lehre eine Existenz nach ihrem physischen Tod. Das heißt, es gibt den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele’, wie sie auch von Kant postuliert wird. Insgesamt kann man sagen, dass vor Kant und nach Kant der Glaube an Zwischenwesen: Engel, Heilige, den Teufel und Dämonen, in den christlichen Kirchen bewusst eine geringe Rolle spielt. Die Allmacht des Einen Gottes und die alleinige Erlösungs- und Mittlerrolle Jesu Christi schränken die Bedeutung und die Wirkungsmöglichkeiten anderer Zwischenwesen deutlich ein. Diese Reduktion oder Einschränkung der seelisch-geistigen Wirklichkeit ist in den protestantischen Formen der Frömmigkeit und ihrer theologischen Ausformulierung radikaler ausgeprägt als in der römisch-katholischen Kirche.

                Die Zurückhaltung gegenüber der Annahme von Zwischenwesen, die der unsichtbaren seelisch-geistigen Welt Gottes angehören, die aber auf die sichtbare Welt der Menschen einwirken können und sporadisch, bei bestimmten Gelegenheiten, in der sichtbaren Welt erscheinen, ist letztlich mit der monotheistischen Grundeinstellung des christlichen Glaubens gegeben. Sie hat dazu beigetragen dass am Ende des Mittelalters und am Beginn der Neuzeit in Verbindung mit den bahnbrechenden Ergebnissen der astronomischen Forschung in der Katholischen Kirche der Glaube an Hexen und Geister stark zurückgedrängt worden ist. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass diese Tendenz von den reformatorischen Theologien unterstützt worden ist. Karl Barth, als ein führender protestantischer Theologe des 20. Jahrhunderts, spricht in seiner Erklärung des Glaubensbekenntnisses schließlich nicht mehr von Zwischenwesen, sondern nur noch von invisibilia’, von dem Menschen Unbegreiflichen und ihm Unverfügbaren’. Von dem Niedergefahren zur Hölle’ bleibt nur übrig, dass die Hölle ein Ausgeschlossensein von Gott’ ist. Und das ist es, was die Hölle zur Hölle’ macht. [45]

                Diese Zurückhaltung, die besonders in der protestantischen Theologie seit der Reformation zu beobachten ist, ist neben der Orientierung am exakt-naturwissenschaftlichen Erkenntnisideal eine wesentliche Bedingung für Kants erkenntnistheoretische Ausgrenzung und moralisch-postulatorische Wiedereinbeziehung der metaphysischen Kernauffassungen zur Unsterblichkeit der Seele’ und zum Dasein Gottes’. Der Vernunftglaube, der auf diesem Weg abgeleitet wird, stimmt also nicht zufällig am meisten von allen religiösen Glaubensrichtungen mit der des Christentums überein. Andererseits wird die restriktive Einstellung allen Zwischenwesen gegenüber durch die Kantische Vernunftkritik verstärkt; und insbesondere im Protestantismus entsteht die Neigung, den Glauben an Zwischenwesen oder Wesen, die der unsichtbaren Welt Gottes oder jedenfalls einer seelisch-geistigen Wirklichkeit angehören, zu minimalisieren. Unterschiede zwischen der christlichen Theologie, wie sie etwa von Schleiermacher vertreten wird, und dem Volksglauben auf der einen Seite und dem Vernunftglauben im Sinn der Kantischen Vernunftreligion auf der anderen Seite bleiben freilich insofern bestehen, als erstere insofern statutarisch’ sind und bleiben, als sie sich für ihre Glaubensinhalte der Übereinstimmung mit den biblischen Auffassungen versichern. So wird der christliche Glaube zwar von der wissenschaftlich-rationalen Denkweise der Kantischen Vernunftkritik wesentlich beeinflusst, hält aber daneben auch an eigenen Prinzipien fest, die im Verhältnis zu dieser Denkweise konträr sind.

                Die Bedeutung der Kantischen Vernunftlehre ist indessen nicht auf die Einbettung in die Geschichte der christlichen Theologie begrenzt, die deren Ausarbeitung mit bedingt und auf die sie in der beschriebenen Weise zurückwirkt. Sie setzt Maßstäbe für jedwedes Denken, das sich in einer Welt zu orientieren sucht, die in entscheidender Hinsicht von den Wissenschaften und insbesondere den Naturwissenschaften und ihren technischen Anwendungen geprägt ist. Das gilt in erster Linie für die westliche, europäisch-nordatlantische Hemisphäre, aber auch für alle anderen Teile der Welt, und zwar in dem Maße, wie sie von den Prozessen der Verwestlichung betroffen sind, die auch als Prozesse der Modernisierung beschrieben werden. Dabei ist die Kantische Position einer Trennung zwischen wissenschaftlich-rational erklärbarer und glaubend-angenommener Wirklichkeit, die von der christlichen Theologie nicht konsequent mit vollzogen wird, sowohl von der Seite der westlich-nordatlantischen Länder und ihrer Kultur als auch von der Seite der nicht-westlichen Kulturen aus zu relativieren.

                Die durchgängige kausale Bestimmtheit der Natur, die freies menschliches Handeln im Gesamtzusammenhang der Natur sowie auch dessen Beurteilung als zweckmäßig nur als regulative Prinzipien’, das heißt nicht als Wirklichkeit konstituierend, anerkennt und zulässt, wird von neueren Ergebnissen der Naturwissenschaften in Bezug auf inneratomare Prozesse abgewiesen. In der Quantenmechanik, die diese Prozesse erforscht, treten Erscheinungen auf, die sich nicht kausal erklären, sondern nur statistisch erfassen und voraussagen lassen. Und die Ergebnisse dieser Weise des Erfassens sind von der durch das erkennende Subjekt gewählten Fragestellung abhängig. [46] Die wissenschaftlich-rationale Erklärung muss damit in bestimmten Fällen eines ihrer Grundprinzipien aufgeben. Und auch ein erweitertes Wissenschaftsverständnis, das den Geistes- und Sozialwissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften eine gleichwertige Bedeutung zumisst, kann sich mit bloßen Kausalerklärungen nicht zufrieden geben. Seit Wilhelm Dilthey und Max Weber ist für die Erfassung der geistigen und sozialen Welt neben kausalen Erklärungen auch immer Sinnverstehen’ erforderlich. Neben  Messbarkeit und Berechenbarkeit sind hermeneutische Verfahrensweisen, wie sie auch beim verstehenden Umgang mit Kunstwerken praktiziert werden, in diesen Wissenschaftsgruppen unerlässlich. [47]

                Eine vergleichbare Relativierung der Kantischen Position ergibt sich von der Seite der nicht-westlichen Kulturen, die das naturwissenschaftliche Denken im Newtonischen und Kantischen Sinn mit seinen ausschließlich kausalen Erklärungen sowie den zugehörigen technischen Anwendungen erst schrittweise oder nur teilweise übernehmen. Für die nigerianische Philosophin Sophie B. Oluwole wird die Unterscheidung von wissenschaftlich-rational erklärbarer und glaubend-angenommener Wirklichkeit selbst zu einem regulativen Prinzip’, von dem sie ausgeht, das aber kein unumstößliches Gesetz zur Erfassung der Wirklichkeit darstellt. Dass das Dasein Gottes, aber auch seine Nicht-Existenz nicht beweisbar sind und dass über das Weiterbestehen, aber auch das Nicht-Weiterbestehen der Seele nach dem Tod in einer seelisch-geistigen Wirklichkeit keine objektive gültige Erkenntnis gewonnen werden kann, bewertet sie so, dass die traditionell afrikanischen Auffassungen über Gott und die Existenz der Verstorbenen als Geister sowie über deren Reïnkarnation jedenfalls nicht widerlegt sind. [48]

                Nach ihrer Auffassung sind die in afrikanischen Gesellschaften weithin bestehenden Annahmen einer göttlichen Wirklichkeitsdimension und eines reich gegliederten und für die menschliche Welt sehr einflussreichen Reichs der Geister prinzipiell theoretisch ebenso berechtigt wie die im Westen vorherrschende Zurückhaltung und restriktive Einstellung im Blick auf solche Annahmen. Für das ethische, aber auch das metaphysische Denken der Yoruba beansprucht sie eine andere, aber ebenso klar und deutlich belegbare rationale Grundlage’ wie sie für das westliche Denken in der Kantischen Vernunftkritik ausformuliert worden ist. Sie betont, dass es eine wissenschaftliche Widerlegung der Existenz von Geistern, guten und bösen, und des Weiterbestehens der Verstorbenen als Geister nicht gibt.

                Oluwole vertritt einerseits die Auffassung, dass die Wissenschaft, auch wenn diese seit Einstein Ausnahmen vom Newtonischen Erklärungsmodell durchgängiger kausaler Bestimmtheit der Natur anerkennt, noch einen radikalen Wandel’ durchmachen muss, um solche Phänomene in ihren Erklärungsbereich einbeziehen zu können. Andererseits beurteilt sie die Entwicklung der Wissenschaft, wie sie in den Erklärungsmodellen der Quantenmechanik zum Ausdruck kommt, in dem Sinn, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht unveränderlich sind und dass in den Wissenschaften Raum entsteht für die Annahme der Möglichkeit von Geistern und für die Reïnkarnation der Verstorbenen, die einen geistig-seelischen Wirklichkeitsstatus haben. Jedenfalls hält sie die Argumente, die auf Grund der Tatsache, dass solche Annahmen bisher nicht beweisbar sind, zu der These ihrer theoretischen Unmöglichkeit gelangen, für logisch und wissenschaftlich nicht bewiesen’. Sie geht eher davon aus, dass es für die Wirklichkeit Gottes, geistig-seelisch bestehender Zwischenwesen, ihre Wirkungsmöglichkeiten in der sichtbaren Welt sowie die Wirkungsweise von Zauberei, magischen Kräften und dergleichen in der Zukunft einmal wissenschaftliche Erklärungen geben wird.      

                Ähnlich urteilen andere afrikanische Philosophen, auch wenn sie dafür weniger ausführlich Argumente anführen. Während einer Gerichtsverhandlung, in der über den Ort des Begräbnisses eines Verstorbenen verhandelt wird (am Ort des Sterbens oder in der Gegend seiner Vorfahren), fragt der Untersuchungsrichter Khaminwa den Kenianischen Philosophen Henry Odera Oruka: Als ein Professor an unserer Nationalen Universität, glauben Sie, dass es Geister gibt?’ Oruka antwortet: Ich halte immer noch Ausschau nach einem Grund, warum ich nicht an Geister glauben soll.’ [49] Und Kwame Anthony Appiah, ein Philosoph aus Ghana, der an der Harvard Universität in den USA lehrt, hat die Erfahrung gemacht, dass der Geist seines verstorbenen Vaters durch ihn sprach, als er dessen Wunsch verteidigte, nach eigenen Vorstellungen begraben zu werden, die nicht ganz mit den traditionellen Gebräuchen übereinstimmten. In seinem Buch: In My Father’s House plädiert er wiederholt dafür, neben den im westlichen Denken gängigen Auffassungen eine unsichtbare Ontologie’ oder genauer: eine Ontologie unsichtbarer Wesen’ einzuführen, die ihren eigenen rationalen erkenntnistheoretischen Standards folgt. Er kommt schlussendlich zu der Feststellung: Wir können die Frage nicht vermeiden, ob es möglich ist, uns widersprüchliche, individuelle kognitive Stile zu eigen zu machen ... Kulturen und Völker waren oft in der Lage, solche doppelten Standards durchzuhalten (und ich gebrauche diesen Ausdruck im nicht-pejorativen Sinn, denn vielleicht benötigen wir verschiedene Standards für verschiedene Zwecke)’. [50]  

                An dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass der vielfältige Gebrauch der Computertechnik in den Wissenschaften und außerhalb der Wissenschaften einen freien und spielerischen Umgang mit den Gegebenheiten der Erfahrung in Raum und Zeit ermöglichen. Die auf diesem Weg simulierten Veränderungen der Wirklichkeit oder auch frei erfundene Wesen und deren Zusammenspiel erweitern zweifellos das Wirklichkeitsverständnis. Es ist indessen fraglich, ob dies im Sinne einer im afrikanischen Denken angenommen unsichtbaren Welt der Geister verstanden werden kann oder muss. Jedenfalls kann es zu einer größeren Offenheit gegenüber der Annahme solcher Wirklichkeitsdimensionen verhelfen.    

                Der britische Anthropologe Robin Horton, der später die nigerianische Staatsangehörigkeit angenommen hat, untersucht ausdrücklich und im Einzelnen den erkenntnistheoretischen Status des Glaubens an Geister. Er vergleicht traditionelles afrikanisches Denken’ und moderne westliche Wissenschaft’. In beiden Fällen geht es nach seiner Darstellung darum, Erscheinungen durch eine weiter ausgreifende Theorie zu erklären, die im Rahmen des Alltagsdenkens nicht unmittelbar erklärbar sind. Fragen wie die, warum jemanden eine Krankheit befällt oder warum der Blitz irgendwo einschlägt, verlangen zu ihrer Erklärung eine Theorie, die den Horizont des Alltagsdenkens und seiner Handgreiflichkeiten überschreitet. Wenn man sagt, dass bestimmte mikroskopisch kleine Erreger eine Krankheit verursachen oder dass die entgegengesetzte elektrische Ladung der Wolken und des Regens auf der einen Seite und der Erde mit ihren Erhebungen (größere Bäume oder Häuser) auf der anderen Seite die Ursache für Blitzeinschlag sind, konstruiert man einen Theoriezusammenhang, der sich der Nachprüfbarkeit durch das Alltagsdenken entzieht und von diesem auf Treu und Glauben angenommen werden muss. Ein paralleler Erklärungszusammenhang ist gegeben, wenn man im Falle der beiden Beispiele bestimmte, nicht freundlich gestimmte Geister der Vorfahren als Verursacher annimmt, denen nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, oder bestimmte göttliche Wesen (deities), die nicht in der Weise verehrt werden, wie die Sitten und Gebräuche es verlangen. [51]

                Horton vergleicht beide parallel konstruierten Theoriezusammenhänge, indem er einmal (im Falle der modernen westlichen Wissenschaft) von einem unpersönlichen abstrakten theoretischen Idiom’ spricht und ein anderes Mal (im Falle des traditionellen afrikanischen Denkens) von einem persönlichen konkreten theoretischen Idiom’. Es handelt sich um verschiedene Modelle, weiter ausgreifende kausale Zusammenhänge aufzuzeigen, als sie dem Alltagsdenken zugänglich sind. Man könnte von einer Differenzierung des Kausalitätsbegriffs sprechen, durch die zwei verschiedene Arten von Verursachung eingeführt werden, die jeweils einen vom Alltagsdenken aus gesehen nicht direkt verfügbaren Theoriezusammenhang voraussetzen, der aber im Kontext des Alltagsdenkens akzeptiert wird. Der Unterschied beider Theoriezusammenhänge und beider Kausalitätsbegriffe liegt nach Horton darin, dass der modern westliche offen’ und der traditionell afrikanische geschlossen’ ist. Das macht die Überlegenheit, den Erfolg, der zu größerer Effektivität führt, auf der Seite des modern westlichen Theorietyps gegenüber dem traditionell afrikanischen verständlich.

                Zur Stützung der letzteren Auffassung führt Horton an, dass in der modernen westlichen Wissenschaft Kritik erwünscht und notwendig ist, dass diese Art des Denkens auf Veränderung und Erneuerung gerichtet ist. Demgegenüber stehe beim traditionell afrikanischen Denken die Treue zu den herrschenden Auffassungen im Vordergrund und das Althergebrachte, in der Gegenwart Gleichbleibende, werde bevorzugt. Das scheint mir jedoch eine Fehldeutung zu sein, deren Aufdeckung auch das Problematische des Gegensatzes von Tradition und Modernität hervortreten lässt. Gewiss, in der westlichen Wissenschaft besteht Offenheit, aber nur im Blick auf Einwände oder Kritik, die demselben Idiom’ verpflichtet ist. Alternative Theorieansätze werden meist von vornherein verketzert und nicht ernstgenommen. Umgekehrt sind im afrikanischen Denken, das sich zu einem guten Teil am Althergebrachten orientiert, auch Kritik und der Wunsch nach Veränderung durchaus vorhanden. Es gibt sowohl bewahrende, an der Vergangenheit orientierte als auch erneuernde, auf die Zukunft gerichtete Denkweisen, die von unterschiedlichen Personen vertreten werden. Für die zuletzt genannte Denkweise sind gerade die philosophischen Sages’ ein Beweis, die von den westlichen Anthropologen nicht bemerkt und erst von Odera Oruka erforscht und deutlich beschrieben worden sind. 

                Odera Oruka legt großen Wert darauf, dass die von ihm so genannten philosophic sages’ anders als die folk sages’ für einen Rationalitätstyp stehen, der auch unter westlichen Kriterien als philosophisch’ zu charakterisieren ist. Er sucht dies in seinen Interviews mit diesen Sages’ nachdrücklich zu belegen. [52] Auf diese Weise wird das afrikanische Denken, sofern es einen spezifischen Kausalitätsbegriff, eine Verursachung durch Geister und magische Kräfte kennt, vom westlichen Denken dem Inhalt nach unterschieden, sofern es aber ebenfalls einem deutlichen Rationalitätsbegriff verpflichtet ist, diesem dem Rang nach als gleichwertig erwiesen. Eine Überlegenheit der westlichen Rationalität, wenn man überhaupt davon sprechen kann, liegt darin, dass sie effektivere technische Mittel, besonders auch auf dem Gebiet der Waffentechnik, hervorgebracht hat, aber nicht bessere menschliche Verhältnisse. In diesem Zusammenhang muss auch auf die soziale Bedeutung des Glaubens an Geister hingewiesen werden. Wer einem Verstorbenen gegenüber noch eine Schuld gut zu machen hat, wird dazu durch dessen Geist getrieben. Und wer durch den Einfluss der magischen Kräfte eines verfeindeten Mitglieds der Gemeinschaft von einer Krankheit befallen wird, muss versuchen, diese Feindschaft auszuräumen oder das Verhältnis zu dem betreffenden Mitglied der Gemeinschaft auf irgendeine Weise wieder ins Gleichgewicht zu bringen

3. Die abwesende Anwesenheit der Engel, Dämonen und Geister in dichterisch gehaltenen Beschreibungen und in philosophischen Texten der westlichen Tradition

Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
J.Ch.F. Hölderlin: Patmos (1800)
Tiefster Humanum-Einsatz in den Himmel wurde proklamiert ... Gottes Herrlichkeit wurde
(im Neuen Testament) die apokalyptische Christi und seiner Gemeinde.
E. Bloch: Das Prinzip Hoffnung (1959).
(Einfügung in Klammern von mir, HK.)

In vielen Werken der Dichtung der westlichen Tradition seit William Shakespeare und Miguel de Cervantes, die kurz nach und teilweise noch parallel zu den Begründern der exakt-mathematischen Naturwissenschaften am Beginn der Neuzeit gelebt und geschrieben haben, spielen Hexen und Geister und deren Wirksamkeit in der sichtbaren Welt der Menschen eine wichtige Rolle. Ich erwähne nur Shakespeares Hamlet (1602-03), der vom Geist des verstorbenen Vaters aufgefordert wird, für dessen Ermordung Rache zu nehmen, und Cervantes’ Don Quijote (1605-1615), der von seinen phantastischen Vorstellungen getrieben wird, die etwas Geisterhaftes und Gespensterhaftes haben und die jedenfalls jeglichen Bezugs zur überprüfbaren Wirklichkeit entbehren. Beide Werke sind in vielen europäischen Sprachen in Hunderten von Ausgaben erschienen. Sie sind bis heute aktuell, da sie noch immer viel gelesen bzw. aufgeführt werden. Man kann von einem Weiterleben der Hexen, Geister und Gespenster in den Werken der Dichtung sprechen, nachdem sie aus dem öffentlichen und in zunehmendem Maß auch aus dem persönlichen Bewusstsein vertrieben worden sind. Die zweite Hauptfigur in Johann Wolfgang von Goethes Faust, an dem er ein Leben lang geschrieben hat (1775-1831), ist Mephistopheles, der Teufel selbst. Er erscheint in verschiedenen menschlichen Gestalten und kann auch die Gestalt eines Tieres annehmen. Und der Hexensabbat der Walpurgisnacht bildet einen der Höhepunkte des Ersten Teils.

                In der Periode nach der Aufklärung sucht Schleiermacher die Rede von den Engeln, vom Teufel und den Dämonen, die in der Bibel vorkommt, in Übereinstimmung mit den Bekenntnisschriften der protestantischen Kirche’ für den christlichen Glauben’ als dichterisch gehaltene Erzählungen’ zu qualifizieren. Diese Erzählungen stammen aus der Sagenzeit’, geben also weder eine überprüfbare Wirklichkeit im Sinn der exakten Naturwissenschaften noch eine glaubend-angenommene Wirklichkeit wieder, wobei die letztere nach seiner Darstellung entweder als Postulate der praktischen Vernunft oder als geoffenbarte Wahrheit der Bibel aufzufassen ist. Das heißt, Schleiermacher lässt den Wirklichkeitsstatus der Zwischenwesen ganz ungewiß stehen’. Wenn es sich um dichterisch gehaltene Beschreibungen’ handelt, bedeutet dies auch, dass der Glaube an diese Wesen auf unser Betragen keinen Einfluß haben darf, und daß Offenbarungen ihres Daseins jetzt nicht mehr zu erwarten sind’. [53]  

                Da diese Wesen’ aber im Volksglauben (in den Gemüthern der Christen’) auch nach der Aufklärung weiterhin eine nicht unwichtige Rolle spielen, muss man den Glauben an die Engel, wie man ihn nicht gebieten soll, auch auf der andern Seite nicht verurtheilen’. Im Sprachgebrauch des Neuen Testaments, der sich häufig bildlicher Ausdrücke bedient, die vielfach in der Alltagssprache erhalten bleiben, in Gleichnissen, in Sittensprüchen und in einem sprüchwörtlichen Gebrauch’, trifft man besonders die Vorstellung vom Teufel’ an. Gegenüber der dicherischen, aus der Sagenzeit übrig gebliebenen und der nur bildlich gemeinten Rede von Engeln, dem Teufel und Dämonen im Alten und auch im Neuen Testament, die im Volksglauben weiterlebt, muss vor allem gelehrt werden, dass Christus vortrefflicher ist’ als alle diese Wesen.

                Johann Christian Friedrich Hölderlin, seiner Ausbildung nach ebenfalls Theologe, in Zusammenarbeit mit Hegel und Schelling auch mit philosophischen Projekten beschäftigt, wendet sich in seiner Dichtung gegen die Verflachung und Veräußerlichung des Denkens durch die einseitige Orientierung am exakt-naturwissenschaftlichen Paradigma und durch die Apotheose der Vernunft in der Aufklärung. Besonders in der deutschen Wirklichkeit seiner Gegenwart hält er eine Wiederbelebung der Welt des griechischen Altertums und des Glaubens an die antiken Götter für notwendig. Christus ist für ihn eine späte und einzigartige Gestalt in dieser antiken Götterwelt. Aber die Götter sind nicht ferne Wesen, die von einer jenseitigen Welt aus in das Leben der Menschen eingreifen. Sie sind Erfahrungsdimensionen des Menschen, durch die er sein Abgetrenntsein von dem, was ihn in der Natur und als Natur umgibt, überwindet.

                In Hölderlins Briefroman Hyperion (1797-1799) ist die Hauptfigur ein Eremit in Griechenland’, der in der Natur und Landschaft dieses Landes den Geist des Griechentums erfährt. Er fasst diese Erfahrung zusammen als Erfahrung der Einheit: Eines zu sein mit allem was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden’. Diese Erfahrung der Einheit mit der Natur ist das Leben der Gottheit, ist der Himmel des Menschen’. So mit der Natur und dem Leben eins zu sein, heißt Künstler sein, die Welt verschönern. Von der Wissenschaft ist Hyperion enttäuscht, sie hat ihm alles verdorben’. Indem sie ihn gelehrt hat, sich von dem zu unterscheiden, was ihn umgibt, hat sie ihn ausgeworfen aus dem Garten der Natur’, so dass er nun vereinzelt ist in der schönen Welt’. Die Liebe zu Diotima hilft ihm, die verlorene Einheit zurück zu gewinnen. Deshalb trifft ihn die Trennung von der Geliebten und von Griechenland um so härter. Es ist sehr finster um mich geworden!’ schreibt er an sie. [54]

                Den Geist oder eher Ungeist der Wissenschaft und der Vereinzelung, des Verlustes aller Menschlichkeit, die frei ist von der überwiegenden Prägung durch begrenzte gesellschaftliche Rollen, findet er besonders unter den Deutschen. Ihr Leben gleicht den Scherben eines weggeworfenen Gefäßes’. Er schreibt an seinen Freund Bellarmin: Ich kann mir kein Volk denken, das zerrißner wäre wie die Deutschen’. Dennoch sieht er Hoffnungszeichen in ihrem Land. Ihr allberechnendes’ barbarisches Leben gleicht dem Titanenkampf, der dem Kommen oder der Wiederkehr der Götter vorangeht. Wenn es dazu kommt, kann auch Hyperions Trennung von Diotima überwunden werden. Beglückt ruft er die Götter’ der Natur an: Ihr Quellen der Erd’, ihr Blumen und ihr Wälder, wie alt und neu ist unsere Liebe!’ Inmitten der Zerrissenheit und menschlichen Kälte hat er die Vision einer allumfassenden weltgeschichtlichen Harmonie und Einheit: Wie der Zwist der Liebenden sind die Dissonanzen der Welt. Versöhnung ist mitten im Streit, und alles Getrennte findet sich wieder.’ [55]

                In den Elegien’ von 1800 und den späten Hymnen’ von 1800-1806 steht das Thema der Wiederkehr der Götter schließlich ganz im Vordergrund. Die Titanenhymne sagt im Blick auf dieses Ereignis: Nicht ist es aber die Zeit’. Die ziellose Geschäftigkeit der Menschen, ihre Konzentration auf äußerlichen Reichtum, auch Kriegesspiel’ und die Wirren des Krieges weisen eher in die entgegensetzte Richtung. Die Titanen’ sind noch unangebunden’. Der Dichter weiß sich allein mit seiner Vision. Zugleich kündigt sich aber auch ein dialektischer Umschlag an: Des Rohen brauchet es auch, / Damit das Reine sich kenne’. Es gibt Zeichen dafür, dass der Gott’ sich wieder offenbaren, dass unter Sterblichen auch / Das Hohe sich fühlen’ wird. Vielesbereitend’ ist die heilige Wildnis’. Die Menschen gleichen in der gegebenen Situation noch Toten’, aber die Sehnsucht besteht es komme der Himmlische’ zu ihnen herab. [56]

                Das Griechenland Hyperions ist in die Ferne gerückt. Die Götterbilder in dem alten Land’ darf der Dichter nicht rufen mehr’. Die Erwartung richtet sich auf Germanien, die bestellten Felder halten die Gabe’ bereit zum Opfermahl’, und Tal und Ströme sind / Weitoffen um prophetische Berge’. Dies sagen auch die Hymnen Der Rhein und Der Ister, Am Quell der Donau und Ihr sichergebaueten Alpen. Aber Germanien und die Deutschen sind nicht von sich aus ein Vorspiel’ besserer Zeiten. Von den prophetischen Bergen’ aus gilt es, bis (in) den Orient’ zu schauen, von wo der Adler’ (der in Die Titanen auch der Vogel des Himmels’ heißt) über Griechenland und Italien ins Europa nördlich der Alpen kommt. Dass Germania’ in diesem Weltteil die Rolle der Priesterin’ spielt, die darauf angesprochen werden kann, dass du wehrlos Rat gibst rings / Den Königen und den Völkern’, hat sich in der Geschichte seit Hölderlin nicht gerade bestätigt. Und es ist zweifelhaft, ob es noch von der Zukunft erwartet werden darf. [57]

                In der Elegie Heimkunft spricht Hölderlin von dem Schöpfergott, dem vor allem gilt, was Dichtende sinnen / Oder singen’. In einer ersten Fassung hieß es, dies gelte meistens den Göttern und ihm’. Dies hat er später geändert in den Engeln und ihm’, weil er offenbar Gott als den Schöpferischen’ (Christlichen?) nicht über die anderen (Griechischen) stellen will. [58] Es gibt eine positive Beziehung der Götter zu den Dichtern, denn von ihnen geht die dichterische Inspiration aus, die freilich nur stellvertretend dafür ist, dass der Geist’ die Menschen, das ganze Vaterland’ befallen kann. In Brot und Wein heißt es, dass der Mensch und vor allem der Dichter von der Gunst der Hocherhabenen’ abhängig ist und nicht weiß von wannen und was einem geschieht von ihr’. [59] Deshalb entführte ... ein Genius’ den Dichter (Sänger) nach Patmos, dem Ort, wo einst Johannes (der Lieblingsjünger Jesu, des Letzten und Einzigen der Götter, der selbst ganz Mensch geworden ist) zum Seher’ wurde, der die Offenbarung über das Ende aller Dinge empfing. Die Rolle des Sehers fällt jetzt dem Dichter zu, der aber nicht das Ende der aller Dinge, sondern eine Wende verkündet, die nahe bevorsteht, wie es der ursprüngliche Anfang dieser Hymne sagt, der als erstes Motto diesem Kapitel voransteht. Die spätere Fassung verweist dann darauf, dass es der Dichter nicht allein vermag, diese Wende herbei zu führen. Die Zeitdiagnose bleibt indessen gültig: Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.’ [60]

                Das Zeitbild’, das Hölderlin vorschwebt, zeichnet er am deutlichsten in dem großen Gedicht Friedensfeier (1802), das aus einer Zeit stammt, als der Wahnsinn’ des Dichters sich schon ankündigt. Das Leben wandelt sich, indem es zur Feier des Friedens wird, zum Fest des Gesangs. In der bisherigen Geschichte waren / sind wir Menschen ein Gespräch’. Was durch die Sprache möglich wird, ist vielleicht nicht, dass wir einander verstehen, wohl aber, dass wir hören von einander’. Demgegenüber gilt im Blick auf die Zukunft: Bald sind wir aber Gesang’. [61] Was sich jetzt vorauseilend oder vorausahnend dem Sänger oder dem Dichter zeigt, wird das Schicksal des Menschen. Es ist eine schwache Wiedergabe dieser Vision, wenn man sagt, dass damit eine Ästhetisierung des Lebens und der Welt gemeint sei. Das Umgekehrte lässt sich auf adäquatere Weise hieraus ableiten: In der Kunst begegnen dem Menschen die Götter, erweitert sich sein Bewusstsein über das Berechenbare und exakt Bestimmbare hinaus. Sie ist der (einzige?) Ort, an dem die(se) Offenbarung geschieht.        

                Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der die Vision eines kommenden Gottesreiches im Europa nach der Französischen Revolution von 1789 mit Hölderlin und Schelling geteilt hat, geht seit 1799/1800 einen anderen Weg. Er stellt der Erwartung eines besseren Lebens’ in dieser Zeit’, wie sie durch Dichter’ dargestellt wird, die Aufgabe der Metaphysik’ gegenüber, durch die das dürre Verstandesleben’ mit seinen Beschränkungen’ überwunden werden kann, indem diese in ihren Grenzen und ihrer Notwendigkeit im Zusammenhang des Ganzen’ aufgezeigt werden. [62] Der theoretischen und spekulativen Abwendung von der Kunst als dem Höchsten, das die Erneuerung und Befreiung des Lebens bringen kann, entspricht praktisch und politisch ein Verzicht auf unmittelbares tätiges Eingreifen in die bestehenden Verhältnisse. Die neue Metaphysik’, die nach Kant eine kritische Metaphysik’ sein muss, gibt allen Widersprüchen einen sie relativierenden Ort im Ganzen der Welt des Geistes. Die Natur ist der Geist in seinem Anderssein, und in der Menschenwelt kommt der Geist zu sich selbst, bis er sich in Kunst, Religion und schließlich in der Philosophie in adäquater Weise selbst begreift. Indem alles zu Gestalten des Geistes wird, verschwinden die Geister. In der Welt des Geistes gibt es keine Geister mehr und keinen Gott außer diesem alles umfassenden, in allem sich darstellenden Geist. Die Wahrheit der Religion ist diese alles umfassende Philosophie des Geistes. Und die Ableitung der dieser Philosophie zugrundeliegenden allgemeinen Begriffe ist demgemäss die Darstellung Gottes, wie er in seinem ewigen Wesen und vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist’. [63]

                Die Junghegelianer, besonders Bruno Bauer, Max Stirner, Ludwig Feuerbach und Karl Marx, sehen in Hegels Philosophie des Geistes eine ins Spekulative gewendete Lehre von den Geistern und von Gott. Sie wollen den Gedanken einer geistig zu vollziehenden revolutionären Erneuerung der Welt und des Lebens aufgreifen und in der Weise radikalisieren, dass diese auch konkret vollzogen wird. Am folgenreichsten für die Säkularisierung der Lehre von den Geistern und die Kritik der Theologie ist die Philosophie Feuerbachs und ihre weitere Radikalisierung und Konkretisierung durch Marx. Feuerbach setzt konsequent den Menschen, nicht einen immer noch theologisch konzipierten Geistbegriff, an die Stelle Gottes und aller möglichen Zwischenwesen. Er argumentiert in seinem Buch Das Wesen des Christentums (1841): Theologie wird Anthropologie, was je von Gott und den Geistern gesagt worden ist, lässt sich auf menschliche Eigenschaften und Erfahrungen zurückführen. Wenn auch Gottes vollkommene Liebe, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit usw. nicht dem einzelnen Menschen zugeschrieben werden können, so haben sie ihren Grund doch im Gattungswesen des Menschen. Außerhalb des Menschen gibt es nur die Natur, die sich mit ihren gesetzmäßigen Abläufen den Sinnen darbietet, und keine übernatürliche geistige oder moralische Wirklichkeit. Dieser strikte auf den Menschen zentrierte Materialismus ist die Basis für die Grundsätze der Philosophie der Zukunft (1843), welche die religiöse Selbstentfremdung des Menschen zu überwinden hilft.

                Karl Marx folgt Feuerbach in dieser philosophischen Grundhaltung. Er kritisiert lediglich, dass dieser den Menschen nur als Individuum oder als abstraktes Gattungswesen’ begreift, nicht aber in seinen konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen zu erfassen sucht. Feuerbachs Konzeption der Sinnlichkeit als dem grundlegenden Erkenntnisorgan bleibt überdies zu sehr passiv, zeigt nicht die Bedingungen auf für das tätige Eingreifen in das natürliche und gesellschaftliche Geschehen. In den berühmten 11 Thesen Ad Feuerbach (1845) fasst er zusammen: Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.’ Feuerbach ist zurecht mit dem abstrakten Denken’ Hegels, das in seiner Geist-Philosophie zum Ausdruck kommt, nicht zufrieden’, und er will in einem radikaleren Sinn als Kant die Anschauung zur Grundlage der Erkenntnis machen; aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit’. [64]

                Dass Marx die Religionskritik Feuerbachs gesellschaftlich konkretisieren und damit zum Ausgangspunkt verändernden gesellschaftlichen Handelns machen will, zeigt sich bereits in einem Artikel in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern von 1843/44: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie’. Die rein kontemplative Haltung der Hegelschen und mit ihr der gesamten bisherigen westlichen Philosophie, die sich darin zusammenfasst, gilt es zu überwinden. Das wird möglich, wenn die religiöse Überhöhung dieser Philosophie und ihrer Interpretation der Wirklichkeit erst einmal, wie es durch Feuerbach geschehen ist, radikal unterminiert ist. In diesem Sinn heißt es: Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik’. Es ist indessen notwendig, von der Kritik der Religion auch tatsächlich zur Kritik der philosophisch-religiös überhöhten Wirklichkeit fortzuschreiten. Die Religion ist Ideologie, das heißt verkehrtes Weltbewußtsein’. Indem sie lehrt, dass das Elend der Menschen in der gegebenen Welt von Gott gewollt ist, lenkt sie von dem Willen zur Veränderung dieser Welt ab. Sie ist zwar auch Protestation gegen das wirkliche Elend’, verspricht aber nur dessen phantastische’, jenseitige Überwindung. Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung (und die Arbeit an der Verwirklichung) seines wirklichen Glücks’. [65]             

                Jacques Derrida hat deutlich gemacht, wie im nächsten Kapitel genauer gezeigt wird, dass für Marx mit der Leugnung Gottes und einer geistigen Wirklichkeit außerhalb des Menschen die Wirklichkeit nicht ihren gespenstischen Charakter verliert, wie insbesondere der Anfang des gemeinsam mit Friedrich Engels geschriebenen Kommunistischen Manifests (1847/48): Ein Gespenst geht um in Europa das Gespenst des Kommunismus’ und seine Analysen zum Fetischcharakter der Ware’ im Ersten Band seines Hauptwerkes: Das Kapital (1867) zeigen. [66] Er spricht an der zuletzt genannten Stelle von der Magie des Geldes’ und von der Verkennung der eigenen Produktionsverhältnisse’ in der Warengesellschaft als von dem bewussten individuellen Thun’ unabhängig. So erweist sich für ihn das Räthsel des Geldfetischs’ als das die Augen blendende Räthsel des Warenfetischs selbst.’ Dabei strebt Marx freilich an, die gespenstische Wirklichkeit des Kommunismus in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und die Entfremdung der gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse vom eigenen individuellen Tun des Menschen zu überwinden.

                Ernst Bloch hat die Linie der Religionskritik von Feuerbach zu Marx weiter durchgezogen, indem er die ganze Fülle der religiösen Wahrheiten, nicht nur des Christentums, aber vornehmlich der jüdisch-christlichen Religion, in der Wirklichkeit des Menschen als gesellschaftlichen Wesens zu verankern sucht. Alle Rede von Gott und von einem Reich Gottes mit den Wesen, die es bevölkern, ist nach Bloch in Wahrheit eine Rede vom Menschen und der von ihm produzierten gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse. Die Inhalte der Religionen müssen nicht geleugnet oder beiseite geschafft, sondern als menschliche Eigenschaften und Erfahrungen, als die tiefsten Wünsche und Hoffnungen des Menschen, erfasst und kritisch in der konkreten Weltveränderung zur Geltung gebracht werden. Feuerbach hat übersehen, dass die Bibel nicht nur von Gott, sondern vom Reich Gottes spricht. Bloch verwendet zur Interpretation der Feuerbachschen Religionskritik den bei diesem selbst nicht gebrauchten, aber durchaus treffenden Begriff der Projektion’. Die Religion sei nach Feuerbach eine Projektion der individuellen und gattungsmäßigen Eigenschaften und Erfahrungen des Menschen, seiner tiefsten Wünsche und Hoffnungen in Gott. Diese Projektionsbasis’ sei jedoch zu schmal. Der Mensch als gesellschaftliches Wesen, von dem Marx spricht, projiziert seine Wünsche und Hoffnungen nicht in eine Person, nämlich Gott, sondern in das Reich Gottes.

                Nun sieht Bloch in der jüdisch-christlichen Religion selbst wesentliche Ausgangspunkte oder Beginnpunkte einer Vermenschlichung der religiösen Wahrheiten. Moses ist nicht nur der Überbringer einer Botschaft von Gott; er ist selbst Teil dieser Botschaft, ihre Verwirklichung ist an seine Person und seine Entscheidungen gebunden. Und Jesus ist regelrecht der Mensch gewordene Gott. Auf der Grundlage von Feuerbach und Marx lässt sich sagen: die Vermenschlichung Gottes ist die Vergöttlichung des Menschen. Aber nicht der individuelle Mensch, auch nicht das Gattungswesen Mensch, verkörpern Gott und sein Reich, sondern der Mensch in der Gesellschaft. So entsteht eine Gedankenkette, die ebenso zwingend wie überraschend ist: Gott wird Mensch und damit wird der Mensch Gott. Das bezieht sich indessen nicht auf die eine Person Gott, sondern auf sein Reich, so das die Menschwerdung Gottes und die Vergottung des Menschen gesellschaftlich konkret werden müssen: Gott wird sein Reich und sofern dies ein Reich der Liebe ist, gibt es darin keinen Gott als Herrscher mehr. Die religiösen Inhalte ergeben in ihrer konsequenten Vermenschlichung und Konkretisierung eine utopische Perspektive, die den Marxschen Gedanken einer klassenlosen Gesellschaft, die nach der sozialistischen Revolution erwartet wird, ergänzen und bereichern. Dazu bedarf es nach Bloch nach der sozialistischen einer erneuten, der eigentlich menschlichen Revolution. Deshalb ist selbst eine erlangte klassenlose Gesellschaft vom Summum bonum des religiös-utopischen Reichs durch jenen Sprung geschieden,’ der erst durch die Vermenschlichung genuin religiöser Motive ermöglicht wird. [67]

                Auf ihrer höchsten Spitze bricht aber die konsequente Säkularisierung, Konkretisierung und Vermenschlichung der Religion und des Glaubens an eine transzendente Wirklichkeit bei Bloch um in eine Annahme, die dem Kantischen Postulat von der Unsterblichkeit der Seele sehr ähnlich ist. Er kann der Konsequenz nicht ausweichen, dass in einem Reich Gottes auf Erden, das ein Reich ohne einen Gott ist, der über den Menschen steht, auch der Tod überwunden oder die Unsterblichkeit eine menschliche Qualität geworden ist. Was der Mensch eigentlich, seinem tiefsten oder wirklichen Wesen nach ist, bildet den Kern seines Existierens’, der noch nicht erkannt und noch nicht endgültig für die gesellschaftliche Wirklichkeit bestimmend geworden ist. Wenn dies geschieht, in jenem zukünftigen, aber in der konkreten Geschichte erwarteten Reich des Mensch gewordenen Gottes, zeigt sich, dass der Kern’ des menschlichen Existierens, der auch das intensive Mein des Menschen in der Welt’ heißt, und der immer schon, wenn auch unvollständig, das Leben bestimmt und die Geschichte vorangetrieben hat, exterritorial’ ist zum Tod. Das ist bisher nur in Annäherungen erfahrbar. Wo immer Existieren seinem Kern nahe kommt, beginnt Dauer, keine erstarrte, sondern eine, die Novum ohne Vergänglichkeit, ohne Korrumpierbarkeit enthält.’ Damit steht Bloch schließlich näher bei Gotthold Ephraim Lessing und dessen seelenwandrerischem Anspruch’ als bei Kant. Und er meint, die Säkularisierung und Vermenschlichung der jüdisch-christlichen Religion in diesem Punkt durch eine entsprechende Interpretation der buddhistischen Seelenwanderungslehre ergänzen zu müssen. [68]

                Dabei muss noch angemerkt werden, dass Bloch diesen Weg einer konsequenten Säkularisierung und Konkretisierung der jüdisch-christlichen und anderer Religionen und ihrer Glaubensinhalte, der Feuerbachs und Marx’ Ansätze aufnimmt und überbietet, nur gehen konnte, indem er auch wesentliche Motive von Sigmund Freuds Theorie der Psychoanalyse übernommen und verarbeitet hat. Die dem Menschen noch unbekannten Wünsche und Hoffnungen, die aber sein Denken und Handeln durchaus bestimmen, sind auf eine nachvollziehbare Weise in der Bewusstseinsschicht des Unbewussten zu lokalisieren, wie Freud in zahllosen Schriften, zusammenfassend in seinen Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1917 und 1933) dargelegt hat. Sofern die Inhalte dieser Bewusstseinsschicht verdrängte und vergessene Erlebnisse des Alltagsbewusstseins sind, wie es für jedermann jederzeit zugänglich ist, kann man das Unbewusste auch als Nicht-Mehr-Bewusstes bestimmen. Bestimmte Erscheinungen, die Freud unter anderem in Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1901) behandelt, wie Versprecher und Witz, aber auch Angst und Hysterie zeigen das Vorhandensein dieser verdrängten Bewusstseinsinhalte an. Sofern sie schlecht oder unzureichend verarbeitet’ und deshalb verdrängt worden sind, führen sie zu dem psychischen Krankheitsbild der Neurose. Durch die Technik der freien Assoziation’ im Gespräch zwischen Patient und Psychotherapeut, bei dem auch methodisch genau geklärte  Schritte der Traumdeutung (ein Buch Freuds, das in vielen Auflagen, zuerst 1900 erschienen ist) eine wichtige Rolle spielen, werden die Neurosen zugänglich und behandelbar. 

                Bloch folgt nun Freuds methodisch einigermaßen gesichertem Gang ins Unbewusste. Er übernimmt auch dessen These: Jeder Traum ist eine Wunscherfüllung’. Aber er konfrontiert Freuds Deutung der nächtlichen Träume, in denen das Ich eine ihm nicht adäquat erscheinende Situation seines Alltagsbewusstseins oder seine Rolle in dieser Situation auf verdeckte halluzinatorische’ Weise berichtigt, mit einer Theorie der Tagträume, die leichter zugänglich und nicht auf vergangene Erfahrungen oder Erlebnisse, sondern auf die Zukunft bezogen sind. Insgesamt möchte er die Zeitperspektive des Unbewussten als eines Nicht-Mehr-Bewussten umkehren und dieses auch als Noch-Nicht-Bewusstes auffassen. [69] Entscheidend ist jedoch, dass das Unbewusste der Psychoanalyse für Bloch nur eine Zwischenschicht ist, über die er sich den Weg zu einer noch darunter liegenden Bewusstseinsschicht oder -klasse bahnt, die er in einer metaphorischen Formulierung das Dunkel des gelebten Augenblicks’ nennt. In dieser auch als Kern des Existierens’ bezeichneten Dimension des menschlichen Lebens sind die tiefsten oder einflussreichsten Wünsche und Hoffnungen des Menschen verborgen, die sich insbesondere in den religiösen Auffassungen in einer ideologischen, das heißt ein verkehrtes Weltbewusstsein’ spiegelnden Art und Weise artikulieren. [70] Es hat sich gezeigt, dass deren konkrete Interpretation auch wieder zu Annahmen führt, die den Status von Glaubensaussagen haben.

                Wir fassen zusammen: Wie sich Kant bei der Behandlung der Frage nach der transzendenten Welt der Geister, zu der die unsterbliche Seele des Menschen gehört, und nach Gott in unauflösbare Probleme verstrickt: Paralogismen, Antinomien, Postulate, Als-ob-Beweise, so wird diese Frage auch in der nach-Kantischen oder nach-aufklärerischen Philosophie nicht gelöst, sondern führt zuletzt wieder zu Annahmen, die einen paradoxen oder jedenfalls nicht durch Erfahrung und deren kritisches Durchdenken hinreichend gedeckten Charakter haben. Innerhalb der westlichen Tradition bleibt es deshalb notwendig, Hilfe und Orientierung bei der Dichtung zu suchen, um einem adäquaten Denken und Sprechen über diese Wirklichkeitsdimension näher zu kommen. Als ein weiteres Beispiel des dichterischen Sprechens über Gott und geistige Wesen wie die Engel nach Hölderlin, ziehen wir die Gedichte Rainer Maria Rilkes heran.

                Im Ersten Buch der Gedichtsammlung Das Stunden-Buch (1899) wendet sich der Dichter in der Rolle eines Mönchs an Gott. Von Gott heißt es vor allem, dass er dunkel’ und dass er groß’ ist. Der dichtende Mönch, der sich nach ihm sehnt, steht vor ihm wie aller Engel größter’. Aber von vielen Engeln’ wird gesagt, daß sie mit abgewendetem Gesichte / von deines Mantels Falten sich entfernen’. Damit meint der Dichter wohl, dass die Bedeutung Gottes selbst für die Engel, um so mehr also für die Menschen, abnimmt, schwindet’. Für Gott wird häufig das Bild eines Baumes gebraucht. Der Frühling Gottes’ mit allen Düften und aller Blumenpracht, auch mit der Verehrung und Liebe für Maria, die heimgesuchte Magd’, kennzeichnet das späte Mittelalter und die Renaissance in Italien, die aber keine wirkliche Bedeutung mehr haben. Der Ast vom Baume Gottes, der über Italien reicht, / hat schon geblüht / ... und er wird keine Früchte haben’. Aber mitten in der Gottferne der Gegenwart erwartet der einsame’ Dichter wird Gott, der Baum, auch einmal sommerlich / verkündend werden und aus Reife rauschen’. Das Gebet des Dichter-Mönchs und seine prophetische Gabe fassen sich in der Aussage zusammen: Die Wurzel Gott hat Frucht getragen’. [71]

                Dabei bleibt Gott von dem Dichter abhängig: Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?’ Er hat die Zeit erschaffen, in der es Perioden der Wirrnis’ und des Schweigens Gottes, aber auch seine Stunde’ neuer Offenbarung gibt. Er, der Schöpfer des Lichts, dunkelt tief’. Denn die Engel verlassen ihn, und in der Gestalt von Lucifer’ werden sie selbst zur Gegenkraft: Er ist der Fürst im Land des Lichts / ... Er ist der helle Gott der Zeit, / zu dem sie laut erwacht’. Aber der Lärm und die Oberflächlichkeit, das Nichts’, verbrauchen sich selbst, so dass selbst Lucifer nach Finsternissen fleht’ und die Zeit sich wieder nach Tiefe’ sehnt. Rilkes Zeitdiagnose ist derjenigen Hölderlins zutiefst verwandt, wenn er sagt: Nah ist das Land, / das sie das Leben nennen.’ Und es ist auch hier der Dichter, der vom Kommen Gottes und/oder des Lebens kündet, indem er die Dinge nicht der gedankenlosen, lärmenden Machbarkeit überlässt;  er betet zu Gott: So will ich die Dinge in dir nur bescheiden und schlichthin benamen’, um sie so in ihren geschichtlichen und natürlichen Zusammenhang zurück zu stellen.

                Im Zweiten Buch dieser Gedichtsammlung: Das Buch von der Pilgerschaft’ (1901) wandelt sich der Dichter vom Mönch zum Pilger, behält aber dieselbe dienende Haltung Gott gegenüber. Dieselbe gegenseitige Abhängigkeit von Gott und Dichter bleibt bestehen. Neben Italien spielt Russland jetzt eine wichtige Rolle, neben Venedig, Rom, Florenz und Pisa werden nun auch Kiew und Moskau genannt mit den sie kennzeichnenden sakralen Bauten. Auch in der zeitlichen Dimension weitet sich der Horizont: Gott ist der Erbe’ aller Jahreszeiten. Wenn es heißt: es ist ein großes Wunder in der Welt: / ich fühle: alles Leben wird gelebt’, fragt sich der Dichter: Wer lebt es denn? Lebst du es Gott, - das Leben?’ Andererseits gehört Gott niemandem außer sich selbst. Auch der dich liebt ... / ... besitzt dich nicht’. Der Dichter erkennt: Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit / und, weil ihn lange keiner ging, verweht.’ Die Nachtseite des Lebens verlangt ihren Tribut, sie muss, auch wenn dies nicht leicht fällt, wie die Dinge, benannt und gepriesen werden. Dies geschieht im Dritten Teil des Stunden-Buchs: Das Buch von der Armut und vom Tode’ (1903). Auf gewisse Weise ist dieses Buch ein Vorbote der Requiems, die Rilke aus Anlass des Todes verschiedener Freunde und Freundinnen schrieb. [72]

                Im Buch der Bilder (1898-1906) und in den Neuen Gedichten (1903-1908) ist weniger von Gott die Rede, er wird zum Namenlosen’ in den Dingen, die nun mehr in ihrem natürlichen als in ihrem geschichtlichen Zusammenhang gesehen werden, und im Leben, das der Dichter in sich fühlt. Die Engel werden eher positiv aufgefasst. Sie sind das Gegenüber, die Kraft, die das menschliche Maß übersteigt: das Ewige und Ungemeine’. Und es ist ein Sieg, von diesem Engel’ überwunden zu werden. Der Tod zeigt sich in seiner ganzen Grausamkeit’, er entfremdet uns selbst den Freund, und mit dem Freund stirbt Gott. Gott lebt indessen in der Liebe und in der Sinnlichkeit, die als das Rauschen seines Bluts’ benannt werden. Auch viele Gestalten der Bibel treten in den Gedichten auf, besonders wenn sie Liebe, Leidenschaft und Tod kennen, wie David, der Frauen verführt oder von ihnen verführt wird und der um den Freund Jonathan trauert, Esther, die tapfere Königin, auch der verlorene Sohn, dessen Tod vielleicht der Eingang eines neuen Lebens’ ist, vor allem aber Jesus, der den Tod überwindet, dem aber seine Jünger kurz vor seinem Tod nicht wirklich folgen können. Deshalb kann man nicht sagen, dass zu ihnen, den Schlafenden statt Betenden im Garten Gethsemane, ein Engel kam’. Schließlich erscheinen antike Götter oder Halbgötter (Rilke macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied) in den Gedichten. Allen voran sind hier Orpheus und Eurydike zu nennen, denen später ein ganzer Gedicht-Zyklus gewidmet wird. [73]                 

                Die Duineser Elegien (1912-1922) stellen dann die Engel ganz in den Vordergrund. Der Beginn der ersten Elegie steht als Motto diesem Essay im Ganzen voran. Die Engel repräsentieren eine größere Kraft des Lebens als die menschliche, die den Menschen Angst und Schrecken einflößt. Deshalb heißt es mehrfach: Ein jeder Engel ist schrecklich.’ Die Kunst, das Schöne sind Ausdruck menschlicher Kraft, die beinahe an die der Engel heranreicht. Denn das Schöne ist nichts / als des Schrecklichen Anfang,, den wir noch grade ertragen / und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, / uns zu zerstören. Offenbar befinden sich die Engel in der Luft, wie die Vögel. Sie sind fast tödliche Vögel der Seele’. Auch in der Nacht sind sie für die Menschen nicht mehr erreichbar, nicht einmal für die Liebenden. Denn Bleiben ist nirgends’. Aber ihre Leere, ihr Nichts, steht in Bezug zur Dimension der Engel. Die Liebenden werden aufgefordert, aus ihren leeren Armen, nachdem sie Abschied genommen haben, diese Leere zu den Räumen hinzu zu werfen, die wir atmen; vielleicht daß die Vögel (und mit ihnen die Engel) / die erweiterte Luft fühlen mit innigerm Flug’. [74]

                Leben und Tod sind in der Dimension der Engel nicht deutlich von einander geschieden. Aber Lebendige machen / den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden’. Damit nähert sich Rilkes Auffassung von den Engeln dem afrikanischen Geisterglauben an, nach dem die Geister der Verstorbenen noch lange Zeit mit und bei den Lebendigen sind. Und die Lebenden verhalten sich zu den Geistern der Verstorbenen, sie gedenken ihrer und lassen sie an ihrem Lebensgenuss teilhaben. Sofern dieses Verhältnis nicht mehr besteht, erfahren sich nach Rilke die Lebenden als die Schwindenden’. Rilke erinnert an die griechische Zeit, als die Götter der Menschenwelt näher waren, mit den Menschen von ihrer höheren Sphäre aus kommunizierten. Jetzt gibt nur noch die Erfahrung des verborgenen schuldigen Fluß-Gotts des Bluts’, die freilich eine andere ist, als jene die Geliebte zu singen’. Das Aufschauen zu den Helden’, die den Göttern näher kommen, und die Erinnerung an die Stunden der Kindheit’ sind wie das Erlebnis des Schönen solche Grenzerfahrungen, in denen die Geschlossenheit der Welt ohne Götter und ohne Engel sich öffnet, weil in ihnen hinter den Figuren mehr als nur / Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft’. Und im Tiergesicht’ erblicken wir das Offne’, den reinen Raum ... ohne Nicht’, ,das Reine, Unüberwachte, das man atmet und / unendlich weiß und nicht begehrt’.

                Die Sonette an Orpheus, die Rilke 1922 zusammen mit den letzten der Duineser Elegien geschrieben hat, zeigen den (Halb)Gott Orpheus als den Gott der Sänger und Dichter. Seitdem er Eurydike durch seinen Gesang aus der Unterwelt befreien konnte, gilt Ein für alle Male’, dass es Orpheus ist, wenn es singt’ in einem Sänger und Dichter. Dieses Singen und Dichten ist ein Rühmen’ der Dinge, das sie zu bleibenden’ machen kann, das also dem Schwinden’ und damit dem Untergang der sinnhaften Welt entgegenwirken kann. Die Kunst kann den Wandel und den das Schwinden der Dinge definitiv aufhalten. Sie hebt die Dinge in eine zeitlose Dimension; es macht das Uralte zum ewig Neuen. Denn Über dem Wandel und Gang / weiter und freier / währt noch dein Vor-Gesang / Gott mit der Leier’. Leiden, Liebe und Tod bedrohen und bestimmen weiterhin das Leben, aber das Lied überm Land’ gibt ihnen eine zeitlose Gültigkeit, indem es heiligt und feiert’. Indessen ist Orpheus und mit ihm das Singen und Dichten nicht verfügbar wie ein anwesender sicherer Besitz. Auch er ist ein verlorener Gott’, eine unendliche Spur’, der man immer weiter folgen kann und folgen muss. [75]

                Wir können von Gott, den Göttern und Engeln nur mit der Geste des Abschieds sprechen. Sie sind bei uns als solche, die bei uns waren. Das meint Rilke, wenn er sagt, dass sie uns verlassen haben und zurückgekehrt sind im reinen Bezug’. Aber auch als solcher ist der Gott die Stelle, welche heilt’, wenn sie von uns in unserm Schmerz aufgerissen’ wird. Auch wenn die Dichter die Götter oder den Gott, der vielleicht wieder kommt, planen und entwerfen, sind sie doch immer da. Sie sind die Unsterblichen.’ Und von ihnen dürfen die Dichter jenen erhorchen, der uns am Ende erhört’. Für die verstorbene Tänzerin Wera Oukama Knoop, der die Sonette an Orpheus gewidmet sind, war die Leier’, das Instrument, das den Gesang des Gottes begleitet, noch die unerhörte Mitte’, die dem Leben Sinn und Halt gegeben hat. Nach ihrem Tod hat ihr Freund’ diese Mitte nur noch als leeren Ort, der aber immerhin der Raum ist, in dem er atmen kann und den er mit seinem Atem vermehrt’.     

                In den französischen Gedichten des Bandes Vergers, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sind, kommen die Engel schließlich in verschiedener Art und Weise vor. Offenbar befand sich in der Pariser Wohnung, in der sich Rilke in diesen Jahren aufhielt, ein kleiner Engel aus Porzellan. Das gedankenlos-heitere Spiel, ihm an Silvester eine Himbeere als Mütze aufzusetzen, macht ihn zu einem Phantom, an dem sich alles bewegt, außer dieser zarten Krone selbst. Später fühlt sich der Dichter von seinem Engelchen aus Porzellan kaum noch angesprochen. Aber in Gedanken sieht er den Maler, der es einmal bemalt hat, mit diesem im Gespräch über die Farben, die es bekommt und die es irrdisch’ findet im Gegenzug zu einem Himmel an Voraussetzungen’. Ganz ernsthaft blickt der Dichter dann aus der Perspektive der Engel auf die Welt, und er sieht die Wipfel der Bäume als ihre Wurzeln die die Himmel trinken’. Diese Perspektive macht deutlich, dass die Bäume ihre eigentliche geheime Nahrung nicht aus der Erde erhalten, sondern aus den Himmeln. Wie viel mehr gilt dies von den Menschen? [76]

4. Die unsichtbare Welt der Geister in Derridas Spectres de Marx und im afrikanischen Denken [77]

Aussichten der Engel, die Gipfel der Bäume sind vielleicht
Wurzeln, die die Himmel trinken.
R.M. Rilke: Vergers. Paris: Gallimard 1926, S. 54.
Die Geister sind (bei den afrikanischen Völkern) hauptsächlich die Vorfahren
und die Kräfte der Natur:
die Kräfte hinter Sturm, Regen, Flüssen, Meeren, Seen, Quellen, Hügeln, Felsen.
Geoffrey Parrinder: African Traditional Religion. London: Sheldon 1974, 3. Aufl. S. 23.
(Hinzufügung in Klammern und Hervorhebungen von mir, HK.)

Die Aufklärung als Austreibung der Geister

In dem berühmten Buch von Max Horkheimer und Theodor Wiesengrund Adorno: Dialektik der Aufklärung (Amsterdam: Querido 1947) wird diese Epoche dadurch gekennzeichnet, dass sie in sich selbst widersprüchlich ist. Einerseits muss der Glaube der Aufklärung, dass alle Wirklichkeit durch die Vernunft erklärt werden kann und dass es keiner Mythen mehr bedarf, selbst als ein Mythos angesehen werden. Andererseits wird man einsehen müssen, dass auch die Mythen eine vernünftige und erklärende Funktion haben, weil sie in einer chaotischen Welt Ordnung anbringen und Orientierung möglich machen. [78] Nach den bahnbrechenden Analysen von Horkheimer und Adorno ist ihre These, dass die Aufklärung an ihrer inneren Widersprüchlichkeit Zugrundegehen würde und dass es deshalb notwendig sei, sie über sich selbst aufzuklären, vielfältig näher ausgearbeitet worden. Ich nenne hier stellvertretend Forschungen von Hartmut und Gernot Böhme, in deren Veröffentlichung bereits im Titel auf Das Andere der Vernunft (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1983) verwiesen wird, das in der Aufklärung vergessen und verdrängt worden ist. Diese wird näher spezifiziert als: der Leib und das Gefühl, die Natur und das Weibliche, die Welt der Träume und der heimlichen Wünsche. [79]

                In der Weiterführung dieser Denkarbeit liegt m.E. Jacques Derridas Buch: Spectres de Marx (Paris: Galilée 1993), in dem er anlässlich der Verdrängung des Diskurses über Marx nach dem Zusammenbruch des sogenannten real bestehenden’ Sozialismus die gespenstische Anwesenheit von Marx und vom Marxismus untersucht. Es gibt heute’, mit Derridas Worten, in der Welt einen dominanten Diskurs, der vielmehr im Begriffe ist, dominant zu werden, zur Unterdrückung des Werks und des Denkens von Marx, des Marxismus (der vielleicht eine andere Sache ist), zur Unterdrückung aller vergangenen Gestalten der Sozialistischen Internationale und der umfassenden Revolution’ (90) [80]

                Aber auch im Werk von Marx selbst spielen Gespenster, Geister und Phantome eine vielfältige Rolle, wie im vorigen Kapitel bereits deutlich geworden ist. Marx stimmt dabei indessen mit dem Aufklärungsdenken und mit den Gegnern des Kommunismus (allen Mächten des alten Europa’) überein, dass es darum geht, die Gespenster und Geister auszutreiben. Auch der Kommunismus muss nach seiner Darstellung von einer gespenstischen in eine reale und für jedermann sichtbare Wirklichkeit überführt werden, das Gespenst des Kommunismus’ muss sich manifestieren, manifest’ werden.

                Es ist übrigens nicht zutreffend zu erwarten, dass man in diesen Untersuchungen Derridas eine Wendung seines Denkens zu konkreten politischen Fragen finden kann. Es geht eher darum, dass die stets vorhandene politische Dimension dieses Denkens deutlicher und expliziter ausgearbeitet wird. Das bedeutet nicht eine Konkretisierung und Politisierung des Denkens der Differenz, sondern umgekehrt, dass im Politischen die différance und der Aufschub besser sichtbar gemacht werden. Ein wichtiger Aspekt dieses Geschehens ist, dass Derrida in diesem Buch daran arbeitet, eine neue Spektrologie’ (Lehre von Gespenstern, Geistern und Trugbildern) zu entwickeln. Für das Andere der Vernunft, das im Aufklärungsdenken verdrängt worden ist, stehen nicht nur, wie oben angegeben: die Mythen, der Leib und die Gefühle, die Natur und das Weibliche, die Welt der Träume und der heimlichen Wünsche, sondern auch die Gespenster, Geister und Phantome - oder in einem Ausdruck zusammengefasst: die unsichtbare Welt der Geister.

                Das Aufklärungsdenken hat eine Austreibung der Gespenster und Geister zustande gebracht, einen epochalen Exorzismus. Aber das Abwesende bleibt auch immer anwesend; sonst würden wir nicht mehr darüber sprechen. Im Diskurs der Aufklärung wird darüber freilich vor allem in negativen Ausdrücken gesprochen: Gespenster gibt es nicht!’ Sie sind nicht wirklich’. Und auch was wir in einem alten Spukschloss oder im dunklen Wald zu hören und zu sehen meinen, halten wir lediglich für Projektionen’ unserer subjektiven Ängste ohne eine objektive Entsprechung. Sofern in der Poesie oder auch in wissenschaftlichen Texten wie in den Werken von Marx von Gespenstern, Geistern oder Engeln gesprochen wird, hat dies nur eine metaphorische Bedeutung’, es steht für etwas in unserem eigenen Unterbewusstsein. Diese Weise zu reden, gehört jedoch überdeutlich zu einer Ontologie der Anwesenheit (Vorhandenheit), die das immer mit zu denkende Abwesende zu negieren versucht.

                In seiner Dekonstruktion dieser Ontologie, mit der Derrida das Werk Heideggers fortsetzen will, sucht er in erster Linie das Verhältnis von Anwesenheit und Abwesenheit anders zu denken. Dabei dient Heideggers Gedanke von der Wahrheit als Ausgangspunkt, mit dem dieser bei der alten griechischen Konzeption der a-letheia (Unverborgenheit) anzuschließen sucht. Darin wird vorausgesetzt, dass Entbergen’ immer mit Verbergen’ zusammengehört. Diese Doppelheit von Entbergen und Verbergen kehrt in dem Gedanken wieder, dass Anwesenheit immer zugleich Abwesenheit ist. Das Andere der Vernunft ist das Abwesende in dem, was durch den Diskurs der Aufklärung als anwesend gesetzt wird. Um dieses Andere und dieses Verhältnis von Anwesenheit und Abwesenheit denken zu können, hat Derrida Worte wie das der différance, des Supplements (in einem zweifachen Sinn), der Spur oder auch des simulacrum (Trugbildes) eingeführt. Ausdrücke wie Gespenst, Geist oder Phantom dienen dazu, eine radikale Form der Abwesenheit im Anwesenden erfassen zu können, etwas das durch den herrschenden Diskurs als völlig abwesend, nicht wirklich’, lediglich halluziniert’ abgetan wird.

                Wie kann die Anwesenheit dieses Abwesenden gedacht werden, ohne einen Geisterglauben einfach zu restituieren oder einen unkritischen Wirklichkeitsbegriff (im Sinne von Kants kritischer Philosophie) wieder einzuführen? Derrida arbeitet daran, auf diese Frage eine Antwort zu finden oder vorzubereiten. Er sucht in Texten von Marx und dem von Marx so geschätzten Shakespeare Elemente einer neuen Spektrologie auf, um den epochalen Exorzismus des Aufklärungsdenkens beenden zu können. Ich werde im Fortgang dieses Kapitels versuchen, diese Elemente zu sammeln, damit die neue Spektrologie etwas weiter Gestalt annehmen kann. Dabei wird sich zeigen, dass mit diesem neuen Denken über die unsichtbare Welt der Geister eine prinzipielle und schwerwiegende Beschränkung verbunden ist. Diese Beschränkung lässt sich aber durchbrechen, wenn man einen Blick auf das afrikanische Denken wirft. In diesem Denken sind nicht nur die Geister der Ahnen in einer sehr direkten Art und Weise anwesend, so dass eine Gemeinschaft zwischen den Lebenden und den Toten entsteht, es wird auch in einer selbstverständlichen Weise davon ausgegangen, dass es Geister von Tieren, Pflanzen oder Teilen der Landschaft (Wäldern, Flüssen usw.) gibt. So entsteht die Frage, ob dies ein Anlass sein kann, in die Richtung auf einen neuen Animismus zu denken.

Elemente einer neuen Spektrologie

Die Begriffe Gespenster, Geister, Phantome, revenants (Geister, die  wiederkommen) sind im Kontext des Derridaschen Denkens in dem Buch Spectres de Marx nicht neu. Derrida verweist selbst (264, Anm. 1) auf sein Buch Glas (Paris: Galilée 1974), in dem er den Begriff des Fetisch im Sinne von Marx und im Sinne von Freud behandelt (S. 231 ff.) und in dem er das Fantastische in den Phänomenen der Hegelschen Phänomenologie des Geistes (Bamberg 1807) herausartet, besonders das (absolute) Phantasma der (absoluten) Wahrheit’ [81] In dem Buch De l’esprit (Paris: Galilée 1987) wird der ,Geist’ zu einem metaphysischen Phantom’, er erlangt eine gewisse spectralite’ oder tritt direkt als spectre’  auf, und zwar gerade dadurch, dass Heidegger eine Zeitlang versucht, das Wort Geist’ zu vermeiden, das aber dann bei ihm wiederkehrt. [82]

                In dem Polylog’ aus Anlass von Heideggers Interpretation der Schuhe von van Gogh’ und von Meyer Schapiros Kritik dieser Interpretation ereignet sich Folgendes. Derrida gibt dem kritischen Argument Schapiros, dass es sich bei Heidegger um eine halluzinatorische Projektion’ von dessen eigenen Gedanken in Gemälde von van Gogh handelt, eine positive Wendung. Er arbeitet das Recht und die spezifische Bedeutung dieser Projektion’ genauer heraus, indem er eine spektrale Analyse’ der Schuhe von van Gogh’ ausführt. Schuhe haben an sich schon etwas Gespenstisches (Wer hat darin gestanden?); sofern es meine eigene Schuhe sind (van Goghs eigene Schuhe, wie Schapiro gezeigt hat), stehen sie, nach einem Zitat K. Hamsuns, das Schapiro heranzieht (das jedoch auch von Heidegger geschätzt werden würde), für das Phantom meines anderen Ich’. Aber vor allem die beiden ungleichen (nicht zu demselben Paar gehörenden) Schuhe auf dem Gemälde auch dies ist eine Entdeckung Schapiros haben eine gespenstische Dimension: spectre de l’impair’. [83]

                Derrida gebraucht in Spectres de Marx mehrmals den Ausdruck Spektrologie’ (173, 178 Anm. 1). Er spricht auch von einer hantologie (89, 255), das heißt von einer Lehre des Verfolgtwerdens von Geistern, wobei hantologie als Nicht-Ontologie’ gelesen werden kann. Außerdem ist von einer spectro-poétique die Rede, und Derrida sucht nach den Spuren des Denkens der Gespenster usw. in der Sprache. Dies alles ermöglicht eine Logik’ der Spektralität’ oder auch eine Logik des Phantoms, die notwendigerweise eine zweiwertige oder dialektische Logik übersteigt’ (89, 59, 108). Mit den hier angestellten Überlegungen erhebe ich nicht den Anspruch, eine Spektrologie oder eine neue Spektrologie zu bieten. Höchstens bin ich (mit Derrida) unterwegs dahin, wenn ich (so weit wie möglich) versuche, die Elemente einer neuen Spektrologie zu sammeln, die in Spectres de Marx genannt werden.

                Die Schlüsselszene für Derrida ist das Erscheinen des Geistes oder Gespenstes (ghost) am Anfang von Shakespeares Hamlet. Nachdem Hamlet vom Geist seines Vaters erfahren hat, dass dieser das Opfer von Intrigen und von Mord gewesen ist und dass er, Hamlet, ihn würde rächen müssen, kommt er zu der Feststellung: die Zeit ist aus den Fugen’. Das bedeutet für Hamlet die beinahe übermenschliche Aufgabe, diese wieder in ihre Ordnung einzufügen’. Diese Verflechtung eines persönlichen Schicksals mit einer allgemeineren Situation ist nach Derrida kennzeichnend für das Erscheinen eines Geistes und für einen Auftrag, der von der Geisterwelt aus gegeben wird.

                Konkret geht es darum, dass Hamlet einen Weg finden muss, um den Mord an seinem Vater zu rächen. Das bedeutet dann zugleich, dass er ein Unrecht beseitigen muss, auf das die Situation in der königlichen Familie und damit im Staate Dänemark gebaut ist. Der dänische Staat, das ist für Hamlet und die Seinen die Welt, in der sie leben. Für sie ist die Welt aus ihren Fugen, auch wenn dies für die meisten nicht oder noch sichtbar ist. Diese Art des Aus-Den-Fugen-Seins gibt Hamlet das Recht davon zu sprechen, dass die Zeit aus ihren Fugen ist. Das Übermaß des Unrechts und der Zerrüttung drückt sich in dieser Formulierung aus. Das fundamentale Aus-den-Fugen-Sein der Verhältnisse der Menschen zu einander, der Verhältnisse in Welt ist schließlich ein Aus-den-Fugen-Sein der Zeit, des Verhältnisses von Sein (was ist) und Zeit (wie es ist).

                Über die Zeit und ihr (richtiges oder nicht richtiges) Gefügtsein hat Derrida ausführlicher in seinem Artikel Ousia et gramme in dem Buch Marges. De la philosophie (Paris: Minuit 1972, S. 31-78) gesprochen und später in Donner le temps. 1: La fausse monnaie (Paris: Galilée 1991). Er ist in diesen Texten auf einem Weg, die Zeit nicht mehr als homogen, zählbar und verfügbar zu denken, sondern als Gabe, die sich selbst gibt’. Dabei geht es um schwierige Fragen, die schließlich aporetisch formuliert werden und die hier nicht in der notwendigen Ausführlichkeit besprochen werden können. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Zeit (und die Gabe) anders und das heißt zugleich radikaler (von ihren Wurzeln her) zu denken, ist ein neuer Begriff des Verhältnisses von Anwesenheit und Abwesenheit. Dazu können die Begriffe Gespenst, Geist, Phantom, wenn sie nicht länger unterdrückt und vergessen werden, einen wichtigen Beitrag leisten.

                Dass die Zeit aus ihren Fugen ist, ist eine Bedingung für den Kontakt mit der unsichtbaren Welt der Geister. Das war so zu Hamlets Zeit, und es ist heute nicht anders. Derridas Gruß an Chris Hani (12), der im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika ermordet wurde, macht deutlich, dass dies nicht nur eine Sache des alten Europa’ ist, von dem Marx und Engels im Kommunistischen Manifest sprechen. Ferner kommt dies nirgendwo eindrücklicher zum Ausdruck als in den zeitdiagnostischen Schriften von Karl Marx. Deshalb ist es nicht zufällig, dass in den Texten von Marx Gespenster und Geister auf vielfache Weise vorkommen und dass sein Denken heute eine gespenstische Realität bekommen hat. Das Zulassen der Gespenster und Geister, das etre-avec les spectres’, war und ist heute die Bedingung für eine andere Politik: eine Politik der Erinnerung’, nicht nur an Chris Hani und Karl Marx, sondern an Generationen von Phantomen’ und ihr Erbe’. Diese Politik geschieht, wenn sie geschieht, im Namen der Gerechtigkeit’ (15), die mit ihrem griechischen Namen auch dike heißt. Derrida erinnert hier an Heideggers Interpretation des Spruchs des Anaximander in den Holzwegen (Frankfurt/M. 1950, 6. Aufl., S. 296-343), und er setzt sich mit dieser Interpretation aus einander (49-52). Es geht jeweils um das Zusammengehören von adikia (Aus-den-Fugen-Sein) und dike (Richtig-eingefügt-Werden).

                Gerechtigkeit hatte Derrida schon in Force de loi als nicht dekonstruierbar beschrieben. [84] Darauf bezieht er sich mehrfach in Spectres de Marx (15 Anm. 1, 147). Gerechtigkeit (justice), unterschieden von Recht (droit), scheint ein anderes Wort für différance zu sein, den nicht-ursprünglichen Ursprung’, aus dem alle Unterschiede in der Welt hervorgehen. [85] Das Erinnern an die Phantome, das Unrecht Rächen, das ihnen angetan worden ist, geschieht nicht nur im Namen der Gerechtigkeit’, es trägt auch dazu bei, Gerechtigkeit sein zu lassen.

                Durch die Erinnerung an die Phantome wird die Grenze zwischen Leben und Tod durchlässig. Die Toten, denen in ihrem Leben kein Recht widerfahren ist, kehren zurück und fordern, gerächt zu werden, in einer ungerechten Zeit Gerechtigkeit zu erlangen. Dies ist eine notwenige Trauerarbeit’, und zugleich lernt man, mit den Geistern und Gespenstern umzugehen. Aber es geht nicht nur darum, über Geister und Gespenster zu sprechen, die zurückkehren, sondern auch darum, dass man mit ihnen spricht und dass es gelingt, sie zum Sprechen zu bringen, so dass wir auf sie hören können (32). Das Umgehen mit dem Aus-den-Fugen-Sein der (heutigen) Zeit und ihrem richtigen Wieder-eingefügt-Werden, indem an Marx erinnert und auf ihn gehört wird, drückt Derrida in einem englisch-französischen Wortspiel aus: Mit Hamlet sagt er: The time is out of joint’, und er stellt das erste Kapitel seines Buches unter den Titel Injonctions [Befehle, Ansprüche] de Marx’.

                Beim Ablegen eines Eids oder beim Schwören zeigt sich, dass wir noch etwas wissen von der Welt der Geister, davon, dass man zu ihnen und mit ihnen sprechen kann. Der Geist von Hamlets Vater gibt den Befehl (injonction) zu schwören (jurer), denn ein Geist ist immer einer, der sich mit jemand verschwört’ (conjure), und er oder sie verlangt eine Verschwörung’ (conjuration) (57). Derrida legt ausführlich dar, dass conjurer im Französischen sowohl beschwören’ als auch sich verschwören’ bedeutet (73-74). Und er weist darauf hin, dass das Erscheinen eines Geistes immer etwas Erschreckendes hat (69), das wir abzuwenden versuchen, indem wir sagen, dass er/sie nicht wirklich’ ist, sondern nur eine Halluzination’, eine Illusion’ oder Phantasie’. Menschen fühlen sich leicht von Geistern, Spukerscheinungen oder Phantomen verfolgt. Deshalb versuchen sie, ihre Rückkehr (revenir) in der Zukunft (avenir) zu vermeiden, etwa indem sie ihr Wirklich’sein bestreiten (69-71). Ein Mittel gegen das Verfolgtwerden von Geistern ist auch die Religion, die umgekehrt die Jagd auf die Spukerscheinungen unterstützen kann. Im Blick auf das Gespenst des Kommunismus’ haben sich, wieder nach dem Text des Kommunistischen Manifests, alle Mächte des alten Europa’ zu einer Allianz zusammengeschlossen, um eine heilige Hetzjagd’ darauf zu veranstalten (72, 76).

                Ich habe schon darauf hingewiesen, dass nach Derrida Marx wie seine Gegner eine feindliche Haltung den Phantomen gegenüber’ einnimmt, was dazu führt, dass auch er die Phantome austreiben will.(83) Sein Denken ist aber nicht ganz und gar von einer solchen Logik der Gegensätze durchzogen. Maurice Blanchots Drei Worte von Marx [86] machen nach Derrida deutlich, dass dessen Denken eher von einer disparaten Logik’ gekennzeichnet ist, die auch die Logik der Phantome’ ist.(108). Entfremdung’ (aliénation) wird sowohl von humanistischen Prämissen aus interpretiert, als auch als ein Antihumanismus und Nihilismus (58-59). Ein direkter Aufruf zur Revolution’ (mit den dazu gehörenden Schrecken) reimt sich nicht mit der Indirektheit des Anspruchs auf einen wissenschaftlichen Diskurs’ (63-64).

                Einerseits bleibt Marx trotz des Einflusses der Aufklärung auf seine Philosophie ein Denker der Gespenster, Phantome und Geister und in Verbindung damit ein Denker des Paktes und des Schwurs’ (252 Anm. 1). Andererseits will er und darin bleibt er dem Erbe der Aufklärung verpflichtet die Gespenster austreiben oder manifest machen (s.o.). Die Gespenster, die in der Aufklärung gewissermaßen durch die Vordertüre herausgeschmissen worden sind, kommen bei Marx, der vielfach darüber redet, durch die Hintertüre wieder hinein. Aber Marx ist auch in dieser Hinsicht nicht konsequent. Er gebraucht die Ausdrücke: Gespenst, Geist, Phantom usw. vor allem in kritischem und oft auch in ironischem Sinn und er beteiligt sich daran, sie auszutreiben (259 f.). Deshalb nennt Derrida Marx’ Kritik an dem aufgeklärten Umgehen mit den Gespenstern prädekonstructiv’, und er zeigt, das sie in einer Ontologie fundiert bleibt (269 f.).

                Die kritisch-ironische Haltung im Blick auf eine Terminologie, in der vielfach Worte wie Gespenster und Geister gebraucht werden, kommt deutlich in Marx’ Kritik an M. Stirner in der Deutschen Ideologie (geschrieben 1845/46) zum Ausdruck. Dass Stirner Hegels Begriff des Geistes im Sinne von Gespenst interpretiert, indem er ihn einen Leib ohne Natur’ nennt, rächt sich insofern als das Ich des Einzigen in Stirners Denken ein Phantom des Phantoms’ wird, sein eigenes Gespenst’, das von sich selbst verfolgt wird (212-219). Marx’ Argument gegen Stirner, er treibe die Geister und Gespenster nicht mehr aus, sondern weniger, als dies bei Hegel der Fall ist, kehrt sich aber gegen Marx selbst, weil dieser nun wohl ein Ende des Geisterhaften’ meint erreichen zu können. Dies Ende des Heimgesuchtwerdens von Gespenstern, das Marx als Ziel vor Augen steht, ist für ihn auch immer das Ende der Religion und aller ideologischen Schleier’ bzw. Nebel’, die die Wirklichkeit’ verhüllen (261 u.ö.).

                Nach Marx wird die Geschichte nicht vom Geist gemacht und gesteuert, sondern von den Menschen selbst, von ihrer Arbeit in der Geschichte und an der Geschichte, und von der leitenden Organisation der Arbeiterklasse: der kommunistischen Partei (168). Hier zeigen sich im Denken von Marx Voraussetzungen des Leninismus und Stalinismus (171). Mit dem Gespenst der Revolution verschwindet ihr Geist. Deshalb findet Derrida es notwendig (mit Victor Hugo: s. das Zitat aus Les Miserables auf 157 f.), dass im Namen der Revolution’ eine doppelte Barrikade’ gedacht wird, eine Revolution gegen die Revolution’, in welcher der Geist der Revolution’ erhalten bleibt (181).

                Marx liebt nicht (mehr) die Geister, die ihn lieben (173). Das zeigt sich auch in seiner geistreichen Analyse des Fetischcharakters der Ware’. In Gegensatz zum gespenstischen Verhalten des Tauschwerts und des Geldes, die unabhängig von den Absichten der Produzenten der Ware (auf dem Markt) eine Eigendynamik entfalten, denkt Marx den Gebrauchswert ganz ohne Spuk oder Geist (254 f.). Deshalb drängt sich die Frage auf: wie ist (auch im Gebrauchswert der Ware) eine bleibende positive Beziehung zur unsichtbaren Welt der Geister’ zu denken? Derridas Dekonstruktion der Gespenster von Marx führt genau bis an diesen Punkt. Er kann diese Frage stellen, aber keinen Weg angeben, auf dem sie beantwortet werden könnte. Wie ist die Arbeitswertlehre zu denken, wenn der Begriff der Arbeit selbst etwas Gespenstisches hat, in sich ambivalent aufzufassen ist? Wie können wir in dieser Frage weiterkommen? Hier scheint für das Philosophieren, das sich auf den Kontext der europäischen Tradition beschränkt, eine prinzipielle Grenze erreicht zu sein.

                Denn es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die Frage, ob die Geister, Gespenster und Phantome wirklich’ sind, auf die nun nicht länger einfach negativ geantwortet werden kann, nach Derrida unentschieden bleiben muss. Dasselbe Nicht-wissen-Können, das wir nach Kant im Blick auf die großen metaphysischen Fragen (nach der Seele, der Welt im Ganzen und Gott) beachten müssen, gilt auch für die unsichtbare Welt der Geister’. Innerhalb der westlichen Tradition der Philosophie scheint heute in der Tat nichts anderes möglich zu sein.

                Diese Haltung kann aber differenziert werden, wenn wir einen Text von K.A. Appiah hinzuziehen, einem Autor, der noch weitgehend in einer traditionellen’ afrikanischen Umgebung (in Kumasi, der Hauptstadt der Ashanti im heutigen Ghana) aufgewachsen ist und der seine wissenschaftliche Ausbildung in Cambrigde in Großbritannien erhalten hat. (Er lehrt gegenwärtig Philosophie und African-American Studies’ an der Havard Universität in Cambridge, MA). Neben seinem kritischen wissenschaftlichen Denken hält er unzweideutig fest an einer unsichtbaren Ontologie’. Er plädiert dafür, in seiner Situation in erkenntnistheoretischer Hinsicht doppelte Standards’ anzuwenden, das heißt sich entgegengesetzte individuelle erkenntnistheoretische Stile anzueignen’. [87]

                Ich frage mich, ob die selbstverständliche Art, in der im afrikanischen Denken die Geister der Ahnen in der Welt der Lebenden anwesend sind, für das westliche Denken über Geister, Gespenster und Phantome etwas bedeuten kann. Sollte in diesem Zusammenhang auch die deutliche Beziehung, die zwischen den Geistern und den Göttern besteht, eine Rolle spielen können? Die Rückbesinnung auf die Geister und Gespenster würde dann zu einer neuen Thematisierung der religiösen Frage führen.

                Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass in den afrikanischen Kulturen nicht nur von den Geistern von Personen die Rede ist, sondern auch die Natur als beseelt vorgestellt wird. Für Marx kommt es darauf an, den gespenstischen Charakter der Dinge, sofern dieser zum Tauschwert der Waren gehört, zu überwinden. Und Derrida ist auf dem Weg zu einem Denken, in dem auch im Blick auf den Gebrauchswert am Geist der Dinge festgehalten werden kann. Wenn es wahr ist, dass Marx in gewissen Grenzen, die genauer zu untersuchen sind, die Natur vergisst, ist es auch wahr, dass Derrida in diesem Punkt die Vergesslichkeit von Marx vergisst. Liegt es nicht auf der Hand, in dieser Situation zu fragen, was die Dinge (z.B. im afrikanischen Denken) aus sich selbst sind, was ihr eigener Geist, Phantom oder Spuk sein kann.

                In diesem Zusammenhang kann ein Blick auf die afrikanischen Kulturen die Frage hervorrufen, ob wir im Rahmen einer neuen Spektrologie auch in die Richtung eines neuen Animismus denken müssen. Vielleicht kann das erneute Stellen der Frage nach Geistern, Gespenstern und Phantomen nur mithelfen, eine neue Dimension des Denkens zu eröffnen, wenn dabei auch die tiefgehende Störung des Verhältnisses der westlichen Menschen zur Natur zur Sprache kommt. Derrida weist darauf hin, dass in Marx’ Analysen das Ding als Ware gewissermaßen zum Leben erweckt wird: das Ding ... ist tot und gleichzeitig lebt es’ (245). Und er gebraucht in diesem Kontext auch den Ausdruck Animismus’ (243), aber er macht nicht den Schritt zum Denken der Dinge, wie sie an sich oder aus sich selbst sind, die in einem positiven Sinn als beseelt aufgefasst werden können. In Rilkes Dichtung hat sich gezeigt, dass das Verhältnis zu den Dingen durch das Verhältnis zu den Engeln bestimmt ist. Zur Erörterung der Frage, wie dieses Denken auch philosophisch möglich ist, ist es nützlich und vielleicht sogar notwendig, das westliche Denken für die Philosophien anderer Kulturen zu öffnen.

Ein neuer Animismus?

An dieser Stelle möchte ich den Leser mitnehmen in eine Stadtwohnung in der Hauptstadt eines afrikanischen Landes. Auch wenn es schwierig ist, hier vor dem Trinken einer Flasche Bier oder eines Glases Schnaps’ das Ritual der Libation (Trankopfer) auszuführen, geschieht dies doch noch häufig genug. Und gewiss ist dieses Zeichen der Verbundenheit mit und der Dankbarkeit gegenüber den Vorfahren in kleineren Städten und auf dem Land durchaus üblich. Für das traditionelle Afrika fasst E.G. Parrinder seine vielfältigen Beobachtungen auf diesem Gebiet folgendermaßen zusammen: Alle afrikanischen Menschen glauben an die Vorfahren als immer-lebend und beobachtend ... Die Vorfahren waren menschlich, aber sie haben zusätzliche Kräfte erworben, und die Menschen versuchen ihre Segnungen zu erhalten oder ihren Zorn abzuwenden, indem sie die fälligen Opfer bringen.’ [88]

                Der Einfluss der Geister der Vorfahren auf die Lebenden hängt von der Rolle ab, die sie im Leben gespielt haben, und selbstverständlich von der Beziehung, in der sie zu den Lebenden gestanden haben. Diese Beziehung geht in gewissem Sinn weiter und muss wenn nötig in Ordnung gebracht werden. Die gerade erst Gestorbenen heißen auch die Lebend-Toten’ (living dead), aber auch die Toten leben noch und können zurückkommen. Für die Logik der Gegensätze ist es ein unannehmbarer Gedanke, dass man z.B. bei den Bambara (im heutigen Mali) an die Reïnkarnation glaubt und zugleich annimmt, dass der Geist in der unsichtbaren Welt anwesend bleibt.

                Die islamische und die christliche Mission haben diese Situation nicht prinzipiell verändert. Freilich ist es notwendig, die Veränderungen, die z.B. durch die Annahme des Islam entstanden sind, für jede afrikanische Gesellschaft gesondert zu untersuchen. Was für die Wolof (im heutigen Senegal) gilt, dass die Welt der Geister, die in den islamischen Glauben integriert wird, dadurch zwar verändert wird (die Geister besitzen übermenschliche, aber in keiner Weise göttliche Kräfte), also keineswegs verschwindet, kann als repräsentativ für zahlreiche westafrikanische Völker angesehen werden. [89] G. van ’t Spijker bemerkt in seiner Studie über die Begräbnisriten der Hutu in Ruanda, dass die katholische Kirche, die eine Lehre vom Fegefeuer kennt (in der die Schicksale der Verstorbenen beschrieben werden) und die in ihrem Glaubensbekenntnis mit Nachdruck daran festhält, dass Jesus selbst nach seinem Tod in die Hölle hinabgefahren ist, auf eine flexiblere Art auf den Glauben an die Welt der Geister’ eingehen konnte, als die protestantischen Kirchen, die der erstgenannten Auffassung nicht anhängen und die zweite als nicht wesentlich für den Glauben betrachten. Für die christliche Mission im allgemeinen folgert er: Man braucht die Existenz der Geister nicht zu leugnen, sondern nur zu bestätigen und zu erklären, dass sich die Oberherrschaft Christi auch über sie erstreckt.’ [90]

                Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass die unsichtbare Welt der Geister für die Afrikaner ganz und gar zu dieser irdischen und menschlichen Welt gehören, dass deshalb von einer radikal immanenten Transzendenz ausgegangen werden muss und dass im Unterschied zum islamischen und zum christlichen Glauben von einer Situierung der Geister und der Gottheiten oder auch des höchsten’ Wesens (supreme being) über der irdischen und menschlichen Welt keine Rede sein kann. Dabei wird das höchste Wesen’ freilich als weit entfernt und schwer zugänglich betrachtet, so dass die Gottheiten (deities) und Geister (spirits) eine vermittelnde Funktion bekommen. Bestimmte Menschen sind sensibler für die geistige Welt als andere: Medizinmänner und -frauen, Priester und Priesterinnen, Menschen, die über magische Kräfte (witchcraft) verfügen und häufig auch der Schmied. Durch vielfältige Opferriten, bei denen die genannten Personengruppen eine Vermittlerrolle spielen oder zuweilen auch nicht, wird der Kontakt mit dieser Welt immer wieder hergestellt.

                Dies macht auch verständlich, dass die Geister und Götter innerhalb derselben Sphäre bestehen und miteinander umgehen. Parrinder spricht von einem System auf einander einwirkender Kräfte’. Und Kwame Gyekye berichtet, dass im Denken der Akan (in Ghana und Elfenbeinküste) die Hierarchie zwischen Onyame (dem mächtigsten Gott), den Gottheiten (deities), den Ahnen und den jetzt lebenden Menschen nicht als Pyramide’ oder Dreieck’ vorgestellt wird (wie Parrinder meint), sondern als ein dynamisches Ganzes, in dem die Rangordnung von den jeweils anwesenden geistigen Kräften’ bestimmt wird. [91]

                Zu diesem ,geistigen Universum’ gehören aber gewiss auch die natürlichen Dinge, denn die Lebenskraft’ durchdringt alles: die Kräfte hinter dem Sturm, Regen, Flüssen, Meeren, Seen, Quellen, Felsen. Sie sind nicht einfach das Wasser oder der Felsen, denn es sind geistige Kräfte, die  sich an vielen Stellen manifestieren können’. Es gibt einen Hauptunterschied bei den afrikanischen Religionen: Völker, die Naturgötter verehren und solche, die dies nicht tun’. Aber die Annahme der Beseeltheit der Natur ist allgemein anzutreffen.  Besonders in Westafrika glauben die Menschen an große Pantheons von Göttern, die ebenso verschieden sind wie die Götter der Griechen oder der Hindus. Viele dieser Götter sind der Ausdruck natürlicher Kräfte, welche die Menschen fürchten oder sich aneignen wollen ...’ [92]

                Gyekye warnt freilich vor einer zu starken Bindung an die Geister der Vorfahren und an die Vergangenheit, da sie den Impuls lähmt, die Gegenwart zu verändern. Wie er eine zu weit gehende Bindung an die Gemeinschaft unter den heutigen Bedingungen kritisch sieht, da sie der persönlichen Verantwortung nicht genügend Raum gibt, und eher einem gemäßigten Kommunitarismus’ das Wort redet, sucht er auch die Verehrung der Geister der Vorfahren zu mäßigen, ohne sie aufgeben zu wollen. [93] In ähnlicher Richtung ist der Hinweis Kwasi Wiredus aufzufassen, der auch den Glauben an die Geister in den Dingen selektiv verstanden wissen will. Nicht alle Dinge sind unterschiedslos beseelt, sondern bestimmte Dinge werden von den Geistern als Wohnstatt gewählt. Die Akan jedenfalls betrachten manche Dinge als leblos’ oder tot. Er stimmt freilich insofern mit Parrinder überein, als im Prinzip alle Dinge dafür in Frage kommen, Aufenthaltsorte der Geister  zu werden. [94]

                Die Beseeltheit der Natur in diesem Sinn ist Teil einer Religiosität, die gegenüber anderen Religionen, etwa dem Judentum, Christentum, Islam oder Buddhismus, die häufig als große Religionen bezeichnet werden, absolut nicht als geringer einzustufen ist. Sofern diese Religiosität Animismus heißt, wird man diesen den genannten Religionen gleichstellen müssen. Er ist sicher groß, wenn man dies an der Anzahl seiner Anhänger messen will. Der Unterschied zwischen großen und geringer einzustufenden Religionen wird mit der Gleichstellung des Animismus und den anderen Religionen, die in der Welt vorkommen, indessen hinfällig. Auch wenn der Geistergaube im Kontext westlichen, radikal kritischen Denkens nicht ohne weiteres Eingang finden kann, ist für den Gedanken der Beseeltheit der Natur in diesem Denken eine nicht geringe Empfänglichkeit zu konstatieren.

                In der Geschichte der westlichen Philosophie kommt das Denken Nietzsches den Auffassungen dieser Art von Animismus am nächsten. Für ihn ist Leben’ ebenfalls eine Grundkategorie. Er geht von einem Kräftefeld aus, das vom Willen zur Macht’ konstituiert und ständig neu organisiert wird. Aber auch bei Nietzsche ist die Natur nicht auf eine so selbstverständliche Art Grundlage des gesamten Kräfte-Universum wie im afrikanischen Denken. Trotzdem glaube ich, dass wir bei Nietzsche anschließen müssen, wenn wir versuchen wollen, die neue Spektrologie, zu der wir unterwegs sind, um einen neuen Animismus zu erweitern. Darin sehe ich eine Möglichkeit mitzuhelfen, das Aus-den-Fugen-Sein dieser unserer Zeit, sofern es wesentlich von der Störung des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur verursacht ist, wieder in Ordnung zu bringen.

                Aber auch hier ist die Erinnerung an Marx unerlässlich, und zwar an den Marx der Pariser Manuskripte (geschrieben 1844), der die Arbeit, durch die wir als Menschen unser materielles Leben produzieren und reproduzieren, als eine Naturkraft beschreibt, die sich innerhalb der Natur auf andere Naturkräfte bezieht. Dabei bleibt er von deren äußerlich-gegenständlichen Bedingungen abhängig. Wenn der wirkliche, leibliche, auf der festen wohlgerundeten Erde stehende, alle Naturkräfte aus- und einatmende Mensch seine wirklichen, gegenständlichen Wesenskräfte durch seine Entäußerung als fremde Gegenstände setzt, so ist nicht das Setzen Subjekt; es ist die Subjektivität gegenständlicher Wesenskräfte, deren Aktion daher auch eine gegenständliche sein muß.’ [95]

                Im ersten Band des Kapital (1. Auflage 1867) findet sich noch eine Stelle, an der Arbeit in ähnlicher Weise als Stoffwechsel’ des Menschen mit der Natur’ gekennzeichnet wird. Die seiner (des Menschen) Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form zu assimilieren. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur.’ Aber an dieser Stelle wird die Natur zugleich bereits zum bloßen (durch außerstoffliche Kräfte formbaren) Stoff herabgesetzt, den der Mensch sich zu seinen Zwecken beliebig aneignen kann. Er (der Mensch) entwickelt die in ihr (der Natur) schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eignen Botmäßigkeit. [96] Von einer beseelten Natur, der sich der Mensch einzufügen hat, kann dann freilich keine Rede mehr sein.

Schlussbemerkung

Wenn wir diese Fragen in Gedanken festhalten, könnten wir hier zwei Versuchungen unterscheiden. Schematisch dargestellt, wäre die eine hegelisch’: Ontotheologie, die das absolute Wissen als die Wahrheit der Religion bestimmt ... Die andere Versuchung (vielleicht gibt es gute Gründe, an diesem Wort festzuhalten) wäre dem Typus nach heideggerisch’: jenseits dieser Ontotheologie, dort wo diese sowohl das Gebet als auch das Opfer nicht kennt. So wäre es notwendig, dass sich eine Offenbarkeit offenbart, deren Licht (sich) als ursprünglicher im Vergleich zu jeder Offenbarung erweisen würde.

J. Derrida: Foi et savoir’, in: Derrida/G. Vattimo (Hrsg.), La religion. Paris: Seuil 1996,S. 24.

Die (Annahme der) Existenz eines höchsten Wesens’, undefinierbar und im Himmel’ wohnend, findet sich in der Mehrheit der religiösen Traditionen der betrachteten Region (der Bamabara, Dogon, Baoulé, Mossi u.a.) und in Schwarzafrika im allgemeinen. Dieses höchste Wesen ist schrecklich, aber nichtsdestoweniger barmherzig ... Tatsächlich wenden sich die afrikanischen Menschen der Regionen, die wir hier untersuchen, stets an eine vermittelnde Instanz, um ihre Grüße und ihre Wünsche jemand gegenüber auszudrücken ... Aber die nächste und wirksamste der Zwischeninstanzen sind noch (immer) die (Geister der) Vorfahren.

A. Hampaté Bâ: Les rapports traditionels de l’homme africain avec Dieu’, in:Bâ, Aspects de la civilisation africaine. Paris: Présence Africaine 1972, S. 114 und 117.(Hinzufügungen in Klammern von mir, HK.)

Wie sollen wir am Ende dieses Essays nun auf die Frage antworten: Gibt es Geister? oder gar auf die noch umfassendere: Glaubst Du an Gott? Für afrikanisches Denken wird (noch immer) ein einfaches Ja’ möglich sein. Demgegenüber wird das westliche, sich konsequent nur auf sich selbst stellende Denken nach Kant kein einfaches Nein’ (mehr) aussprechen können. Auch wenn wir der Hegelschen und der Heideggerschen Versuchung nicht erliegen, können wir die Wirklichkeits-Dimension nicht einfach leugnen, die im afrikanischen Denken durch Gott und die Geister und in der jüdisch-christlichen Tradition durch Gott und eine zunehmend dichterisch’ oder metaphorisch gemeinte Rede von den Engeln, Dämonen und dem Teufel bezeichnet wird. Die Redeweisen des afrikanischen Denkens und der jüdisch-christlichen religiösen Auffassungen (das gilt auch für andere Religionen, die nicht ausdrücklich betrachtet worden sind) können wir im Kontext der strikt philosophischen Erörterung dieser Wirklichkeitsdimension nicht übernehmen, weil für sie deren Wirklichkeitsstatus ungewiss bleibt. In der Alltagssprache formuliert, hieße das: Da ist etwas, aber wir wissen nicht was.’     

                Der Kantische Wissenschaftsbegriff hatte sich aus heutiger Sicht als zu eng erwiesen, und das Motiv, in jedem Fall die Moralität zu fördern, ist in nachkantischer Zeit nicht mehr unmittelbar überzeugend. Aber auch für eine Auffassung von der Wissenschaft, die sich nicht auf die exakten Naturwissenschaften beschränkt und die das Gegebensein der Erfahrungsdaten in Raum und Zeit auf eine weniger strikte Art und Weise voraussetzt, bleibt im Blick auf die Wirklichkeit Gottes und der Geister die Grenze des Nichtwissenkönnens unüberschreitbar. Und eher als das moralische Motiv wirkt das Festhalten am Geisterglauben im Kontext afrikanischen Denkens als Appell, für diese Möglichkeit offen zu sein. Die Entwicklungen in den Naturwissenschaften, die im Bereich der inneratomaren Vorgänge die strenge Bindung an das Kausalitätsprinzip verlassen, und die vielfältigen Simulationsmöglichkeiten mithilfe der Computertechnik, die mit den Erfahrungsdaten sehr frei und spielerisch umgehen, erschließen zwar neue Wirklichkeitsdimensionen. Es ist aber fraglich, ob von hier aus etwas über den Wirklichkeitsstatus der Geisterwelt gesagt werden kann.    

                Die ästhetische Dimension erwies sich als eine für das westliche, wissenschaftlich bestimmte Denken annehmbare, die derjenigen Gottes und der Geisterwelt am nächsten kommt. Viele Dichter reden in nicht trivialer Weise von Gott und Göttern, Engeln, Geistern und Phantomen. Aber der Wirklichkeitsstatus des Ästhetischen ist ebenfalls unbestimmt. Schon für Immanuel Kant und noch für Jürgen Habermas ist es eine dritte Dimension der Vernunft, die aber nur nach der Analogie der theoretischen, auf wissenschaftlich-rationale Erkenntnis gerichteten, und der praktischen, auf moralisch und rechtlich gutes oder richtiges Handeln gerichteten, gedacht werden kann. Habermas hat in seiner Theorie des kommunikativen Handelns die Strukturen einer praktischen Rationalität, die sich in den Sozialwissenschaften artikulieren, ergänzend zu denen der theoretischen Rationalität, die ihr Paradigma in den exakten Naturwissenschaften besitzt, klar und umfassend herausgearbeitet. Für die Ästhetik lässt er es bei der parallelen Benennung des expressiven Handelns, dessen theoretisch-begriffliche Erfassung in seinem Denkrahmen eine Leerstelle bleibt. [97] Wie für die Ästhetik bleibt es somit für die religiösen Fragen bei einer Philosophie des Als ob. Wenn die Dichter von Gott und den Geistern reden, verdoppelt sich gewissermaßen die Unbestimmtheit. Im unbestimmten ästhetischen Medium wird die unbestimmte Wirklichkeit Gottes, der Engel usw. thematisiert. Es kann ja sein, dass dies die unserer Zeitepoche angemessene Form des Wirklichkeitsbezuges ist

                Im Blick auf die neue Fassung des Wahrheitsbegriffs, die freilich auf ganz alte, griechische Motive zurückgeht, können wir durchaus Heidegger (und Derrida) folgen, die im Sich-Entbergenden (Anwesenden) ein Verborgenes (Abwesendes) mit zu denken suchen. Wir reden von Gott und den Geistern als etwas im Anwesenden, das heißt im theoretisch und praktisch rational Bestimmbaren, als abwesend mit Gedachtes. Wenn wir den Wirklichkeitsstatus Gottes und der Geisterwelt nicht (mehr) bestimmen können, reden wir darüber, sagen wir dazu etwas in negativer Rede. Die Worte Gott’, Engel’, Geister’, Gespenster’, Phantome’ sind nicht völlig und spurlos aus unseren Diskursen verschwunden. Deshalb macht es Sinn, in der dichterischen und metaphorischen, der negativ-begrifflichen und auch in der alltäglich trivialen Rede Elemente einer zu begründenden Spektrologie aufzusuchen und zu sammeln. Die Konfrontation mit afrikanischem Denken führt hier zu der Konsequenz, nicht beim Gespenster- und Spukhaften der Geister stehen zu blieben, sondern diese auch in den Dingen, insbesondere in den Dingen der lebendigen Natur, anzunehmen. Hierdurch entsteht ein neues Verhältnis zur Natur, die nicht länger nur als eine Ansammlung von Gebrauchs- und Verbrauchsgegenständen gesehen wird, sondern in ihrer eigenen Lebendigkeit respektiert wird.

                Die religiösen Wahrheiten wurzeln im Menschen selbst, insbesondere in den Tiefenschichten seines Bewusstseins. Das ist von Ludwig Feuerbach über Karl Marx und Sigmund Freud bis zu Ernst Bloch treffend herausgearbeitet worden. Es ist indessen nicht ausgemacht, was Bloch zu zeigen sucht, dass das objektive Korrelat dieses subjektiven Ursprungs der Religion einzig und allein in einem Reich der Liebe in einer zwar nur durch einen revolutionären Sprung erreichbaren, aber ganz und gar immanenten historischen Zukunft offenbar werden wird. Dieses Korrelat, wenn es besteht, kann auch eine uns nun (noch) verschlossene Dimension vergangener und gegenwärtiger Wirklichkeit sein. 

                Wilhelm Weischedel beschließt seine Untersuchungen zum Gott der Philosophen mit dem Hinweis auf die Haltung der Offenheit’ und des Abschieds’. Ich möchte diesen Essay damit beschließen, die Reihenfolge dieser Begriffe umzukehren. Die Geste des Abschieds, die wir auch bei Rilke angetroffen haben, ergibt sich für Weischedel aus dem Gedanken des Philosophierens als des radikalen Fragens’. Dieser Gedanke bedingt die Unbestimmtheit und Ungewissheit im Blick auf Gott und wie er sagt das Vonwoher’ von allem was ist. In letzter Tiefe heißt Abschied schließlich: darauf verzichten, vom Vonwoher mehr wissen zu wollen, als daß es das nur in wenigen Schritten analogisch erhellbare Geheimnis ist.’ Damit sucht er seinen Ort in dem Bogen, der sich von Kant bis zu Habermas spannt.

                Zum Fragen und erst recht zum radikalen Fragen gehört als Voraussetzung die Offenheit’. Wer fragt, hat ja nicht bereits die Antwort. Wer radikal fragt, vermeidet es, eine mögliche Antwort zu präjudizieren. Er wird für Unerwartetes, gerade auch im Gespräch mit Andersdenkenden, offen sein. Offenheit ist für Weischedel zuletzt Offenheit für das Vonwoher’. [98] Aus dem Gespräch mit dem anderen Denken der afrikanischen Menschen leitet sich die weiter gehende Offenheit her, dass es gelingen kann und dass daran gearbeitet werden muss, die Dimension, die durch Gott und die Geister bezeichnet wird, wieder konkreter bestimmen und benennen zu können. Der vorliegende Essay ist eine Vorbereitung und ein erster Schritt dieser Denkarbeit. Auch wenn im Denken, das sich nur auf sich selbst stellt, wie es sich in der westlichen Tradition ergibt, ein Animismus im Sinn afrikanischer Philosophie und Religiosität nicht vollziehbar ist, ist in diesem Denken wohl zu postulieren, dass der Animismus den anderen Religionen gleichgestellt wird. Wie der Unterschied von Hochkulturen und anderen (niedrigen) Kulturen obsolet geworden ist, kann man auch nicht mehr von Hochreligionen und anderen (niedrigen) Religionen sprechen. Es ist zwar kein Wahrheitskriterium, dass der Animismus viele Anhänger hatte und hat. Diese Tatsache legt indessen wohl die Forderung nahe, dass er gleichberechtigt neben den anderen großen Weltreligionen stehen soll.   



[1] Seitdem reise ich nur noch zu bestimmten Gelegenheiten wie Kongressen oder kürzeren Besuchen nach Afrika.

[2] Solche generellen Feststellungen sind immer schwierig und leicht missverständlich. Es ist mir wichtig zu sagen, dass ich im Blick auf die westliche Denkweise, wie sie in der vielfältigen westlichen philosophischen Tradition dokumentiert ist, von vorherrschendem Seinsdenken, individualistischem und rationalistischem Denken spreche, weil ich andere Denkweisen, welche die Begriffe der Kraft, der Gemeinschaft und des Spirituellen stärker berücksichtigen, keineswegs ausschließen will. Ebenso ist auf der afrikanischen Seite ein differenzierteres Bild vorauszusetzen, als bei einem solchen generellen Vergleich skizziert werden kann.

[3] Es begann mit H. Kimmerle (Hrsg.): I, We and Body. First Joint Symposium of Philosophers from Africa and from  the Netherlands. Amsterdam: Grüner 1989.

[4]K. Gyekye: Tradition and Modernity. Philosophical Reflections on the African Experience. New York/Oxford: Oxford University Press 1997, S. 257-258.

  [5]W. Weischedel stellt diese Art des Philosophierens in seinem Buch: Der Gott der Philosophren. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971) unter die Voraussetzung des ‘radikalen Fragens’, das ist eines solchen Fragens, ‘das nichts unbegfragt läßt’ (S.xix).

[6]Kants Werke. Akademie Textausgabe. Berlin: De Gruyter 1968, Bd II, S. 352.

[7]J. Derrida: Spectres de Marx. L’état de la dette, le travail du deuil et la Nouvelle Internationale. Paris: Galilée 1993.

[8] Kimmerle: ‘Die unsichtbare Welt der Geister in Derridas »Spectres de Marx« und im afrikanischen Denken’. In: Hegel-Jahrbuch 1995. Berlin: Akademie Verlag 1996, S. 401-408.

[9]K. Wiredu: Cultural Universals and Particulars .An African Perspective. Bloomington/ Indianapolis: Inidiana University Press 1996, S. 124.   

[4] Kants Werke, a.a.O. (in der Einleitung Anm. 6), Bd II, S. 357 und 361 (Einfügung in Klammern von mir, HK).                                

[5] A.a.O., S. 323 und 332.

[6] A.a.O., S. 344 und 346.

[7] Kants Werke, a.a.O. (s. Anm. 1), Bd III, S. 36-39 (B=2. Aufl. von 1787, S. 14-18).

[8] </span> A.a.O., S. 39-42 (B, S. 19-24).

[9] A.a.O., S. 33-39 (B, S. 10-18).

[10] A.a.O., S. 49-233 (B, S. 33-349).

[11] A.a.O., S. 234-260 (B, S. 349-396).

[12] A.a.O., S. 262-265 (B, S. 399-404).

[13] A.a.O., S. 283-287 (B, S. 435-443).

[14] A.a.O., S. 308-313 (B, S. 472-479).

[15] A.a.O., S. 348-349 (B, S. 536-537), S. 362-368 (B, S.560-569).

[16] A.a.O., S. 389 (B, S. 606-607).

[17] A.a.O., S. 396-403 (B, S. 618-630). (Einfügungen im Zitat von mir, HK.)

[18] Kants Werke, a.a.O. (s. Anm. 1), Bd  V, S. 113-114 (O=Originalausg. von 1788, S. 204-206) .

[19] A.a.O. , S. 122-125 (O, S. 219-226).(Einfügungen in den Zitaten mit d.h.’ von mir, HK.).

[20] A.a.O., S. 145-146 (O, S. 262-263).

 [21] J.S. Mbiti: Introduction to African Religion. London: Heinemann 1975, S. 12.

[22] I.A. Menkiti: ‘Person and Community in African Traditional Thought’. In: R.A. Wright (ed), African Philosophy. An Introduction. Washington: University Press of America 1974, 2. Aufl., S. 160-161.

[23] M.B. Ramose: African Philosophy Through Ubuntu. Harare: Mond Books 1999, S. 88-95.

[24] A.a.O. (Anm. 15), S. 359-361 (A=1. Aufl. von 1790, S. 267-270).

[25] A.a.O., S. 434-436 und 442 (A, S. 396-400 und 410). (Letzte Einfügung in Klammern von mir, HK.)

[26] A.a.O., S. 442-456 (A, S. 410-435).

[27] A.a.O., S. 444 und 439 (A, S. 413-414 und 404-405), siehe auch zum Folgenden.

[28] Kants Werke, a.a.O. (s. Anm. 1), Bd VI, S. 12.

[29] A.a.O. (vorige Anm.), S. 109-124.

[30] A.a.O., S. 26-53.

[31] A.a.O., S. 165.

[32] A.a.O., S. 60-66.

[33] A.a.O., S. 175-178 (mit Anm.+)

[34] A.a.O., S. 194-200.

[35] Kants Werke, a.a.O (in der Einleitung Anm. 6), Bd VI, S. 111.

[36] F.D.E. Schleiermacher: Dialektik. Hrsg. von L. Jonas Berlin: Reimer 1839, S. 151, 524-525 u.ö. In dem früheren Text (S. 151) von 1814 spricht Schleiermacher von einem transcendentalen Grund’, in dem späteren (S. 524-525) von 1831 nennt er ihn den transcendenten Grund’; s. zum Folgenden S. 524-525.

[37] Schleiermacher: Kritische Gesamtausgabe. Erste Abteilung. Band 7: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt (1821/22). Teilband 1. Hrsg. von H. Peiter. Berlin/New York: De Gruyter 1980, S. 20, 26, 31, 49; siehe zum Folgenden S. 127.  

[38] A.a.O. (vorige Anm.), Teilband 2, S. 324-328.

[39] A.a.O. (Anm. 40), Teilband 1, S. 148-156.

 [40] A.a.O. S. 156-168.

[41] A. Arndt, Besprechung der Bücher von M. Diederich: Schleiermachers Geistverständnis. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht 1999 und D. Schlenke: “Geist und Gemeinschaft”. Berlin/New York: De Gruyter 1999 in: Theologische Literaturzeitung 126, 2001, Sp. 813-816.

[42] Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Hrsg. von einer Gelehrten-Kommission des Deutschen Evangelischen Kirchenausschausses. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1930, 2. verb. Aufl. 1952, S. 21.

[43] A.a.O., S. 51 und 72.

[44] A.a.O., S. XXII-XXIII und 316-326.

[45] K. Barth: Dogmatik im Grundriß im Anschluß an das apostolische Glaubensbekenntnis. Stuttgart: Kohlhammer 1947, S. 81 und 156-157.

[46] Hierfür erinnere ich an die komplementäre, das heißt sich gegenseitig ausschließende Korpuskular- bzw. Wellentheorie zur Erfassung des Lichts.

[47] Zur Erklären-Verstehen-Debatte verweise ich auf G.H. von Wright: Erklären und Verstehen. Frankfurt/M.: Athenäum Fischer 1974 (Englische Originalausgabe 1971); M. Riedel: Verstehen oder Erklären? Zur Theorie und Geschichte der hermeneutischen Wissenschaften. Stuttgart: Klett-Cotta 1978 und K.-O. Apel: Die Erklären:Verstehen-Kontroverse in transzendentalpragmatischer Sicht. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979. Für die Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, die von der Verstehenspraxis von Kunstwerken aus eine Methodologie der Geisteswissenschaften entwickeln, siehe H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Tübingen: Niemeyer 1960. 

  [48] S.B. Oluwole: Witchcraft, Reïncarnation and the God-Head. Issues in African Philosophy. Lagos: Excel Publishers 1992, S. 1-83; siehe auch zu den beiden folgenden Abschnitten.

[49] H. Odera Oruka: Sage Philosophy. Indigenous Thinkers and Modern Debate on African Philosophy. Leiden et al.: Brill 1990, S. 75.

[50] K.A. Appiah: In My Father’s House. Africa in the Philosophy of Culture. London: Methuen 1992, S. 181, 218, 219-220 und 294-313.

[51] R. Horton: ‘African Traditional Thought and Western Science’. In: B.R. Wilson (ed), Rationality. Oxford: Blackwell 1981, S. 131-171; ders.: ‘Tradition and Modernity Revisited’. In: S. Lukes/M. Hollis (eds), Rationality and Relativism. Oxford: Blackwell 1982, S. 201-260. Siehe auch zu den beiden folgenden Abschnitten.

[52] Odera Oruka, a.a.O. (Anm. 15), S. 107-162.

[53] Schleiermacher: Der christliche Glaube, a.a.O. Anm. 3 im 2. Kapitel), Teilband 1,  S. 152-165. Siehe auch zum folgenden Absatz.

[54] J.Ch.F. Hölderlin: Hyperion oder Der Eremit in Griechenland’. In: Hölderlins Werke in vier Bänden. Hrsg. von M. Schneider. Stuttgart/Weil der Stadt: Hädecke 1947, Band 1, S. 67, 165-184.

[55] A.a.O. (vorige Anm.), S. 215-221.

[56] Hölderlins Werke, a.a.O. (Anm. 2), Band 2, S. 271-273.

[57] A.a.O. (vorige Anm.), S. 236-239 (Einfügung in Klammern und Kursivierung in den Zitaten von mir, HK.)

[58] A.a.O., S. 190; siehe auch zum folgenden Satz.

[59] A.a.O. S. 193.

[60] A.a.O., S. 246-255; siehe besonders 246 und 253.

[61] Friedensfeier, Privatdruck 1956, Vers 91-109.

[62] G.W.F. Hegel: ‘Der immer sich vergrößernde Widerspruch ’, in: Hegel: Werke in wanzig Bänden. Hrsg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1971. Band 1: Frühe Schriften, S. 457-460, siehe besonders 458-459.

  [63] Hegel: Wissenschaft der Logik. Hrsg von G. Lasson. Hamburg: Meiner 1963 (Nachdruck der Ausgabe von 1934), Bd 1, S. 21.

[64] K. Marx: Texte zu Methode und Praxis. Hrsg. von G. Hillmann. Reinbeck b. Hamburg: Rowohlt 1968. Band 2, S. 190-191.

[65] In: K. Marx, Die Frühschriften. Hrsg. von S. Landshut. Stuttgart: Kröner 1953, S. 207-209. (Einfügung in Klammern im Zitat von mir, HK.)

  [66] K. Marx/F. Engels: Manifest der kommunistischen Partei. In: Marx: Die Frühschriften, a.a.O. (vorige Anm.), S. 525; Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Band 1.  Hamburg: Meissner 1967 (Nachdruck Hildesheim: Gerstenberg 1980); siehe für die folgenden Zitate S. 54-55. In der zweiten Auflage von 1873  findet sich an der entsprechenden Stelle ein Abschnitt mit dem Titel: ‘4. Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis’. Ausg. Berlin: Dietz Verlag 1960, S. 76-89.   

[67] E. Bloch: Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1959, siehe besonders das Kapitel 53: ‘Wachsender Menscheinsatz ins religiöse Geheimnis ’, S. 1392-1550, für das Zitat S. 1411.

[68] A.a.O. (vorige Anm.), Kapitel 52: ‘ Hoffnungsbilder gegen den Tod’, S. 1297-1391, siehe für die Zitate S. 1390-1391.

  [69] A.a.O., Kapitel 14: ‘Grundsätzliche Unterscheidung der Tagträume von den Nachtträumen’, S. 86-128 und Kapitel 15: ‘Entdeckung des Noch-Nicht-Bewußten’, S.129-203 .

[70] A.a.O., Kapitel 20: ‘ Dunkler Augenblick offene Adäquatheit’, S. 334-368.

[71] R.M. Rilke: Ausgewählte Werke. Hrsg. von R. Sieber-Rilke und E. Zinn. Leipzig: Insel 1942, Band 1, S. 7-50, siehe auch zum folgenden Absatz.

[72] A.a.O. (vorige Anm.), S. 51-82 und 83-104; siehe auch ‘Requiem fúr eine Freundin’ S. 191-201, ‘Requiem für Wolf Graf von Kalckreuth’, S. 203-209.

[73] A.a.O., S. 105-138 und 139-190.

[74] A.a.O. S. 227-264., siehe auch zum folgenden Absatz. (Hinzufügung in Klammern im Zitat von mir, HK.)

[75] A.a.O., S. 265-305, siehe besonders S. 270,271, 280 und  284, zum folgenden Absatz S. 294, 296, 301 und 304.

[76] Rilke: Vergers, suivi des Quatrains Valaisans. Paris: Gallimard 1926, S. 24, 32 und 54.

[77] Dieses Kapitel verwendet großenteils den Text eines Vortrags auf dem XX. Internationalen Hegel-Kongress, der 1994 in Debrecen und Budapest stattgefunden hat. Siehe Hegel-Jahrbuch 1995, a.a.O. (in der Einleitung Anm. 8).

[78] Horkheimer/Adorno, a.a.O. (oben im Text), S. 10 und 22.

[79] Böhme/Böhme, a.a.O. (oben im Text), S. 23.

[80] Hier und im folgenden Text dieses Kapitels wird mit Zahlen in Klammern, ohne S., auf Seiten des im Text angegebenen Buches von Derrida (s. für den vollständigen Titel in der Einleitung Anm. 7) verwiesen.

     [81] Derrida: Glas, a.a.O. (oben im Text), S. 249 ff.

     [82] Derrida: Vom Geist. Heidegger und die Frage. Übers. VonA.G. Düttmann. Frankfrurt/M.: 1988, S. 33 und 38-39.

     [83] Derrida: La vérité en peinture. Paris: Flammarion 1978, S. 418-421, 426 und 431.

     [84] Derrida: Gesetzeskraft. Der ‘mystische Grund der Autorität’. Übers. Von A.G. Düttmann. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, S. 51-53.

     [85] Derrida: Marges, a.a.O. (oben im Text), S. 12.

      [86] M. Blanchot: ‘Trois paroles de Marx’, in: L’amitié. Paris: Minuit 1971, S. 109-117.

[87] K.A. Appiah: In My Father’s House. Africa in the Philosophy of Culture. London: Methuen 1992, S. 219.

[88] E.G. Parrinder: African Traditional Religion. London: Sheldon 1968, 3. Aufl., S. 24.

[89] R.L. Moreau: Africains Musulmans. Paris/Abidjan: Présence Africaine/Inades 1982, S. 221-224.

[90] G. van ‘t Spijker: Les usages funéraires et la mission de l’église. Kampen: Kok 1990, S. 200 und 210.

[91] K. Gyekye: An Essay on African Philosophical Thought. The Akan Conceptual Scheme. Cambridge: Cambridge University Press 1987, S. 75.

[92] Parrinder, a.a.O. (Anm. 12), S. 23-24 und 43.

[93] Gyekye: Tradition and Modernity, a.a.O. (in der Einleitung Anm. 4), S. 65-76, 257-258.

[94] K. Wiredu: Cultural Universals and Particulars, a.a.O. (in der Einleitung Anm. 9). 

[95] Marx: Texte zu Methode und Praxis II. Pariser Manuskripte 1844. Hrsg von G. Hillmann. Reinbek: Rowohlt 1968, S. 116-117.

[96] Marx: Das Kapital. Erster Band. Urausgabe. (Nachdruck der 1. Aufl. Von 1867), a.a.O. (im 3. Kapitel Anm. 14), S. 141. (Bemerkungen in Klammern und Hervorhebung im Zitat von mir, HK.)

[97] J. Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1981; siehe besonders Bd 1, S. 45 und 448.

[98] W. Weischedel: Der Gott der Philosophen, a.a.O. (in der Einleitung Anm. 5), Bd 2, S. 255-257.

 

 

(c) Heinz Kimmerle
Stiftung für interkulturelle Philosophie und Kunst
Zoetermeer 2001